Die Keller-DJs

Die Herausforderung sind nicht die Tracks sondern die Kombination aus Publikum, Alkohol und Atmosphäre.

Die Herausforderung sind nicht die Tracks, sondern die Kombination aus Publikum, Alkohol und Atmosphäre.

Seit das Gonzo vor zwei Jahren seine Pforten geöffnet hat, gibt es in Zürich eine neue Sorte DJs. Unser Stadtblog-Autor ist einer davon. Ein Protokoll von hinter den Plattentellern.

Es ist die Liebe für handgemachte Musik und die Hoffnung auf ein Körnchen Glamour, das uns immer wieder in dieses Kellerloch lockt. Da stehen wir dann hinter den Plattentellern, mit schwitziger Stirn und langem Arbeitstag im Nacken, und krümeln für die hungrigen Gäste mühsam ein paar Brosamen Musik zusammen. Um den einen oder anderen spontanen Jauchzer im Publikum zu provozieren. Und um die Tanzfläche vibrieren zu sehen. Eigentlich sind es diese spontanen Schreie, kombiniert mit in die Luft gereckten Händen, die uns immer wieder die steilen Kellertreppen des Clubs Gonzo hinuntersteigen lassen.

Mit der Eröffnung des Lokals an der Langstrasse vor exakt zwei Jahren hat sich in Zürich eine neue Sorte DJs etabliert. Ihr Hauptmerkmal: Sie sammeln keine elektronische Musik, sondern das, was sich am ehesten unter dem Begriff Rock’n’roll zusammenfassen lässt – Soul, Funk, Hardrock, Indie, Punk. Das ist insofern bemerkenswert, als dass die grosse und glamourösen Tanzlokale der Stadt bisher für die zahlreichen Spielarten der elektronischen Musik – House, Minimal Techno oder Disco – reserviert waren.

DJs der Sparte Rock’n’roll aber legten ihre Platten vor allem in illegalen Kellern und in kleineren Bars auf. Doch dann plötzlich dies: Discokugeln, Spotlights, Kanzel und eine tobende Menge – fast wie richtig. Und alles für Sammler alter 45er und kratziger Alben aus den Sechzigern. Das Gonzo wurde quasi zum institutionalisierten Kellerloch mit dem Charme einer illegalen Bar. Ein Widerspruch eigentlich. Der Spass aber wurde dadurch nie geschmälert.

Von Beginn an legte ich regelmässig im Gonzo auf, vier Jahre dauert meine eher flach verlaufende Karriere durch Zürichs Tanzschuppen damals schon.«Mir gefällt dein Stilmix, so habe ich früher auch aufgelegt. Doch lange machst du das nicht mehr, wenn du dich nicht spezialisierst», sagte ein Bekannter bei einem meiner ersten Auftritte im Gonzo. Dabei sollte genau dieser Club bekannt werden für seinen bisweilen schwer berechenbaren Stilmix. Und daran halten viele DJs weiterhin fest. Wie ich auch. Wie lange noch, weiss niemand.

Klar ist: ich spiele alles, was zwischen etwa 1955 und 2013 erschienen ist und entweder Intensität oder Soul oder am besten beides besitzt. Dass die aufeinander folgenden Stücke dann irgendwie zusammenpassen müssen, versteht sich. Bestimmend dafür sind übrigens nicht Jahrgang oder Genre, wie man gerne denkt, sondern Rhythmus, Sound der Platte, Basslinie oder andere verbindende Elemente. Dr.Dre auf die Rolling Stones? Könnte gehen. Prince auf die White Stripes? Wieso nicht.

Der Abend im Gonzo beginnt jeweils zuhause vor dem Plattengestell: «Möchte das Publikum heute lieber gediegenen Soul hören oder härteren Garage Punk? Komme ich heute ohne die Rolling Stones aus? Nehme ich wieder zuviel mit? Und: wo steht eigentlich der Mond in dieser Nacht?» Viele Konstanten gibt es nicht beim Auflegen, zumindest nicht, wenn man die Stile so mixt wie wir. Und das ist genau das Schöne daran: man geht auf eine Reise, deren Verlauf und Ziel noch nicht bekannt sind. Entweder die Gäste folgen einem, oder nicht. Die DJ-Hölle ist eine leere Tanzfläche, dass weiss jeder. Deshalb gibt es in jedem Repertoire ein paar Songs, die fast immer funktionieren auf der Tanzfläche. Folgende zehn Songs gehören zu meinen:

1. Tame Impala – Remember me: Ein Freund hat mir dieses Cover gezeigt. Ein druckvoller Bass, schön verzerrte Gitarren und vor allem natürlich ein Song, das fast jeder mitsingen kann. Das Original stammt von der Gruppe Blueboy, doch das Cover ist um Meilen besser.

2. The Heavy – Do You Like Me Now: Der unwiderstehliche Bass dieser Engländer ist physisch erlebbar. Fehlende Tanzbarkeit wird durch Kraft und Intensität kompensiert.

3. Gloria Jones – Tainted Love: Eine Mitsinghymne, bekannt in der Version von Soft Cell. Doch das ist das Original aus den Sechzigern. Die Nummer verwandelt selbst laue Abende in überhitzte Dampfbäder.

4. Count Five – Psychotic Reaction: Wegen der ständigen Rhythmuswechsels eigentlich ein No-Go für die Tanzfläche. Doch sobald der Bass einsetzt, drehen die Leute durch.

5. Etta James – Seven Day Fool: Mädchenmusik, unterlegt mit einem fetten Rumpelbass. Zieht fast immer.

6. Jacques Dutronc – Les Responsables: Der coole Franzose mit einer treibenden Nummer, die trotz ihres schnellen Taktes den Gästen fast immer Freudenschreie entlockt.

7. The Cure – Close To Me: Jeder kennt die Nummer. Das Schlagzeug ist unwiderstehlich, besonders in der klareren 12Inch-Version.

8. Jr. Walker – Shoot Your Shot: Funky Motown. Ein Groove für die Unendlichkeit, trotz des Saxofons.

9. Violent Femmes – Gone Daddy Gone: Xylophon, Trommelwirbel und Punk-Lyrics. Funktioniert zwar nicht immer, führt aber in den meisten Fällen zu geneigten Gesten bei Kennern.

10. Jackie Wilson – Your Love Keeps Lifting Me (Higher and Higher): Die fröhlichste Nummer in meinem Set. Bass, Rhythmus und Background-Chöre sind unwiderstehlich. Funktioniert bestens bei den Mädchen.

Meine Unentschlossenheit und die vielen unkontrollierbaren Parameter beim Auflegen, wie Vorkenntnisse und Alkoholkonsum des Publikums, die eigene Stimmung oder vielleicht sogar die Mondphasen, führen zu folgendem Paradox: Selbst wenn man an einem Wochenende ein beinahe perfektes Set hingelegt hat, scheitert man damit eine Woche später unweigerlich, trotz exakt gleichem Ablauf.

Doch das Auflegen bleibt auch wegen den Gästen aufregend. Ein paar Anregungen und Wünsche seitens des Publikums, auf die man verzichten könnte: «Kann ich Paul Kalbrenner von meinem iPhone laufen lassen»,  «Würdest du Blink 182 spielen?», »Meine Freundin hat heute Geburtstag, hast du Stevie Wonder?», «Hast du auch Tanzmusik dabei?». Und einmal eine:   «Du bist der schlechteste DJ ever!». Doch mehrheitlich sind die Leute nett. Im besten Fall spendieren sie Drinks. Oder schütteln einem kumpelhaft die Hand. Das ist gut. Doch das grösste Kompliment kann nur lauten: «Eigentlich wollten wir vor einer Stunde nach Hause, doch die Musik behielt uns im Club».

Und irgendwann geht am Morgen das Licht an und man sieht ein paar letzte ausgelaugte Körper den Club verlassen. Das ist der Moment, wo du zwischen «Das mache ich nie mehr!» und «das war die beste Nacht meines Lebens!» zu schwanken beginnst. Und das kommt immer wieder, bis man eines Tages damit aufhört. Doch bis dahin steigen wir die steilen Treppen des Gonzo hinunter, in der Hoffnung auf ein paar Hände, die in die Höhe gehen. 

4 Kommentare zu «Die Keller-DJs»

  • Hans sagt:

    Irgendwo hast Du „das“ fäschlicherweise mit Doppel-S geschrieben, das nur so am Rande. 🙂 Finde den Artikel toll, kann jedoch persönlich mit dem Gonzo nichts anfangen. Entweder man wartet eine geschlagene Stunde, teilweise sogar für die Gästeliste, oder der Spass vergeht einem später. Das beginnt beim unsäglichen Türsteher, der verhaltenstechnisch dem agressiven und nicht trinkfesten Publikum in Nichts nachsteht. Und auf den desolaten Toiletten spielen sich auch häufig sehr „nette“ Szenen ab. Wenigstens eher ohne Koks in diesem Laden, untypisch für die Strasse. Die DJs sind ganz OK eigentlich, je nach Anlass eben, wie überall. Sarasin & Co. gehören zu den besseren, die ich dort gehört habe. Nette Selektion. Finde toll dass dieses Lokal existiert, ist aber nichts für mich. Ist mir unsympathisch und zu eintönig, irgendwie unprofessionell und forciert, nicht organisch. Wirkt mehr wie eine notdürftig gestopfte Marktlücke mit erzwungener und scheiternder Coolness. Jedem das seine, wünsche weiterhin viel Erfolg!

  • Toni sagt:

    Cooler Text Coole Geschichte, bleib dem treu und renne keinem Trend nach. Ich wünsche dir das du es soweit bringst deine Tracks und nicht Sets so einzusetzen, dass dein Publikum gezielt schreit und die Hände nach oben bewegen 🙂
    LG

    Toni Funk

  • clyde mono sagt:

    …wobei Remeber Me von Blue Boy ja auch ein Cover ist, von
    Marlena Shaw’s „Woman of the Ghetto“

  • Blink sagt:

    Also Carousel von Blink hat Intensität…. 😉

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