«Wir langweilten uns fast zu Tode»

«Uns interessierte es immer, die Themen ironisch anzugehen»: Boni Koller.

Am Samstag erscheint das Buch «Heute und danach». Der Band beschreibt auf 674 Seiten die Schweizer Untergrund-Musikszene nach dem Opernhauskrawall in den 80ern in Zürich. Der Stadtblog sprach mit Boni Koller, der von damals bis heute, mit der Band «Baby Jail» und vielen Freunden, ein Teil dieser inzwischen etablierten Kultur war und ist.

Blättert man in dem Buch «Heute und danach», spürt man die kreative Energie, die in den Achtzigern in Zürich herrschen musste. Du warst ja damals mit dabei. Wie war das für dich?
Für mein Empfinden gab es so Phasen und Schübe. Zuerst der Punk Ende der 70er, das änderte unser ganzes Denken. Man dachte plötzlich: Packen wir etwas an. Daraus entstand später die Bewegung rund ums AJZ. Als das auch fertig war, gabs nochmals eine Blüte. Das war 1985. Ich glaube, das kam so, weil man die Ideale schon über den Haufen geworfen hatte und einfach mal drauflos musizierte.

War damals in Zürich generell mehr möglich als heute?
Einerseits ja. Man darf aber nicht vergessen: Um sich nicht zu Tode zu langweilen, musste man fast etwas auf die Beine stellen. Auch die Gäste waren dankbarer. Denn das Nachtleben existierte schlicht nicht. Abgesehen von ein paar Stripschuppen im Dörfli und an der Langstrasse natürlich, doch da ging man nicht hin. Die Achtziger-Discos damals waren überdies langweilig und zu teuer.

Heute ist alles genau umgekehrt.
Genau. Clubbetreiber buhlen um ihre Kundschaft, die ganze Schweiz reist an den Wochenenden nach Zürich. Man wird auf allen Ebenen bombardiert mit Veranstaltungen. Es ist viel schwieriger geworden, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, aufzufallen.

Generell aber eine inspirierende Zeit, die Achtziger?
Klar. Doch sie hatte auch ihre Schattenseiten. Denn damals war es ja auch chic, kaputt, krass und perspektivlos zu sein. Viele waren nach dem Ende des AJZ tatsächlich depressiv, drogenabhängig oder in der psychiatrischen Klinik.

War die humoristische Note bei Baby Jail eine Gegenreaktion darauf?
Wir wollten nie Parolenmusik machen, wie es damals in war. Uns interessierte es mehr, die Themen ironisch anzugehen. Spass war uns schon wichtig.

Würdest du heute auch noch Musik machen?
Sicher. Aber wohl ganz anders. Man hat ja alles schon einmal gehört heute. Irgendein alter Sack kommt immer und sagt: «Das hatten wir vor zwanzig Jahren aber auch schon!»

Die Zürcher Musikszene kommt ja heute noch recht gut ohne Humor aus. Vielleicht ist das Coole einfach ein Zürcher Ding?
Ich nehme das nicht unbedingt so wahr. Die Bedingungen sind heute anders. Die jungen Musiker haben weniger Zeit zum Ausprobieren. Schnell wollen sie an die Öffentlichkeit. Ich selber bin froh, dass nicht alles auf Platte erschienen ist, was ich damals so produziert habe. (lacht)

Herrscht heute generell mehr Druck zur kommerziellen Verwertbarkeit der Musik?
Absolut! Alles, was irgendwie hip werden könnte, wird heute von der Industrie wahnsinnig schnell vereinnahmt. Das ist natürlich für alle frustrierend, die mit Herzblut etwas angehen und dann merken, dass jemand anderes sein Ding zum Beispiel für eine Kaugummiwerbung braucht. Das war in den Achtzigern anders. Man konnte viel ungestörter vorgehen.

Wie lange werdet ihr mit Baby Jail noch weitermachen?
Unsere Revivalkonzerte sind natürlich sehr von Nostalgie geprägt, da wir für die Fans von früher vor allem alte Lieder spielen. Wenn das Publikum auch an unseren neuen Sachen Gefallen findet, könnte es noch länger dauern. Im Moment sieht es ganz danach aus.

Das Buch «Heute und danach» wird am Samstag, 1. Dezember, in der Roten Fabrik offiziell präsentiert. Der Band beschreibt auf 674 Seiten die Schweizer Untergrund-Musikszene nach dem Opernhauskrawall am 30. Mai 1980 in Zürich. 2000 Fotos und eine umfassende Diskografie aus dieser Zeit ergänzen das Buch. Bekanntere Bands wie Baby Jail, Yello oder Young Gods sind darin ebenso vertreten wie heute eher in Vergessenheit geratene Acts wie Unknownmix oder Playboys. Das Buch ist gegliedert in die Themenbereiche Musik, Freiräume, Visualisierung, Sex, Drugs & Rock ’n‘ Roll und Medien.

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21 Kommentare zu ««Wir langweilten uns fast zu Tode»»

  • Paul Werther sagt:

    Liebe Bettina,
    ich bin voll Ihrer Meinung was die Alt 68er betrifft. Doch was haben diese mit der Szenen der 80er zu tun? Altersmaessig haette ich in die 80er Szene gepasst, doch mir war das ganze zu depressiv und Drogo, so wie es auch Boni Koller beschreibt.
    Die 90er war die endliche Befreiung von der ganzen Altlast, auch musikalisch…

  • Oli Schramm sagt:

    Danke Boni und allen anderen. Ich gehörte damals nicht zu Eurer ^Kultur, habe aber nachträglich und bis Heute vom Ergebnis Eures Tuns profitiert. Ihr wart Wegbereiter und Türöffner für vieles was Heute selbstverständlich scheint.

  • trigger sagt:

    frau ramseier, woher wollen sie denn wissen wie es war bei den 68 ern und 80ern vom hörensagen? waren sie im ajz als da die post abging? ich war damala dort, mit all meinen kollegen und habe mich nie gelangweilt, wenn ich aber heutzutage die jugentlichen und jungen erwachsenen ansehe, die samstagabends nichts anderes zu tun haben als an der tanke “ frustsauffen“ und „kampfkiffen“ bis zum umfallen, leicht agressives verhalten gegen alles und jeden an den tag / nacht legen. dann frage ich mich wer sich da zu tode langweilt. leider ist es so, das sich die jüngere generation den ausgang in die in-lokale nicht leisten kann, was beim ajz noch alles gratis war. im überigen finde ich, das sie sich in ihrem beitrag ziemlich weit aus dem fenster gelehnt haben, etwas allwissend zu scheinen, und herablassend gegenüber der älteren generation zu sein. aber was will man schon erwarten, von jemandem der in seinem leben auf keine erfahrung zurückgreiffen kann.
    ich kann ruhig ne grosse klappe haben, ich bin seit über 30jahren in einem verein tätig der kunst/kultur und vieles mehr organisiert, unter anderem „eure neue musikstilrichtung“ .

  • Urs-Werner Merkli sagt:

    Bettina Ramseier hat gar nicht so unrecht, ich schätze Boni Koller auch sehr aber man kann auch die Meinung von Frau Ramseier anhören und darin das eine oder andere Körnchen Einsicht entdecken, liebe Bewegten

  • Steff sagt:

    @Marcel: De meinst Nilp? Zumindest das (posthume) „Kleptoman“ hätte das Zeug zum Klassiker gehabt; Zeilen wie „I de Sportabteilig gfallts mer nöd, Velo ohni Redli find i blöd“ treffens doch noch immer. Mir fehlt diese Subversivität heute.

  • Mike Glarner sagt:

    Ich glaub, Frau Ramseiser ist die Tante aus dem Elefanten-Lied (Zum Glück).
    Der Baby Jail Gig an der Winterthurer Musikfestwoche war jedenfalls genial, der Platz war rappelvoll, die Zuschauer öfters auch mal unter 30 Jahre alt.

  • Marcel sagt:

    Zur Aussage von Boni Koller:: Ich selber bin froh, dass nicht alles auf Platte erschienen ist, was ich damals so produziert habe. (lacht)

    Ich glaube fast, da hat er was vergessen. Ich hab das so eine kleine Vinylplatte der Band Nilp bei der er Sänger war..

  • Thomas Schöb sagt:

    Angenehm entspannt, dieser Rückblick von Boni Koller. Und auch noch auf dem Punkt.

  • Ronnie Kuster sagt:

    ah frau ramseier,es sich emal en tubel gsi!

  • haematom sagt:

    gift speien und dann auch noch völlig am thema vorbei; bravo bettina! für dich sind und waren die hippies/alt-68er und die punks/alt-80er wohl schon immer dasselbe gesocks – tempora non muntantur? – : nämlich langweiler und chaoten je nach dem, ob sie zu viel oder zu wenig gemacht haben… ich beneide dich um deine weisheit, immer zu wissen, was richtig ist, und danach zu handeln!
    apropos: schütz deine kinder: boni koller vergiftet ihr gedankengut auch noch bei sterne foifi

  • Bettina Ramseier sagt:

    Warum nur sollen uns diese langweiligen alten Knackis interessieren? Ein bisschen alternativ leben, nichts tun und sich langweilen. Das ist dann progressive und Alt-68er. Diese sogenannte Szene besteht heute hauptsächlich aus angepassten und biederen Alt-AJZlern, die krampfhaft versuchen, auch mit 50 nicht erwachsen zu sein. tempora mutantur, und von der heutigen Jugend interessiert sich kein Schwein für solche Leute, deren selbstdeklariertes künstlerisches Schaffen mit Herzblut oder dem, was sie dafür halten, auskommen muss, und die dann merken, dass sich niemand anderes für ihr Ding interessiert, nicht einmal eine Kaugummiwerbung. Ihre Revivalkonzerte sind natürlich sehr von Nostalgie geprägt, da sie ausschliesslich für Fans von früher alte Lieder spielen. Klar, ist ja auch das einzige Publikum. Und in zehn Jahren treffen sich alle wieder im Altersheim beim Jassnachmittag und reden darüber, was für wilde Kerle sie doch alle immer noch sind. Dann legen sie ihre Gebisse ins Wasserglas und machen ihr Mittagsschläfchen. Und langweilen sich und andere weiterhin zu Tode.

    • Patrick sagt:

      Liebe Frau Ramseier, was haben Sie im Leben bewegt, woran wir uns in 25 Jahren erinnern können?

      • Peter sagt:

        Hmmm, die Bettina scheint mir massiv frustriert zu sein, armes Ding. Möglicherweise eine Konsum-Tussi der neuen Generation? Ja die habens schwer, die tun mir echt leid…

        • Nebel sagt:

          Glaube nicht, dass Frau Ramseier eine Konsumtussi ist. Ihre scharfzüngigen Worte sind doch sehr unterhaltsam. Sie ist keine Freundin der 80er und das ist ok. Man muss nicht alles gut finden, was aus diesem Zeitraum kommt. Man darf es auch kritisch hinterfragen. Tatsächlich gibt es die Generation, die nie erwachsen werden will. Es fällt auf, dass viele 80er Bands sich mit Revivals oder Best-of Alben kommerzialisieren. Weil ihnen heute das Geld ausgegangen ist? Weil sie sich plötzlich darauf besinnen Künstler (gewesen) zu sein. Trotzdem: die 80er waren eine tolle Zeit. Und die Einflüsse – grad iner Musik – bis heute hörbar. Ergo: nicht verherrlichen und nicht verteufeln, die 80er….

    • M. Steinberger sagt:

      Ach Bettina
      Du bist ja schon jetzt so was von alt, dass du nicht einmal ein Gebiss braucht um als frustrierte Grufti abzutörnen. Good Luck.

    • Schusti Susanne sagt:

      Oh je Frau Ramseier, im Gegensatz zu Ihnen scheinen die alt68er zumindest noch ein Leben zu haben…

    • Rolf Schneebeli sagt:

      Es ist schon ein wenig Wahrheit in diesem Kommentar! Wir (alt post-68er) haben genau so über unsere Vorgenerationen so gesprochen – und in 30 Jahren werden unsere Nachfahren genau so über die 00er Jugend sprechen. Mein Musikgeschmack ist irgendwie in den 90er Jahren stehen geblieben und ich höre heute Oldies Sender. Und ich bereue dies nicht, denn was heute so kommt ist doch häufig Schrott.
      Ubrigens als Korrektur: Wir legen unser Gebiss nicht ins Wasserglas vor dem Mittagsschlaf – wir haben Implantate!

    • Stefan sagt:

      Hehe, Frau Ramseier …

      So viel Frustration in einem einzigen Kommentar ist ja direkt gruslig. Und obwohl sich nach ihrer Aussage „Kein Schwein“ für solche Leute interessiert, macht es sie ja fast rasend. Darf ich raten ? Es ist entweder der Neid, weil sich ihre künstlerischen Ambitionen nicht erfüllt haben … oder aber, sie wurden von Herrn Koller in der Autogramm-Schlange mit einem bissigen Witz verärgert ?

      Mein Gott, aber spricht ein bisschen für Theorie, dass die heutige Musikszene der Humor abhanden gekommen ist.

      Ich bin dankbar um alle Projekte des Herrn Koller. „Ein bisschen alternativ leben, nichts tun und sich langweilen“. Lustig. Ich denke mal, sie haben keinen blassen Schimmer, was der Junge schon geleistet hat.

      Weiter so, Bonni Koller !!!

      Freundliche Grüsse

      Stefan

    • Claudio sagt:

      Das einzige was mich heute zu Tode langweilt, ist ihr durchwegs inkompetenter Kommentar. Gerade weil Zürich damals so langweilig und bieder war, entstand die 80ziger Bewegung und all die geilen Bands, illegalen Flüsterbars, neuen Lebensmodellen und die Jugend hatte noch ein politisches Bewusstsein. Es herrschte eine Stimmung wie es sie heute nicht mehr gibt, es gab noch nicht diese exzessive Konsumgesellschaft wie heute, bei der das aufregendste die neuen Handymodelle sind, die im 3-Monatsrythmus auf dem Markt erscheinen, all diese Markenkleiderzombies, die mit ihren Labels um soziale Anerkennung buhlen – das ist langweilig.
      Was soll denn daran falsch sein, wenn sie Koller seine alten Songs spielt und die Leute Freude dran haben. Baby Jail hat immer wieder gute Songs geschrieben – z.B. „Tubel Trophy“ – Ein Song inspiriert von so bornierten Leute wie Ihnen.

      PS: Die 68-Bewegung hatte nur am Rande was mit der 80ziger Bewegung was zu tun, aber das können Sie in Ihrer Inkompetenz natürlich nicht wissen.

    • Paul Robert sagt:

      Hmm, Frau Ramseier da hat sich aber eine ganz gehörige Portion Frust angestaut bei ihnen. Ich hoffe jetzt mal dass sie diesen auf`s Wochenende hin losgeworden sind.
      Zum Thema: Das Interview an sich ist ziemlich dürftig, was genau sollte der Zweck sein? Die 80er zu rekapitulieren oder Baby Jail ein Plattform zur Werbung geben?
      Wie auch immer, sicherlich waren die 80er wegweisend für die heutige Offenheit der Stadt Zürich. Bin auch sicher dass man dasselbe in 25 Jahren von der heutigen Zeit sagen wird. Nur bin ich nicht sicher was den heute genau bewegt wird…

    • Marcel Zufferey sagt:

      Bettina hat vollkommen recht: Damals in den Achzigern haben mich die 68er auch genervt mit ihrer ständigen Nostalgie. Und heute sind wir Achziger nicht viel besser: Jaja, früher, da gab’s noch richtige Musik, früher, da war man noch richtig wild, früher, früher, früher… Ich finde meine Generation manchmal geradezu peinlich. Die Achziger sind over, mehr gibt es da nicht zu sagen.

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