Morgens um sieben im… Odeon
Liebe Leser,
in den nächsten sieben Tagen führen wir Sie in sieben verschiedene Atmosphären um sieben Uhr morgens in unserer Stadt. Anhand dieser unterschiedlichen Gesichter Zürichs versuchen wir, die Vielseitigkeit und die Facetten des Stadtlebens aufzuzeigen. Wir beginnen diese Kurzserie mitten im Herzen von Zürich, im Odeon beim Bellevue. Viel Spass!
Atmosphäre
Man betritt das Odeon durch den Eckeingang und überblickt gleich nach dem schweren Kältevorhang die ganze Bar. In einer Ecke sitzen bereits um sieben Uhr morgens drei pensionierte Herren mit Zeitungen und einem klassischen Café Creme vor sich. Einer trägt offenbar auch drinnen ein Béret, im Gesicht des Zweiten steht ein dichter grauer Bart unter einer dickglasigen Brille. Sie verbreiten genau den Charme älterer Künstler und Philosophen, den man mit dem Odeon in Verbindung bringt. Als dann SRF1 (DRS1) um diese Uhrzeit noch Edith Piaf aus den dezenten Boxen spielt, ist es fast zuviel der Atmosphäre.
Einrichtung
Die Einrichtung wird dem altehrwürdigen Ruf des Odeon gerecht. Man sitzt an kleinen Cafe-Tischchen, die direkt aus den 20ern zu kommen scheinen. Am gemütlichsten sind die in den Fensternischen, die um diese frühe Uhrzeit noch frei sind. Trotzdem setze ich mich an einen der Bartische, die den Wiener Kaffeehaus-Charme um eine Nuance italienischen Lebenstil ergänzen.
Angebot
Nachmittags trinken hippe Künstler, Grafiker und andere Möchtegerns hier ihren Prosecco neben Touristen und älteren Damen, die Latte Macchiato schlürfen. Der Caffé im Odeon ist aber zu gut, um ihn mit angewärmter Schaummilch zu verderben. Ich bestelle einen Kaffee und helle ihn mit einem Kafirähmli auf, deren Deckel man noch immer sammeln kann. Die Gipfeli sind frisch und stehen auf jedem zweiten Tisch.
Lesestoff
Es ist schwer zu sagen, welche Zeitungen zum Cafe gehören und welche von Gästen mitgebracht wurden. Die Auswahl auf den Tischchen ist immens. Vom «Blick» über die «NZZ» und den «Tages Anzeiger» bis hin zur «Zeit». Ich schnappe mir ein zerlesenes «Zeit Feuilleton» und fühle mich gleich assimiliert. Nach einigen Minuten setzt sich eine Businessfrau neben mich und klimpert auf ihrem Smartphone herum. Mit der kultivierten Zeitung in der Hand kann ich es mir leisten, sie missbilligend anzustarren.
Personal
Das Beste am Odeon überhaupt ist die Bedienung. Der ältere Herr kommt hinter der Bar hervor, stellt die Gipfeli in Reichweite und bringt in kürzester Zeit heissen dicken Kaffee in einer kleinen weissen Tasse. Und er macht genau soviel Worte, wie ich morgens um Sieben vertrage: Zwei zur Begrüssung. Professionell höflich und unaufdringlich.
Fazit
Für 6.90 einen wirklich guten Kaffee und ein Gipfeli an dem Ort zu trinken, an dem bereits Trotzki, Lenin, Mussolini (damals noch Anarchist), Albert Einstein, Stefan Zweig, Frank Wedekind, William Sommerset Maugham, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Ernst Rowohlt, Klaus Mann und der irische Autor James Joyce ihren Kaffee schlürften, lässt den ganzen restlichen Tag ein kultiviertes, distinguiertes Gefühl in meiner Brust pochen, poetisch ausgedrückt.
28 Kommentare zu «Morgens um sieben im… Odeon»
haben sie eine zeitreise gemacht? DAS odeon das sie beschreiben gibt es doch schon lange nicht mehr, schon gar nicht die super-bedienung von der sie hier schwärmen.
das odeon hat seit letzten besitzerwechsel nur noch abgebaut, laute musik macht jedes normale gespräch unmöglich, wie auch das rauchverbot, welches eine nervöse hektik in jedes lokal bringt, weil nämlich dauernd irgendwelche leute nach draussen gehen.
Gehen Sie mal morgens um sieben.
Ich glaube kaum, dass es Sinn macht, im Odeon einen Kaffe zu schlürfen, weil dort der faschistische Diktator Mussolini einen Kaffee geschlürft hat. Wieso wird der überhaupt erwähnt?
Weil es eine historische Wahrheit ist.
Und es ist das Kaffeetrinken an einem geschichtsträchtigen Ort, das gute Gefühle auslöst, nicht Mussolini.
„Das Odeon“ gibts schon lange nicht mehr. Hier wird ein Name missbraucht, und Journalisten können altehrwürdige Namen fallen lassen, die aber allesamt mit der Kulisse, die sich heute Odeon nennt, nicht das Geringste zu tun hatten.
das odeon ist so quasi das pendant für homosexuelle (und) künstler, zum sprüngli.
Wo leben Sie denn? Ein selten blöder Kommentar betreffend es sei ein Homo-Pendant zum Sprüngli.
So etwas Blödes hab ich echt noch nie gehört. Sind wir ein bisschen homophob oder haben sonst ein Problem?
Der hat kein Problem, der IST das Problem :-((
herr stoffel, wo sie recht haben, haben sie recht.
wieso – das war bloss eine feststellung – nicht mehr und nicht weniger. aber interessant, was sie da so reininterpretieren.
Die franzoesische Kopfbedeckung heisst nicht „Perret“ sondern „Béret“. Aber eben, Franzoesisch wollen ja die Zuercher nicht mehr lernen!
Thx, wird geändert.
richtig, sämtliche Deutschschweizer Kantone sprechen fliessend französisch, nur die Zürcher sind dessen nicht mehr mächtig, Herr Gutscher..
nein. haben sie beispielsweise mal einen argauer französisch sprechen hören….?
Oui mösiö … chaque fois que je schwätz au téléphone je m’écute. Ce n’est pas si mal …
ah oui – c’est jolie, l’arschgoo, vraiment! 🙂
@lia,vielleicht liegts am Alkoholkonsum.
🙂 🙂
ja das legendäre ODEON! Genau so wie die Beizen und Chnellen im Kreis 4 gehören sie zum Zürich, zum Zürich das Stil und Charme hatte. Ich würde mir wünschen das dies noch lange, lange erhalten bliebe! Dazu gehörte, leider gehörte, das ehemalige Café am Pfauen, auch das hatte Stil und ein Publikum mit Nieveau, im Gegensatz zum heutigen Ersatz.
Das Problem sind die Mieten in Zürich, Die Geldgier zerstört Lebensqualität zu Hauf.
Ich als alt eingesessene Zürhcerin geniesse, so lange als möglich, halt das was noch übrig geblieben ist.
Auch das Odeon, wird wie so viele andere Kultplätze im „Niederdörfli“ leider auch der Gentrifizierungswut weichen müssen. Nostalgie ist in deren Konzept fehl am Platz. Aber eigentlich ganz was anderes: geht nie in die Jules Vernes Bar. Absolut unfreundlich, man muss zahlen so schnell wie möglich, man wird auch in 20 Minuten nicht beachtet und nicht bedient, man muss das Geschirr der Vorgänge selber vom Tisch wegtragen. Die Jules Vernes Bar ist wirklich nur ein Ort, welcher die Touristen wegen der Aussicht ausnutzt.
…das heisst „knellen!“ *lol*
Ich hoffe einfach das das Odeon so bestehen bleibt wie es ist und nicht verschandet wird. Da ja der Patron Fred Tschanz nicht mehr da ist und das Restaurant in falsche Hände gerät!
Bin Gast im Odeo seit über 50 Jahre, tolle Institution, nur schade das das Odeon verkleonert wurde.
und ich damals (70′) wegen Odeon in Zürich hängen geblieben
sie waren damals schon 70 – ja herrgott – dann müssen sie heute ja methusalem sein – gratuliere!! 🙂
Ich meinte, in die 70er Jahre, kann man nicht etwas schreiben ohne gleich beleidigt zu werden? Pfui
das war absolut keine beleidigung – im gegenteil, ich respektiere das (hohe) alter.