Die Stadtgräben
Wer über den Stadt-Land-Graben nachdenkt, kommt zu verschiedenen Schlüssen. Erstens, dass man in der Stadt zwar gerne abschätzig von Landeiern spricht, dass aber in Zürich das Ländliche stehts hinter jeder Hausecke lauert. So sind mehr als zwei Drittel der in der Stadt lebenden Personen von irgendwoher zugezogen. Meistens, man darf es vermuten, vom Land. Ein Spaziergang durchs Niederdorf zeigt etwas anderes: Die Ländlerszene ist in der Stadt quicklebendig (sie wurde teilweise auch in Zürich erfunden). Und kaum hat man die Innenstadt verlassen, etwa bei der ETH Hönggerberg, trifft man auf Bauernhöfe – inklusive eines Milchautomaten. Kurz: Das Ländliche gehört zu Zürich ebenso wie die Grossstadtatmosphäre. Zweitens: In der Stadt existiert eine Vielzahl anderer Gräben, die oftmals schwerer zu überwinden sind als dieser oft und gerne zitierte Stadt-Land-Graben. Die meisten von ihnen verlaufen mitten durch die Stadt. Einige davon konnten wir ausfindig machen.
Der Offroader-Graben
Während die einen ihre chromstahlbefelgten Karossen in der Meylenstein-Waschstrassse in Tiefenbrunnen waschen lassen (und dabei in der zur Anlage gehörigen Bar Lachscracker essen), pumpen die anderen ihr Velo an den von der Stadt aufgestellten Stationen. Deren Schläuche sind oftmals so dicht wie die Strohdächer von Hütten in der Sahelzone. Manchmal begegnen sich die beiden Parteien. Und dann wird geflucht. Seite wechseln verboten! Der Offroader-Graben verläuft irgendwo an der Grenze zum Seefeld.
Der Stadt-Land-Graben
Den Stadt-Land-Graben gibt es auch in Zürich selber, er verläuft mitten durch den Juchhof, an der Grenze zu Schlieren. Auf dem gleichnamigen Fussballplatz kicken etwa Viertligavereine wie der FC Kosova, der FC Mezopotamia, CD Espanol Iberia, Centro Lusitan Zurich oder der FC Stade Marocain. Gleich nebenan, Türe an Türe, lernen junge Bauern ihr Handwerk in der einzigen Bauernschule der Stadt. Dazu gehören auch Kühe, Traktoren und ein Hofladen mit Fleisch vom Hof und Wein vom Hönggerberg. Nirgends ist Zürich zugespitzter.
Der Schlechter-Service-Graben
Während einem die Kellner in den Bars im Kreis 1 den Stuhl zurechtrücken, die Karte offen in die Hand drücken und sich entschuldigen, wenn man ihm das Getränk übers Jackett schüttet, sagt die Bedienung im Lokal im Kreis 4, nachdem man gefühlte 15 Minuten den Augenkontakt mit ihr suchte, bloss: «Ach, da hat sich noch jemand reingeschlichen. Mein Kollege kommt sicher grad.»
Der Gentrifizierungsgraben
Dieser Graben durchschneidet sämtliche Stadtquartiere. Aktuell etwa die Lagerstrasse beim Hauptbahnhof, auf deren einer Seite Leute seit Jahrzehnten mit gehörig Verkehr leben. Auf der anderen Strassenseite dagegen machen es sich Powercouples in den neuen Lofts der Europaallee gemütlich – und geniessen abends durch ihre schalldichten Fenster den Blick auf die Geleise. Natürlich trinken sie dabei ein Glas Bordeaux. Klischee ahoi! Die Lagerstrasse ist zwar nur etwa fünf Meter breit, der gefühlte Graben zwischen den neuen Nachbarn aber ist grösser als 100 Meilen.
Der Röstigraben
Auch der Blick in die Statistik hilft einem nicht, den klassischsten aller Schweizer Gräben in Zürich auszumachen. Rund 6000 Französisch sprechende Menschen stehen in Zürich einer Viertelmillion Deutsch sprechenden gegenüber. Dieser Graben hat etwa den Umfang einer Gesichtsfalte, die beim Lächeln über dieses Missverhältnis entsteht. Hier gibt es Aufholbedarf.
Der Fussballgraben
Einer der bekanntesten und wohl auch am leidenschaftlichsten gepflegten Gräben der Stadt öffnet sich zwischen GC und dem FCZ. Der Verein vom Züriberg und die Arbeiter aus dem Kreis 4. Das ist natürlich Unsinn. Die Clubs haben sich finanztechnisch längst angeglichen und spielen zudem noch im gleichen Leichtathletikstadion. Womit auch der Marsch über die Geleise bloss noch symbolischen Wert hätte – würde man ihn nicht bei jedem Derby lautstark begehen.
Hirschengraben
Der friedvollste Graben der Stadt. In ihm grasten vor 300 Jahren noch Hirsche. Heute hilft er einem unheimlich dabei, zügig vom Central zum Kunsthaus zu gelangen.
Der Gesunder-Schlaf-Graben
Während in den Quartieren oberhalb der Uni um elf Uhr abends Ruhe einkehrt und morgens um halb sieben spätestens die Wecker schellen, geht man in Aussersihl erst um 23 Uhr aus dem Haus und bleibt bis in der Früh auf der Gasse. Somit wird auch die oft beschworene 24-Stunden-Gesellschaft-Schicht nie unterbrochen.
Der Szenegraben
Die einzelnen Szenen sind in Zürich hermetisch abgeriegelt. Die Vertreter der Gothic-Szene im Niederdorf wissen wohl nicht einmal von der Bankerszene im Carlton, jene von der Off-Kunstgalerie nichts vom Ruderclub Wollishofen. Der Partygraben dagegen ist einseitig passierbar. Wer in angesagten Läden wie dem Gonzo oder der Zukunft verkehrt, würde sich nie im Leben in der Mausefalle blicken lassen. Umgekehrt? Kein Problem!
Der Velohelm-Graben
Die ehemaligen Szenemenschen haben Kinder gezeugt und die «gefährlichen Stadtkreise» in Richtung Unterstrass oder Wollishofen verlassen. Entfremdet von jeglichen Modeströmungen und gefangen in einem neuen, durch ihr Elterndasein bedingten Sicherheitsdenken, tragen sie nun knallbunte Velohelme. Dies auch beim Betreten der Bäckerei oder der Migros. Man dürfte ihn übrigens auch Babyanhänger- oder Biogemüse-in-wiederverwertbaren-Tragtaschen-Graben nennen. Aber das sind nur wieder Klischees.
Und welche Gräben kennen Sie? Und seien sie noch so klischiert.
43 Kommentare zu «Die Stadtgräben»
Der Aufklärungs- vs. Mittelaltergraben verläuft zwischen den flexibler denkenden Zürchern und den zugereisten konservativen Ländlern.
absolut….darum kommen ja je länger je mehr der äh-flexibler denkenden zürcher zu uns aufs land. äh. ist das jetzt gut oder schlecht?
Das läuft so, dass jene, die in der Stadt nicht bestehen können, also intelektuell oder physisch nicht mithalten können, irgendwann ganz tief auf dem Land entsorgt werden. Da ist ihr kleines Leben dann nicht mehr anspruchsvoll und für sie, zwischen Rinderstall, Beiz, Metzger aber ohne Kulturvielfalt, einfacher zu verstehen. 🙂
Boni- und Schützengräben. Ach so, Nein, die letzen gibt es ja nicht mehr…
Fussballpublikum-Graben: FCZler/GCler feiern sich selber. YF Juve-Fans gehen wegen der Mannschaft in den Juchhof.
Der Graben zwischen den jungen frischen Kulturkonsumenten und -produzenten, die Neues entwickeln, den mittelalten Junggebliebenen, die Verständnis für die Entwicklungen und Bedürfnisse der Jugend haben, und den frustrierten Alten, die verständnislos und motzend ihr Dasein fristen.
Der mittlerweile marianengrabentiefe Denkerschlucht:
Solche die noch selber denken können und die anderen die ihr Hirn in Herrliberg abgegben haben, wo dann für sie gedacht wird!
Es gibt keinen Fussballgraben. Der FCZ ist DER Stadtklub. Der andere Club nicht.
Die Grasshoppers sind der älteste Club in Zürich und der erfolgreichste in der Schweiz.
Der FCZ ist dafür der Klub mit den langweiligsten und provinziellsten Fans…weder in Madrid noch in Mailand hat man ein Problem damit, dass die Klubs ausserhalb der Stadtmauern trainieren.
Nur die Kleingeister vom FCZ machen ein „Riesengschiss“ deswegen. Und dieses hysterische und gebetmühleartige „mir sind imfall die einzig wahren Zürcher“ Geleiere macht euch auch nicht gerade sympathischer.
Gruss von einem „neutralen“ Zürcher
Der FCZ ist der selbsternannte Stadtklub. Der GC wurde 10 Jahre vorher als erster Club in der Stadt gegründet.
Neue Grasshopper Fussball AG
Dielsdorferstrasse 165
Postfach 377
8155 Niederhasli
Der Grasshopper Club Zürich ist ein polysportiver Verein mit Sitz in der Stadt Zürich.
Daran ändert sich auch nichts wenn die Fussballsektion ausserhalb trainiert.
Aber wenn einem sonst nichts mehr einfällt, um den GCZ zu „dissen“, na dann…
Ist doch egal welcher Klub welche Adresse hat oder welcher nun älter oder erfolgreicher ist….es braucht einfach zwei starke Vereine in Zürich….auch wenn sie in einem Leichtathletikstadion spielen….
sehr gelungener Artikel – da gabs bei mir gleich ein paar Gräbchen in meinem Gesicht vor lauter schmunzeln 🙂
Der Faltengraben: Lachfältchen-Träger vs. Zornesfalte-Züchter
Bestattungs-Graben, Sarg oder Urne.
grab(en) the money, grad beim Paradeplatz
Schanzengraben.
Mit den Graben ist’s wie mit den Menschen, einige schüttet man zu, andere läuft man durch und die restlichen ignoriert man tunlichst….
Und einige nutzt man für Bungeejumping 😉
Bungy Oder bunny????:)
Man muss ja nur die Herkunft der Regierungsmitglieder der grösseren Städte beachten, dann stellt man fest. sie sind prallel der Städtezuwanderung der Einwohner gewachsen. Da ist Zürich ein Paradebeispiel, keiner hat doch die Grundschule in der Stadt absolviert oder ist in der Stadt geboren.
Das ist Entwicklungshilfe zur Ueberbrückung des Komplex-Grabens für die Landeier und ist zu verkraften.
obwohl von der Agglo zugezogen, ist die Zürischnurre der Claudia Nielsen eine wahre Freude
Echte Zürcher sind damit beschäftigt Geld zu verdienen. Wer steigt schon für 200’000 morgens aus dem Bett?
Der Hippstergraben: Bist Du real und Szene oder bist Du nur Hipster?
und nicht zu vergessen. der gender-graben. un-über-wind-bar. wobei es möglichkeiten gibt, gewisse annehmlichkeiten zu etablieren. siehe beispielsweise http://www.wgvdl.com/g-i-r-l-s-leasing
Gender-Graben? Graben zwischen denjenigen, die den Begriff verstehen und denjenigen, die unreflektiert damit um sich schmiessen????
Um kurz ernste Töne anzuschlagen: natürlich ist der Gendergraben überwindbar! In dem Moment nämlich, wo wir endlich von unseren Gendervorstellungen loskommen! Ich gehe mit Ihnen aber einig, dass dies wohl nie soweit sein wird…
Migros-Coop-Graben (nicht ZHspezifisch): Bisch es Migrochind oder gahsch in Coop?
Kopfhörer-Graben: akkustisch in der eignen Welt oder ghöörsch sTram no?
Hipstergraben: (sorry, es bitzeli Bashing am Morge): Stahsch no am Rand oder bisch scho innegheit?
Bahnhofstrassen-Quartier-Graben: Besteht die Garderobe aus HM/Zara/Tally Weyl oder auch ein wenige Mode aus einem Lädeli.
Alternativ auch gerne als Industrie-Kinderarbeit-Graben: Anständige Kleidung oder billige?
Letten-Werd Inseli-Graben: Will man „bädele und sünnele“ oder gesehen werden?
…das kommt auf den zustand der äusserlichen extremitäten an. 🙂
Innen-Aussen-Graben: lege ich Wert auf äusserliche oder innerliche Extremitäten… 😉
5-5 Graben: Füf oder Foif?
Könner-Dilettanten-Graben: a) rechts stehen, links gehen b) zuerste aussteigen lassen, dann zusteigen c) aufrücken im Tram, nicht stehenbleiben sobald der eigene Hintern drin ist
Füf? Da meinen sie wohl einen Zürcher-zugezogener Aargauer Graben. Kein Zürcher käme auf die Idee füf zu sagen.
und auch kein Aargauer. Füf hat meine Grossmutter aus Sargangs gesagt. Wir (Region Lenzburg) sagen föif. Wenn bashen, dann bitte richtig
aus Sargans, nicht Sargangs… so piinlech
das outet den jungen Zuzüger, der Stadtzürcher spricht vom Läbis und nicht vom Coop
Läbis: Den Ausdruck hab ich ewig nicht mehr gehört. Stand für Lebensmittelverein Zürich“ (LVZ). Das Logo aus meiner Erinnerung (in Schreibschrift?) find ich nirgends im Netz. Als dritten Grossen gabs noch den Konsum (weisses K auf blauem Grund). Und an jeder Ecke einen Bäcker, Metzger, „Kolonialwarenhändler“, Tabakladen (inkl. Sexheftli unterm Tresen) und Milchladen, der frühmorgens ins Haus lieferte. Sorry, gerade einen Zürcher Kindheits-Erinnerungsgraben überwunden, deshalb nicht ganz am Thema vorbei.
In diesem Fall bin ich ein K3000-Chind 🙂
Wenn man ihn ZH spezifisch betrachtet, existiert dieser Graben (fast) nicht, da man in ZH die Möglichkeit beide Einkaufsmöglichkeiten zu brauchen, ohne gleich ins nächste Dorf zu fahren 🙂
Hehe, hier ist es nicht eine Frage des Dorfes, sondern der Tramstation… es gibt gewisse Strecken, da wechseln sich Coop und Migros immer schön ab (und bei jeder 10. Haltestelle ein Denner), da wird man auch ein wenig geprägt 🙂
es stimmt, dass die suv-fahrer/innen hauptsächlich aus der goldküstenregion kommen und die karren hauptsächlich zum einkaufen – sprich zum überfahren der gehsteige be-äh-nötigen. in der stadt. auf dem land wird der offroader, wie der 4×4 aus rein praktischen gründen gefahren. nur die stadt-neurotiker fahren geländewagen innerhalb der stadt. den stadt/land-graben finde ich gut. wenns nach mir ginge, würde ich bei schwamendingen gleich noch ne hohe mauer bauen um sicherzustellen, dass die städter auch dort bleiben. das selbe gilt für den service. der ist auf dem land besser, weil man sich noch zeit für die gäste nimmt. nächster punkt -> siehe mauer. da muss ich die städter entlasten. die restlichen landessprachen fallen in zürich weniger bis nicht auf. es ist für laien ja auch schwierig zwischen afrikanisch und französisch zu unterscheiden. hähä. ansonsten ich den röschtigraben begrüsse. die welschen sind ja allesamt sozis. hähä. fussball. gibt es noch einen andern club als der fcz. ich denke nein. bei uns auf dem land hats noch richtige hirsche…und schlafen….herrlich…geht übrigens auch ohne das quietschen von tramschienen. unsere szene beschränkt sich auf die 3 dorf-spunten; und das ist auch gut so. dumm schnurre chömmer döt au. 🙂 und velofahrer gibt es bei uns auf dem land leider auch. aber dadurch, dass wir weniger rotlichter haben, wirkt sich die farbenblindheit der velöler nicht ganz so offensichtlich aus.