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Die Krimistimme des Baselbiets

Fabian Kern am Freitag den 22. August 2014
Buchcover

Max Bollags zweiter Fall: Höllenfeuer.

Glutheisse Sommermonate im Baselbiet mit konstanten Temperaturen weit über 30 Grad – das muss in diesem Jahr definitiv einer blühenden Fantasie entspringen. Richtig: der Fantasie Rolf von Siebenthals. Der frühere Journalist hat ein Jahr nach seinem Krimidebüt «Schachzug» den zweiten Fall um Max Bollag und Heinz Neuenschwander vorgelegt. Wieder ist der Kanton Baselland Schauplatz brutaler Verbrechen, wieder lässt einem die Geschichte keine Ruhe, bis die letzte Seite umgeblättert ist.

In «Höllenfeuer» wird ein renommierter Arzt in seiner Villa in Liestal Opfer eines Brandes. Kripo-Chef Neuenschwander ist schnell klar, dass es sich dabei um Brandstiftung und somit Mord handelt. Doch sowohl Indizien als auch Verdächtige sind sehr rar, geschweige denn ein Motiv in Sicht. Gleichzeitig rollt Bollag einen alten Fall um einen verschwundenen Jungen in Birsfelden auf, und seine Lebenspartnerin, die Bundesrätin Petra Mangold wird von einer aggressiven radikalen Bewegung bedroht. Da kommt keine Langeweile auf rund ums «Stedtli» – im Gegenteil. Bis die Protagonisten erkennen, dass und wie die Fälle zusammenhängen, befinden sie sich bereits in höchster Gefahr.

Der Erstling: Schachzug (2013).

Von Siebenthals Erstling: Schachzug (2013).

«Mein Ziel war es, einen ganz anderen Fall zu beschreiben als noch im ersten Buch», sagt von Siebenthal. Das ist ihm gelungen. Der Krimi rund um gemeingefährliche sektenähnliche Vereinigungen ist hoch spannend und hat einen teilweise erschreckend realistischen Touch. Neben dem Fall interessiert natürlich, wie sich das Leben der Figuren weiterentwickelt. Ob Neuenschwander mit seiner Brigitte tatsächlich das späte Glück findet, ob die Beziehung des Investigativjournalists Bollag mit Bundesrätin Mangold tatsächlich Zukunft hat, und ob Rieder, der unsympathische Lokalchef des «Tagblatts» endlich die verdiente Quittung für seine Arroganz erhält. Nicht alle diese Fragen werden bereits in «Höllenfeuer» beantwortet.

Dem Autor ist der zweite Baselbieter Krimi viel leichter von der Hand gegangen als noch sein Erstling. «Ich brauchte nicht so viele Anläufe wie noch beim ersten. Die Figuren, die Sprache, alles war schon da», erklärt von Siebenthal. Der Roman liest sich denn auch viel flüssiger als noch «Schachzug». Nicht, dass der vor einem Jahr erschienene Krimi schlechter wäre – überhaupt nicht. Aber es sind zwei verschiedene Bücher, was die Sache spannender macht. Und das soll noch nicht das Ende der Liestaler Kriminalgeschichten sein. «Ich habe von Anfang an mit drei Büchern geplant», verrät von Siebenthal. Den Rhythmus behält er bei, im Sommer 2015 soll das nächste Buch erscheinen. Auch das wieder mit einem völlig anderen Fall als die zwei Vorgänger.

Rolf von Siebenthal (Jg. 1961) wohnt im Oberbaselbiet.

Rolf von Siebenthal (Jg. 1961) wohnt im Oberbaselbiet.

Dann will der selbstständige Texter aber wortwörtlich über die Bücher. «Aufwand und Ertrag halten sich überhaupt nicht die Waage. Mein Büro habe ich ziemlich vernachlässigt», erklärt der 53-Jährige. Wer immer dachte, mit Krimis liesse sich eine goldene Nase verdienen, hier die Zahlen: «Schachzug» ging bisher 4500 Mal über den Ladentisch. Von jedem Taschenbuch erhält der Autor etwa einen Franken. «Würde ich das wegen des Geldes machen, dann würde ich besser an einer Ladenkasse arbeiten», sagt von Siebenthal. Es wäre schade, würde der Autor seine Krimiserie mit Suchtpotenzial danach einstellen, macht er doch beste Werbung für die ganze Nordwestschweiz. «Mir haben schon Leser aus Deutschland geschrieben, sie kämen bald in die Region, um sich die Schauplätze anzusehen», meint der frühere Journalist. Baselland-Tourismus hat sich allerdings noch nicht bei ihm gemeldet. «Ich könnte ja die Krimistimme des Kantons Baselland werden», scherzt er. Für viele ist er das schon.

Rolf von Siebenthal: Höllenfeuer. Kriminalroman. Gmeiner Verlag. Messkirch, 2014. 352 Seiten, Fr. 18.90.

Rolf von Siebenthal: Schachzug. Kriminalroman. Gmeiner Verlag. Messkirch, 2013. 344 Seiten, Fr. 18.90.

Im Auge des Katastrophenfilms

Fabian Kern am Mittwoch den 20. August 2014

«Into the Storm» läuft ab 21.8. im Küchlin und im Rex.

«Into the Storm» läuft ab 21.8. im Küchlin und Rex.

Plötzlich erstummt das ohrenbetäubende Fauchen des Tornados, und es geht kein Lüftchen mehr. Was der Katastrophenfilm-Fan spätestens seit «Twister» (1996) weiss, als Bill Paxton und Helen Hunt plötzlich im Auge des Sturms staunend in den Himmel blicken, dass man nämlich im Zentrum eines Wirbelsturms ein Picknick veranstalten könnte, erlebt er in diesem Kino-Sommer noch viel deutlicher. Denn natürlich ist in «Into the Storm» – obwohl nicht in 3D-Optik gefilmt – alles noch grösser und spektakulärer als vor 18 Jahren, als die CGI (Computer-Generated Imagery) im Vergleich zu heute noch in den Kinderschuhen steckte. Die Computereffekte sind markant besser geworden, die Klischees aber immer noch gleich geblieben.

Wo ist der Sturm? Die Hauptdarsteller. (Bilder Warner)

Wo ist der Sturm? Die Hauptdarsteller. (Warner)

Da wäre zunächst das Personal: Gary (Richard Armitage; der Zwerg Thorin Oakenshield in «The Hobbit») ist Vater von zwei halbwüchsigen Söhnen. Weder der 17-jährige Donnie (Max Deacon) noch sein ein Jahr jüngerer Bruder Trey (Nathan Kress) haben ein enges Verhältnis zum strengen Dad – der als High-School-Rektor von Silverton, einem Kaffs im Mittleren Westen der USA, quasi auch noch ihr Boss ist. Am Morgen dieses unheilvollen Tages, an dem ein Sturm aufziehen soll, kommt es zum Streit, worauf Donnie seine Pflichten, die Abschlussfeier zu filmen, in den Wind schiesst und seinem Schwarm, der High-School-Schönheit Kaitlyn (Alycia Debnam-Carey), bei einem Filmprojekt hilft. In einer verlassenen Fabrik. Das ist eines der Dinge, die man in einem Katastrophenfilm unbedingt unterlassen sollte.

Da ist er doch! Der Tornado in Silverton.

Da ist er doch! Der Tornado in Silverton.

Tornado voraus: Die Sturmjäger in ihrem Element.

Den Tornado im Visier: Die Sturmjäger.

Und dann, pünktlich zu den Feierlichkeiten des High-School-Abschlusses kommt endlich der Sturm. Erst als – natürlich – unglaublich seltenes Phänomen, dass gleich vier, fünf Trichter gleichzeitig den Boden aufwühlen, dann als der grösste Tornado, den es jemals gab. Natürlich. Begleitet von den unvermeidlichen Sturmjägern. Einerseits eine Handvoll Dorftrottel, die in Jackass-Manier eine Youtube-Karriere machen möchten, andererseits eine professionelle Crew, die das Naturspektakel auf Video bannen und sich mit dem Dokumentarfilm eine goldene Nase verdienen wollen. Mit dabei im Team um den cholerischen Pete (Matt Walsh), der dem Twister in einem panzerähnlichen Spezialfahrzeug folgt, ist die – natürlich – attraktive Meteorologin Allison (Sarah Wayne Callies), passenderweise auch sie alleinerziehende Mutter. Zusammen mit Gary und Trey macht sie sich auf zur Rettung von Donnie und Kaitlyn.

Visuelles Highlight: Brennender Tornado.

Visuelles Highlight: Ein brennender Tornado.

Doch trotz aller sich anbahnender Nebengeschichten – der Hauptdarsteller gerät nie in Vergessenheit. Die Tornado-Trichter sind perfekt animiert, das Ausmass der Zerstörung beeindruckend dokumentiert und die subjektive Perspektive packend. Gerade die Bilder von den Trümmern, den in Fetzen gerissenen Habseligkeiten von Menschen in ganzen Quartieren berühren. Klar, «Into the Storm» ist in erster Linie ein grosse Show der Spezialeffekte. Ganze Lasterzüge und Linienflugzeuge werden in die Luft gehoben, als wären sie Spielzeuge eines gigantinschen gelangweilten Kleinkinds. Der Film von Steven Quale («Final Destination 5») spielt jedoch auch mit den zahlreichen Klischees. Er etabliert genüsslich eins ums andere, verzichtet aber weitgehend auf die in diesem Genre üblichen kitschigen Auflösungen. Dadurch erhält «Into the Storm» eine realistische Note, die man ihm nicht zugetraut hätte. Das ist doch nicht nur eine aufgewärmte Version von «Twister».

So sahen die Tornados vor 18 Jahren in «Twister» aus:

«Into the Storm» läuft ab 21. August 2014 in den Basler Kinos Pathé Küchlin und Rex.

Weitere Filmstarts in Basel am 21. August: The Expendables 3, The Hundred-Foot Journey, Maps to the Stars, Jimmy’s Hall, Fascinating India 3D, Mittsommernachtstango.

Der zweite Streich der Basler Überraschungsband

Gawin Steiner am Montag den 18. August 2014

Von Null auf Hundert. Oder in Hörerzahlen: von Null auf Hunderttausend. Das noch junge Basler Folk-Quintett Serafyn entschied sich erst zu Beginn dieses Jahres, ihre Musik zu professionalisieren. Dies, nachdem sie als Strassenmusiker durch europäische Städte zogen. Nun hat ihre Musik eingeschlagen wie eine Bombe, obwohl deren Klang eher zierliche Schönwetter-Wölkchen assoziert.

Erfolg aus dem Stehgreif: Die Band Serafyn.

Erfolg aus dem Stehgreif: Die Band Serafyn.

Hauptgrund für den Erfolg war der englische Singer-Songwriter Fink (vergangenes Wochenende auf der Bühne des Open Air Basel), der ihren Song Take To The Skies im Netz verlinkte. So erreichte die Band um Anna Erhard, Anja Waldkircher, Alexandra Werner und die Brüder JJ und Lucas Löw innert wenigen Wochen über 100’000 Klicks auf der Musikplattform Soundcloud. Mit ihrem bisher einzigen Song!


Der Song Take To The Skies wurde über 100’000 Mal abgespielt.

Nach diesem Überraschungs-Coup erschien nun am 18. die zweite Single Go Down North – zusammen mit einem Videoclip. Der Song besticht durch seine sanfte Ausgewogenheit zwischen Instrumental – Cello, Cajon, Bass, Gitarre und sanften Drums – und dem harmonischen Gesang der drei jungen Damen, der eine beruhigende, träumerische aber auch nachdenkliche Stimmung vermittelt.


Die neu erschienene zweite Single «Go Down North».

Das dazugehörige Video packt die Geschichte der Musiker an ihren Wurzeln. Es spielt sich auf den Strassen der Basler Innenstadt ab, immer wieder unter den neugierigen Blicken der Passanten, bis der Song schliesslich auf einer kleinen Bühne der Basler Aktienmühle vor kleinem Publikum ausklingt. Der Clip wiederspiegelt den Schritt von der Strasse zur Bühne, den die Band gemacht hat. Die kurze Sequenz in einem Weidling auf dem Rhein könnte zwar die Reise durch Europa beschreiben, kommt aber als einziger kleiner Tintenfleck im Reinheft ein wenig kitschig rüber. Doch bei diesem gelungenen Gesamtpaket wäre diese Kritik kleinkariert.

So vermag definitiv auch die zweite Serafyn-Single zu begeistern. Und der zweite Streich dürfte auch den Wunsch bei den neugefundenen Fans nach «mehr von Serafyn» vollends befriedigen. Der neue Song macht jedenfalls nochmals Lust auf mehr und die Band scheint das Potential zu haben, um mit ihren sanftem Tönen noch weiter nach oben zu kommen.

Natürlich schürt der anfängliche Erfolg auch bei der Band Hoffnungen, tatsächlich richtig gross zu werden, doch überstürtzen wollen sie nichts. «Wir bleiben vorerst unserem Zuhause, der kleinen Bühne, treu», sagt Alexandra, Sängerin und Cellistin. Und auf einer solchen kleinen Bühne stehen die Fünf bereits wieder am 22. August in der Basler Freiluft-Bar Nachbars Garten bei der Kuppel.

www.serafyn.jimdo.com
www.soundcloud.com/serafyn
Serafyn auf iTunes

Ausserirdische Venusfalle

Fabian Kern am Mittwoch den 13. August 2014

«Under the Skin» läuft ab 14.8. im Atelier.

«Under the Skin» läuft ab 14. August im kult.kino Atelier.

Scarlett Johansson kann man derzeit nicht ausweichen. Die schöne Amerikanerin mit dänischen Wurzeln begegnet einem auf fast allen Kanälen. Sei es, weil ihre betörende Ausstrahlung sie zum Sexsymbol schlechthin und zur Protagonistin manch feuchten Traumes macht, wegen ihrer Schwangerschaft – das Baby soll noch im August zur Welt kommen – oder aufgrund ihrer grossen Kinopräsenz. Nachdem sie als künstliche Intelligenz in «Her» erst gerade Joaquin Phoenix den Kopf verdreht hat, nimmt die 29-Jährige diese Woche gleich mit zwei Filmen die Schweizer Leinwände in Beschlag. Mit zwei ganz unterschiedlichen Streifen, in denen ihre Figuren gegensätzliche Entwicklungen durchmachen, die aber trotzdem einige Gemeinsamkeiten aufweisen.

Scarlett als ballernde Lucy...

Scarlett als ballernde Lucy…

... und als männermordendes Alien. (Keystone)

… und als männermordendes Alien. (Keystone)

«Under the Skin» ist ein verstörender Experimentalfilm, der ganz nach dem Gusto des verstorbenen Stanley Kubrick («2001: A Space Odyssey») gewesen wäre. Ohne Soundtrack, dafür mit schrillen Hintergrundgeräuschen ausgestattet, wird man das Gefühl nicht los, der Film sei noch gar nicht fertig bearbeitet. Doch genau diesen dokumentarischen Touch wollte der Regisseur. Er liess grosse Teile mit versteckter Kamera drehen, weshalb sich Johansson im Nutten-Outfit durch ein völlig authentisches Glasgow bewegt. Das Ziel des Aliens ist es, den Sexualtrieb der Männer auszunutzen, denn ihr Volk braucht Frischfleisch. Hinfällig zu sagen, dass sie damit überaus erfolgreich ist.

Was ist Liebe? Laura will es wissen.

Was ist Liebe? Laura will es wissen.

Es geht aber nicht um Sex oder Action, sondern um das, was uns als Menschen ausmacht. Laura, die Ausserirdische, beginnt sich und ihre Mission nach einigen unglücklichen Opfern zu hinterfragen und entwickelt zumindest eine Ahnung von Mitgefühl. Sie hat den Wunsch, ebenfalls zu fühlen, zu lieben – und bewegt sich somit genau in der entgegengesetzten Richtung wie in «Lucy», wo sie durch ihre Superintelligenz beinahe unbesiegbar wird und emotional abstumpft. Das zeigt die Bandbreite der enorm vielseitigen Scarlett Johansson. Sie nur auf ihr zugegebenermassen sehr attraktives Äusseres und ihre sexy Kurven zu reduzieren, wäre zu einfach.

Wer kann diesem Gesicht widerstehen?

Wer kann diesem Gesicht widerstehen?

Jenes Mädchen, das vor 16 Jahren an der Seite von Robert Redford mit den Pferden flüsterte, ist nun bald Mami – und eine grosse Schauspielerin. Sie trägt «Under the Skin» mit ihrem subtilen Spiel ganz von selbst und macht ihn zu einem sehr speziellen Erlebnis, über das man zwei Mal nachdenkt. Und wer es nicht so mit der Philosophie hat, dem bleibt immer noch «Lucy», um Johansson zu bewundern oder das Warten auf ihren nächsten Auftritt als knackige «Black Widow» in «Avengers 2», der für 2015 angekündigt ist. Denn Mann will ihr gar nicht ausweichen.

«Under the Skin» läuft ab 14. August 2014 im kult.kino Atelier.

Und hier noch der Trailer von Scarlett Johanssons Film «Lucy», der gleichzeitig anläuft (im Capitol und im Pathé Küchlin):

Weitere Filmstarts in Basel am 14. August: The Raid 2, Planes 2: Immer im Einsatz, The Way He Looks – Hoje Eu Quero Voltar Sozinho.

Woody, der Zuhälter

Fabian Kern am Mittwoch den 6. August 2014

«Fading Gigolo» läuft ab 7.8. im kult.kino club und im Küchlin.

«Fading Gigolo» läuft ab 7. August im kult.kino club und im Küchlin.

Eigentlich ist «Fading Gigolo» ein typischer Woody-Allen-Film: eine krude Story aus New York, gespickt mit drolligen Figuren sowie schrägen Dialogen, und ein beeindruckender Cast. Doch der «Stadtneurotiker» spielt für einmal nur eine Hauptrolle. Der Streifen, wohl eine Art Ode an den Altmeister, stammt aus der Feder von John Turturro, der sich auch gleich die Titelrolle gab. Wer mag es ihm verdenken, darf er doch Klassefrauen wie Sharon Stone und Sofia Vergara verführen. Jede für sich und auch beide zusammen.

Turturro, ein Liebling der Coen-Brothers, ist bekannt für die Darstellung skurriler Gestalten. Höhepunkt war sicher sein Kult-Auftritt als schriller Bowler Jesus Quintana in «The Big Lebowski». Der Florist Fioravanti (Turturro) hingegen ist eher von der stillen Sorte. Umso überraschter ist er, als ihm sein bester Freund Murray (Allen) vorschlägt, er sähe ihn als Mann für gewisse Stunden. Der Buchhändler ist soeben pleite gegangen und durch seine Hautärztin auf die Idee gebracht worden, als Zuhälter ins älteste Gewerbe der Welt einzusteigen. Die in ihrer Ehe gelangweilte Dr. Parker (Stone) möchte mit ihrer attraktiven Freundin Selima (Vergara) einen Dreier versuchen.

Freunde, aber auch Zuhälter und «Hure»: Murray und Fioravanti. (Bilder: Ascot-Elite)

Freunde, aber auch Zuhälter und «Hure»: Murray und Fioravanti. (Bilder: Ascot-Elite)

Freierin und Gigolo: Dr. Parker und Fioravanti (Bilder: Ascot-Elite)

Freierin und Gigolo: Dr. Parker und Fioravanti.

Angesichts der vielen Rechnungen lässt sich Fioravanti trotz anfänglich heftigen Protests («Bist du auf Drogen?») schnell überzeugen und er beglückt die sexuell ausgehungerte Hautärztin. Offensichtlich beschränken sich seine Qualitäten nicht nur aufs Blumenbinden, denn der Kundenstamm des ungleichen Duos wächst rasant. Doch dann will Murray etwas zuviel. Er versucht, die streng gläubige Jüdin Avigal (Vanessa Paradis) in Fioravantis Bett treiben. Dieser allerdings spürt, dass die sensible Witwe und sechsfache Mutter etwas Anderes braucht als heissen Sex. Bei der orthodoxen Gemeinde in Brooklyn, die in Gestalt des eifersüchtigen Aufpassers Dovi (Liev Schreiber) über seine gläubigen Schäfchen wacht, sieht man aber weder das Eine noch das Andere gern – erst recht nicht, wenn es sich nicht um einen Juden handelt…

Witwe und Aufpasser: Avigal und Dovi.

Witwe und Aufpasser: Avigal und Dovi.

Endlich mal ein Film, der es auf den Punkt bringt und sich wie früher auf neunzig Minuten beschränkt, möchte man John Turturro gerne sagen. Allerdings hätten der Komödie ein paar Zeigerumdrehungen nicht schaden können. Denn über die Grundaussage und das Ende lässt sich diskutieren. Eben: ein typischer Woody-Allen-Film. Allen konnte die Finger nicht davon lassen, an Turturros Drehbuch herumzuwerkeln, und dieser konnte dem Altmeister die Änderungswünsche nicht abschlagen. Dennoch soll das Positive herausgehoben werden. Allen voran die Leistung Turturros, Woody Allen in alter Frische auf die Leinwand zu bringen. Der 77-Jährige sprüht nur so vor Lebensenergie und quasselt wie in seinen besten Zeiten. Von den Frauen stechen zwei heraus. Während Sofia Vergara absolut zweidimensional spielt, schaffen es Vanessa Paradis und vor allem die beeindruckende Sharon Stone, ihre Figuren in der kurzen Zeit sehr vielschichtig darzustellen. Nicht zuletzt sie verleihen «Fading Gigolo» durchaus das Prädikat «sehenswert».

«Fading Gigolo» läuft ab 7. August 2014 im kult.kino club und im Pathé Küchlin in Basel.

Weitere Filmstarts in Basel am 7. August: Dawn of the Planet of the Apes, Aimer, boire et chanter, Die geliebten Schwestern, Step Up: All In.

Johnny Depps dämliche Erben

Fabian Kern am Mittwoch den 30. Juli 2014

«22 Jump Street» läuft ab 31.7. im Capitol und im Küchlin.

«22 Jump Street» läuft ab 31.7. im Capitol und im Küchlin.

Zugegeben, mit der gleichnamigen Kultserie um Johnny Depp aus den Achtziger Jahren hatte bereits «21 Jump Street», der vor zwei Jahren durch die Kinosäle flimmerte, schon nicht viel zu tun. Nur die Grundidee war übernommen worden, um mit Channing Tatum und Jonah Hill eine Actionkomödie der dämlicheren Sorte zu drehen. Der Erfolg an den Kassen beschert uns nun die unvermeidliche Fortsetzung, die endgültig eigenständig ist. Nun sollen der komplexbehaftete Schultz (Hill) und der mit überschaubarer Intelligenz ausgestattete Jenko (Tatum) einen Drogenring am College auffliegen lassen. Und auch das Dezernat ist eine Hausnummer grösser: aus 21 wird dank grösserem Budget, das Captain Dickson (Ice Cube) umgehend für eine völlig übertrieben High-Tech-Ausstattung auf den Kopf gehauen hat.

Ab ins College: Schmidt und Jenko (Bilder Disney)

Ins College: Schmidt und Jenko. (Bilder Disney)

Man kann nun diesen Film unter ernsthaften Gesichtspunkten betrachten und ihn in allen Punkten durchfallen lassen. Die Story ist dünn bis transparent, die Gags entspringen reihenweise der untersten Schublade, und die beiden Protagonisten sind dumm und dümmer. Als Actionkomödie hat sie aber durchaus ihre Berechtigung, denn was man dem Streifen von Phil Lord und Christopher Miller – den Machern von «Lego Movie» – nicht absprechen kann, sind zwei Attribute, welche die 112 Minuten im Kinosessel zu einem zwar sinnfreien, aber kurzweiligen Spass machen: Konsequenz und Selbstironie.

Dumm und dümmer: Zook und Jenko.

Dumm und dümmer: Zook und Jenko.

Schön und verliebt: Maya und Schmidt.

Schön und verliebt: Maya und Schmidt.

Das Konzept wird gnadenlos durchgezogen. Schultz und Jenko machen keine Wandlung zur Vernunft oder gar zum Erwachsenwerden hin durch – sie wäre auch unglaubwürdig. Viel lieber feiern sie sich durch jene College-Zeit, die ihnen aus Mangel an Disziplin (Schultz) oder Intelligenz (Jenko) verwehrt geblieben ist. Da tritt der Fall schon mal in den Hintergrund, vor allem weil Jenko im Football-Quarterback Zook (Wyatt Russell) seinen Seelenverwandten und Schultz in der schönen Maya (Amber Stevens) seine grosse Liebe findet. Und an diesem Punkt setzt der rote Faden ein: die Beziehungsgeschichte zwischen den beiden trotteligen Ermittlern. Sie müssen zeitweise eigene Wege gehen, zerstreiten sich und finden wieder zusammen. Alles wird mit übertriebenem Ernst wie eine Liebesbeziehung zelebriert und ist überraschend witzig.

Unter der Gürtellinie: Schmidt und Jenko.

Die seichte Story wird getragen von zwei Running Gags der seichten Story. Einerseits das offensichtlich fürs College hohe Alter der beiden: Immer wieder wird selbstironisch auf die Schippe genommen, dass den beiden eigentlich niemand als echte Studenten wahrnimmt. Mayas Zimmergenossin Mercedes (Jillian Bell) etwa hängt Schultz bei jeder Gelegenheit Senioren-Sprüche an. Andererseits macht sich «22 Jump Street» ständig über die Sinnlosigkeit von Sequels lustig. Das beginnt schon beim Auftrag selbst. «Ihr macht genau dasselbe wie beim letzten Mal», sagt Deputy Chief Hardy (Nick Offerman) augenrollend. Und auch der brüllend komische Abspann – unbedingt Sitzenbleiben! – ist Selbstironie pur. Das und die Aufritte von den Rappern Ice Cube und Queen Latifah als Paar lassen die teils schmerzhaft tief unter der Gürtellinie liegenden Witze ertragen

Johnny Depp war nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Stellvertretend geben aber Dustin Nguyens Minirolle als «Vietnamesischer Jesus» und Richard Griecos 2-Sekunden-Auftritt kurz vor Schluss dem Film den Segen der ursprünglichen Besetzung. Immerhin.

«22 Jump Street» läuft ab 31. Juli 2014 in den Basler Kinos Capitol und Pathé Küchlin.

Weitere Filmstarts in Basel am 31. Juli: Jersey Boys, The Purge: Anarchy, Tom à la ferme.

Kiffen und Weinen am Ganges

Fabian Kern am Mittwoch den 9. Juli 2014

«Faith Connections» läuft ab 10. Juli im kult.kino.atelier.

Nein, wirklich zum Bade ladet das dreckige Wasser des Ganges nicht. Das kümmert aber 80 bis 100 Millionen Hindus herzlich wenig. Sie tauchen am Triveni Sangam, dem Zusammentreffen von Ganges, Yamuna und dem unsichtbaren mythischen Fluss Saraswati, in die braunen Fluten, um sich von allen Sünden reinzuwaschen und sich vom Kreislauf der Wiedergeburt zu befreien. Es ist Kumbh Mela, das grösste religiöse Fest der Welt. Man sagt, dass man bis zum nächsten Kumbh Mela 12 Jahre lang ohne Kraft lebe, wenn man es verpasst. Das spirituelle Spektakel dauert ganze 55 Tage.

Regisseur Pan Nalin ist 2013 nach Allahabad im Norden des Subkontinents Indien gereist, um seinem Vater eine Flasche mit heiligem Wasser mitzubringen. Zurückgebracht hat er aber nicht nur besagtes Gefäss, sondern auch einige berührende Geschichten aus einer Welt, die der westlichen fast so fremd ist wie ein anderer Planet. Da wäre der Ausreisser Kishan Tiwari, der sich irgendwie durchschlägt und allen erzählt, er sei Waise. Wie der Zehnjährige Hanfkugeln isst, Alkohol konsumiert und erzählt, er wolle Mafioso werden und Leute umlegen, geht einem ans Herz. Überhaupt werden viele Rauschmittel konsumiert beim Kumbh Mela. Die Sadhu – radikale Hindus, die der Welt entsagt haben, um sich ganz der Spiritualität zu widmen und dem Wohl aller zu dienen – kiffen, was das Zeug hält, um besser meditieren zu können. Frei nach dem Motto «Gott schuf Gras, der Mensch Alkohol».

Heiliges Wasser : der Ganges. (Bilder: Filmcoopi)

Heiliges Wasser : der Ganges. (Bilder: Filmcoopi)

Das Lager der Kumbh Mela ist unfassbar gross. Über 55 km² erstrecken sich die verschiedenen Lager und Zeltquartiere. Kein Wunder, gehen so viele Leute verloren, dass das «Lost & Found Centre» heillos überfordert ist. Als der Filmemacher vorbei schaut, nach nicht einmal der Hälfte des Festes, werden bereit 135’000 Menschen vermisst – vorwiegend Kinder und Alte. Die Leute sind vom heiligen Ereignis so gefangen, dass sie schlicht vergessen auf ihre Liebsten zu achten. Einmal verloren, ist es beinahe eine «Mission Impossible», einen Angehörigen wiederzufinden. Tränenreich muss manch eine Familie mit Lücken in ihren Reihen abreisen und hoffen, dass der verirrte Verwandte den Heimweg irgendwie findet.

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Rührende Beziehung: Yogi und Stiefsohn.

Neben diesen tragischen Szenen, die das Chaos in diesem Mega-Event deutlich machen, hat Pan Nalin aber auch die rührendste Geschichte auf Lager. Der Yogi Baba hat sich seit zwei Jahren einem der vielen ausgesetzen Babys angenommen und kümmert sich herzlich um den Kleinen – auf seine ganz eigene Art. Mit all diesen nur allzu menschlichen Episoden schafft es der Regisseur, den Zuschauer in den Bann zu ziehen und die Dimension und Bedeutung der «Kumbh Mela» wenigstens ansatzweise zu erfassen. Es ist eine eigene Welt, eine Bewegung, die fasziniert. Besonders in Mitteleuropa, wo organisierte Religion immer weniger Leute zu mobilisieren vermag.

«Faith Connections» läuft ab 10. Juli 2014 im kult.kino.atelier in Basel.

Weitere Filmstarts in Basel am 10. Juli: Suzanne, L’amour est un crime parfait, Rico, Oskar und die Tieferschatten.

Strassenkunst findet in der Markthalle ein Zuhause

Joel Gernet am Freitag den 27. Juni 2014

Die Urban-Art-Plattform «Artstübli» wird nach jahrelangem Vagabunden-Dasein im Mantelbau der Markthalle sesshaft. Die Eröffnung während der Art Basel verlief vielversprechend.

Frischer Wind: Der «Artstübli»-Ausstellungsraum im Mantelbau der Markthalle. (Foto: Joël Gernet)

Frischer Wind: Der «Artstübli»-Ausstellungsraum im Mantelbau der Markthalle. (Foto: Joël Gernet)

Die Basler Markthalle hat einen Farbtupfer mehr: Neben dem Seiteneingang am Steinentorberg hat sich das «Artstübli» eingenistet. Pünktlich zur Art Basel wurde der Ausstellungsraum eröffnet. Auf 124 Quadratmetern gibts urbane Kunst von Graffiti bis Streetart zu sehen, präsentiert in einem lichtdurchfluteten Raum mit grossen Fenstern, hölzernem Fischgrätparkett und Ausblick auf das Heuwaage-Viadukt. Vor Kurzem befand sich hier ein angestaubtes Antiquitäten-Lager.

«Es war einiges los letzte Woche», sagt Betreiber Philipp Brogli zufrieden. Wie erhofft, haben zahlreiche Art-Besucher spontan vorbei geguckt, was natürlich wesentlich mit der «Volta 10» zusammenhängt. Die Nebenmesse ist dieses Jahr vom Dreispitz in die Markthalle zurückgekehrt. Wer von der Heuwaage her kommt, spaziert fast automatisch ins «Artstübli».

«Mr. Artstübli» Philipp Brogli.

«Mr. Artstübli» Philipp Brogli.

Anders als an der Art Basel kann sich hier fast jeder ein Stück Kunst leisten. Die Fine Art Prints und Siebrucke kosten zwischen 100 und 600 Franken. Wer eines der wenigen Originalbilder kaufen will, muss zwischen 2800 und 8000 Franken locker machen. «380 Franken für einen gerahmten und limitierten Druck sind für einen Art-Besucher ein Klacks», findet Brogli. Dass sich der Basler Urban-Art-Förderer bei seinem Angebot auf sogenannte Prints spezialisiert hat, hängt nicht nur mit deren Preis zusammen: Während des «Artstübli»-Aufbaus fehlte Brogli schlicht die Zeit, um sein breites Künstlernetzwerk nach Originalen zu durchkämmen.

Also nutzte der Basler die Chance, um das wachsende Internet-Angebot im Bereich der hochwertigen Prints zu sondieren. Im Netz tummeln sich zahlreiche junge Künstler und Kunstsammler in der Hoffnung auf einen guten Fang. Mit einem glücklichen Händchen finden Kenner und Könner durchaus Perlen, deren Sammlerwert sich mit der Zeit markant steigert. Mit seinem immensen Vorwissen hat Brogli beste Voraussetzungen, um sein «Artstübli» mit preiswerten Preziosen zu schmücken.

Begehrter Print: «Moonshine» von Etam Cru (PL).

Begehrter Print: «Moonshine» von Etam Cru (PL).

Die Streetart-Institution des Baslers gibt es seit 2004. Was als loses Zusammentreffen gleichgesinnter Kunstfreunde begann, fand bald seine Fortsetzung in einem gleichnamigen Online-Magazin. Beflügelt vom positiven Feedback und den rasant erweiterten Künstlerkontakten fand 2006 die erste «Artstübli»-Kunstmesse «Artyou» statt (damals noch unter dem Namen «Artig»). Diese mauserte sich über die Jahre zur wichtigsten Schweizer Kunstschau im Bereich Urban Art. 2013 legte Brogli die «Artyou» vorläufig auf Eis.

Wie er jetzt verrät, hatte der Entscheid auch etwas mit dem neuen Ausstellungsraum Markthalle zu tun. Nachdem die Kunstplattform jahrelang ein Vagabunden-Dasein ohne festen Sitz führte, zeichnete sich in den letzten Monaten eine längerfristige Lösung in der Markthalle ab. «Bei der Immobilienverwalterin Wincasa hat ein Umdenken stattgefunden», sagt Brogli und erklärt nicht ohne Stolz, dass die Markhallen-Verantwortlichen sich nun bewusst für seine junge, urbane Kunstplattform entschieden haben – und gegen eine rein kommerzielle Nutzung. Broglis Hartnäckigkeit hat sich nach langem Warten also doch noch ausgezahlt. Neben einer kulanten Miete kann er sich über einen längerfristigen Vertrag freuen. «Viele meinten, dass wir nur während der Art Basel in der Markthalle sind – aber wir bleiben mindestens fünf Jahre», sagt er mit einem schelmischen lachen im Gesicht. «Das ist mehr als eine Zwischennutzung.»

Offen! Philipp Brogli auf dem roten Teppich vor seinem neuen Ausstellungsraum. (Foto: Andreas Schneider)

Offen! Philipp Brogli auf dem roten Teppich vor seinem neuen Ausstellungsraum. (Foto: Andreas Schneider)

Nun ist das «Artstübli» zum ersten Mal sesshaft geworden. Domestizierte Strassenkunst sozusagen. Wer durch die grossen Schaufenster am Steinentorberg 28 guckt, erspäht nun Bilder namhafter Urban-Art-Künstler wie dem französischen Bubble-König Tilt, dem polnischen Duo Etam Cru oder, natürlich, der Basler Graffiti-Koryphäe Smash137. Von ihm ist ein Originalbild zu sehen. Philipp Brogli unterstützt den inzwischen weltweit beachteten Künstler seit Jahren und kann sich nun wiederum auf dessen Support verlassen.

Heimspiel: Bildausschnitt eines Werks von Smash137.

Heimspiel: Bildausschnitt eines Werks von Smash137.

Nach der Art-Woche kann sich Brogli über mehr als ein Dutzend verkaufte Werke und viele neue Kontakte freuen. Etwa zu der in Basel lebenden, international bekannten Fotokünstlerin Vera Isler-Leiner. Wie sich herausstellte, wohnt die 83-Jährige im Hochhaus nebenan. Nach der Eröffnung hat sie das «Artstübli» mit grossem Interesse besucht. «Sie kannte urbane Kunst bereits aus dem Film des Streetart-Stars Banksy und erzählte mir von Strassenkunst, die sie in den 80er-Jahren fotografiert hat», erinnert sich Brogli. «Das war eine schöne Begegnung.»

Wer weiss, vielleicht gibt es im neuem Ausstellungs- und Projektraum (der Begriff Galerie wird gemieden, um Hemmschwellen zu umschiffen) bald Streetart aus den Anfangstagen dieser noch jungen Kunstform zu sehen. Zudem wird Brogli auch abseits seiner neuen Kunststube in der Markthalle aktiv sein. So koordiniert er etwa regelmässig Kunstprojekte im öffentlichen Raum. Jüngstes Beispiel ist das grossflächige Bild, dass die Graffiti-Künstler Zosen (ARG) und Mina (JPN) in der Art-Woche auf dem IWB-Häuschen am Hohlbeinplatz hinterlassen haben. «Und vielleicht gibt es ja demnächst auch wieder eine Artyou», sagt Brogli.

Artstübli, Steinentorberg 28, 4051 Basel. Ausstellungs-Öffnungszeiten ab Juli: Donnerstag/Freitag, 11 bis 18 Uhr; Samstag, 14 bis 18 Uhr.
www.artstuebli.ch

«Artstübli»-Projekt im Öffentlichen Raum: Das Graffiti von Zosen y Mina auf dem IWB-Häuschen am Hohlbeinplatz.

«Artstübli»-Projekt im Öffentlichen Raum: Das Graffiti von Zosen y Mina auf dem IWB-Häuschen am Hohlbeinplatz.

 

Brutale Striche und ein absorbierter Affe

Joel Gernet am Dienstag den 17. Juni 2014

Die Colab Gallery in Weil am Rhein (D) zeigt in ihrer sechsten «Public Provocations»-Ausstellung Grenzen und Grossformatiges.

Kanadische Kartonkunst. Vier Wochen lang hat Laurence Vallières an diesem Affen gearbeitet – ohne Vorlage.

Kanadische Kartonkunst. Vier Wochen lang hat Laurence Vallières an diesem Affen gearbeitet – ohne Vorlage.

Mit gesenktem Blick sitzt der gigantische Affe da, in den Händen einen Tablet-Computer. Der Vernissage-Trubel scheint ihn kaltzulassen. Er würdigt die schicken und schönen Menschen mit ihren Weissweingläsern und den vergnügt spielenden Kindern keines Blickes. Der drei Meter grosse Koloss ist nicht nur wegen seiner Dimension das herausragende Exponat an der Urban-Art-Ausstellung «Public Provocations» in der Colab Gallery. Ansprechende Ästhetik, gekoppelt mit subtiler Gesellschaftskritik – der Affe der kanadischen Künstlerin Laurence Vallières wirkt wie die 3-D-Version eines Bildes von Banksy, dem britischen Street-Art-Superstar, der die Kunstwelt seit Jahren zum Narren hält. Im Gegensatz zu Banksys Werken sind die Skulpturen von Vallières noch bezahlbar: Den Affen gibts für 5000 Euro – hier ist also eher der Platz das Problem.

Vier Wochen hat die Geburt des ­Giganten gedauert: Die junge Kanadierin hat die Skulptur vor Ort zusammengebastelt, intuitiv und ohne Vorlage. Das Baumaterial lieferten alte Kleiderkartons des Carhartt-Outlets, unter dessen Dach sich die Galerie befindet. Einzige Hilfen: ein Teppichmesser und viel Heissleim. Neben dem Affen sind auf diese Weise zwei stattliche Bärenköpfe entstanden, die an unkaschierte ­Basler Fasnachtslarven erinnern.

Dass Laurence Vallières bereits einen Monat vor Eröffnung der Gruppenausstellung anreiste, ist aussergewöhnlich. Am Tag vor der Vernissage war die ein oder andere Künstlerkoje noch komplett weiss. Jeder der neun geladenen Künstler gestaltet seine Nische spontan vor Ort. Dabei entstehen auch Werke, die nach sechs Monaten wieder übermalt werden. Kunst, so vergänglich wie Street-Art- und Graffiti-Bilder im öffent­lichen Raum. «Es ist gut, dass man nicht alles kaufen kann», sagt Kura­tor Stefan Winterle über die zum Untergang geweihten Wandbilder. Da sich Vallières grosse Skulpturen schlecht in einer Künstler-Koje an die Wand pressen lassen, werden ihre Werke im weitläufigeren Eckbereich zur Schau gestellt, verschont von den alles gleich machenden Farbrollen der Erneuerung.

Schwarzweissmaler: Die Koje des finnischen Künstlers Egs.

Schwarzweissmaler: Die Koje des finnischen Künstlers Egs.

Neben der Kartonkunst der Kanadierin präsentiert der Sprayer Egs seine Werke. Der Finne ist seit über zwanzig Jahren aktiv und hat den Sprung von der Strasse in die grossen Galerien zeitgenössischer Kunst geschafft. Zwar zeugen die zerstäubten und zerlaufenen Striche noch immer von seiner Vandalen-Vergangenheit. Im abstrakten und reduzierten Schwarz-Weiss-Bild lassen sich aber beim besten Willen keine Graffiti-Buchstaben mehr erkennen.

«Egs hat den Ausschnitt einer Weltkarte an die Wand gesprüht», erklärt Winterle. «Viele Sprayer bilden sich ja etwas ein auf die Aussagekraft, den Schwung und die Sauberkeit ihrer Striche – aber die mächtigsten Linien überhaupt sind jene auf der Landkarte, die Landesgrenzen.» In den gerahmten Werken an den Seitenwänden der Koje erkennt man die Bildsprache des Skandinaviers: Kontinente und Landesgrenzen sind deutlich erkennbar. Doch die Linien sind auch hier zerfleddert und zerstäubt. Als wollte der Künstler die Brutalität gezogener Landesgrenzen anprangern. Hier hat Egs nicht zur Spraydose gegriffen, sondern zu Tinte und medizinischen Spritzen.

Steueroasen: Der deutsche Künstler 1010 hat die Grundrisse von 81 Ländern farbenfroh umgesetzt.

Steueroasen: Der deutsche Künstler 1010 hat die Grundrisse von 81 Ländern farbenfroh umgesetzt.

Ebenfalls mit Landesgrenzen beschäftigt hat sich der deutsche Künstler 1010 mit seiner «Abyss»-Serie. Was ­zunächst anmutet wie ein farbenfroher Abgrund aus immer enger gezogenen Tiefen- statt Höhenlinien entpuppt sich als Grundriss einer Steueroase. 81 derartige Bilder hat 1010 gemalt. Eines für jeden Abgrund, in dem Steuergelder verschwinden. «Gerne hätte ich hier auch das Schweiz-Bild gezeigt», erklärt Kurator Winterle, «aber der Künstler hat das Werk bereits verkauft.»

Völlig anders präsentieren sich die Werke des amerikanischen Schablonen-­Künstlers Logan Hicks. ­Seine silbernen und goldenen Totenköpfe bestechen durch eine leicht erschliessbare Ästhetik. Es ist gut erkennbar, warum Hicks neben Banksy und Blek Le Rat zu den Koryphäen der Stencil-Kunst gehört. «Sigi hatte schon früher Kontakt zu ihm, kam aber nicht mehr dazu, ­Logan Hicks einzuladen», erklärt Winterle in Gedenken an den verstorbenen Galeriegründer Sigi von Koeding alias Dare: «Jetzt schliesst sich der Kreis.»

Strencil-Koriphähe: Zwei Kunstfreunde betrachten ein Schablonen-Bild des US-Künstlers Logan Hicks.

Strencil-Koriphähe: Zwei Kunstfreunde betrachten ein Schablonen-Bild des US-Künstlers Logan Hicks.

Colab Gallery, Weil am Rhein. Schusterinsel 9. Bis Oktober.
www.carhartt-gallery.com

Capsules artistes Chromatic | Laurence Vallières from massivart on Vimeo.

Basel hat jetzt eine Sound-Spelunke

Joel Gernet am Freitag den 13. Juni 2014

Am Rheinknie gibts einen neuen Club: Nach langer Vorbereitung feiert dieses Wochenende die «Kaschemme» hinter dem St.-Jakob-Park ihre Eröffnung. Hinter dem Betrieb steht auch einer der bekanntesten DJs der Stadt.

Das «Kaschemme»-Team: Eres Oron alias DJ Montes, Daniel Henke und Marco Schmutz mit Tochter. Wer den neuen Club von Innen sehen will, kann das ab Samstag vor Ort tun.

Das «Kaschemme»-Team: Eres Oron alias DJ Montes, Daniel Henke und Marco Schmutz mit Tochter. Wer den neuen Club von Innen sehen will, kann das ab Samstag vor Ort tun.

Es gibt Leute, die übernehmen einen Club. Andere bauen sich ihr Disco-Paradies lieber selber – so wie Daniel Henke, Marco Schmutz und Eres Oron. In monatelanger Handarbeit hat das Trio eine alte, baufällige Baracke in einen kleinen Club mit Barbetrieb verwandelt.

«Kaschemme» heisst das Kleinod am hintersten Zipfel der Lehenmattstrasse gleich hinter St.-Jakob-Park, Bahndamm und Autobahn. «Mein bester Kumpel nennt sich DJ Kaschemme. Er schlug mir vor, den Club so zu nennen. Nachdem er mir das Wort erklärte, war der Fall klar», schildert Eres Oron – besser bekannt als DJ Montes – die für einen Club ungewöhnliche Namenswahl. Kaschemme, so wurde im 19. Jahrhundert ein verrufenes Wirtshaus in der Gaunersprache genannt. Heute würde man Spelunke sagen.

Im Fall der Basler Kaschemme ist es eine Spelunke mit ordentlich Bumms: Das Soundsystem kommt nämlich vom «Nordstern», dem Techno-Tempel am Voltaplatz. «Agi Isaku vom Nordstern bot uns spontan die alte Anlage seines Clubs an», schildert Oron. Ohnehin hätten die drei Familienväter Basels neusten Club ohne die tatkräftige Mithilfe zahlreicher Freunde – und toleranter Frauen – kaum realisieren können. Der garagenähnliche Schuppen, in dem früher die Lieferungen der Elektro-Firma Haefely angenommen wurden, musste von Grund auf erneuert werden – von der Dach-Isolation bis zum Aushub einer Kanalisation für die neuen Toiletten. Für den feuerpolizeilich einwandfreien Einlass wurde eine Wand eingebrochen. Und was zwischen den schön anmutenden Holzbalken an Gemäuer übrig blieb, wurde so stabilisiert, dass künftig weder Wände noch die wenigen Anwohner unter der potenten Soundanlage zu leiden haben.

Hinter dem Joggeli: Beim «K» ist die Kaschemme zu finden.

Hinter dem Joggeli: Beim «K» ist die Kaschemme zu finden.

Eröffnet wird die Kaschemme am Samstag mit Bass, Bier und BBQ. Draussen rotiert das Fleisch, drinnen die Platten. Hinter den Plattentellern agieren die Kaschemme-Allstar-DJs, zu denen neben Eres Orons DJ-Duo Goldfinger Brothers auch die «Konzeptlos»-Plattendreher um Daniel Henke gehören. Geboten wird gemäss Eigendeklaration «Heavy Black Bass Music» oder, wie Oron konkretisiert, «Musik mit schwarzer Seele».

Mit der Club-Eröffnung geht für die drei Initianten eine lange Vorbereitungsphase zu Ende: Nach einem Hinweis des Basler Städteplaners Matthias Bürgin – in den 90ern Zwischennutzungs-Pionier auf dem nt-Areal, heute Kreativkopf im Büro Metis – warf Daniel Henke bereits vor Jahren ein Auge auf das ehemalige Siemens-Areal. Nachdem die Immobilien-Anlagegesellschaft Creafonds die Parzelle 2012 übernommen hat, reichte Henke ein Zwischennutzungs-Konzept für das knapp 13’000 Quadratmeter grosse Areal ein. Zunächst ohne Erfolg: In der grossen Halle neben der Kaschemme gastiert heute eine Freikirche, gegenüber bräunen bei unserem Besuch die halbnackten Muskelberge des «Indoor Fitness Parcous» (IFP) ihre Adoniskörper in der Sonne. Bei einer Begehung entdeckten Henke und Schmutz schliesslich einen heruntergekommenen Schuppen, der noch nicht zur Nutzung ausgeschrieben war. Und sie schlugen zu. Im Frühling 2013 wurde das Kaschemme-Projekt eingereicht, kurz darauf stiess Eres Oron dazu.

Es folgten zunächst zahlreiche Behörden Be- und Gesuche. Zuletzt war das Trio vor allem in den Basler Baumärkten anzutreffen. Nach monatelanger Knochenarbeit bricht dieses Wochenende nun die Zeit des Party-Machens, der Sommerfeste und des Public Viewings an. Am Samstag wird offiziell eröffnet, danach herrscht den ganzen Sommer über Bar- und Clubbetrieb. Es ist sowas wie eine Testphase, bevor im Herbst dann die Clubsaison richtig losgeht – mit Musikprogramm und Konzerten. Zu Beginn ist aber Spontaneität angesagt: Mobile Tische und Liegestühle laden zum Verweilen ein und sorgen für genügend Flexibilität, dass sich ein gemütliches Feierabend-Beisammensein zu einer rauschenden Party hochschaukeln kann.

Ab Mittwoch wird dann auch der TV-Anschluss funktionieren womit der Übertragung sämtlicher WM-Spiele nichts mehr im Weg steht. Und wenn der Ball in Brasilien nicht mehr rollt, könnte sich die Sound-Spelunke hinter dem Joggeli auch zur perfekten Warmup-Beiz für FCB-Fans werden – auch für die Weiblichen, wie Goldfinger-DJ Eres Oron lachend betont: «Die Väter gehen an den Match und die Mütter können bei einem Drink ihren Kleinen bei der Kinderdisco oder im Sandkasten zuschauen.»

Kaschemme-Eröffnung: Sa. 14. Juni, ab 20h. Ehemaliges Haefely-Areal am Muttenzerweg, Ecke Lehenmattstrasse, 4052 Basel.
www.kaschemme.ch

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    • Fabian Kern Fabian Kern ist Online-Redaktor bei der Basler Zeitung. Als Kinofan und Leseratte nimmt er sich das Recht heraus, alles rund um Film und Buch zu kommentieren.
    • Fabian Kern Online-Redaktor, Rapper und Graffiti-Freund: Joël Gernet schreibt an dieser Stelle vorzugsweise über Musik und Kunst, meist im urbanen Bereich.
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