Archiv für die Kategorie ‘Kunst’

«Regionale» Räume #4: Kunsthalle Palazzo

karen gerig am Freitag den 24. Dezember 2010
Ruth Buck, Kunsthalle Palazzo, Regionale 2010

«Blind Date» von Ruth Buck. (Foto Dirk Wetzel)

Das Studium der Kunstgeschichte weist einen grossen Mangel auf. Meist merken die Studierenden das erst rückblickend. Dann nämlich, wenn im Berufsleben plötzlich die Praxis gefragt ist und man merkt, dass man sich jahrlang hinter Bildern und Büchern vergraben hat. Es kann durchaus sein, dass ein Student während seines Studiums nicht ein einziges Wort mit einem Kunstschaffenden gewechselt hat. Andrea Domesle, Kuratorin in der Kunsthalle Palazzo in Liestal, kennt dieses Problem aus eigener Erfahrung. Deshalb fasste sie den Plan, am Kunsthistorischen Seminar in Basel ein Praxisseminar anzubieten.

Andrea Domesle (heller Pulli, vorne rechts) mit ihren Co-Kuratorinnen und einigen Künstlerinnen. Foto Dirk Wetzel

Zehn Studentinnen fanden sich, die zusammen mit Andrea Domesle die Ausstellung zur «Regionale» kuratieren wollten. «Dass es nur Studentinnen waren, war nicht geplant», sagt Domesle. Doch weil im Masterstudiengang nur wenige Männer überhaupt Kunstgeschichte studieren, kam es so. So plante die reine Frauengruppe «Eine schöne Ausstellung» – so der Titel. «Schön – das Wort ist ja eigentlich verpönt», sagt Domesle. «Doch uns ging es genau darum, um das Positive im Leben.»

Die Kunsthalle Palazzo liegt direkt am Liestaler Bahnhof. Immer wieder steht draussen vor der Tür der Bahnverkehr still, weil ein Mensch auf den Schienen sein Leben beendet hat oder es beenden wollte. Der Bahnhof Liestal führt schweizweit diese ungeliebte Statistik an. «Liestal verdankt das wohl der Psychiatrischen Klinik, die nur unweit von hier liegt», mutmasst Domesle. Die hohe Selbstmordrate, die Verzweiflung, die den Menschen zu solchen Taten treibt, wählte die Kuratorin als Ausgangspunkt für die Ausstellung. Sie beginnt draussen, vor den eigentlichen Ausstellungsräumen, im Putzschrank neben dem WC, wo Claire Guerrier eine Sequenz ihrer Videoarbeit «Alice» zeigt – jenen siebten Teil, der sich den Selbstmordphantasien der Protagonistin widmet.

In der Kunsthalle drin dann führt der Weg durch die Räume stetig hin zu mehr Lebensfreude. Am Schluss steht wieder eine Videoarbeit, diesmal von Muda Mathis und Sus Zwick. «Das ideale Atelier – woher unsere Bilder kommen» ist nicht nur ein Film über das Kunstmachen und das Kunstleben, sondern auch Ausdruck der Freude daran. Ein heiterer Schlusspunkt. «Meine Lieblingsarbeit hier», sagt Domesle. Zwischen Mathis/Zwick und Guerrier beschäftigen sich unter anderem Esther Hiepler, Ruth Buck oder Ariane Andereggen mit den Themen Kunst, Mensch – und Frau-Sein. Alles Frauen, auch hier. «Eine Ausstellung zu machen, das hat auch mit Selbstpositionierung zu tun», erklärt Domesle. «Wir als Frauengruppe spiegeln so fast automatisch unsere eigene Realität – als Frau.» So war auch klar, dass nur Künstlerinnen für die Ausstellung aus den Dossiers ausgesucht oder direkt angesprochen wurden. Solche aus einer jüngeren Generation wie Celia und Nathalie Sidler, oder solche aus einer älteren Generation wie Regula Hügli. Und viele dazwischen. Sie alle haben ihre Arbeiten für die Ausstellung geliefert. Schön sollte sie werden. Schön ist sie geworden.

Szymczyk vs. Schaschl

karen gerig am Montag den 20. Dezember 2010

Vergangene Woche erfuhr die Basler Kunstwelt davon, dass Kunsthalle-Direktor Adam Szymczyk für seine progressive Ausstellungstätigkeit mit dem amerikanischen Walter Hopps Award ausgezeichnet wird. Vor wenigen Wochen erst hatte Sabine Schaschl, Direktorin des Kunsthauses Baselland, den französischen Orden «Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres» erhalten.

Zwei Preise, zwei Direktoren, zwei Kunsthäuser, zweimal die Region Basel. Doch wer sowohl Kunsthalle wie Kunsthaus mehr oder weniger reglemässig besucht, der weiss, dass Adam Szymczyk und Sabine Schaschl nicht für identische Ausstellungstätigkeiten ausgezeichnet wurden. Zwar wird der Walter Hopps Award «für bedeutende Leistungen im Bereich der zeitgenössischen Kunst» und der «Orden der Künste und Literatur» an Personen verliehen, die sich «um die Ausstrahlung der Künste in Frankreich und in der Welt» verdient gemacht haben (und dies tut Sabine Schaschl bekanntlich auch im Bereich der zeitgenössischen Kunst), wodurch ein Unterschied zwischen den Preisen nicht augenfällig wird.

Vergleicht man allerdings die beiden Ausstellungsmacher in ihrer Tätigkeit, so findet sich nur eine äusserliche Gemeinsamkeit: Beide lieben die Reduktion. Die Räume des Kunsthauses Baselland sind niemals überladen, und die Kunsthalle Basel lässt den Werken ebenfalls genügend Spielraum. Am krassesten war dies im Frühling 2005 der Fall, als Adam Szymczyk die Künstlergruppe Superflex dazu einlud, die Räume ganz leer zu belassen. Statt Kunst gab es Zahlen über Kunst, jeder Eintritt wurde mit zwei Franken belohnt. Doch obwohl kein einziges Werk gezeigt wurde, vermochte die «Supershow» die Räume mit einheitlichem Geist zu füllen – und sorgte über die Region hinaus für Gesprächsstoff. Davor und auch danach jedoch wurde immer mal wieder der Vorwurf an Adam Szymczyk laut, die Räume der Kunsthalle würden mit zuwenig Kunst bespielt. Ausserdem werde der regionale Auftrag vernachlässigt, ist immer wieder zu hören – gerade aus der regionalen Kunstszene. Da half auch der grossartige Abstecher in Christoph Büchels «Hole» nicht, zumal diese Ausstellung auch bereits wieder fünf Jahre zurückliegt und die letzte ihrer Art war – von der jährlichen «Regionale» abgesehen.

Was Adam Szymczyk aber an aufstrebenden internationalen Positionen von Cyprien Gaillard über Piotr Uklanski bis Pedro Barateiro in die Kunsthalle holt, hat nun international für Anerkennung gesorgt. Die Reduktion, die Szymczyk in den Räumen pflegt, wirkt auch auf dessen Auswahl der Künstler und Künstlerinnen. Oft konzeptlastig und auf den ersten Blick wenig zugänglich, stellen die Ausstellungen hohe Ansprüche an die Besucher – der Aufwand lohnt aber in der Regel.

Sabine Schaschl pflegt den Minimalismus ebenso und lässt den Werken genügend Entfaltungsraum. Ihre Ausstellungen sind aber meist sinnlicher wahrnehmbar, haben manchmal gar einen romantischen Touch, und das Textbuch darf ruhigen Gewissens auch mal beiseite gelassen werden. Dem Ausstellungsgenuss tut dies keinen Abbruch. Auch hat im Kabinett des Kunsthauses an der Birs die regionale Kunst ihren fixen Platz, wenn die dortigen Ausstellungen auch qualitativ oft nicht mit den Hauptausstellungen mithalten können.

Szymczyk und Schaschl mögen zwar unterschiedliche Interessen haben und ihre Ausstellungen dementsprechend unterschiedlich ausrichten, doch gerade die daraus resultierende Vielfalt macht den Besuch beider Häuser und auch einen regionalen Vergleich immer spannend und inspirierend. Deshalb eine nachträgliche Gratulation von uns an beide!

«Regionale» Räume #3: Plug.In, Byebye

karen gerig am Donnerstag den 9. Dezember 2010

Drei sehr gute Gründe gibt es, einen Abstecher ins Plug.In zu machen. Erstens ist die «Regionale»-Ausstellung die allerletzte überhaupt in diesen Räumen, zweitens ist die Schau gut kuratiert, und drittens schliesslich kann man sich hier endlich selbst kreativ austoben – Nikolas Neecke sei Dank.

Beginnen wir bei Punkt 1. Bis Anfang Januar noch dauert die «Regionale», und mit ihrem Ende wird das Plug.In bekanntlich für immer seine Türe schliessen. Auch den Namen wirds dann nicht mehr geben, denn das Plug.In geht vollends im Haus für elektronische Künste auf dem Dreispitzareal auf. Zur Museumsnacht hin wird man dort erstmals einen Augenschein nehmen können, im Mai dann geht es richtig los. Wir sind naturgemäss gespannt, und nun ein bisschen nostalgisch. Doch in der hintersten Ecke des Plug.In sehen wir, dass der Abschied auch neugewonnene Freiheit bedeutet: Hier haben Florine Leoni und Sylvain Baumann flott dicke Löcher in die Wände gehauen und schwarze Balken hineingesteckt, die quer durch den ganzen Raum ragen. So wird der Raum, der bald nicht mehr ist, thematisiert, und rückt noch einmal ins Zentrum.

Leoni und Baumanns Arbeit ist damit aber nicht vollständig, dazu gehört noch ein Video, das einen anderen Raum und die Wahrnehmung dessen thematisiert. Diese Vermischung der Medien führt uns direkt zu Punkt 2, denn die Wechselwirkungen von Medien und auch das Übersetzen von einem Medium in ein anderes ist das zentrale Thema der von Martina Venanzoni und Charlotte Matter kuratierten Ausstellung. Jannick Giger präsentiert eine Performance in Form einer Audioinstallation, Clare Kenny führt zweidimensionale Fotografien zurück in eine dreidimensionale Form, Manon Bellet bringt die Medien Malerei und Diaprojektion in Einklang, Fabian Chiquet und Domenico Billari testen eine Lichtmaschine in einer virtuellen Bühnensituation und bringen so Kunst und Musik zusammen.

Einengen vom eigentlich strengen Konzept des Plug.In haben sich die Kuratorinnen nicht. «Es war zwar nicht nur einfach, die geeigneten Werke zu finden», sagt Martina Venanzoni. «Also haben wir uns etwas aus dem strengen Rahmen gelöst.» So steht in einer Plug.In-Ausstellung für einmal kein Computer… Halt, doch, einen selbstgebastelten Synthesizer könnten wir dazu zählen. Und damit sind wir auch schon bei Punkt 3 und damit bei Niki Neecke und beim Spieltrieb. «Paint & Play» heisst seine Arbeit, und «sie hat sich als wahrer Hit herausgepuppt», sagt Venanzoni. Kein Wunder, schliesslich kann man hier malen und damit Musik machen. Das macht sogar Kindern Spass. Wies funktioniert? Man nehme eine transparente CD, bemale sie mit unterschiedlichen Farben und schiebe sie in Neeckes charmanten Synthesizer. Dort wird die Wellenform eines Klanges als Bildinformation gelesen. Sensoren wandeln die Bilder in Klang um. Das klingt meist ziemlich schräg, ist aber auch ausserordentlich lustig. Damit fällt der Abschied vom Plug.In nur noch halb so schwer. Wir sagen trotzdem: Byebye, wir haben uns immer sehr wohl gefühlt.

«Regionale» Räume #2: Kunsthaus Baselland

karen gerig am Donnerstag den 2. Dezember 2010

«Radikal subjektiv» soll sie sein, die Regionale-Ausstellung im Kunsthaus Baselland. Direktorin Sabine Schaschl hat sich dafür fremde Hilfe ins Haus geholt: Die Schau wurde kuratiert vom Basler Künstler Eric Hattan. «Mich interessiert, wie man mit Kunst umgeht», erklärt dieser. Und die Menschen hinter der Kunst, mehr noch als die fertigen Arbeiten, sagt er. Unter diesen Vorgaben hat Hattan, der in den Achtziger Jahren die Filiale mitgründete, eine Liste erstellt mit Kunstschaffenden, die er für eine Teilnahme an der diesjährigen Regionale anfragen wollte. Darunter waren einige alte Bekannte, aber auch neue Gesichter, für die Hattan auch die eingesandten Dossiers konsultierte. «Ich nahm dieses Engagement zum Anlass, Positionen kennenzulernen, die ich sonst vielleicht nicht entdeckt hätte», sagt er. Spannend sei es gewesen, vor allem auch die Reisen nach Karlsruhe, dem äussersten Rand der «Regionale»-Landkarte. Von dort hat er beispielsweise Karsten Födinger mitgebracht, der mit einfachen Baumaterialien wie Zement direkt in den bestehenden Raum eingreift und dadurch die Wahrnehmung auf Orte lenkt, die sonst kaum gesehen werden – metallene Trägerbalken etwa oder Deckenstützen.

Dank solch unauffälligen Werken werden dem Kunsthaus Baselland auch die 32 Positionen nicht zuviel. Auch die unaufdringlich verlängerten Geländer von Antoanetta Marinov belasten das Auge nicht. Manche Künstler erhielten im Zuge der Platzierung mehr Platz, andere weniger. «Das ergab sich manchmal einfach der Werkgrösse wegen», sagt Hattan. «Die grosse Leinwand von Renée Levi, die Graphitarbeit von Maja Rieder oder Jürg Stäubles Wandarbeit brauchen schlicht mehr Platz als beispielsweise Guido Nussbaums Weltkugel.»

Er habe kein inhaltliches Konzept verfolgt, sagt Hattan. «Ich wollte die Ausstellung ganz im Sinne einer Jahresausstellung konzipieren und das zeigen, was in einem Jahr entstanden ist; und in Erinnerung rufen, dass auch Künstler 365 Tage im Jahr arbeiten.» Trotzdem erscheint die Schau als sehr stimmig, so als hätte es stilistische Auswahlkriterien gegeben. Als Erklärung hat Eric Hattan nur eine Vermutung parat: «Die Ausstellung ist halt, was der Titel sagt: Radikal subjektiv.» Sein eigener Geschmack sollte durchscheinen und tut es auch. «Das Machen dieser Ausstellung hatte sehr viel mit Sammeln zu tun», sagt Hattan. «Und damit, dieses Gesammelte dann präzise in den Raum zu stellen.» Es sei besser herausgekommen, als er erwartet hätte, schliesst er. Das lässt sich schlecht beurteilen. Jedenfalls ist das Resultat gut, radikal subjektiv betrachtet.

«Regionale» Räume #1: Ausstellungsraum Klingental

karen gerig am Montag den 29. November 2010

Kunst aus Basel und der Region zu zeigen – dieser Grundgedanke der «Regionale» wird im Ausstellungsraum Klingental, kurz ARK genannt, im Jahr 2011 durchbrochen. Die Basler Kuratorengruppe The Forever Ending Story, bestehend aus Pedro Wirz, Claudio Vogt, Raphael Linsi und Tilman Schlevogt, zog den Blick von aussen der reinen Nabelschau vor. In einer Art Labor kommen deshalb auswärtige Positionen zum Zug, in denen die Region Basel eine Rolle spielt. Bei allen Werken handelt es sich um Auftragsarbeiten. Das gelang «mal besser, mal weniger gut», wie Raphael Linsi gesteht. «Wieviel Basel in der Ausstellung steckt, überlassen wir dem Betrachter.»

Der Berner San Keller, bekanntester Künstler vor Ort, hat eine Gewichthebebank in den Raum gestellt. Statt Gewichten hängen daran Kunstkataloge. «Die Kataloge mussten wir aussuchen», so Linsi. Damit hat es sich dann aber auch schon mit dem Bezug zu Basel. Rainer Ganahl hingegen hat sich unters Basler Volk gewagt: Mit der Videokamera bewaffnet befragte der in New York lebende Österreicher Leute auf den Strassen zur Stadt. Auf einer Wandtafel daneben dürfen die Ausstellungsbesucher die wichtigsten Baseldeutschen Wörter verewigen, «Bebbisagg» steht da schon am ersten Tag, oder «Gugge». Der Stock von Nora Rekade, der lässig an der Wand lehnt, wurde immerhin in Basel hergestellt.

Rebecca Stephany wohnt in Amsterdam, stellt dort gerade aus, und hat via Internet Basler dazu aufgefordert, ihre Kunst zu interpretieren. So bastelten Familien Kunstwerke nach, und andere Künstler schufen aus alten neue Werke. Ein Raumteil wird von Aaron Ritschards «Salon» eingenommen – eine Ansammlung von Möbelstücken, die der Hamburger Kunststudent sich von Baslern ausgeliehen hat. Pedro Wirz hat dazu ein Readymade aus Topfpflanzen gesellt: Sie gehören unter anderem dem Künstler Tobias Madison oder Kunsthallendirektor Adam Szymczyk.

Die Kuratoren seien zufrieden mit der Ausstellung, sagt Linsi. Was ich denn davon denke? Sie dürfen zufrieden sein, finde ich. Der Ausbruch aus dem «Regionale»-Konzept tut gut. Für einmal hört man nicht die altbekannten Namen, sondern kann Neues entdecken. Gut so. Oder etwa nicht?

In ein paar Tagen wird die Serie zu den einzelnen Räumen der «Regionale» mit einem Blick ins Kunsthaus Baselland weitergeführt.

Basler Graffiti-Wahrzeichen als Weltkulturerbe?

Joel Gernet am Freitag den 26. November 2010

Quelle: foto-werkstatt.ch

Mehr urbane Schweizer Traditionen, darunter Graffiti als Teil der Hip-Hop-Kultur, wünscht sich David Vitali vom Bundesamt für Kultur auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes, wie er diese Woche gegenüber 20minuten Online sagte. Auf den ersten Blick eine gute Idee, gehört doch Graffiti tatsächlich zu den prägenden Elementen im Stadtbild. Die Basler Bahnhofseinfahrt etwa mit ihrer kilometerlangen Graffiti-Galerie ist weit über die Landesgrenze hinaus bekannt. Und nicht wenige sehen in ihr sogar eine Art inoffizielles Wahrzeichen.

Man stelle sich vor: Diese bunte Bahnhofsgalerie gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO – zusammen mit den Pyramiden von Gizeh, dem Yellowstone-Nationalpark, dem Taj Mahal und 908 anderen Objekten in 151 Ländern. Das wärs doch, oder? Basel Tourismus könnte die Kunststadt am Rheinknie noch besser vermarkten und die ansässige Graffiti-Szene (nicht zu verwechseln mit den zahlreichen Schmierfinken) bekommt endlich einmal die Anerkennung, die ihr zusteht.

Doch so schmeichelhaft die Idee auch ist – der Vorschlag ist Bullshit. Erstens: Graffiti ist ein weltweites Phänomen, entstanden Anfang der 70er Jahre in New York. Warum also sollen nun ausgerechnet die Graffiti aus der sauberen Schweiz zum Teil des Weltkulturerbes werden? Das wäre ein Schlag ins Gesicht der Pioniere. Wenn schon, müsste die Subway in New York – von wo aus die farbigen Buchstaben die Welt erobert haben – «geschützt» werden. Oder die unzähligen Graffiti-Mauern der Bronx. Das geht nicht, weil die meisten Bilder dieser Zeit schon weggeputzt wurden? Aha! Da sind wir bei Punkt zwei: Graffiti ist eine flüchtige Kunst. Sie kommt und geht. Altes wird von Neuem übermalt. Das war schon immer Teil dieser Kultur.

Als ich nach dem Tod des weltbekannten Basler Sprayers Dare der Frage nachging, ob seine Bilder im öffentlichen Raum nun eines speziellen Schutzes bedürfen, wurde mir gesagt, dass Dare zeitlebens gegen eine solche Archivierung von Graffiti war. Und ich bin es auch. Das hat nichts mit Geringschätzung dieser Kultur zu tun. Eher mit Respekt und dem Bewusstsein der steten Erneuerung. Graffiti ist eine lebendige Kultur, die auf den Strassen dieser Welt statt findet. Legal und illegal. Im Moment, indem sie unter Schutz gestellt oder ins Museum gesteckt wird, läuft sie Gefahr, dass sie stirbt. Dann müsste man sie tatsächlich ausgraben und archivieren.

Ein weiterer, verdienter Preis für Claudia und Julia Müller

karen gerig am Donnerstag den 25. November 2010

Man könnte fast meinen, inzwischen sind sie es gewohnt, Preise entgegen zu nehmen: Claudia und Julia Müller durften am Donnerstagabend im Kunsthaus Baselland erneut eine Laudatio hören sowie Blumensträusse und einen Scheck in der Höhe von 10’000 Franken entgegennehmen. Die Laudatio kam von Sabine Schaschl, der Direktorin des Kunsthauses Baselland, die betonte, wie unwichtig es sei, dass Claudia und Julia Schwestern seien. Wichtig sei allein das ideale Zusammenspiel der beiden künstlerischen Tätigkeiten.

Im Kunsthaus Baselland, im Rahmen der Regionale, zeigt das Künstlerteam – nennen wir die Schwestern also ebenfalls so – einen Teil ihrer Arbeit “Habitus versus Habitat” (Bild): Eine gezeichnete Figur, von hinten, sich selbst umarmend, gescannt, geplottet und auf die Wand gebracht. Direkt auf den Putz gemalte farbige Linien, und an die Wand gelehnte weisse plastische Ringe. Die Werke von Claudia und Julia Müller sind immer Collagen aus unterschiedlichen Materialien, so auch hier. Ebenfalls werden wie so oft figurative Elemente mit abstrakten zusammengebracht. Und im Zentrum steht der Mensch.

Der Basellandschaftlichen Kantonalbank ist dieses gelungene Werk 10’000 Franken wert. Doch eigentlich wird damit ja nicht nur dieses eine, sondern das Gesamtwerk der beiden Künstlerinnen ausgezeichnet, die sich auch international einen Namen gemacht haben.