Politisches Kasperlitheater

Grosse politische Bühne: Strichplatz

Grosse politische Bühne: Strichplatz

«Hilfe! Die Deutschen kommen!» – können Sie sich noch an diesen Aufruf der Qual und des Entsetzens erinnern? Wenn man damals bestimmten Politikern zuhörte, hatte man das Gefühl, wenn noch ein Udo den Rhein überschreite, würden wir in Zürich alle sofort an Hunger, Platzmangel, fehlendem Selbstbewusstsein und Arbeitslosigkeit sterben. Natürlich war das ein politischer Schaukampf mit Platzpatronen, eine Bühnenshow mit Theaterdonner und dramatischem Licht, um die Wähler zu unterhalten. Naja, das Thema ist irgendwie untergegangen. Nicht mal im Zusammenhang mit der Ecopop werden die Deutschen wieder zur Zielscheibe (vielleicht, weil man sich noch lächerlicher machen würde, wenn man Kondome nach Nordrhein-Westfalen statt nach Afrika schicken wollte).

Weiter gabs da noch die zusätzliche Autospur am Bellevue. Die Schlacht zwischen Kanton und Stadt, erbitterter Rechtsstreit und böse Worte. Auch hier hatte man das Gefühl, wenn nicht sofort eine weitere Spur am Sechseläutenplatz vorbeiführe, würden  die Pendler an einem akuten Verkehrskollaps dahinscheiden. Die politischen Protagonisten sind inzwischen weitergezogen, um sich auf anderen Bühnen zu profilieren.

Erinnern Sie sich noch an das grosse Rätsel der fehlenden Parkplätze? Grosse Schlagzeilen und sowohl Linke wie Rechte schickten Parkplatzzähler in die Stadt, um dem Gegner zu beweisen, dass es genug/zuwenig Parkplätze gibt. Rote Köpfe, harte Worte. Alles Schnee von gestern. Abgelöst durch ein anderes Drehbuch in der göttlichen Komödie, die wir Stadtpolitik nennen.

Oder die Strichboxen? Ganz grosses Politkino. «Sodom und Gomorrha», schrien die Einen, während die Anderen «Fürsorge und Kontrolle» prelögten. Ein raues Dafür und Dagegen erschütterte die Politlandschaft. Inzwischen veröden die so freundlich zur Verfügung gestellten Kopulationscontainer und die Prostituierten sind dahin abgewandert, wo man sie besser ausnutzen und zuhalten kann. Man hätte die Diskussion nicht führen müssen und die Prostituierten direkt vertreiben können. Und jetzt? Der Vorhang ist auch bei diesem Stück gefallen, das Publikum hat den Saal verlassen.

Dasselbe bei der Hafenkrandiskussion. Es würde mich nicht wundern, wenn der eine oder andere Befürworter oder Gegner seit der Diskussion um den Stahlkoloss ein Herzmedikament benötigt. Man musste befürchten, dass die Kultur in persona ohne den Kran sofort ihre Koffer packen und ohne Nachsendeadresse nach Berlin zu den anderen kreativen Zürchern abhauen würde. Jetzt steht er da, als Denkmal seiner eigenen Diskussion und kein Schwein bemerkt ihn. Er ist nicht spektakulär genug, um Aufsehen zu erregen. Und jetzt? In der Politik und in den Medien kein Wort mehr.

Und aktuell bei dem grossen Sieg über die BMW-Fahrer unter den Sozialhilfebezügern: Man konnte sich mit einem Thema profilieren, das eigentlich keine Wirkung und keinen Inhalt hat. Wieder eine grosse Schlacht, bei der um Prinzipien gekämpft wird, die im wesentlichen keine praktischen Auswirkungen haben. Den gefühlten drei Autobesitzern unter den Sozialfällen nimmt man das Auto weg. Oder lässt man es ihnen und sie müssen die Nummer abgeben? Oder es selbst mit einem grossen Hammer verschrotten? Egal. Es war bestes Polittheater ohne irgendwelchen Inhalt. Eine Bühne für politische Selbstdarstellung. In einer Woche haben es die Medien und die Politiker wieder vergessen.

Das Politiker eine Bühne brauchen, ist klar. Was mich nervt ist, dass Medien und Politik, mangels wirklicher Probleme, eine regelrechte Bühnenshow abziehen, wenns um dämliche kleine First-World-Problemchen geht. Der Wähler lässt sich da mitreissen und sieht dadurch dann den Unterschied zwischen dem Kampf um den Hafenkran und dem Kampf um Änderungen in unserer Verfassung nicht mehr. Das Verhältnis zwischen grossen demokratischen Entscheiden und kleinen Schaukämpfen für die Egos der Politiker geht im Getöse unter.

Liebe Politiker, liebe Medien

versuchen Sie doch, das Theater wenigstens in einem vernünftigen Grössenverhältnis zur politischen Bedeutung zu veranstalten.

Merci.

38 Kommentare zu «Politisches Kasperlitheater»

  • Hans sagt:

    Noch so ein Spaltenfüller. Zum Thema was man nicht zu wissen braucht.

  • geezer sagt:

    irgendwie passt dieser blog perfekt zu dieser meldung:

    http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Zuercher-Forscher-skizzieren-duesteres-Bild-der-Medienlandschaft/story/3147823

    eigentlich müssten sich die medienleute wieder mal gründlich überlegen, welche inhalte sie tatsächlich rüberbringen wollen. auch im tagi gibt es immer mehr schlecht recherchierte oder schlichtwegs überflüssige artikel mit schwachem inhalt.

    z. b. solchen schwachsinn: http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Jugendliche-finden-politische-Sprache-zu-kompliziert/story/11382970

    • Geek sagt:

      Die Qualität der Medienlandschaft ist allgemein drastisch gesunken. Auch der Tages Anzeiger hat sich in den letzten Jahren dem Boulevard Niveau angepasst.
      Schuld daran dürften der Erfolg der Gratis Schmuddelblätter und des unterirdisch doofen Tele Züri (Privatfernsehen) sein , gepaart mit dem Zwang zu Sparmassnahmen auf Kosten des Journalismus.

      • Réda El Arbi sagt:

        Nun, es ist eigentlich Marktwirschaft. Jeder Leser hat die Zeitung, die er verdient, bzw kauft. 🙂

        • Supervujo sagt:

          Man muss also daraus schliessen, dass der Grossteil der Bevölkerung komplett verblödet ist, wenn man sieht welche Sendegefässe und Schundblätter am meisten Anklang finden.

          • Réda El Arbi sagt:

            Denke ich nicht. Es gibt genug „seriöse“ Medien, die noch wertvolle Beiträge bringen. Nur muss man heute nicht mehr die ganze Zeitung kaufen, sondern kann sich die Qualitätsinhalte einzeln ins Haus holen. Ich les pro Woche sicher einmal Inhalte aus der NYT, der Zeit, der Süddeutschen und dem Guardian. Das hab ich früher nicht gemacht. Der Medienkonsum hat sich verändert, aber nicht, wie alle behaupten, zum Schlechten. Die Gratiszeitungen waren die Printantwort aufs Internet. Aber eben nur eine unzulängliche.

          • Irene feldmann sagt:

            Man kann nur immer von sich selber sprechen oder sind sie Mitglied der SVP??????:)

          • Irene feldmann sagt:

            Supervujo???

          • Supervujo sagt:

            Du glaubst aber nicht im Ernst, die Dumpfbacken welche sich 20 Minuten, Blick am Abend und Tele Züri geben, würden auch ab und zu einen Blick in Zeit oder Süddeutsche werfen, oder? 🙂

            • Réda El Arbi sagt:

              Du glaubst doch nicht, dass die vor 20min, TeleZüri und Blick am Abend überhaupt Zeitungen gelesen haben?

              • Réda El Arbi sagt:

                Ausserdem, schau dich mal am morgen oder am Abend im Tram um. Da sind durchaus Leute, die sonst „Qualitätsmedien“ lesen, mit einer Gratiszeitung in der Hand anzutreffen.

                Gerade beim blick am Abend muss man die Aufgabe und die AUsrichtung berücksichtigen: Die machen Infotainment. Das ist deren Handwerk. Und das ist gar nicht so einfach. Aber es mit der „Zeit“ zu vergleichen ist, wie wenn du jemanden auslachst, weil er mit seinem schönen Rennrad keinen Porsche abhängen kann.

          • Deutschlehrer sagt:

            @Supervujo: „Man muss also daraus schliessen, dass der Grossteil der Bevölkerung komplett verblödet ist, wenn man sieht welche Sendegefässe und Schundblätter am meisten Anklang finden.“

            Das ist korrekt, ja.

  • Ralf Schrader sagt:

    ‚Was mich nervt ist, dass Medien und Politik, mangels wirklicher Probleme, eine regelrechte Bühnenshow abziehen‘.

    Wirkliche Probleme haben wir genug. Alle 1000 kann ich nicht auflisten, aber eine Rangliste:

    Die Schweizer fressen der Welt die Ressourcen weg.
    Die Schweizer bauen mit Geburtlichkeitsverweigerung und zunehmender Lebenserwartung eine gerontologisch verzerrte Gesellschaft auf.
    Die Schweizer haben sich ein Gesundheitswesen gebastelt, welches Gesunde krank macht und statt Heilung von Krankheit, wirtschaftlich verwertbares Patientengut aufbaut.
    Die Schweizer haben vergessen, das es möglich ist, politisch zu handeln, statt Probleme zu administrieren.
    Die Schweizer haben Politik abgeschafft, weil sie meinen, die Seele der Politik, Ideologie, sei des Teufels, weil man jedes Problem mit Sandkastenmethoden lösen kann, indem man es Franken- und Rappenzahlen zuordnet, die man marktwirtschaftlich konform senken muss.
    Die Schweizer haben aufgehört zu leben und Leben durch Existieren ersetzt. Existieren unter zwei Randbedingungen, Wohlstand und Selbstgefälligkeit.

    Die andern 995 Problembeschreibungen sende ich schweizerisch intendiert gegen Vorauszahlung nach.

    • Réda El Arbi sagt:

      Nur ein Punkt: Am Anfang jedes Massenmordes stand eine Ideologie. Ideale wollen das Beste und verunmöglichen dabei das Bestmögliche.

      • Ralf Schrader sagt:

        Schwache Argumentation. Ideologie steht am Anfang aller Dinge, Massenmord, Pazifismus, soziale Marktwirtschaft, dem Koran. Pragmatismus ist eine Handlungs- und Denkprothese für geistig Arme.
        Das ‚Beste‘ ist definiert (lokales oder globales Optimum, mathematisch berechenbar), das ‚Bestmögliche‘ eine Erfindung von Pragmatikern, weich, wie Zuckerwatte. Das Bestmögliche ist zum Zweck erdacht.

        • Réda El Arbi sagt:

          Ja, aber im Gegensatz ist das Bestmögliche menschlich.

          • Ralf Schrader sagt:

            So ist es. Bestmöglich ist menschlich, wie Kompromiss, Konsens, Frieden, Liebe, …
            Politik aber ist nicht menschlich. Alles was menschlich daherkommt, ist unpolitisch, nicht mathematisch, nicht tauglich zum Verstehen. Verstehen geht nur unmenschlich.
            Gesellschaft ist das, wenn man sich den Menschen rausdenkt. Wenn man den Menschen mitdenkt, ist es sozial, nicht Politik, nicht Gesellschaft, nicht Ideologie.
            Politik ist die Methode der Gesellschaft, nicht der Menschen, nicht ihrer Sozialstruktur. Deshalb gibt es gibt es im flachen Demokratiemodell der Jetztzeit keine Politik, keine Politiker, weil die menscheln müssen,

          • Ralf Schrader sagt:

            Wenn Menschen politisch relevant wären, hätte es nie einen Krieg gegeben.

      • Carolina sagt:

        Ah, Muttis Liebling, Sie hier! Also gut: gestern haben Sie uns ja an anderer Stelle verraten, dass Sie keinerlei Interesse an emotionalen Bindungen zu anderen Menschen haben – daraus kann ich nur schliessen, dass Sie ‚Menschlichkeit‘ gar nicht erkennen würden, auch wenn es Sie in die Wade beissen würde. Eigentlich kann man sich eine Diskussion mit Ihnen sparen, denn für Sie ist ja dann doch alles Politik, oder?
        PS: Ich habe immer gedacht, dass für Menschen mit Aspergers bzw Autismus auch Zynismus kaum zu bewältigen ist!?

  • KMS a PR sagt:

    wenn man die grossen probleme nicht lösen kann, kümmert man sich halt um die kleinen. „unser….“ schwacher bundesrat macht uns das ja auch schön vor. aber es stimmt schon. die politik verkommt von links…rechts je länger je mehr zum jahrmarkt der eitelkeiten. wenn es nach mir ginge, würde die class-politique in form der parteien abgeschafft; und parlament und räte vom bürger gewählt. lobbyisten aller couleur hätten bundeshausverbot. ob es besser kommen würde, weiss ich nicht. aber zumindest hätten wir uns die ergebnisse dann komplett selber zu zuschreiben.

  • Diego sagt:

    Ich musste mir Heute in den Radio Energy Nachrichten anhören, dass der Coldplay Sänger und seine Zwetschge nicht mehr zusammen sind…DAS sind noch Headlines!

  • Steffan Wolf sagt:

    Lieber Réda, du machst mir Angst.

    Genau das Beispiel mit den Deutschen und Gummis verteilen im Ruhrpott hab ich vorvorvorgestern (also sozusagen letzte Woche) in einer hitzigen Debatte Pro-/Kontra-Ecopop in die Runde geworfen und bin sicher, dass du nicht dabei warst.
    Ich schlussfolgere somit, dass du Gedanken lesen kannst. Da lässt man einmal seinen Helm aus Alufolie zu hause…

  • Danke für diesen Artikel.
    Neben der Befeuerung durch die Medien um die Wutbürger zu befriedigen gibt es eine weitere perfide Komponente. In Leserkommentaren posten „Fachleute“ deren Identität niemand überprüfen kann.

    Zu den Plänen der FDP alle Eritreer rauszuwerfen äussern sich gleich 2 vorgebliche Ertireer um zu bestätigen, dass das richtig sei.

    In der Diskussion über Autos von Sozialhilfeempfängern meldet sich eine angebliche Mitarbeiterin eines Sozialamtes und bestätigt das ohnehin die meisten Empfänger Betrüger sind.

    So kann man natürlich die Stimmung weiter anheizen.

  • Branko Bostic sagt:

    Was wollen Sie denn, Herr Arbi? Dass das Zürich-Ressort beim Tagi die Hälfte seiner Redaktoren entlässt?

    • Réda El Arbi sagt:

      Nein, im Zürich-Ressort sind solche Themen gut aufgehoben, da gehören sie hin. Aber vielleicht nicht in die Hauptausgabe der Tagesschau, mit vierminütigem Beitrag. Wenn schon, dann ins Schweiz Aktuell mit den regionalen Kleinthemen.

      • geezer sagt:

        was beim srf als newswürdig gilt, wäre sowieso mal eine separate abhandlung wert (oder war da nicht schon mal was an dieser stelle?)

        ich kann mich jedes mall göttlich aufregen, wenn sie am ende der tagesschau den ausblick auf ’10 vor 10′ machen und nochmals sämtliche abgelutschten themen, welche soeben eingehend behandelt wurden (siehe dein artikel) herunterleiern. so ein schwachsinn! schlussendlich gehts wohl einfach um die erhaltung eniger arbeitsplätze am leutschenbach.

        abgesehen davon gibts für schweiz aktuell auch keine berechtigung mehr, seit wir all die gloriosen regional-tv stationen haben.

  • tststs sagt:

    Vergessen Sie nicht den Daily-Soap-Hit des letzten Sommers: „Carlos – Umwege eines Jugendlichen“ 😉

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