Zürich ist keine Grossstadt

In Berlin an jeder Ecke: Textil-Reinigungen.

In Berlin an jeder Ecke: Textil-Reinigungen.

Ein Freund ist aus einer Weltstadt nach Zürich gezogen, aus familiären Gründen. «Merkwürdig», sagte er kürzlich, «ich finde in dieser Stadt keine Expressreinigung.» Dann berichtete er von seiner endlosen Suche, wie er zuletzt auf den Knien darum betteln musste, dass er seinen Anzug am nächsten Tag holen konnte. «Ich verstehe das nicht», sagte er, «in einer Finanzstadt tragen doch alle Anzüge.»

Kann ja sein, dass er nicht gründlich genug gesucht hat. Aber wenn seine Beobachtung stimmt, dann hat sie eine klare Botschaft: Zürich ist keine Grossstadt. In Grossstädten gibt es Expressreinigungen. Dort kann man Hemden glätten und Schuhe flicken lassen, weil es in Grossstädten eine ganze Reihe von Dienstleistungen für Grossstädter gibt. Grossstädter funktionieren rund um die Uhr, sie können nicht alles planen, und sie haben auch nicht unbedingt zehn Anzüge, von denen einer immer sauber ist.

In Grossstädten gibt es an jeder Ecke kleine Dienstleistungsbetriebe, meist werden sie von Einwanderern betrieben, sympathische Orte, wo es nach Javelwasser riecht und irgendwelche Ikonen an den Wänden hängen, wo ganze Familien mitarbeiten, so eine Expressreinigung ist oft der erste Schritt der Immigranten in die Selbstständigkeit und der Anfang einer Familiendynastie in der Fremde.

In Zürich haben es solche Dienstleistungen schwer. Die Mietzinse sind hoch, es fehlt an Kunden, es fehlt die Masse. Und Löhne müssen bezahlt werden, Mindestlohn hin oder her. Zürich ist eine Stadt, die extrem kalkulieren muss, und wenn Dienstleistungen zu teuer sind, lohnen sie sich nicht.

Darum gibt es in Zürich auch keine wirkliche Imbissbudenkultur. Man findet zwar hier und dort einen lobenswerten Take-away, wie den Palestine Grill an der Langstrasse, aber wie viele solche Orte gibt es in der Stadt? Der Rest ist öder 08/15-Kebab, weil die Konkurrenz fehlt, weil zu wenige Familien ins Geschäft einsteigen und ihr Glück versuchen können: zu teuer, zu prohibitiv, zu klein der Markt, keine Grossstadt eben. Jeder, der einmal in Los Angeles zum Beispiel für einen Dollar fünfzig himmlische Tacos gegessen hat, fantasievoll und mit Liebe gemacht, weiss, wovon ich rede.

Und so fehlt Zürich ein Stück Lebensqualität der wahren Grossstädte, wo es mehr Smog hat, die U-Bahnen überfüllt sind und der Wald zum Joggen unendlich weit weg liegt, aber dafür kommen die Anzüge nach 24 Stunden gereinigt zurück.

Wenn ich an Wald denke, kommt mir in den Sinn, dass es hinter den Wäldern noch düsterer aussieht; draussen in den Dörfern sterben die Beizen, jedes zweite Lokal sei in den roten Zahlen, stand kürzlich in der Zeitung. Und wo es keine Beiz gibt, sinkt die Lebensqualität. Und darum reden sie dort draussen von Dichtestress und stimmen gegen die Einwanderer. Weil sie keinen Ort mehr haben, wo sie ihr Bier trinken können. Über einen Mangel an Beizen wenigstens kann man sich in Zürich nicht beklagen. Für jede Beiz, die zugeht, interessieren sich zehn Junggastronomen. Gut und schön, aber eine Expressreinigung wäre mir manchmal lieber.

MiklosMiklós Gimes ist Reporter beim «Magazin», Kolumnist beim «Tages-Anzeiger» und Filmemacher («Bad Boy Kummer»). Jeden Donnerstag lesen Sie seine Stadtgeschichten hier bei uns im Stadtblog und auf der Bellevueseite in der Printausgabe.

35 Kommentare zu «Zürich ist keine Grossstadt»

  • Ivan Casale sagt:

    Es sind eigentlich Gedanken wie diese, Grossstadt oder keine Grossstadt; die den provinziellen Charakter dieser Stadt und seiner Bewohner ausmachen. Reiche sind reich. Eine Grossstadt ist gross. Zürich ist nicht gross und die Stadtrechnung zeugt auch nicht von Reichtum. Den Entwicklungsstatus über die Dichte von Dienstleistern zu messen, passt zu Schwellenländern. Zürich ist ein bürgerliches, langweiliges und polemisches Kaff.

  • Irene feldmann sagt:

    Gibts in der Schweiz keine gelben Seiten????

  • Maiko Laugun ★Fit mit Staatskredit★ sagt:

    Die Schweiz plus Zürich hat sich von einem Werkplatz zu einer auf Staatsschulden finanzierten Konsum- u. Dienstleistungsgesellschaft verändert. Schon bald gehen die Anzüge zur Reinigung per Express nach Bangladesh – oder werden gleich dort neu gekauft – kommen frisch gereinigt mit dem nächsten Flieger wieder zurück und werden per Drohne nach Hause geliefert. Dauert halt ein bisschen, zeigt aber, dass Zürich zwar keine Gross-, daür aber eine moderne Weltstadt ist.

    • Jo sagt:

      Die Anzüge aus Bangladesh kauft der moderne schweizer Arbeitssklave gleich bei seinesgleichen aus Bangladesh im 30er Pack mit Rabatt für 30 Fränkli das Stück.

  • Thys Flueler sagt:

    Die einzigen die denken Zürich sei eine Grossstadt, sind die Zürcher selbst. Zürich? Vergleichbar vielleicht mit Bochum oder Toulouse, einzig etwas reicher. Aber ist St. Moritz wegen dem Reichtum eine Grossstadt?

    • Jo sagt:

      St. Poschwitz ist nicht Zürich.

    • Laila sagt:

      Das stimmt. Auftritte von manchen Einwohnern an der Bahnhofstrasse sind so steif und künstlich, dass man sie als filmreif einstufen könnte. In Grossstädten geht es meistens legerer resp. Professioneller zu und her.

    • adam gretener sagt:

      Die Stadtzürcher selbst wissen ganz genau, dass es ein expandiertes Dorf ist. Nur die Landeier, die einmal im Jahr kommen und sich verfahren, unterstellen – aus reinem Unvermögen – den Zürchern, sie gläubten, sie seien New York. Niemand denkt das hier. Niemand.

      Kennen Sie den Film „Erleuchtung garantiert“? Genau so spült es die Dörfler per – huch – elektrischer Treppe, an die Bahnhofstrasse.

  • adam gretener sagt:

    Lieber Herr Gimes, empfehlen Sie ihrem Bekannten einfach mal Google. Da gibt es diverse Express-Reinigungen in der Stadt.

    • tststs sagt:

      Da haben Sie natürlich recht; ich gebe Hr. Gimes aber insofern auch recht, dass mir spontan keine 5 Reinigungen in den Sinn kämen (geschweige denn Express)… ist aber IMHO kein Ausdruck von Grossstadt…

  • Summer sagt:

    Eine mobile Bar für die entspannten Sommerlager an Wald, Wiese, See wäre eine Topidee, keiner muss mehr in die überteuerten locations, der Mittelstand wird gefördert und die Bevölkerung kann Wald, Wiese, See gesellig nutzen.

  • tststs sagt:

    Hat wohl mehr mit Kultur als der Grösse der Stadt zu tun:
    Sie gehören entweder
    a) zu denjenigen, die sich eh keine Reinigung nur für den 0815-Anzug leisten können und dementsprechend „reinigen“ und bügeln sie den Anzug zuhause (in der Gemeinschaftswaschküche oder – gottlob – im eigenen Waschturm)
    oder
    b) zu denjenigen, die sich so eine Reinigung locker leisten können und dementsprechend wird die Wäsche von der Reinigungskraft erledigt.
    Der Grund also, weshalb es bei uns so wenig Reinigungsinstitute und Waschsalons (!!!) gibt, liegt schlicht und einfach darin, dass in ZH so gut wie jede Familie Zugang zu einer Maschine hat…

    • adam gretener sagt:

      Die Waschsalons vermisste ich in Zürich tatsächlich. Das war in München immer eine Party. Da wurde Wein kredenzt, Leute brachten Schnittchen mit, man kam mit der Oma ins Gespräch und die schimpfte mit einem, weil die Wäsche nicht korrekt getrennt wurde.

      Aber Anzüge in der Waschmaschine waschen und dann bügeln? Mutig, mutig. Habe ich einmal aus purer Not gemacht und konnte das Sakko anschliessend als Putzlappen verwenden.

      Im Kreis 4 gibt es übrigens eine Express-Reinigung, Seitengasse der Kanzleistrasse.

      • tststs sagt:

        Ja okeeee, entlarvt 🙂 trage keine Sakkos… resp. meine Bläääsär sind von so geringer Qualität, dass sie die Maschine locker überleben.

        Meine Erfahrungen mit Waschsalons (in Wien) waren nicht ganz so amüsant: das einzig Saubere waren tatsächlich die Innenwände der Maschinen und man sah halt schon, wer in den Salon kam: die Ausländer, die sich keine Maschine leisten konnten (as I did). Also blieben interessante Gespräche meist auf der Strecke…

        • adam gretener sagt:

          Ich werde nur mal zum Sakko tragen vergewaltigt, wenn ich einen Auftrag abholen muss. Aber es wird konsequent zu kurzen Hosen getragen.

          In Wien kommt man eben nur ins Gespräch, wenn man die Strassenbahn zum Friedhof besteigt. Dann aber umso lustiger.

  • KMS a PR sagt:

    gerade im dienstleistungsbereich ist zürich oberschwach. man will ja auch nicht dienen, man will hip sein. und zwar der banker, wie auch der alternative kunstschaffende. zürich ist ein ort zum „lässig tun“. substanz sucht man in dieser stadt vergeblich.

    • Sally Tomato sagt:

      hast recht. um leder reinigen zu lassen, muss man schon ein paar reinigungen abklappert haben. nicht jede nimmt es an: ui ui ui, da übernehmen wir keine verantwortung falls es kaputt (!!!) geht. weisser mantel – wenn er danach gräulich aussieht; das ist halt so, steht in den AGB’s.
      in den allermeissten grossstädten kannst du innerhalb 1h deinen anzug, bluse etc. reinigen lassen, absatz reparieren etwas nachfragen, hinterfragen, beanstanden. kriegst eine antwort, eine entschuldigung… bei uns wird man ausgeschimpft. vielleicht nimmt manbei uns „zurückhaltung“ zu heftig.

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