Wer bezahlt die Sprayereien?

Was kostet wohl die Reinigung?

Was kostet wohl die Reinigung?

Eine Carte Blanche zum Thema Sprayereien auf Zügen – von ÖV-Blogger und Journalist Michael Lütscher. 

Ich wohne und arbeite mit Sicht auf die Geleise des Zürcher Hauptbahnhofes. Und so könnte ich den Tag verbringen mit Train spotting – S-Bahnen, Intercitys, TGVs, ICEs, Güterzüge, soweit das Auge reicht. Natürlich tue ich das nicht. Und doch fallen mir dann und wann spezielle Zugsmodelle auf: Solche, die mit Graffitis versehen sind. Manchmal sind unglaubliche Dinge zu sehen: Wagen, die von oben bis unten bunt besprayt sind. Vor ein paar Wochen fuhr ein eine S-Bahn vorbei, die war komplett versprayt, drei Wagen und die Loks an beiden Enden dieses Zugs. Ein wahrhafter Geisterzug. Ich traute meinen Augen nicht, nahm an, die SBB hätten ein paar Sprayern die Möglichkeit gegeben, sich legal auszutoben. Dem war nicht so, wie ich dann in Erfahrung brachte. Der Zug war klammheimlich und illegal verunstaltet worden. Aber ich solle das ja nicht publik machen, sagte man mir. Sonst kämen Nachahmer auf den Geschmack.

Nun, mit diesem Argument dürfte weder über Steuerhinterziehung, Tempoüberschreitungen noch über den Einkaufstourismus berichtet werden. Doch finden sich in der Schweizerischen Mediendatenbank tatsächlich sehr wenige Berichte zu versprayten Zügen. Das Verhältnis von Zeitungsartikeln mit diesem Thema zur Anzahl versprayter Züge, die ich habe vorbei fahren sehen, ist umgekehrt proportional zum Verhältnis Medienbeiträge zu Hooliganismus und tatsächlichen Ausschreitungen in und um Fussballstadien.

Die angeblichen Unkosten, die ihr die wilden Fussballfans bereiten, hat die SBB – wie man inzwischen weiss – massiv aufgerundet und breit kommuniziert. Im Zusammenhang mit den Graffitis zieht sie es vor zu schweigen. Auf Anfrage erklärt die Bundesbahn, man kommuniziere dazu keine Zahlen. Man setze aber alles daran, die Züge so schnell wie möglich zu reinigen – um zu verhindern, «dass die Sprayer die gewünschte Publizität erreichen und Nachahmer provozieren». Die Reinigung eines Zuges koste rasch «mehrere tausend Franken». Wer weiss, was ein Garagist für die Neulackierung eines Kotflügels verlangt, muss vermuten, dass jede versprayte S-Bahn nicht nur mit «mehreren», sondern mit vielen tausend Franken zu Buche schlägt.

Es ist klar, dass den Sprayern nur schwer beizukommen ist. Je unmöglicher eine Spray-Aktion scheint, desto reizvoller ist sie für sie. Das dokumentiert der eben erschienene Foto-Band «Live Life Like» über die Sprayer-Gruppe KCBR, deren Kürzel immer wieder gross auf Zügen, Trams und Häusern auftaucht. Das Buch zeigt auch: Die Graffitis sind manchmal nur Teile medialer Gesamtkunstwerke. Auf einer Hausmauer steht «support your», auf der S-Bahn, die darunter vorbei braust, «local vandal». In diesem Slogan, dem Motto von KCBR, ist der Nihilismus der Sprayer ist auf den Punkt gebracht – für einen Moment, festgehalten auf einem Foto, das jetzt im Buch veröffentlicht ist. Dieses ist übrigens in der Edition Patrick Frey erschienen, dem Verlag des bekannten Kabarettisten, spezialisiert auf Kunstbücher.

Womit dieser Blogeintrag auch eine Kunstbuchrezension ist.

 

Michael Lütscher führt einen Blog zu Verkehrsfragen: michaelluetscher.ch/verkehrte-welt/

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