Zu seiner Meinung zu stehen, auch wenn sie unpopulär ist, ist löblich. Charakterfest und selbstbewusst nennt man solche Leute. Dennoch gibt es Fälle, in denen man von der halben westlichen Welt angefeindet wird. Zum Beispiel, wenn man die Taten eines geständigen Nazi-Offiziers, der Millionen von Juden per Zug in die Gaskammern geschickt hat, differenziert beurteilt. Wenn man dies zudem als deutsche Jüdin tut, die selbst nur mit Glück dem Gas-Tod entkam, und das auch noch im berühmten Magazin «The New Yorker», dann bekommt man den heiligen Zorn der Juden in aller Welt zu spüren. So erging es Hannah Arendt (Barbara Sukowa) zu Beginn der 60er-Jahre.
Die Philosophin flüchtete 1941 aus dem berüchtigten Lager Gurs in Frankreich und emigrierte in die USA. 20 Jahre später reiste sie im Auftrag des «New Yorker» nach Jerusalem, um über den Aufsehen erregenden Eichmann-Prozess zu berichten. Der israelische Geheimdienst hatte den ehemaligen Sturmbannführer Adolf Eichmann in Buenos Aires gefasst und ihn nach Israel verfrachtet, wo ihm der Prozess für die Ermordung Millionen von Juden gemacht wurde. An dieser Gerichtsverhandlung hat der Film «Hannah Arendt» seine intensivsten Passagen. Regisseurin Margarethe von Trotta inszeniert den Prozess um die originalen Schwarzweiss-Aufnahmen. So wird «Nazi-Monster» Eichmann, der zum Tode durch den Strang verurteilt wurde, für kurze Zeit lebendig. Und so kann man nachvollziehen, was Hannah Arendt zu ihrer Theorie «Die Banalität des Bösen» angeregt hat.
Denn Eichmann wirkt wie der Inbegriff des langweiligen Bürokraten. Er organisierte die Juden-Transporte, wollte aber nicht wahrhaben, dass er dadurch mitverantwortlich für den Tod dieser Menschen war. Er habe nur Befehle ausgeführt. Arendt sagte über Eichmann: «Er war kein Antisemit. Er war nur unfähig zu denken.» Die Welt aber war in den 60-ern noch nicht bereit für solch differenzierten Umgang mit den Nazi-Gräueln. Zu frisch war die Erinnerung an das Hitler-Regime. Zu viele Leute waren direkt oder indirekt betroffen. Arendt weigerte sich, ihre Formulierungen abzuschwächen. Und zahlte dafür den Preis der Ächtung durch die breite Öffentlichkeit und viele ihrer engen Freunde. Bedingungslose Rückendeckung erhielt sie nur von ihrem Mann Heinrich Blücher (Axel Milberg), ihrer Freundin Mary McCarthy (Janet McAteer) und ihrer persönlichen Assistentin Lotte Köhler (Julia Jentsch).
«Hannah Arendt» ist das eindringliche Porträt einer mutigen Vordenkerin, die ihre Meinung bedingungslos verteidigte und dafür einen hohen Preis bezahlte. Ihre Ansichten regen dazu an, das Modell des Nazi-Regimes nicht nur traditionell Schwarz-Weiss zu sehen, sondern auch Graustufen einzubauen. Hannah Arendt, brillant dargestellt von Barbara Sukowa, unterschätzte die Auswirkungen ihrer Analyse. Doch vermutlich hätte sie auch nichts anders gemacht, wenn sie diese vorausgesehen hätte. Echte Denker verleugnen sich nicht.
«Hannah Arendt» läuft ab 17. Januar im kult.kino camera.
Weitere Filmstarts in Basel am 17. Januar: Broken, Django Unchained, Renoir.