Archiv für die Kategorie ‘Kunst’

«Die Einzelhaft war ein unglaublich beängstigendes Erlebnis»

Joel Gernet am Dienstag den 3. Juli 2012

Die Arme erhoben, in den Händen Dolch und Keule. Augen und Mund weit aufgerissen. Über dem grauweissen Kopf leuchtet ein gelber Heiligenschein. «Urban Primitives» nennt der iranische Künstler A1one seine gemalten Fantasie-Figuren, die aussehen, als bestünden sie aus Spaghetti und Hautschuppen. «Früher hatten unsere Könige die Krone auf dem Kopf – jetzt tragen sie diese am Kinn», sagt A1one und begutachtet den überdimensionalen Kopf mit den drei gelb leuchtenden Zacken am Kinn, die den Bart der religiösen Führer im Iran symbolisieren.


Das beschriebene Exemplar gibt es noch bis Oktober in der Carhartt Gallery Weil am Rhein (D) zu sehen. Sein 31-Jähriger Erschaffer aus dem Iran wirkt zufrieden. Hier kann er malen, ohne darüber nachdenken zu müssen, wie sein Werk beim Regime ankommt. Und ohne, dass er eingebuchtet wird wie ein politischer Dissident – so geschehen diesen März, als A1one für zwölf Tage in Einzelhaft gesteckt wurde.

Trotz Repressionen lebt und arbeitet A1one noch immer in Teheran. Er gilt als Graffiti- und Streetart-Pionier im Nahen Osten und ist neben seinen Figuren auch für Schablonen-Bilder und persische Kalligraphien bekannt. Im Interview erinnert sich A1one an die Zeit, als er in Teheran allein auf weiter Flur war und Freiheiten genoss, von denen iranische Strassenkünstler heute nur träumen können. Diesen Beitrag weiterlesen »

Das Schuhwerk der Art-Besucher

Joel Gernet am Donnerstag den 14. Juni 2012


Absätze, so hoch wie der Messeturm. Sohlen, so leuchtend wie manche Werke an den Wänden. Während der Art Basel tummeln sich am Rheinknie Menschen, die sich kleiden, als ob sie selber ein Kunstwerk sind. Besonders ins Auge sticht bei diesen Paradiesvögeln nicht selten das Schuhwerk.

Wir waren an der Art Basel auf Fotosafari und haben den Besuchern auf die Füsse geguckt. Von eleganten High Heels über gediegene Budapester Lederschuhe bis hin zu schrecklichen Plastiktretern war alles dabei – zu sehen in der Fotostrecke oben. Ende Woche gibts dann vielleicht eine Bildergalerie mit den geschundenen Füsschen der Art-Besucherinnen. Oder mit den besten Botox-Gesichtern. Oder mit sämtlichen Kunstwerken, die Geschlechtsteile zeigen. Vielleicht.

Mit iPad und «digitalem Heiligenschein» verblüfft er die Art-Besucher

Joel Gernet am Mittwoch den 13. Juni 2012


Ohne schräge Vögel wie Claudio Di Bene wäre die Art Basel nur halb so schön. Ausgerüstet mit iPad, digitaler Brille, Elektro-Feder und einer runden Scheibe, die über seinen weissen Haaren schwebt, sticht der Italiener selbst unter den bunt gekleideten Art-Besuchern heraus.

Die Scheibe über seinem Haupt sei eine Art «digitaler Heiligenschein», erklärt Di Bene mit Handzeichen und in brüchigem Englisch. Er komme aus den Abruzzen und sehe sich als digitale Version des «Homo Technologicus». Mit seiner erlektronischen Feder zeichnet Di Bene Bilder in die Luft. Diese tauchen via Datenübertragung auf dem Monitor seines iPads auf. Dank seiner Space-Brille kann der Italiener die digitale und die reale Welt simultan sehen.

An die erstaunten Reakionen der Passanten hat sich Di Bene inzwischen gewöhnt, schliesslich ist er seit Jahren in dieser Montur an Kunstmessen unterwegs. Di Bene, der sich gerne als «digitalen Touristen» bezeichnet, kommt direkt von der Kunstmesse Documenta aus Kassel. Bereits 2005 war er mit Tablet-PC an der Biennale in Vendig anzutreffen – der Italiener ist also sozusagen ein Pionier im Umgang mit dem iPad und dessen Vorgängern. Und in deren kreativen Verwendung sowieso.

Mehr zu Claudio Di Bene gibts hier, hier und hier.

Vor der Art attackiert die Strassenkunst

Joel Gernet am Donnerstag den 7. Juni 2012

Nicht weniger als vier Graffiti- und Streetart-Ausstellungen bereichern dieser Tage den regionalen Kunstkosmos zwischen Dreispitz und Riehen. Vom Galeristen-Liebling bis zum Untergrund-Künstler gibts dabei alles zu sehen – und kaufen. Ein Überblick.

Einfach weggeputzt! Über 300’000 Euro soll es wert gewesen sein, das Bild des britischen Streetart-Stars Banksy an einer Londoner Hausfassade. Die Behörden allerdings hatten keine Freude daran. Sie beseitigten das unerlaubt angebrachten Werk, das eine Szene des Kultfilms «Pulp Fiction» zeigte, in der John Travolta und Samuel L. Jackson mit Bananen anstatt Pistolen hantieren. Das war im März 2007. Heute, nach fünf weiteren Jahren Banksy-Hype, würde das Strassenbild wohl noch wertvoller eingeschätzt werden.

Rooftop: Das Banksy-Bild mit John Travolta und Samuel L. Jackson wurde 2007 in London weggeputzt.

Und es könnte ohne Weiteres an der Art Basel gezeigt und verkauft werden. Schliesslich geben hier Kunstsammler ohne mit der Wimper zu Zucken sechsstellige Beträge aus für Kunstwerke. Manchmal auch für solche aus dem Graffiti- und Streetart-Bereich. Allerdings ist Banksy in diesem Kosmos noch immer eine Ausnahmeerscheinung, der personifizierte Spagat zwischen Kunst und Kommerz. Er steht aber auch für eine steigende Zahl urbaner Künstler, die es in Galerien und an Kunstmessen zieht und die dort zunehmend Anklang finden.

Das liegt auch daran, dass viele Graffiti- und Streetart-Kenner zu potenziellen Käufern herangewachsen sind. Und dass viele Exponenten jetzt in einem Alter sind, in dem sie von der Kunst leben wollen, beziehungsweise müssen, oder eine Galerie gründen. Die Region Basel mit ihrer langjährigen Graffiti-Tradition ist dafür nicht das schlechteste Pflaster. Das zeigen auch die vier Graffiti- und Streetart-Ausstellungen, die rund um die Art Basel zum Besuch einladen: «Public Provocations» in der Carhartt Gallery Weil am Rhein (D), «Suspect» in der Galerie Schöneck Riehen, «L’art de vandalisme» in der YourGallery auf dem Dreispitz und die NeoVandalism Gallery im Gundeli. Hier gibts dieser Tage die Künstler zu sehen, deren Werke vielleicht morgen – oder übermorgen – an der Art Basel für teures Geld den Besitzer wechseln. Diesen Beitrag weiterlesen »

Wer hat Platz für dieses Nashorn?

Joel Gernet am Donnerstag den 10. Mai 2012

«Zeug, das keiner will, ist eigentlich Abfall – wir machen daraus Kunstwerke», sagt Nashorn-Vater Joël Lobsiger. Das kunstvoll verschweisste rostige Rhinozeros muss seinen Platz Ende Mai räumen.

Imposant sieht es aus, das Nashorn am Rand des nt-Areals. Zusammengeschweisst aus zweieinhalb Tonnen Altmetall thront es in zweieinhalb Metern Höhe zwischen der versprayten Skateboard-Bowl und dem «Funambolo». Die kunterbunte Bar ist eine der letzten Ausgeh-Bastionen auf dem verglühenden Party-Mekka Erlenmatt. Ende Mai muss auch das «Funamolo» verschwinden – und mit ihm das rostige Rhinozeros, welches wie ein Wahrzeichen auf dem Dach des Nachtlokals steht.

«Jetzt suchen wir für das Nashorn ein neues Zuhause – und zwar äusserst dringend», sagt Joël Lobsiger, der das wuchtige Tier im Sommer 2010 erschaffen hat. Vier Wochen Altmetall zusammenpuzzeln und verschweissen, gemeinsam mit dem Künstlerkollegen Pascal Martinoli. Mit Filip Wolfensberger und Manager Manou Clément bilden die beiden das Basler Künstlerkollektiv Cicolupo, welches sich nun zum dritten Mal auf dem nt-Areal austobt: Vergangenen Sommer schweisste das Quartett bei der damals frisch eröffneten Zwischennutzungs-Freiluftbar Sommerresidenz einen imposanten Eisen-Basilisk zusammen.

Seit zwei Monaten bereiteten sich die Cicolupo-Jungs für ihre erste grosse gemeinsame Ausstellung in Basel vor, an welcher bei der Sommerresidenz von Freitag bis Sonntag Bilder, Skulpturen sowie ein Puppentheater gezeigt werden – man ist vielseitig. Diesen Beitrag weiterlesen »

Pingpong im Hinterhof, Drinks auf dem Dach

Joel Gernet am Freitag den 4. Mai 2012

Bar mit Aussicht: Die «Hinterhof»-Dachterrasse kurz vor der Eröffnung.

Am Horizont geht die Sonne unter. Gleich hinter der Abrissruine auf dem SBB-Rangiergelände. Daneben prägen der Lonza-Turm und das Coop-Hochhaus die Silhouette. Bagger, Bauschutt und Bahngeleise dominieren im Vordergrund. Ja, auf dem umfunktionierten Dach der Hinterhof-Bar auf dem Dreispitz kommen urbane Stadtromantiker auf ihre Kosten. Ebenso Freunde gepflegter Drinks und argentinischer Rindssteaks. Wer den Blick ins Grüne der Betonmelancholie vorzieht, lässt seinen Blick in die entgegengesetzt in Richtung Wolfgottesacker schweifen.

Die neue DJ-Kanzel.

Heute öffnet dieses aus Holz erschaffene Mini-Paradies, diese Perle unter den Basler Freiluftbars, ihre Pforten. Und natürlich wurden zur zweiten Ausgabe der Hinterhof-Dachterrasse einige Sachen verändert und verbessert. Für die DJs wurde gleich neben der überdachten, kleinen Bühne eine eigene Kanzel gezimmert – leider dürfen sie die Terrasse auch diesen Sommer nur in gefühlter Zimmerlautstärke beschallen. Derzeit bemüht sich das Hinterhof-Team allerdings um Ausnahmebewilligungen, damit dreimal etwas mehr Dampf durch die Boxen gepfeffert werden kann. Ebenfalls neu ist der Essbereich neben dem argentinischen Grillstand – hier wurde vergangenen Sommer noch Minigolf auf kunstvoll gestalteten Courts gespielt. Diesen Beitrag weiterlesen »

Eine Kunstinsel mitten im Konsumtempel

Joel Gernet am Donnerstag den 29. März 2012


Eigentlich macht mich die am Wochenende frisch eröffnete Markthalle ja wütend. Darüber, dass die so geschichtsträchtige wie geniale Kuppelhalle zu so etwas «originellem» wie einem Einkaufzentrum transformiert wurde. Schon wieder. Bravo! Seit ich aber weiss, dass im neuen Konsumtempel zwischen Bahnhof und Innenstadt vorerst auch Zwischennutzungen ihren Platz finden, ist der Zorn immerhin ein bisschen verflogen. «High Voltage – the lab» heisst das Projekt, welches unter der 27 Meter hohen Kuppel sein temporäres Domizil hat. Hier zeigen sieben Künstlerinnen und Künstler aus Basel, Zürich und Helsinki ihre Werke – und sie arbeiten daran. Das Kunstlabor ist eine Mischung aus Ausstellungsraum und Atelier, untergebracht in einer noch nicht vermieteten Ladenfläche am hinteren Ende der Markthalle. Direkt neben einem Schuhgeschäft und der Credit-Suisse-Filiale, welche vorerst nur von Handwerkern betreten wird. Die Bankfiliale befindet sich noch im Bau, wie so Einiges in diesem neuen Konsumtempel zwischen Bahnhof und Heuwaaage.

Insofern passt das «High Voltage»-Labor hierher. Auf dieser 227 Quadratmeter grossen Kunst-Baustelle gehört der Entstehungsprozess zum Konzept. Das mussten die beiden Initianten am Eröffnungswochenende so manchem der rund 1500 Labor-Besucher erklären. «Viele fragten uns, ob wir zur Vernissage nicht fertig geworden sind mit den Werken», sagt Tarek Abu Hageb. Der Basler Künstler ist verantwortlich für die Projektleitung, zusammen mit Nora Donner. «Wir hätten gar nicht fertig sein dürfen – die Eröffnung war auch unser Start», schildert die Grafikerin. Für sie ist die kulturelle Zwischennutzung in der Markthalle ein Segen: «Wir sind wie eine Insel – so etwas erwartet man nicht hier.»

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Vernissage Ausstellung Humanoid Mechanik by bluminatrice

chris faber am Freitag den 2. März 2012

Eine neue Künstlerin zeigt ab Morgen Abend den ganzen März Ihre ersten Werke in der Carambolage Bar. Humanoid Mechanik beschreibt Ihr Thema, die Verbindung von Puppenteilen, mechanischen und losen Teilen.

Zuerst werden Dinge von Ihr mit der Präzision einer Chirurgin zersetzt, um sie danach wie eine Züchtung wieder neu zusammenzusetzen. Augen spielen eine grosse Rolle, sie blicken uns an, werden zum Spiegel. Jedes Kunstwerk wird zum kleinen Rummelplatz, wo alles neu entdeckt werden kann und Stofftiere vom Ruhm träumen.

Mehr Infos: Carambolage, Erlenstr. 34, 4058 Basel. Vernissage Samstag, 03.03.2012 Ab: 20.03 h


Riesengrosse Mauerblümchen

Joel Gernet am Freitag den 2. Dezember 2011


Und er will es nicht begreifen! Geduldig erklärt Stefan Winterle, Kurator der Streetart-Ausstellung «Wallflowers», einem älteren Männlein, warum er die Gesichter der wenige Meter entfernt arbeitenden Künstler in der Carhartt Gallery Weil am Rhein (D) nicht fotografieren darf. Graffiti! Nachtarbeit! Doch der altgediente Lokaljournalist will partout nicht begreifen, dass sich viele dieser fleissig malenden Männer mit ihren Arbeiten lange Zeit in der Illegalität bewegten. Einige von ihnen ziehen noch immer Nachts um die Häuser, sind alles andere als Unschuldslämmer. Auch, dass die Werke erst kurz vor der Vernissage vor Ort entstehen, verblüfft den Oldie gewaltig. Diesen Beitrag weiterlesen »

«Dass ich jetzt mein Gesicht zeige, ist eine riesige Befreiung»

Joel Gernet am Mittwoch den 16. November 2011

Der Basler Sprayer Smash137 gehört zu den bekanntesten Graffiti-Künstlern der Welt. In der Kunstwelt hingegen ist der bald 32-Jährige noch ein «absolutes Greenhorn», wie er sagt. Das soll sich nun ändern. Zum Beispiel dank seiner Einzelausstellung «Grow Up!», die noch bis am Samstag in der Pariser Galerie Celal gezeigt wird (ab in den TGV…es ist noch nicht zu spät). Vor dem Paris-Abenteuer meinte Smash137, dass seine zehnte Solo-Show wegweisend ist für den weiteren Verlauf seiner Karriere. Im grossen Schlaglicht-Interview zieht der Basler Künstler ein Zwischenfazit. Und er redet über Risiken, Zweifel, seine Beziehung zu Buchstaben – und über sein Gesicht.

Smash137, warum der Ausstellungs-Titel «Grow Up!»? Bist Du nun erwachsen, oder soll das eine Aufforderung sein, endlich erwachsen zu werden?
Das hat verschiedene Bedeutungen. Zum Einen bekam ich diesen Satz schon mein ganzes Leben zu hören. Eigentlich hiess es ja schon im Kindergarten: «Nächstes Jahr bist du bei den Grossen, dann geht das nicht mehr». Und trotzdem ging es immer (lacht). Vielleicht feier ich auch, dass ich meinen Weg bis jetzt immer gehen konnte, dass es eben doch funktioniert. Andererseits geht es natürlich auch darum, dass in Punkto Urban Art etwas passieren muss. Deshalb zeige ich jetzt auch mein Gesicht – ich will Teil dieser Gesellschaft sein und nicht immer am Rand stehen. Jemand, der sich versteckt, ist für die Leute halt einfach ein Krimineller und das ist nicht in meinem Sinn. Diesen Beitrag weiterlesen »