Archiv für die Kategorie ‘Serien’

Kein Grund für Entschuldigungen – Zu Besuch bei Sheila She Loves You

Luca Bruno am Mittwoch den 19. Oktober 2011

This is where the magic happens... Sheila She Loves You: Tobija Stuker, Alain Meyer, Matthias Gusset, David Blum, Joachim Setlik (v.l.n.r.)

Im März 2010 erschien «Esztergom», das Debütalbum der Basler Band Sheila She Loves You. Ein Album mit zehn grösstenteils unbeschwerten Hits, welche sich durch erfrischende Jugendlichkeit und Ohrwurmpotenzial auszeichneten. Ein kurzer Blick auf den Konzertkalender der Band beweist, dass die Formkurve der Band seither stark nach oben zeigt: Im Sommer hatte die Band Auftritte sowohl am Paléo Festival, als auch am Openair St. Gallen und auch die Bühnen der BScene und des JKFs wurden während den letzten 18 Monaten abgeklappert. Kein Wunder also, ist die Indiepop-Band derzeit im Rennen um den Basler Pop-Preis, zu dem es auch ein BaZ-Voting gibt.

Wie wir bereits an der diesjährigen BScene festgestellt haben, spielt das Quintett an seinen Konzerten zahlreiche neue Songs, welche wiederum einige neue Facetten der Band zeigen. Und so arbeiten die Fünf seit geraumer Zeit nun auch im Bandraum und im Studio daran, diese neuen Songs für ein neues Album einzuspielen. «Sorry», das zweite Sheila She Loves You-Album, wird voraussichtlich im nächsten Frühjahr erscheinen, was für uns Grund genug war, die Band in ihrem Proberaum zu besuchen und uns nach dem Stand ihrer Arbeiten zu erkundigen.

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Handgeschriebene Zeilen erzählen vom harten Künstlerleben

karen gerig am Freitag den 5. August 2011

Frühes Gemälde von Alexej Jawlensky in der Ausstellung im Kunstmuseum. (Foto Mischa Christen)

Briefe können ganze Lebensgeschichten erzählen. Wer im Katalog zur Ausstellung «Künstlerfreundschaften» des Kunstmuseums Basel schmökert, wird spätestens beim Briefwechsel zwischen dem Basler Kunstsammler Karl Im Obersteg und Alexej von Jawlensky hängenbleiben. Vor allem aus den Briefen des russischen Künstlers ist ablesbar, wie schwierig die Zeiten zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg für Künstler waren. Was man dort lesen kann, geht teilweise sehr nahe – ein interessantes und rührendes Zeitdokument. Diesen Beitrag weiterlesen »

Zu Besuch im Atelier bei: Pawel Ferus

karen gerig am Donnerstag den 12. Mai 2011
Schwebender Buddha über Energydrinks: Pawel Ferus' «Yoga II».

Schwebender Buddha über Energydrinks: Pawel Ferus' «Yoga II».

Die Nummer 66 der Breisacherstrasse ist ein grünes Haus. Ein grosses Tor führt in einen Hinterhof, der auf der linken Seite gesäumt ist von einer grossen, in der Mitte unterteilten Halle. Ich gucke durch die Tür des vorderen Teils dieser Ateliergemeinschaft, wo mehrere junge Leute an Computern sitzen. «Ich suche Pawel Ferus», sage ich. «Gleich nebenan, nächste Tür», klingt die Antwort hinter einem Bildschirm hervor. Doch eigentlich hätte ich gar nicht fragen müssen, denn nur schon der Blick nach rechts offenbart, wo Künstler Ferus seine Werke fertigt: Durch die Scheibenfront zeigt sich ein Durcheinander an fertigen und halbfertigen, grossen und kleinen Plastiken. In der rechten hintersten Ecke finde ich ihn schliesslich, vor einem Tisch, auf der eine Buddhafigur kopfüber am Trocknen ist. Diesen Beitrag weiterlesen »

Herausgepickt: Nomadin Schirin Kretschmann

karen gerig am Mittwoch den 20. April 2011

Leben im Wohnwagen. (alle Fotos: Schirin Kretschmann, Nomadic Competences (KH BL), Copyright die Künstlerin und VG-Bild-Kunst Bonn)

Rechts vom Eingang des Kunsthauses Baselland steht ein beiger Wohnwagen mit Karlsruher Kennzeichen. Darin wohnt kein kunstverrückter Fan des Hauses, sondern eine Künstlerin. Schirin Kretschmann hat sich für die Dauer der «Ernte»-Ausstellung hier eingerichtet, um in unmittelbarer Nähe zu ihrem in-situ-Projekt «nomadic competences» leben zu können. «Mich interessiert die Verwobenheit dieser Kunstinstitution mit dem Leben des Kantons», erklärt sie. Diese Verwobenheit hoffte sie besser zu erfahren, indem sie hier lebt und nicht wie gewohnt ennet der Kantonsgrenze und des Rheins an der Feldbergstrasse. Nicht alles aber lief in den letzten Tag so wie erhofft. Doch der Reihe nach.

Immer einmal im Jahr präsentiert der Kanton Baselland unter dem Titel «Ernte» seine Kunstankäufe eines Jahres. Zum ersten Mal ist die «Ernte» dieses Jahr Gastgeberin für die sogenannte «Solo: Position»: Damit bietet die Ausstellung einem Kunstschaffenden aus der Region Basel die Möglichkeit, die Räumlichkeiten des Kunsthauses Baselland zu bespielen. Im Januar hat eine Jury Schirin Kretschmanns Projekt aus 70 Eingaben ausgewählt. Kretschmann, die in Karlsruhe Malerei studiert hat, promoviert derzeit am Eikones-Graduiertenkolleg in Basel. Sie beschäftigt sich dort mit Untersuchungen von Grenzbereichen der Malerei jenseits des zweidimensionalen Gemäldes. Stattdessen versucht sie, Malerei als etwas Dynamisches im Raum des Betrachters zu lokalisieren. Diese Fragestellung liegt auch ihrem aktuellen Projekt zugrunde.

Fensterputzen: Eine Tagesaufgabe.

Im Kunsthaus Baselland hat sich Kretschmann der hinteren drei Kabinetträume angenommen. Diese Räume wurden mehrmals ungebaut, die ursprüngliche Industriearchitektur unsichtbar gemacht, um White-Cube-Bedingungen zu schaffen. Kretschmann hat diese Umbauprozesse nun umgekehrt und abgebaut, was abzubauen war. Deckenelemente nahm sie herunter und stapelte sie entlang den Wänden, die Wänder der Blackbox hat sie herausgerissen. An der Vernissage präsentierten sich die Räume nackt und aufgeräumt.

Zwanzig Tage dauert die «Ernte»-Schau. An diesen zwanzig Tagen steht Kretschmann morgens in ihrem Wohnwagen auf und überlegt sich ein Projekt für den Tag. Für diese Tagesarbeiten nutzt sie die vorhandenen Elemente und stellt sie in Relation zu jenen Elementen, die erst während der Ausstellung entstehen. Deckenplatten werden so etwa zur Bodeninstallation. Die neuen Elemente sollten aus Tagesnachrichten oder aus Gesprächen mit Passanten entwickelt werden, so lautet das Konzept. «Ich will diese Ereignisse aber nicht einfach abbilden oder illustrieren, sondern sie als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Ausstellungselements brauchen», erklärt Kretschmann. Dies solle ganz im Rahmen der «nomadic competences» geschehen. Als solche nomadische Kompetenzen nennt die Künstlerin etwa: Mit Gegebenem auskommen, Ressourcen nachhaltig nutzen und teilen, sich Ungewohntes aneignen, sich unabhängig orientieren.

Blick in die Kabinetträume im aufgeräumten Zustand zur Vernissage. (Zum Vergrössern anklicken)

Blick in die Kabinetträume nach einigen Tagen. Vorne im Bild die leere Gasflasche und der Wasserbehälter, rechts die Fundstücke aus dem Kanton Baselland, dahinter eine Bodeninstallation aus Deckenplatten.

Im Wohnwagen zu leben gehört ebenfalls zu diesem Konzept. Und da kann es schon einmal passieren, dass morgens das Wasser und das Gas alle ist und man auf dem Trockenen sitzt. An jenem Morgen, als dies passierte, war das Erlebnis der Ausgangspunkt für ein neues Ausstellungselement: Im Kunsthaus Baselland befinden sich nun der leere Wassercontainer und die Gasflasche. Im selben Raum, hinter einer am Boden gespannten Schnur, liegen Zigarettenstummel, eine Kreide und andere kleinere Abfallprodukte. «Diese Objekte sind das Resultat meiner Auseinandersetzung mit der hiesigen Grenzsituation zwischen den Kantonen Baselland und Basel-Stadt», erklärt Kretschmann. Vom Raum aus sieht man über die Birs hinweg in den angrenzenden Kanton. Kretschmann hat die Grenze überquert und gesammelt, was sie fand – was weniger war, als sie sich erhoffte. «Manche Leute sind enttäuscht, wenn sie hier hereinkommen», sagt sie. «Sie haben wohl mehr erwartet – Illustrativeres; etwas, was man direkter ablesen kann. Ich habe an manchen Tagen auch meine Zweifel: Die Idee, die ich morgens habe, lässt sich dann nicht genauso umsetzen, wie ich es gerne hätte. Aber das gehört dazu.»

Am Ende ihres Projektes sollen die Räume wieder derart instand gestellt sein, wie sie vorher aussahen. Nur etwas wird wahrscheinlich anders sein: Unter den Deckenplatten wird man vorher wohl die Wand weiss malen. Die Künstlerin Karin Suter, die ihre Arbeiten im Sommer 2010 im Kabinett präsentierte, hatte damals unter die halbtransparenten Plexiglasscheiben weisse Blätter geklebt, um den White Cube noch etwas weisser scheinen zu lassen. Bei Kretschmanns Abräumaktion kamen diese Blätter wieder zum Vorschein und bilden nun eine Art von abstraktem Deckengemälde, bevor sie ins Altpapier wandern.

Am 25. April wird Schirin Kretschmann sich zum letzten Mal eine Tagesaufgabe vornehmen. Dann wird sie ihren Wohnwagen packen und den Kanton Baselland wieder in Richtung Stadt verlassen. Im Kabinett wird es dann aussehen, als sei nichts gewesen. Nur die Fenster bleiben geputzt zurück, für eine Weile wenigstens.

Heute Mittwoch Abend findet im Kunsthaus Baselland ein Gespräch mit Schirin Kretschmann zu ihrem Projekt «nomadic competences» statt. Wer noch Fragen hat, gehe um 18 Uhr an die St. Jakob-Strasse 170 in Muttenz.

Herausgepickt: Konrad Witz und das Ende des mittelalterlichen Goldgrunds

karen gerig am Donnerstag den 10. März 2011

Konrad Witz: Joachim und Anna an der Goldenen Pforte.

Konrad Witz lebte am Anfang des
15. Jahrhunderts. Als er das Licht der Welt erblickte, malten die Maler ihre religiösen Motive auf goldenen Grund. Was seit dem
4. Jahrhundert Tradition hatte, war einigen Niederländern zu jener Zeit aber nicht modern genug. Jan van Eyck, Robert Campin und Rogier van der Weyden begannen damit, die Heiligen in profane Umgebungen zu betten. Ein neuer Stil, der auch den in Basel lebenden Konrad Witz erfasste. Wenn auch nicht sofort.

Da sind die Aussenseiten des Basler Heilsspiegelaltars, entstanden im Jahr 1435: Ecclesia, Synagoge und Co. sind dort in einzelnen Räumen eines Hauses dargestellt, eine schmucklose Architektur aus Stein und wenig Holz. Durch das Fenster im Raum des Heiligen Augustinus erblickt man etwas Landschaft, die Zinnen einer Burg mittendrin. Innendrin im Altar werden jedoch alle Personen noch vor Goldgrund abgebildet.

Zwei Jahre später malte Konrad Witz Joachim und Anna, die Eltern Mariens, an der Goldenen Pforte. Witz malt, wie so viele Maler vor ihm, das Ehepaar in jenem Moment, wo Joachim von seinem 40-tägigen Bussgang in die Wüste zurückkehrt und seine Frau vor der Pforte des Jerusalemer Tempels zärtlich begrüsst. In die Wüste hatte er sich zurückgezogen, so erzählt die Legende, weil seine Ehe kinderlos geblieben war und ein Hohepriester die Kinderlosigkeit als göttliche Missgunst gedeutet hatte. In der Wüste wurde ihm von einem Engel die Geburt eines Kindes angekündigt. Nach seiner Rückkehr wird das Kind geboren und auf den Namen Maria getauft.

Witz bringt in der Darstellung dieses Moments die neuartige realistische Architekturdarstellung mit dem althergebrachten Goldgrund in einem einzigen Bild zusammen: rechts eingeritztes Brokatmuster auf Goldgrund, links die Pforte – ein Mauerwerk, das schon bessere Zeiten gesehen hat, und wohl eine der schäbigsten Goldenen Pforten der Kunstgeschichte. Risse ziehen sich über die Wände, die Steine sind mit Moos bewachsen. Ein Schlagbaum wurde derart schlecht ans Tor angebracht, dass der Stein gespalten wurde. Und wer genau hinschaut, findet sicher noch eine Spinnwebe in einer Ecke. Genauso realistisch hat Witz den Boden gemalt, auf dem das Ehepaar Anna und Joachim steht. Im Hintergrund spiegelt sich die Mauer in einer Pfütze, davor liegen Kieselsteine verstreut auf dem Weg, und mit kleinen Blumen durchwachsene Grasbüschel brechen durch die festgetretene Oberfläche des Wegs. Dabei ist es Witz aber wohl nicht (nur) um eine möglichst naturgetreue Darstellung gegangen: Der ausgetrocknete Weg und die Pfütze dahinter sowie das spriessende Gras dürften eine Anspielung auf Annas vorangegangene Unfruchtbarkeit und ihre wundersame Empfängnis des Kindes Maria sein. Witz vermischte so gekonnt den neugeborenen naturalistischen Stil mit der altehrwürdigen Symbolik, und schuf so ein wunderbares Werk an der Schwelle zu einer neuen Epoche der Kunstgeschichte.

Die Ausstellung «Konrad Witz» im Kunstmuseum Basel läuft noch bis zum 3. Juli. Das Bild «Joachim und Anna an der Goldenen Pforte» ist im Besitz des Kunstmuseums und kann auch nach Ende der Ausstellung noch betrachtet werden.

The Umbrella Kid – Der minimalistische Chaot

karen gerig am Montag den 28. Februar 2011

«Eigentlich bin ich ein Chaot», sagt The Umbrella Kid an einer Stelle unseres Gesprächs. Dieses findet teilweise im Wohnzimmer in der WG im Gundeli, in der er mit drei weiteren Leuten wohnt, statt, teils in der Küche, wo geraucht wird, und teils in seinem Atelier. Chaot? Das Atelier ist spärlich möbliert und aufgeräumt, auf einem Tisch steht der Computer, den er fürs Arbeiten nicht braucht, in der Ecke hängen Kleider, farblich sortiert: links schwarz, rechts weiss. «Ich trage nur schwarze und weisse Kleidung», sagt der Künstler, heute ganz in Schwarz. Auch das Mobiliar ist schwarz und weiss. Am liebsten hätte er auch das Fischgrätparkett des Bodens noch geweisselt, meint er.

The Umbrella Kid.

Was exzentrisch klingt, ist es in Tat und Wahrheit nicht. The Umbrella Kid, vor 25 Jahren in Basel geboren, mag es einfach gern minimalistisch. Auch in seinem Werk. Egal, ob er filmt, fotografiert oder mit dem Pinsel hantiert, einziges Material sind immer Schwarz, Weiss und die Schattierungen dazwischen. Er mag das Schwarze in den Schwarzweissfotografien, und man soll Black Sabbath hören, wenn man seine Bilder betrachtet, hat er einmal gesagt.

Was The Umbrella Kid tut, tut er aus Überzeugung. Sein Pseudonym trägt er, weil er nicht weiss, ob er immer machen will, was er jetzt tut. Passt es ihm dereinst nicht mehr, legt er Arbeit wie Pseudonym nieder und beginnt bei Null. Bis vor wenigen Jahren arbeitete er noch als Journalist, dann beschloss er, voll auf die Fotografie zu setzen. Um diesen Traum zu verwirklichen, putzt er die Partyräume der Kaserne. «Für diesen Job brauche ich keine Kreativität, so bleibt diese vollständig meiner Arbeit erhalten», sagt er dazu. Fotoaufträge will er keine annehmen, der Grund ist einfach und passt zu seiner Einstellung: «Ich will keine Kompromisse eingehen.»

Minimalismus, Grafik, Geometrie sind die zentralen Elemente seiner Fotografien. Er findet sie hauptsächlich in der Architektur. In einer Werkserie bricht er die klaren Linien von Betonstrukturen durch bewegte Skateboarder. Auch der Basler Galerist Guillaume Daeppen war fasziniert von diesem Kontrast zwischen dem klassischen Bildthema Architektur, wie man es vielleicht in den 50er Jahren finden könnte, und dem modernen Thema Skateboard. «Bei einem jungen Künstler würde ich das so nicht erwarten», erklärt er.

Ebensowenig würde man wohl erwarten, dass ein so junger Künstler am liebsten analog fotografiert. Seine erste Kamera war diejenige seines Vaters, eine Nikon. «Ich verstehe mich als junger Repräsentant der alten Schule», sagt The Umbrella Kid. Abgesehen davon, dass es gut sei, dass man vor dem Drücken des Auslösers genau überlegen muss, was man abbilden will, gefällt ihm auch die Arbeit im Labor. Und er höre ja auch lieber LPs als MP3-Dateien. Beigebracht hat er sich alles selbst, er bezeichnet sich als Autodidakt aus Überzeugung. «Ich wollte nie an eine Schule, weil ich mich nicht in eine bestimmte Richtung zwängen oder mir einen Stempel aufdrücken lassen wollte», erklärt er. Manchmal sei das im Kunstmarkt zwar hinderlich, weil nicht wenige auf den Lebenslauf eines Künstlers gucken. Wer dort nichts vorzuweisen hat, ist manchen nichts wert. Beim Umbrella Kid aber scheint dies nur bedingt zu stimmen – «und ausserdem bin ich dadurch gleich doppelt motiviert», sagt er. Gerade eben hat er eine Einzelausstellung in der Zürcher Galerie ArtSeefeld eröffnet, und vor kurzem ausserdem einen Swiss Photo Award EWZ Selection in der Sparte Fine Art gewonnen. Es läuft also nicht schlecht für den Autodidakten.

Herausgepickt: Pousttchis Absperrgitter

karen gerig am Montag den 21. Februar 2011

Bettina Pousttchi: «Double Monuments for Flavin and Tatlin» (2010) . (Foto Henry Muchenberger)

Schon vom Steinenberg her sind sie sichtbar, durch die Glastüren der Kunsthalle hindurch: Die weissen Türme von Bettina Pousttchi. Und auch wenn man noch nichts Genaueres darüber weiss, so scheint die Form der aufeinandergestapelten Absperrgitter bereits bekannt. Der Titel der Arbeit führt dann zum Aha-Erlebnis: «Double Monuments for Flavin and Tatlin» heisst das Werk der deutsch-iranischen Künstlerin.

Vladimir Tatlin (1885–1953), russischer Maler und ein Begründer der Maschinenkunst, entwarf 1920 sein «Monument der Dritten Internationale»: Ein 400 Meter hoher, spiralförmiger Turm zur Erinnerung an die Russische Revolution.

Vladimir Tatlin: «Monument der Dritten Internationale» (1920).

Eine gigantische Maschine sollte es werden, die Konferenzräume, Aufzüge, eine Treppe und einen Radiosender beherbergen sollte. Eine Säule im Inneren sollte sich nach den Gestirnen ausrichten. Das Modell dafür wurde 1925 in der Weltausstellung in Paris präsentiert. Das ehrgeizige Architekturprojekt wurde aus Kostengründen allerdings nie gebaut, wie auch die damit verbundene politische Utopie keine Verwirklichung finden konnte.

Der amerikanische Lichtkünstler Dan Flavin zitierte Tatlins Monument in den 39 Skulpturen seiner Serie «monuments to V. Tatlin», die zwischen 1964 und 1990 entstanden und das menschliche Bedürfnis nach grossen Denkmälern hinterfragen. Dafür ordnete er weisse Leuchtstoffröhren in Formen an, die zwischen Pyramiden und frühen Hochhäusern variierten, darunter das Empire State Building (Vgl. Bild). Flavin brachte so Tatlins Konzept mit einem Hauptsymbol des Kapitalismus in Verbindung, würdigte aber auch die politischen Visionen des Konstruktivisten.

Dan Flavin: Das erste der «monuments to V. Tatlin» (1964).

Pousttchi erweist mit ihrer Arbeit den Meistern des Konstruktivismus und des Minimalismus die Ehre, setzt die beiden Kunststile aber auch gegeneinander ein, indem die minimalistischen Leuchtstoffröhren die konstruktivistischen Stahlstrukturen quasi durchstechen. Als Arbeitsmaterial benutzt sie Absperrgitter – Objekte, die entworfen wurden, öffentliche Versammlungen wie Demonstrationen zu kanalisieren und am Überborden zu hindern. Die Gitter erinnern auch an die revolutionären Kräfte dieser Zeit, die existierende Strukturen losließen, um eine neue Weltordnung zu schaffen.

Herausgepickt: Yves Kleins Mülleimer

karen gerig am Dienstag den 15. Februar 2011

Der Müll ist das Endstadium jeden Objektes. Müll ist aber auch Merkmal einer Epoche. Für einen Künstler, der für Objekte eine derartige Obsession entwickelt, wie es Arman tat, muss Müll zwingend interessant werden. Arman (1928-2005), der Künstler des Nouveau Réalisme, nutzte gebrauchte Objekte erst als Stempel, um Farbe auf Leinwand zu bringen. Bald wurde das Sammeln solcher Objekte selbst zur Kunst und Gleiches mit Gleichem in Glaskästen gesammelt. Später, in den Siebziger Jahren,  zerschmetterte, zersägte und zündete Arman Gegenstände an, bevor er mit der Farbtube als letztverwendetem Objekt zum Medium Malerei zurückkehrte.

Irgendwann dazwischen aber, Ende der Fünfziger Jahre, begann der Franzose damit, weggeworfene Objekte zu sammeln. Den Müll eines bestimmten Quartiers etwa, oder den Müll einer bestimmten Person. Unser Abfall sagt eine Menge über uns, merkte Arman, und so schuf er individuelle Porträts unterschiedlicher Menschen.

"Premier portrait-robot d'Yves Klein" (1960) von Arman.

Manchmal durchwühlte er jedoch nicht die Abfalleimer, sondern sammelte gezielt Gegenstände, die einen Menschen beschreiben. Yves Klein, ein Künstlerkollege und Freund, auf den Arman in seinem Werk mehrmals Bezug nahm, porträtierte er als einen der ersten auf diese einmalige Weise.

Zentral im «Premier portrait-robot d’Yves Klein», das man ab heute im Museum Tinguely betrachten kann, ist ein Stück ultramarinblau eingefärbtes Papier: Kleins Markenzeichen. Farbverspritzte Plastikplanen, ein Schuh mit pinker Farbe an der Sohle, farbverspritzte Kleidung charakterisieren den Maler. Die Farbe Rosa findet sich auch an zerschnittenen künstlischen Rosen und widerspiegelt so ebenfalls einen wichtigen Teil von Kleins künstlerischem Werk. Während solch werkbezogene Objekte sich jedem Betrachter erschliessen, müssen wir ob eines Fetzens aus einem Tim & Struppi-Comic, mehrerer Buchseiten und einer Rolle Fotonegative stärker und möglicherweise ohne Versprechen auf Lösung rätseln. Sicher ist, dass es sich um persönliche Gegenstände Kleins handelt. Und Arman wird seine Gründe gehabt haben, weshalb er diese Zeitzeugen zu einem Porträt seines Künstlerfreundes gesellte.

Das einzigartige Yves Klein-Porträt ist Teil der Arman-Retrospektive im Museum Tinguely. Vernissage ist heute Dienstag um 17 Uhr. Die Ausstellung dauert bis 15. Mai.

Brachial und dreckig – Zu Besuch bei Navel

Joel Gernet am Mittwoch den 9. Februar 2011


Seit dem 4. Februar ist das neue Navel-Album im Umlauf. Diesen Freitag wird «Neo Noir» in der Kaserne Basel getauft. Bei den Kritikern kommt der Zweitling der Basler Rockband mit Wurzeln in Erschwil (SO) bisher sehr gut an: «Ein Koloss mit blutunterlaufenen Augen, dem man vom ersten Ton an eine Liebeserklärung machen will», schreibt etwa die Thurgauer Zeitung. Solche Kritiken freuen natürlich auch Navel-Drummer Steve Valentin, der sich durch das positive Feedback in seinem Gefühl bestätigt sieht (siehe Video): «Das neue Album ist besser, als der Vorgänger Frozen Souls.» Weniger vertrackt sei es, dafür düsterer, brachialer und dreckiger vom Sound her – «einfach Rock halt».

Nicht immer stand es so positiv um den neuen Tonträger des Trios um Frontmann Jari Altermatt: Vor rund einem Jahr musste Navel einen herben Rückschlag hinnehmen – das Berliner Label der Band ging pleite und man sass auf einer vollendeten CD, die nicht veröffentlicht werden konnte. Da nützten auch der wenige Wochen zuvor erhaltene erste Basler Pop-Preis und die damit verbundenen 15’000 Franken wenig. «Zuerst wussten wir gar nicht, wie´s weitergeht», erinnert sich Steve Valentin. Vom ursprünglichen Album seien rund 40 Prozent der Musik geblieben, der Rest entstand in den letzten Monaten.

Nun – noch bevor das neuste Baby getauft ist – denkt Navel bereits über eine neue CD nach. «Unser Ziel ist, dass wir keine drei Jahre mehr brauchen bis zur nächsten Platte», erklärt Valentin. Vorerst aber will er mit Navel so viele Konzerte wie möglich spielen – auch, damit genügend Geld reinkommt und man neben der Musik keinem Job mehr nachgehen muss. «Denn das macht viel kaputt im kreativen Prozess – ich kann nicht gleichzeitig arbeiten und Musik machen.» Ist sein Ziel, von der Musik zu leben, denn greifbar? «Jaja, für mich immer, irgendwie», grummelt Valentin, «ich bin ein ziemlich naiver Mensch».

In Deutschland war Navel bereits eine Woche mit «Neo Noir» unterwegs. Dass nach der Plattentaufe vom 11. Februar weitere Konzerte im Ausland – und am besten natürlich der internationale Durchbruch – folgen, darauf hofft die Band. Immerhin war sie 2007 bereits als Vorgruppe der Queens Of The Stone Age unterwegs und 2009 spielte das Trio am renommierten «South by Southwest»-Festival in Austin und in New York.

Eine ausführliche CD-Kritik zur Navels «Neo Noir» gibt es in der BaZ von Donnerstag.

Rückblick #9: Starke Museen und der Zürich-Komplex

schlaglicht am Montag den 3. Januar 2011

Für den Rückblick auf das Basler Kulturjahr 2010 haben wir verschiedene Persönlichkeiten aus der Region zu ihren Höhe- und Tiefpunkten aus dem sich zu Ende neigenden Jahr befragt. Galerist Stefan von Bartha wünscht sich, dass Basel sein kulturelles Potenzial stärker wahrnimmt und nicht nur die bildende Kunst fördert.

Stefan von Bartha in seiner Galerie am Kannenfeldplatz. (Foto Daniel Desborough)

Stefan von Bartha, was war Ihr kulturelles Highlight 2010?
Die Art Basel-Woche mit den grossartigen Eröffnungen und der Messe. Die Museenszene hat mit Jean-Michel Basquiat, Rodney Graham und Matthew Barney ein unheimlich hohes Niveau erreicht. Art Basel, Design Miami, Liste und Art Unlimited waren sehr spannend, und es war für mich das absolute kulturelle Highlight dieses Jahr! So viele hervorragende Kunst auf so kleinem Raum und in einer Woche, das ist ziemlich unschlagbar. Diese Qualität hat wirklich noch keine weitere Messe erreicht und man kann davon ausgehen, dass dies auch in der Zukunft weiterhin eines der grössten Highlights bleiben wird.

Gab es auch einen kulturellen Tiefpunkt?
Ich würde es nicht «Tiefpunkt» nennen. Ganz allgemein muss Basel als Stadt sehr vorsichtig sein, das Kulturprogramm nicht zu vernachlässigen. Es werden spannende Studien zur Stadt präsentiert, grossartige Museumsausstellungen eröffnet. Wir haben die wichtigste Kunstmesse, und das Label Basel ist weltbekannt. Was aber sonst daraus gemacht wird, ist sehr mager. Es gibt viel zu viele Bereiche, welche kulturell spannend wären, aber überhaupt nicht beachtet werden. Abgesehen von der Art Basel Woche muss die Stadt mehr machen für die Kreativszene. Architektur, Design und Mode brauchen weitere Plattformen, um sich zu präsentieren und auch die Galerienszene muss wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen und an Dynamik gewinnen. Da fehlt es an der Unterstützung und bei manchen an Mut. Die Basler könnten auch noch etwas mehr Eigeninitiative zeigen, und in der Politik müssten gewisse Personen vielleicht etwas mehr Zeit und Engagement  in die Kulturszene investieren und die Stadt fördern statt mit Auftritten beim FC Basel. Kultur scheint in der Politik immer noch ein Fremdwort zu sein und es fehlt an klaren Ideen. Die Politik versteht die Museumslandschaft als Kultur. Dass es da noch weitere Bereiche gibt, scheint fremd.

Was haben Sie verpasst?
Art Basel Miami Beach und Jamiroquai an der Avo Session.

Haben Sie etwas vermisst?
Wie gesagt vermisse ich weitere starke Projekte für die Stadt. Wir müssen jetzt dringend etwas tun, um die verschiedenen Bereiche zu fördern. Manchmal scheint es mir, als wüssten die Menschen gar nicht, wieviele Highlights wir in der Stadt haben. Ein paar der besten Architekturbüros der Welt, interessante junge Mode, tolle Galerien und auch weitere fantastische junge Projekte entstehen, aber bekommen wenig Aufmerksamkeit. Da vermisse ich ganz deutlich das Selbstvertrauen in Basel! Dieser Basel-Zürich-Komplex muss dringend aufhören. Basel ist eine Stadt mit gewaltigen Möglichkeiten und grossem kulturellen Potenzial. Vergleiche sollte man da mit ganz anderen Städten suchen.

Was sind Ihre Kulturwünsche fürs 2011?
Ich wünsche mir, dass 2011 wieder mehr Bewegung in die allgemeine Kulturdiskussion in Basel kommt. Kulturelle und kreative Bereiche müssen wieder enger zusammen arbeiten und man muss von diesem kurzfristigen Denken wegkommen. Wenn jeder versucht, nur sein Ding durchzuziehen, besteht die Gefahr, dass in Basel nur noch ein Fokus auf den Museen und gewissen Projekten liegt. Das gesamte Jahr müssten mehrere Events die verschiedenen Bereiche fördern und die Personen, welche in Basel für Kultur stehen könnten, sich vielleicht etwas öfters zeigen und eine Debatte darüber führen, was besser gemacht werden könnte. Mein grösster Wunsch wäre es, dass anschliessend Besprochenes schnell und unkompliziert umgesetzt wird. Es fehlt an Reaktionen!
Für 2011 wünsche ich mir, dass die lokale Szene mehr Öffentlichkeitsarbeit macht und diese auch aufgenommen wird. Jeder, der ein Interesse an der kulturellen Szene in Basel hat, sollte diese auch nutzen. Wir haben eine hervorragende junge Szene, welche das Gebotene nutzen sollte und auch weitere neue Projekte vorantreiben.

Dies war der letzte Jahresrückblick. Danke fürs Lesen und bis zum nächsten Mal!

Bereits erschienen: Angelo Gallina, Guy Morin, Thomas Jenny, Smash 137, Sam Keller, Tobit Schäfer, Carena Schlewitt, Marlon Mc Neill.