Party-Safari in der Agglomeration
Jedes Wochenende füllt sich die Stadt mit Menschen aus der Agglomeration, die, in der Hoffnung auf etwas Spass und Abenteuer, Clubs und Ausgehmeilen bevölkern. Wir vom Stadtblog kehrten den Spiess für einmal um, mieteten ein Mobility-Auto und suchten unser Vergnügen knapp ausserhalb der Stadt. Auf unserer Reise entlang des Zürcher Nordrings trafen wir auf Geisterstädte, betraten Zockerstuben und belästigten zum Schluss in einem Parkhaus Mr. Da-Nos. Aber erst mal von Anfang an:
Dietikon – Heimat des neuen Alpenrock House
«Wo ist denn hier der Eingang?» Die Stadtblogger El Arbi und Sarasin stehen mitten im Niemandsland des Industriegebiets Silbern in Dietikon. Rechts leuchtet das Schaufenster von Möbel Märki, links prangt eine Qualipet-Werbetafel, dazwischen kurven Feierabendshopper über riesige Parkplätze. Zwanzig Minuten gings mit dem roten Opel Agila von Mobility (ein ganz besonders mieser Kleinwagen) der gesamten Badenerstrasse entlang durch den Feierabendverkehr bis zur Stadtgrenze, dann auf der gleichen Strasse (die nun Zürichstrasse heisst) durch Schlieren bis nach Dietikon. Im Radio dudelt stets Radio NRJ, das passt in seiner Einförmigkeit in die Agglo, denken wir.
Und nun stehen wir da, unmittelbar neben diesem gewaltigen Industriegebäude, das zwar mit entsprechender Beschriftung – «Fun, Food & Entertainment» – versehen ist, aber dessen Eingang wir trotzdem nicht finden können. Erst müssen wir die ehemalige Lagerhalle grossräumig umschreiten. Einen Abend zuvor hat das Lokal seine Pforten geöffnet, nachdem es vom Flughafen nach Dietikon gezogen war. Was im Innern los ist, lässt sich in Stichworten zusammenfassen: Matterhorn-Relief, Walliser Chalets, 1-Meter-Chnoblibrot, Stempelkarten, Ghackets mit Chäshörnli, Four Non Blondes. Nach einer Stunde sind wir wieder draussen. Es ist halb neun.
Regensdorf – Die Geisterstadt
Der Opel Agila ist zwar kein Schönheitsprinz, aber dafür ein zuverlässiges Gefährt. Besonders froh darüber sind wir in Regensdorf, der Stadt direkt nach dem Gubrist. In einem Pub wollen wir bei einem Kaffee den Chäshörnli beikommen. Doch finden wir kein Pub. Die Stadt im Furttal hat zwar ein Gefängnis, aber keine anständige Bar. Was ebenso fehlt sind Kinos, Theater oder ebenso so was wie ein Zentrum (auch wenn es auf Wegweisern durchgehend behauptet wird). Ebenso fehlen die Menschen auf der Strasse. Was wir stattdessen sehen: einen McDonald’s, eine gewaltige Bahnunterführung und zahlreiche Strassen, die gefühlt alle 50 Meter in einen Kreisel münden. Es braucht nur eine einzige zusätzliche Runde darin, um zu entscheiden: Wir sind dann mal weg. «War das ein Geist?», fragt El Arbi noch ins Waldhaus beim Katzensee spähend.
Glattbrugg – Die Spielhölle
«Endlich Leben!», ruft Sarasin mitten in Glattbrugg, wo auf der Hauptstrasse stets die Autos brausen. Und er meint das ganz und gar nicht ironisch. In Glattbrugg steuern Fussgänger entlang der Hauptstrasse, meist Männergruppen, auf die eine oder andere Bar zu. In den Fenstern des Glatthüsli leuchten rote Herzen. Im Dart-Club Replay läuft Eishockey. In einer etwas abseits der Hauptstrasse gelegenen Gasse treffen wir auf ein Lokal, in dem wir endlich unseren Café crème erhalten. Männer stehen an Spielautomaten. Einige rauchen – drin natürlich. Man schaut in unsere Richtung, als wir den kleinen Raum betreten, bloss die Salontüre knarrt im Wind (aber das könnte auch eine Täuschung gewesen sein). Einige sitzen vor ihren Laptops, wovon kein einziger ein Mac ist. Ebenso bemerken wir: Hier arbeitet keiner an einem kreativen Projekt, hier wird gezockt. Die Laptops gehören zum Inventar. Gesprochen wird nicht viel. «Wenn Hertha noch ein Tor schiesst, kriege ich 40 Franken», sagt Sarasin, nachdem er sich selber an einen der Laptops gesetzt hat. «Das Spiel geht noch 30 Minuten, wir müssen bleiben.» El Arbi bestellt nochmals eine Cola und nickt ein Cowboy-Nicken. Hertha verliert eins zu null. «Hier komme ich wieder hin», sagt El Arbi und kündigt jetzt schon eine längere Geschichte zu diesem von ihm als authentisch empfundenen Lokal an.
Kloten – Das Jugendhaus für Erwachsene
Bald sitzen wir wieder im Agila und fahren über die Autobahn ein kurzes Stück nach Kloten. Eishockeyfans säumen die Strassen, die Flyers haben gerade Davos mit 5:1 geschlagen. Dementsprechend gut ist die Stimmung in der Snus-Bar an der Grenze zu Bassersdorf. El Arbi fühlt sich hier aus dem gleichen Grund wohl, der Sarasin deprimiert. «Das erinnert mich an meine Jugend!», freut sich El Arbi mit einem Rundblick auf die Einrichtung und die Töggelikästen. «Jugendhaus trifft Les Halles!» «Das erinnert mich an meine Jugend», seufzt Sarasin, «hoffentlich kenne ich niemanden.» Wir schauen uns um und stellen fest, dass sich hier alle Arten von Menschen treffen.
Zwischen den Kloten-Schals und T-Shirts sieht man gut angezogene junge Damen mit blasierten Gesichtern (das nennt man hier wohl genauso wie in der Stadt cool) an der Bar und junge Männer, die den harten Blick an fremden Besuchern üben. Zwei herzige Studentinnen (wir vermuten Soziologie) sitzen an einem der Holztische und erzählen sich Beziehungsgeschichten. Im hinteren Saal spielen Männer Billard, während die Töggelitische von Pärchen besetzt sind. Wir versuchen Anschluss zu finden und fragen, ob wir beim Töggelen mitmachen dürfen. Wir werden etwas schief angeschaut und blitzen ab. Das scheint uns das Signal zum Aufbruch zu sein. Schliesslich haben wir ja noch den ganz grossen Wurf vor uns: das P1 in Dübendorf.
Dazwischen immer wieder Autobahn. Immer wieder Radio NRJ. Immer wieder breite Autobahnen, auf denen anonyme, blecherne Kolonnen unaufhörlich Richtung Stadt rollen, als wären sie auf einem Fliessband. Die Musik aus den Lautsprechern vermag die triste Szenerie nicht adäquat zu untermalen. «Detroit-Techno würde passen», sagt Sarasin, der diese Strecke, wie er sagt, schon tausendmal abgefahren ist.
Dübendorf – Clubben in der Parkgarage
Ein Déjà-vu ereilt uns, als wir den Eingang zum berühmt-berüchtigten P1 suchen. Wieder ein Industriequartier, eine Gegend, in der man Angst hätte, sich allein zu Fuss zu bewegen. Beton und dunkle Leuchtreklamen für Möbelgeschäfte und Grosshandelsmarken. Wir kurven dreimal um einen grauen Klotz, bevor wir den Weg in eine Hochgarage finden. Den Club P1 erreicht man direkt über das Parkhaus, in dem auch ein Hotdog-Stand untergebracht ist, surreal wie in einem Almodovar-Film. Mit dem Lift gehts in den fünften Stock. Am Eingang lächelt ein braun gebrannter, glatzköpfiger Türsteher. 18 Franken kostet der Eintritt, 10 Franken ein kleines Bier. «Man kauft sich selbst in diesem Parkhaus in Dübendorf etwas Glamour», sagt El Arbi spöttisch. Die Männer tragen Poloshirts mit geschwungenen Blockbuchstaben und kleinen Flaggen auf der Brust. Die Frauen Kleider. «Immerhin herausgeputzter als in so manchem Szeneschuppen», erwidert Sarasin. Wir warten mit einer neunfränkigen Cola in der Hand auf Mr. Da-Nos, der an dem Abend zwischen zwei oder drei anderen Auftritten auch ins Industriequartier Dübendorf pilgern soll. Doch ist unsere Geduld nach einer Stunde und einem kläglichen Tanzversuch El Arbis aufgebraucht. Als wir auf unserem Parkdeck dann wieder aus dem Lift steigen dies: Mr. Da-Nos in Begleitung eines jugendlichen Pärlis neben dem mit seinem Namen beschrifteten Audi, den er als DJ fast direkt vor der Lifttüre parken darf. «Hallo, kennst du mich noch?», fragt El Arbi. «Ja, von irgendwo her», antwortet Da-Nos. El Arbi: «Ich habe damals beim ‹Blick› Da Nose, die Nase, buchstabiert.» Eine kurze, freundliche Unterhaltung mündet in ein Erinnerungsfoto, das wir dummerweise wieder gelöscht haben.
24-Stunden-Tankstelle – Die Vorort-Oase
Wo endet ein Ausflug in die Agglo? Genau. An einer dieser 24-Stunden-Tankstellen wie jener am Flughafen. Um uns herum sind bloss grosse Strassenschilder, und im Hintergrund schläft der Flughafen. Nur auf dieser kleinen, in Neonlicht getauchten Insel treffen nachts um zwei Werftarbeiter auf aufgeriebene Partymenschen. Taxifahrer legen hier ihre Pause ein, während Jugendliche um ihre geleasten BMW stehen. Wir schämen uns für unseren gemieteten Kleinwagen, genehmigen uns etwas abseits davon aber einen letzten Kaffee. Wir verstehen trotzdem, wieso manche Leute den Besitz eines Autos mit Freiheit gleichsetzen: Ohne Auto ist man hier draussen nicht nur aufgeschmissen, man ist auch von der bunten Welt der Agglo-Clubs vollständig ausgeschlossen. Gehen wir wieder hin? Natürlich. Wir können den Reiz nicht definieren, aber er ist unleugbar da – nur ein aufgemotztes Auto wäre für nächstes Mal nicht schlecht.
29 Kommentare zu «Party-Safari in der Agglomeration»
In diesem Beitrag wird vor allem eines klar; weshalb man als in der Agglo lebende Person auf das Auto angewiesen ist (vgl. Auto gegen ÖV – eine kleine Polemik).
Es wird nur klar, dass Aglos es nicht schaffen, angenehme locations zu gestalten, woran das auch immer liegen mag. Da sie das aber selbst verschuldet haben, dürfen sie sich der Stadt max. bis an den Rand mit dem Auto nähern und müssen dann auch die ÖV nutzen.
Nur was ich nie verstehe, warum schafft man es in den Aglos nicht, wenigstens ein oder zwei wirklich gut locations hochzuziehen, sondern nur soclhe Industriegebiet-Parkhausmassentreffs? Die Leute müssen doch aus den Stadtbesuchen wissen, wie optimaler Club-Zeitvertrieb geht. Ich vermute daher, dem kulturellen Anspruch vieler genügen diese Massentempel tatsächlich, denn protestieren oder konträre Initiativen starten tun sie jedenfalls nicht.
Ach, Sie finden auf dem Land und in der Agglo problemlos dutzende gute Lokale. Vermutlich werden die einem Grosstadt-Clubber aber nicht gefallen, da er einfach was komplett anderes sucht. Beispielsweise gibt es doch nichts schöneres, als in einer gemütlichen Dorfbar zu sitzen und jeder kennt jeden. Den Grosstädtern ist das aber irgendwie zu „bünzlig“, wie sie es nennen. Kann ja nicht sein, dass man sich hier einfach so kennt, während man selbst jahrelang an seinem Ruf in der Stadtszene arbeiten musste. Und der eine oder andere hätte bestimmt auch ein Problem damit, dass man sich an solchen Orten nicht hinter einer Fassade verstecken kann.
engstirniger kann ein kosmos nicht sein. ausserhalb des kreis 4 und 5 ist alles unverständlich, dunkel, böse… die leute sind dumpf und kennen mac noch nicht. zum glück kommt der autor nur zur arbeit hierher.
Ah, Oliver! Schön, dass Sie wieder da sind! Es sind übrigens „Die Autoren“ und das Konzept „Selbstironie“ erklär ich Ihnen diesmal nicht nochmals. Lieber Gruss.
selbstironie hat ja auch immer was mit selbstbestrafung zu tun. ein beispiel. wenn ich im dunkeln pinkle und vergesse den deckel raufzumachen, MUSS ich selber putzen. -> im leben gehen immer „ein paar spritzer“ durch, ist es mehr, wirst du selber nass. gott, bin ich heute tiefschürfend.
Deckel abmontieren und das Problem ist gelöst. Dann hat es mehr Platz für andere Selbstironie.
🙂 dann machts aber keinen spass mehr…
Herrlich dieser Bericht: amüsant, sarkastisch ohne die Leute abzuwerten. Kommt nach Olten 😉 biete Euch eine Führung an.
Das Party feiern war wegen den Agglos schon vor 30 Jahren ein grosses Problem. Da kamen doch diese Provinzler aus Schwamendingen, Oerlikon, Albisrieden und Wollishofen ins Niederdorf und behaupteten ernsthaft sie seien Stadtzürcher. Und 10 Jahre später kamen dann die Neandertaler aus Adliswil, Schlieren und Glattbrugg dazu. Spätestens dann war es wirklich fast nicht mehr zum Aushalten!
Muss wohl so sein 🙂 Fraglich ob man mit dem Namen Laugun ein wirklich echter Stadtzürcher sein kann. Einer, den ein Strassenschild (das grosse Blaue…nicht das Kleine )mit seinem Namen hat, einer den man in den Büchern der Stadt Zürich findet. Also einen wie mich… 🙂
Na toll! Ein Strassenschild mit dem Namen „Mäse“? Das steht bestimmt in einem Schrebergarten in Schwamendingen neben einem Gartenzwerg; oder noch schlimmer in Adliswil. 🙂 Genau solche Menschen erzählten damals im Niederdorf, sie würden in den Stadtbüchern stehen. Danke für das Bestätigen meines Kommentars. ***Zwinker*** 🙂
Wie heisst du denn? Lang? Rämi? General Guisan?
Ein Club mit grosser Parkgarage? Da müssten viele Gäste ja wirklich mit Coci vorliebnehmen. Aber ehrlich, gehört zum Ausgehen nicht auch das eine oder andere Gläschen (ausser für den geschätzten Reda el Arbi)? Es sei denn, in der Agglo kann man „auch ohne Alkohol lustig sein“.
Seit wann kann man nicht mehr anstaendig trinken und dann doch noch Auto fahren? Man muss halt nur der Polizei ausweichen. Kein Problem.
Liebe Redaktion, wenn ihr die nächste Agglotour macht, in Regensdorf hats noch das Barrock, einzwei Füdlischuppe, und einzwei nicht wirklich erwähnenswerte Hotelbars.. Interessant wär aber vermutlich n Abstecher ins Barrock, der Heimat aller Stammtischklopfer.
Die Menschen mögen ja sehr nett sein, aber das Kulturleben tönt so extrem trostlos.
Was war nun genau das Ziel dieses Artikels? Produktplacement für Mobility, Opel und NRJ?
Ihr zwei, nächstes Mal gehen wir zu dritt. Mann, Töggelikäschte anstatt die zwei Bibis aquatsche?
Betrinken kann man sich überall, und amüsieren ist in der Agglo evtl. sogar besser möglich als in der Stadt. Denn in der Agglo versuchen nicht die meisten krampfhaft cool zu sein. Man trifft dann eben auf weniger Grafiker, Designer, Studenten, Weltebummler oder Leute aus der Musikszene, dafür auf andere coole Leute die auch interessante Geschichten zu erzählen haben. Und man kann auch schon um 20 Uhr einen trinken gehen und um 22 Uhr in den Club, ohne dass tote Hose herrscht. Dazu sind die Girls in der Agglo ein wenig lockerer drauf. Zürich ist toll um weg zu gehen, die Agglo genau so. Grüsse von einem Stadtzürcher
Städter mal wieder… Machen aus jedem Schritt ausserhalb der ZVV-Zone 10 gleich einen Abenteuerbericht. Dabei habt ihr ja bloss ein paar Lokale besucht, die auch irgendwo mitten in Zürich stehen könnten.
Herr (oder Frau?) Birrer, die heisst jetzt Zone 110..
Aber recht hat er (oder sie?) trotzdem 🙂
nein könnten sie eben nicht. nix verstanden…
Es wohnen nicht alle in Zürich und sehr viele Leute schätzen das P1 mit seiner grossen Parkgarage… Das P1 ist gerade dafür bekannt und beliebt, weil es gut mit dem Auto erreichbar ist, günstigeren Eintritt hat als die Clubs in Zürich und eben auch bekannte DJ’s auflegen… Zudem ist es nicht voll von Teenies oder sehr jungen Leuten, sondern eben gepflegte Kundschaft… Man kann auch mal als Frau alleine dorthin zum tanzen und wird freundlich bedient….
Bekannte DJ’s oder gute DJ’s lautet hier die Frage 😉
Schöner Bericht! Ist die Agglo nicht die Wiege von den meisten Stadt-Szenis? Ab und zu mal wieder dorthin erdet ungemein. Waren die Kafis geniessbar oder eher Crazy-Beanig?
Darum hauen sie ja ab aus der Agglo.