Adieu, Punch 63!
Den letzten Drink erhalte ich an einem Montagabend. Das Röhrli lege ich wie immer zur Seite, die Früchte am Stiel verspeise ich sofort. Dann der erste Schluck: Ja, der Punch 63 ist grossartig. Sauer wie Gummischleckzeug für Kinder zwar und ebenso süchtig machend, aber fabelhaft ausgewogen im Geschmack. Das Red-Rock-Gingerale brennt angenehm im Rachen. Das Eis klimpert auf einzigartige Weise im Becher, zudem schmeckt die Muskatnuss im Abgang irgendwie feierlich.
Eine gute Bar hat einen Signature Drink. Er ist so was wie die flüssige Unterschrift des Barkeepers, mit der er sich in Szene setzen kann. In der Kronenhalle war das Peter Roths Ladykiller, das Dolder führt einen Wasabi-Drink, und die Widder-Bar den Vanilla Sky (eine Kreation aus Vanille-Wodka und Himbeer-Püree). Die kleine Bar 63 dagegen kredenzt den Punch 63, der nicht nur durch seinen Inhalt besticht, sondern auch durch den Tonbecher in Kopfform, aus dem er konsumiert wird.
Doch nicht mehr lange: denn bald schon wird es den Cocktail in dieser Form nicht mehr geben. Zumindest nicht in der Mixtur mit Rum- und Mandelsirup, Limettensaft, Rhum agricole (63 Prozent Alkohol), Angostura, Muskatnuss, drei Schaufeln Eis und dem scharfen Red-Rock-Gingerale.
Denn genau dieses Gingerale wird in der Schweiz bald nicht mehr vertrieben. Zumindest nicht bis geklärt ist, ob das Süssgetränk aus den USA den Schweizer Richtlinien für die eine bestimmte Menge Konservierungsmittel entspricht. «Vielleicht gibt es das Getränk irgendwann in abgeänderter Rezeptur», sagt Thom Zürcher vom lokalen Getränkehändler Inter Comestibles.
«Ein valabler Ersatz»
Die Bar 63 jedenfalls, deren Red-Rock-Quelle noch diese Woche versiegen wird, hat bereits vorgesorgt. Man behilft sich vorerst mit einer Ginger-Beer-Variante der Getränkefirma Fever Tree. «Ein valabler Ersatz», sagt der Barkeeper Thomas Müller.
Was wir natürlich noch ausprobieren werden, nachdem wir den letzten Punch 63 in alter Form getrunken haben. Wir betreten also erneut die kleine Bar im Kreis 4, um uns einen allerletzten alten Punch 63 zu genehmigen.
Eine Zeit lang haben wir Freitag für Freitag diese Drinks geschlürft, wie Jugendliche ihren Pesca Frizz. Eine Freundin sagte kürzlich: «Nie hatten wir anregendere Gespräche, das Scharfe im Drink hat unseren Geist geschärft, das Rituelle mit den Bechern unseren Zusammenhalt gekittet, die Zutaten haben uns glücklich gemacht. Es war wie früher, als man aus Weinflaschen soff, bis man erbrach.»
«Mehr als vier Punch 63 hat noch keiner an einem Abend getrunken», sagt Thomas Müller. Der Drink ist damit Versprechen und Verderben in einem; Abflugpiste in die flirrende Nacht oder Autobahn in die Hölle. Man muss tierisch aufpassen.
Nach 15 Minuten habe ich den letzten Drink ausgeschlürft, bis zum geschmolzenen Eis. Was blieb, war hohles Geklimpere.
Die Variante mit dem Ginger Beer übrigens schmeckte etwas anders. Weshalb wir uns vorerst vom Punch 63 verabschieden und – mit wohligem Gefühl im Bauch und feierlich – Adieu sagen.
7 Kommentare zu «Adieu, Punch 63!»
Die Bar 63 war in den 80er meine Stammbar und ich kann die auch sonst sehr empfehlen!
eigentlich ja schlimm, dass es ein Besäufnis braucht, um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und tiefsinnige Gespräche entstehen zu lassen – siehe „wie aus Weinflaschen saufen, bis man…“.
eigentlich ja schlimm, dass es überall selbsternannte moralapostel braucht.
Tja, Lia, da wirst Du halt leider nie mitreden können…
@Lia: Es sind halt nicht alle Abstinenzler so wie Du!
Lia kann eben auch ohne Alkohol lustig sein.
…ich leide mt…! ihr artikel, herr sarasin, löst bei mir um genau 7.39 am, einen merkwürdigen durst nach punch 63 aus….ich glaube, sie haben entwas richtig gemacht. 🙂