Die Mobiliar, die Langstrasse und Vera Gloor
Gentrifizierung nennt man es, wenn das Leben in einem Quartier durch überteuerte Mieten und sozialen Druck nur noch einer bestimmten Bevölkerungsgruppe möglich ist. Wie nennt man es, wenn ein Quartier als asozial und gefährlich gebrandmarkt wird?
Die Mobiliar macht Werbung mit der „gefährlichen“ Langstrasse. Ich bin mir nicht sicher, ob ich denen dankbar sein soll, weil sie dazu beitragen, dass die Mieten unten bleiben und Spiesser und Grossverdiener sich nicht getrauen, da hinzuziehen.
Da haben sich Vera Gloor und der Verein Langstrasse plus so Mühe gegeben, die Kreise 4 und 5 aufzuwerten, WG-Zimmer für 1700 Stutz einzurichten und Zucht & Ordnung ins Quartier zu bringen – und dann kommt da eine milliardenschwere Versicherung und macht alles mit ein paar Strichmännchen wieder zunichte.
Was soll man sagen? Ausgleichende Gerechtigkeit? Naja, solange die Mobiliar dafür sorgt, dass aus dem Langstrassenquartier kein saubergelecktes Zürich West wird, haben sie meinen Segen. Sie hätten nur noch ein wenig Blut auf der Skizze verwenden müssen. Und solange sie Frauen nur über Brüste, Rock und Highheels definieren, dürften sie Schwierigkeiten mit der Gleichstellungsbeauftragten bekommen.
Und einen kleinen Nebeneffekt dürfte die Werbung auch noch haben: Stadtzürcher, die die Langstrasse mögen, werden sich wohl überlegen, ob sie bei der Mobiliar irgendwas versichern.
31 Kommentare zu «Die Mobiliar, die Langstrasse und Vera Gloor»
zu allererst muss ich einfach mal sagen – es ist kein grundrecht das JEDER sich eine wohnung in der stadt mieten kann. und ganz ehrlich als familie mit schulpflichtigen kindern möchte ich da im chreis cheib sowieso nicht mehr wohnen .denn der kreis ist zu einem 24×7 barbetrieb verkommen – mit wirklich übeln folgen gerade am samstag / sonntag morgen .. es stikt nach urin und ist voll mit müll und glasscherben.
Ich habe in den 90-ern lange Jahre an der Langstrasse gewohnt. Nun vom Ausland aus (Santiago, Chile) muten mich die Kommentare meiner ehemaligen Landsleute seltsam an. Kaum ein Artikel der nicht – vielfach in Vulgaersprache – andere heruntermacht und zerreisst. Emotionen zeigen schoen und gut. Aber was soll denn all das Geifern? Wie waer’s mit ein bisschen AB- aber auch ANstand? Und die ewig – vor allem von den Schweizerbuergern – immer wieder mit stolzgeschwellter Brust (als waer’s eine CH-Erfindung) lautstark proklamierte Toleranz? Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich erst im Ausland gelernt habe, was eigentlich Toleranz und Andersein bedeutet (soviel zum Kommentar von Peter Birri „Ui, Bogotaa!“ Auch dieses Sich-lustig-machen ueber Andere und andere Verhaeltnisse scheint mir jetzt sehr viel schweizerischer zu sein als echtes, konstruktives Bemuehen Probleme zu bewaeltigen.
Danke, Herr Scholl.
Auch von mir ein Dankeschön, Herr Scholl. Leider sind die Kommentarspalten zu reinen Geiferveranstaltungen geworden, in denen gewinnt, wer am schnellsten, polemischsten und möglichst einfachsten schreibt. Mit dem Thema muss es nicht einmal soviel zu tun haben. Ich habe letzthin mit zwei Kollegen eine Wette abgeschlossen, ob ich es schaffe, innert 24 Stunden unter Pseudonym zwei Kommentare in die Top 2 der bestbewerteten Kommentare zu hieven. Unter Anwendung einfachster rhetorischer Tricks und grobem Populismus hat es schneller geklappt, als es mir lieb war.
Zum Thema Langstrasse: Das Problem ist halt immer die Definition, was denn der Szeni genau sein soll. Ganz ehrlich: Als Familienvater würde ich meine Kinder nicht an der Langstrasse aufwachsen lassen. Das Langstrassenquartier ist wohl schon eher ein Quartier für junge Menschen, von denen man auch eine höhere Resistenz gegenüber Lärm und all den negativen Folgen urbanen Lebens verlangt resp. verlangen kann. Nun sind das halt nicht immer Maurerlehrlinge aus dem Zürcher Weinland, sondern auch mal Soziologiestudenten oder Künstler. Was daran schlecht sein soll, ist mir noch nicht ganz klar. Die Mischung machts wohl. Und ich denke, man darf hier auch nicht der Gefahr der Sozialromantik erliegen. Die Langstrasse von vor 20 Jahren kann sich doch in Wahrheit niemand mehr wünschen. Und grundsätzlich halte ich es auch für kritisch, sich möglichst viele Prostituierte und Freier zu wünschen, welche keine Szenis sind und dann das „richtige“ Leben ins Quartier bringen sollen. Gerade im Bereich Prostitution scheint mir manchmal das oftmals krasse Elend vergessen zu gehen, das hinter der Lebensgeschichte vieler dieser Frauen steckt. Mit den Mieten hat der Autor natürlich einen Punkt. Abhlfe würde hier wohl nur ein stärkeres Eingreifen der Stadt bringen.
jaja…aber man kann an der langstrasse auch (nützliche) dinge kaufen wie z.b. frauen, drogen, und äh……
Wieso eigentlich „Langstrasse“, und nicht einfach nur „Zürch“ , die Zustände gelten doch für die ganze Stadt.
Welche ZUSTÄNDE..?
Zürich ohne Langstrassenquartier ist wie Paris ohne Eiffelturm!! Ich selber bin zwar ein Landei, liebe aber den Charme und die Lebendigkeit im Quartier..bin immer wieder gerne dort im Ausgang oder auf ein lecker Früstück im Forum
übrigens…..mein Besuch aus Österreich wurde letztes Jahr in der Nähe vom Paradeplatz überfallen und beklaut und einem Arbeitskollegen wurde in einem hippen 5-gänge Restaurant das Portemonnaie geklaut….
Viele (der Szenies), die sich mit Händen und Füssen gegen die böse, böse Aufwertung wehren, haben einfach nur Angst, sich selbst langweilig zu werden, wenn erst mal das Verruchte im Kreis 4 weg ist. Weil es ist ja so schaurig läss, seinen Freunden vom Balkon zu zeigen, wie gefährlich es direkt vor der eigenen Haustüre ist und wie ach so tolerant man selber ist. Alles Hippiekacke!
Nein, in erster Linie gehts den Anwohnern um die Mieten, die in gewissen Bereichen niemand mehr zahlen kann, der nicht 8000 Franken im Monat verdient. Ein WG-Zimmer für 1700 Franken? Dafür kriegt man woanders eine 4-Zimmer-Wohnung.
Stimmt, die Mieten sind unverschämt. Aber es sind ja nicht die braven Büezer, die laut aufschreien, sonder genau die (Szenies), die alles dafür tun, dass sie möglichst bald zu denen gehören, die sich diese Mieten problemlos leisten können.
Das Büro von Vera Gloor an der Josefstrasse wird immer wieder Opfer von Vandalenakten. Wer mir auch etwas suspekt ist, ist Frau Theus, die hat doch tatsächlich ihren Bauhelm schwarz färben lassen, damit es zu ihrem Baustellen-Outfit passt. Gelesen im Tagi:
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Boese-Ueberraschung-fuer-Tilla-Theus/story/11422918
Zur Anzeige: Harmlos, aber auch nicht besonders witzig.
Es gibt übrigens Helme in allen Farben zu kaufen, also auch in schwarz.
Ui ja die Langstrasse ist mega gefährlich Gruss aus Bogotà!
Ui, Bogotaa!
Der Kreis 5 hat Zürich ein grosstäditsches Flair verliehen, das sich langsam, aber sicher, zwischen Spiegelverglasungen und pseudo-alternativen, überteuerten Lokalen & Wohunungen verliert (jüngstes Beispiel ist dieses Black / Red -Box Gebäude auf dem Löwenbräu Areal): Wohungen, die sich nur Herr Investmentbänker und Frau Anwältin leisten können (wie sich die strukturelle (Investment)Bänking-Krise auf den Wohungsmarkt dieser Stadt auswirkt, wird sich ohnehin noch zeigen…) – ohne Kinder, versteht sich.
Mein heissgeliebter bunter Chreis 5 (ich wohne an der Josefstrasse) verkommt zu einer Biosphäre für Cappuccino-schlürfende, manikürierte DINKs, die bitzeli „echtes Leben“ kukken wollen (aber zu speissig sind, um wirkliche Berühungen zuzulassen und schön SVP wählen…immer nach dem Motto: Exotik ja, solange sie sich auf eine günstige Kebab-Bude vor der Haustüre beschränkt, und ja, deren Abzug brav an meinem Balkon vorbeizieht)…Zürich wird damit eifnach eines: Langweilig…
Also ich finde die Werbung völlig harmlos. Wer kommt schon auf die Idee, dass die Mobililar damit abschätzig über die Langstrasse spricht? Allerhöchstens Leute, welche die Vergangenheit der Langstrasse kennen. Und die haben sich ihre (überholte) Meinung ja bereits gebildet, man muss sie nicht mehr über die Langstrasse aufklären. Denen wird es auch mit einer millionenteuren Imagekampagne nicht in den Kopf gehen, dass die Langstrasse schon lange nicht mehr für Prostitution und Verbrechen steht. Zumindest sind die Verhältnisse meines Wisssens mittlerweile ganz anders wie noch vor 20 – 30 Jahren, als die Langstrasse fast schon eine Synonym für Rotlichtmilieu war. Bei Leuten, welche die Strasse nicht kennen, wird diese Werbung vermutlich nichts weiter sein als ein lustiger Werbeslogan, der sich reim. Also manchmal kann man sich auch über nichts Gedanken machen. Ach ja, wie die meisten Mobiliarplakate finde ich den Slogan lustig.
Stimmt, an der Langstrasse wohnen keine Spiesser, nur hippe, coole Leute die in trendigen Cafés rumhängen und es als chic empfinden, am Abend noch kurz am Drögeler vorbeizulaufen um sich so als Teil der einfachen Leute zu sehen, obwohl das Schicksal der besagten ja eigentlich egal ist, Kaffee trinken ist einfacher als sich engagieren. Hauptsache man wohnt im In-Quartier. Jaja, die Spiesser von morgen…
Genau, Hans Peter!
Hihihi, und bitte, nicht Kaffee, sondern (überteuerten) Latte :-))))
Aber nein, als echter Trendbünzli kann man sich doch sehr gut auch beim Kaffee trinken engagieren. Z.B. etwas von „Gentrifizierung“ faseln und sich damit für günstige Mieten im Quartier einsetzen. (Man will ja schliesslich weiterhin preiswert wohnen.)
Naja, wer in der Stadt eine Wohnung sucht und für sich und seine Familie nichts unter 3000 Franken findet, darf durchaus über Gentrifizierung „faseln“.
Eben, von „Gentrifizierung“ sprechen vor allem die Grafiker, Journalisten etc., Leute also, die über eine gute Ausbildung verfügen (der Lohn ist meistens auch gar nicht soo schlecht) und nicht die Büezer. Ich selber will ja auch möglichst billig in der Stadt wohnen; aber es gilt halt das Gesetz von Angebot und Nachfrage, und momentan ist die Nachfrage nun mal sehr gross, was bei gleich bleibendem Angebot zu höheren Preise führt. Dass dabei die linke Schickeria reflexartig aufheult und das Schlagwort „Gentrifizierung“ herumschreit, geht mir schon fast so stark auf den Keks wie die Standardparole der SVP-Jünger, die da lautet: „Kündigt endlich das Personen-Freizügigkeits-Abkommen!“. (Wieso hat sich hier bei den Kommentaren eigentlich noch keiner von denen zu Wort gemeldet?)
Aufwertung der Langstrasse? Davon habe ich heute morgen wieder mal gesehen. Vermüllte Strassen und kotzendes Partyvolk und nach Urin stinkende Hauseingänge. Das einzige was aufgewertet wird sind die Mieten. Herzlichen Dank an den pensionierten Herrn Vieli.
Ich stimme Ihnen voll zu. Aufwertung scheint offenbar auch zu heissen, Anstand und Respekt völlig zu vergessen. „Die kleinlichen Anwohner sollen sich nicht so haben, schliesslich ist das ja der Kreis 4“. Kein Nichtbewohner des Quartiers kann sich vorstellen zu was Szenis (egal ob reich oder arm) in der Lage sind.
Also ich finde die Werbung perfekt. Denn so bleiben die Auswärtingen der Langstrasse fern, da ja SOOOOOOO gefährlich und wir Stadtzürcher haben einen Ausgehraum frei von Aargauern, Thurgauern, Sankt Gallern und all den anderen möchtegern Szenis.
Mein Dank an die Mobiliar
Na ja. Sooo schlimm finde ich die Werbung nun auch wieder nicht. Ich fand sie sogar ziemlich lustig. Etwas mehr Lockerheit würde dem Textverfasser / der Textverfasserin durchaus gut anstehen. Zudem denke ich, dass die Stadt-Zürcher sehr genau wissen, was sie an ihrer Langstrasse haben. Positives wie Negatives, denn wo Licht ist, ist auch Schatten. Immer. Das die Langstrasse über Jahr(zehnt)e hinweg einen schlechte Ruf hatte und vielleicht im Rest der Schweiz auch noch hat, kommt ja nicht von ungefähr. Und wenn es heute mehrheitlich anders ist, um so besser.
Ja, ich nehms auch ziemlich locker, aber für die Bewohner der Langstrasse könnts schon ein wenig unfair sein. witzig finde ich eher, dass die Langstrasse vor allem bei Leuten einen schlechten Ruf hat, die gar nie da sind. 🙂
Tja. Das stimmt wohl. Aber ist es nicht immer so? Vom Hörensagen lernt man lügen, oder? Doch diese Klischees braucht es einfach auch, genau so wie aufklärende Worte. Ob diese gehört werden (wollen) sei dahingestellt. Und was wäre schon der Charme der Langstrasse ohne ihre Geschichte. Und ich habe manchmal fast das Gefühlt, dass die Bewohner der Langstrasse einerseits dieses etwas rauhe Klima auch (vor)leben und andererseits genau wissen, dass es eigentlich ein kleines Bijou ist, dieses Quartier …
nein, eigentlich ist es eine sauerei, was da unter dem titel quartieraufwertung stattfindet. dasselbe an der weststrasse. im endeffekt können sich nur noch ganz arme (durch den staat unterstützte) und ganz reiche eine wohnung in der stadt leisten. dass das an der langstrasse quasi noch mit dem segen der stadt stattfindet finde ich unglaublich.
Nein, das ist keine Sauerei, das ist eine Entwicklung, welches es zur Erneuerung der Quartiere braucht. Es wäre im Gegenteil ein sehr schlechte Entwicklung, wenn man Renovationen durch regulatorische Eingriffe verhindert und Investoren davon abhält, neuen Wohnraum zu erstellen. Resultat wäre verfallende Häuser und auch nicht das Schaffen von neuen (auch zusätzlichen Wohnungen durch Verdichtung etc.). Mit dem sich verknappenden Angebot an baulich akzeptablem Wohnraum würden die Preise in diesem Segement dann erst recht steigen (Beispiel Genf). Und es ist halt einfach logisch, dass an begehrten Lagen in der City, wo alle hinwollen, die Preise steigen. Man könnte die Selektion auch nicht über den Preis machen, sondern durch staatliche Zuweisung der Wohnungen (d.h. wer hat die besten Beziehungen zu den entsprechenden vergebenden Stellen oder wer schmiert am besten), das wäre aber definitiv nicht besser.
Wenn jetzt die Erneuerung im Chreis 3/4/5 stattfindet, wird es tendenziell dazu führen, dass die jungen kreativen Leute, welche günstigen Wohnraum suchen in die jetzt noch günstigeren Quartiere (z.B. Altstetten, Schwamendingen, Seebach) als Vorreiter und Trendsetter ziehen. Aber genau dies gibt eben Chancen, dass sich diese Quartiere vom „Bünzlitum“ in die kreative Phase hineinentwickeln, wo interessante Leute neuen Geist reinbringen. Irgendwann ziehen dann halt die Trendfolger nach und dann beginnt auch dort wieder die Erneuerung mit entsprechenden Konsequenzen für die Mietpreise. Dann müssen sich die Kreativen halt auch wieder als Pioniere in andere Quartiere hineinbewegen (vielleicht ist dann das Seefeld nicht mehr so trendy und die heutigen Neubauten werden älter und preislich wieder zahlbarer). Auch Kreative müssen sich bewegen, sonst werden sie die bequemen Bünzlis, welche sie ja nicht sein wollen.
Müssen in dieser Entwicklung auch Mieten so steigen, dass sich normale Familien keinen Wohnraum mehr leisten können? Es leben nämlich sehr viele Familien da, nicht nur die Szenis.