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Rückblick #8: Zeitunglesen auf dem Trottoir und verdiente Kultur

schlaglicht am Sonntag den 2. Januar 2011

Für den Rückblick auf das Basler Kulturjahr 2010 haben wir verschiedene Persönlichkeiten aus der Region zu ihren Höhe- und Tiefpunkten aus dem sich zu Ende neigenden Jahr befragt. Marlon McNeill vom Hirscheneck-Kollektiv und Booker hat sein Necessaire verloren und wiedergefunden und wünscht sich wieder mehr Hausbesetzungen.

Marlon McNeill, Hirscheneck-Booker (Foto Donata Ettlin)

Marlon McNeill, was war Ihr kulturelles Highlight 2010?
Das Jahr ist noch nicht mal vorbei und ich erinnere mich jetzt schon fast nicht mehr an 2010. Bedenklich? Vielleicht, aber es passiert immer so viel und der Blick nach vorne ist spannender als der Blick zurück. Im Rückspiegel sehe ich jedoch das Des Ark-Konzert mit Band, Sleepy Time Gorilla Museum im Hirscheneck und die Backstageparty mit Spectrum. Und der Typ, der mitten auf dem Trottoir schlief und der, als ich ihn fragte was er da mache, antwortete: Zeitung lesen. Was für ein Bild. Manchmal ist die Strasse die beste Bühne.

Gab es auch einen kulturellen Tiefpunkt?
Christoph Blochers Gesicht im Kulturteil der BaZ. Noch schlimmer, dass dazu ein Text von ihm abgedruckt war. Noch noch schlimmer ist, dass er hier erneut erwähnt wird. Da fällt mir aber ein, frei nach Böser Bub Eugen: Nei Christoph nei es git kei Basler Zyytig, nei Christoph nei, höchschtens en Ohrfiige.

Was haben Sie verpasst?
Basquiat, Matthew Barney, Napalm Death (dafür The Fall und Bobby Conn gesehen), Das Racist, Des Ark unplugged.

Haben Sie etwas vermisst?
Auf der Combineharvester Tour im Juli hab ich mein Necessaire in Budapest liegen gelassen. Das, kurz nachdem ich daran dachte, wie lange ich dieses Necessaire schon mit mir herum trage, bestimmt seit ich zehn bin. Ein bisschen vermisst hab ich es dann schon, als es weg war. Es wurde mir netterweise etwa einen Monat später nachgesandt. Zusammen mit einer Hautcreme, die ich nicht reingetan hab.

Was sind Ihre Kulturwünsche fürs 2011?
Ich wünsche mir, dass den Leuten bewusst wird, dass ihre Stadt diejenige Kultur kriegt, die sie machen. Wer zu wenig Indie kriegt, macht zu wenig Indie. Wer zu wenig Metal-Konzerte besuchen kann, macht zu wenig Metal-Konzerte. Wer bloss jammert, dass zu wenig passiert, bewegt gar nichts. Ausser mein Gemüt – ein bisschen.
Diese Kritik geht nicht an die Menschen, die sich tagein, tagaus den Arsch aufreissen und Künstler und Bands in diese Stadt holen und sie an Orten auftreten lassen, die jenseits von Mainstream, Subventionen und Kulturleitbild stehen. Sie ist an jene adressiert, die nicht müde werden zu jammern, dass in dieser Stadt nichts läuft. Klar wäre es schön, wenn wieder mehr Konzerte im Joggeli stattfinden würden, und es ist auch gut, dass Iron Maiden demnächst da spielen, aber es passiert eben auch sehr viel im Untergrund. Es gibt Wochen, da weiss ich bald nicht wohin, weil so viel läuft. Veranstaltungen, die nicht in den Veranstaltungskalendern auftauchen, die aber trotzdem keine Privatanlässe sind und die mit viel Herzblut durchgeführt werden. Die nicht bloss aus idealistischer Sicht spannend sind, sondern sich auch qualitativ auf hohem Niveau abspielen.
In diesem Zusammenhang ist es auch ein schlechtes Zeichen der Stadtverwaltung, zukünftig das Wildplakatieren mit bis zu 10’000 Franken zu büssen (diese Information wurde kürzlich an die Veranstalter Basels geschickt mit der Unterschrift von Dr. Roger Reinauer und Thomas Kessler). Diese Massnahme gibt zu verstehen, dass DIY- und Untergrundkultur, die auch das Fundament der Hochkultur ist, nicht anerkannt werden. Das Argument, dass die Wildplakatiererei labile Menschen dazu verleiten könne, sich unschicklich zu benehmen, wie z.B. an nicht dazu vorgesehenen Orten zu urinieren, ist doch sehr an den Haaren herbeigezogen und hat vielleicht mehr mit baulichen Gegebenheiten zu tun, als dass da ein A3-Schwarz-Weiss-Plakat klebt, welches für ein Konzert in irgendeinem Keller oder einer Bar oder besetztem Haus wirbt.
À propos. Ich wünsche mir, dass wieder mehr Häuser besetzt werden. Sei es auch bloss für eine Nacht, wie kürzlich abseits des Medienradars geschehen. Möglicherweise weil die Party friedlich von statten ging?
Lange Rede kurzer Sinn: Egal ob Sam Keller oder der Punk von nebenan dahinter steht: die Menschen machen Kultur. Die Menschen sind Kultur. Und Kultur wird nicht auf dem Tablett serviert.

Es folgt noch ein Jahresrückblick mit Galerist Stefan von Bartha.

Bereits erschienen: Angelo Gallina, Guy Morin, Thomas Jenny, Smash 137, Sam Keller, Tobit Schäfer, Carena Schlewitt.

Rückblick #7: Feststimmung und politische Debatten

schlaglicht am Samstag den 1. Januar 2011

Für den Rückblick auf das Basler Kulturjahr 2010 haben wir verschiedene Persönlichkeiten aus der Region zu ihren Höhe- und Tiefpunkten aus dem sich zu Ende neigenden Jahr befragt. Carena Schlewitt, Leiterin der Kaserne Basel, durfte mit ihrem Betrieb das 30-jährige Jubiläum feiern.

Kaserne-Leiterin Carena Schlewitt in der Reithalle. (Foto Dominik Labhardt)

Frau Schlewitt, was war Ihr kulturelles Highlight 2010?
Mein kulturelles Highlight 2010 war das 30-jährige Jubiläum der Kaserne Basel. Drei Tage lang feierten Künstler, Mitarbeiter, Wegbegleiter, Förderer und das Publikum in einer grossen Gartenlounge in der Reithalle, an den Bars und auf der grossen Wiese der Kaserne Basel. Es war eine wunderbare, lebendige Stimmung. Musiker, Theaterleute, Filmemacher, Choreografen, Tänzer und Modedesigner liessen die letzten 30 Jahre Revue passieren und fingen in der «Zeitmaschine» Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Kurzperformances ein – das Publikum hatte Spass und die Künstler ebenfalls. Prosit auf die nächsten 30 Jahre Kaserne Basel!

Gab es auch einen kulturellen Tiefpunkt?
Ich bedaure das mehr Stop- als Go-Verfahren in puncto Entwicklung des Kasernenareals. Ich wünschte mir hier einen ähnlich dynamischen Drive wie bei der Dreispitz-Entwicklung, der Planung des Kunstmuseumanbaus und der Umsetzung von Jazzschule, Bahnhof St. Johann und Aktienmühle. Werden hier keine Entscheidungen getroffen, droht das Kasernenareal zu einem Denkmal der besonderen Art zu verkommen.
Und ich empfinde das Verbot der Wildplakatierung für Kulturveranstaltungshäuser als einen enormen Einschnitt in eine lebendige urbane Kulturwerbung, wie man sie in allen grösseren Städten der Schweiz und Europas findet. Die neue Auflage treibt viele kleinere und mittlere Kulturveranstalter finanziell und gestalterisch an die absolute Grenze ihrer Werbemöglichkeiten.

2010 feierte die Kaserne ihr 30-Jahre-Jubiläum (Foto D. Ettlin)

Was haben Sie verpasst?
Leider habe ich in diesem Jahr das SHIFT Festival der elektronischen Künste verpasst, das sowohl für die in der Kaserne Basel ansässigen Performing Arts als auch für die Musik inspirierende Anregungen liefert.

Haben Sie etwas vermisst?
In manchen politischen und kulturpolitischen Debatten vermisse ich eine gewisse Verhältnismässigkeit der Diskussion und würde mir wünschen, dass vermehrt über den Tellerrand geschaut wird und auch internationale Referenzen herbeigezogen werden.

Was sind Ihre Kulturwünsche fürs 2011?
Damit das Kasernenareal auch in den schönen Sommermonaten durchgehend kulturell genutzt und bespielt wird, wünsche ich mir die Sicherung des Festivals «wildwuchs» in seiner Stammzeit im Juni, die Etablierung des erfolgreich gestarteten Musik-Open-Airs mit Viva con Agua im August sowie die Weichenstellung für den Neustart des Internationalen Theaterfestivals Basel, welches von 1992 bis 2006 regelmässig im Sommer auf dem Kasernenareal stattgefunden hat!

Es folgt noch ein kultureller Jahresrückblick mit Hirscheneck-Booker Marlon McNeill.

Bereits erschienen: Angelo Gallina, Guy Morin, Thomas Jenny, Smash137, Sam Keller, Tobit Schäfer.

Rückblick #6: Eine geistreiche Lesung und ein mutloses Kulturleitbild

schlaglicht am Freitag den 31. Dezember 2010

Für den Rückblick auf das Basler Kulturjahr 2010 haben wir verschiedene Persönlichkeiten aus der Region zu ihren Höhe- und Tiefpunkten aus dem sich zu Ende neigenden Jahr befragt. Heute blickt Tobit Schäfer (30), SP-Grossrat und Geschäftsführer des Basler Rockfördervereins (RFV), auf sein Jahr zurück.

Tobit Schäfer, was war Ihr Kulturhighlight 2010?
Als Konsument gefiel mir die Lesung «Hatten Sie noch etwas aus der Minibar?» – «Ja, alles!», ein erfrischender und geistreicher Streifzug durch die Popkultur mit Intro-Redakteur Linus Volkmann und Popmusiker Jens Friebe. Als Produzent war mein Highlight die stimmige Verleihung des 2. Basler Pop-Preises an Brandhärd und The bianca Story.

Gab es auch einen kulturellen Tiefpunkt?

Der Entwurf des Kulturleitbildes Basel-Stadt, in dem viel von Controlling und Monitoring zu lesen ist, wenig jedoch von Begegnung, Freiheit, Lebensfreude und Unberechenbarkeit.

Was haben Sie verpasst?
Sicher viel in einer Stadt wie Basel, die eigentlich zu klein ist für ihre kulturelle Grösse. Das schöne daran ist aber, dass es auch im kommenden Jahr wieder viel zu erleben gibt – und zu verpassen.

Haben Sie etwas vermisst?
Immer wieder einmal Mut und Visionen in der Kultur und in der Kulturpolitik. Und manchmal vermisse ich in diesem Diskurs den Stolz auf die kulturelle Grösse unserer kleinen Stadt, aber auch die Offenheit für Neues jenseits der eigenen Schrebergärten.

Was sind Ihre Kulturwünsche fürs 2011?
Dass Basel dank seiner kulturellen Grösse über sich hinauswächst. Und dass im definitiven Kulturleitbild mehr von Begegnung, Freiheit, Lebensfreude und Unberechenbarkeit zu lesen sein wird, als in seinem Entwurf. Und vor allem, dass die Kultur in der Stadt unabhängig vom Kulturleitbild Begegnung, Freiheit, Lebensfreude und Unberechenbarkeit fordert und fördert.

Es folgen noch kulturelle Jahresrückblicke mit Carena Schlewitt (Kaserne), Hirscheneck-Booker Marlon McNeill und Galerist Stefan von Bartha. Bereits erschienen: Angelo Gallina, Guy Morin, Thomas Jenny, Smash137 und Sam Keller.

Rückblick #5: Vermisste Freunde und eine James-Bond-Kulisse

schlaglicht am Donnerstag den 30. Dezember 2010

Für den Rückblick auf das Basler Kulturjahr 2010 haben wir verschiedene Persönlichkeiten aus der Region zu ihren Höhe- und Tiefpunkten aus dem sich zu Ende neigenden Jahr befragt. Sam Keller, Direktor der Fondation Beyeler, ist viel gereist und will weiter reisen.

Sam Keller, Direktor der Fondation Beyeler, vor Gustav Klimts «Tänzerin». (Foto Mischa Christen)

Herr Keller, was war Ihr kulturelles Highlight 2010?
Der Besuch bei Richard Serra in seinem New Yorker Atelier. Er ist einer der interessantesten Künstler unserer Zeit und seine Skulpturen ermöglichen unvergessliche essentielle Erfahrungen. Wir werden einige seiner besten Kunstwerke nächsten Sommer nach Basel bringen.

Gab es auch einen kulturellen Tiefpunkt?
Mit den Künstlern Louise Bourgeois, Robert Rauschenberg und Christos Partnerin Jeanne-Claude sowie den Kunstsammlern Ernst Beyeler, Rudolf Leopold und Conte Panza di Biumo hat die Kunstwelt einzigartige Persönlichkeiten verloren.

Was haben Sie verpasst?
Oh je, daran darf man gar nicht denken. Viele internationale Ausstellungen und Konzerte hätte ich auch noch gerne gesehen. Und auch gerne mehr Bücher gelesen und Kinofilme gesehen. Was ich am meisten bedaure ist wohl, die Caravaggio-Jubiläumsschau in Rom und die Ausstellung «the Sacred made Real» über barocke spanische Malerei und Bildhauerkunst in der National Gallery London verpasst zu haben.

Haben Sie etwas vermisst?
Ja, seit die wunderbaren Werke des kubanischen Künstlers Felix Gonzales-Torres unser Museum nach Ausstellungsende wieder verlassen haben, vermisse ich sie wie gute Freunde.

Hat Sie etwas besonders positiv überrascht?
Dass es Herzog de Meuron weiterhin gelingt, sich selber zu übertreffen: Mit dem Vitra Haus in Weil ist ihnen ein grosser Wurf gelungen, und in Miami haben die Basler Architekten das spektakulärste Parkhaus der Welt gebaut. Eine ideale Kulisse für den nächsten James Bond Film!

Was sind Ihre Kulturwünsche fürs 2011?
Beruflich hoffe ich, wir können viele Leute mit unseren Ausstellungen und Veranstaltungen in der Fondation Beyeler begeistern. Privat wünsche ich mir, eines der unglaublichsten Kunstwerke zu besuchen: den Roden Crater des Künstlers James Turell in Arizona, wo er seit vielen Jahren einen erloschenen Vulkan aushöhlt, um darin Lichtinstitutionen zu kreieren.

Es folgen unter anderem noch kulturelle Jahresrückblicke mit Carena Schlewitt (Kaserne), Tobit Schäfer (Rockförderverein), Hirscheneck-Booker Marlon McNeill und Galerist Stefan von Bartha. Bereits erschienen: Angelo Gallina, Guy Morin, Thomas Jenny, Smash137.

Rückblick #4: Massaker an der Art Basel Miami

schlaglicht am Mittwoch den 29. Dezember 2010

Für den Rückblick auf das Basler Kulturjahr 2010 haben wir verschiedene Persönlichkeiten aus der Region zu ihren Höhe- und Tiefpunkten aus dem sich zu Ende neigenden Jahr befragt. Der international bekannte Basler Graffiti-Künstler Smash 137 über einen verpassten Sommer, einen sonnigen Pflichttermin zum Jahresende und einen bewilligungsfreien Kulturtag für Basel.

Spraydosenmassaker: Das «Miami Can Massacre» (2010) von Smash 137.

Smash 137, was war Ihr kultureller Höhepunkt 2010?
Die Art Basel in Miami war dieses Jahr definitiv mein Highlight. Es war das dritte Mal, dass ich mir diesen späten Pflichttermin im Dezember gegeben habe, und was sich da rund um die Muttermesse Art Basel aufgebaut hat, ist der helle Wahnsinn. Im Wynwood Arts District wurde in dieser Woche jede zweite Garage leergeräumt und kurzerhand zur Galerie umfunktioniert. Und on top wurden die meisten Fassaden der Gebäude im District auch gleich noch von oben bis unten von Künstlern bemalt.Amerika zeigte sich in dieser Woche von seiner allerbesten Seite.

Gab es auch einen kulturellen Tiefpunkt?
Ja, den gab es leider. Der grosse und viel zu frühe Verlust des Basler Künstlers Sigi von Koeding alias «Dare» hat bestimmt nicht nur mich stark getroffen.

Dieses Bild entstand für eine Genfer Galerie.

Was haben Sie verpasst?
Weil ich mich intensiv auf eine Ausstellung in Genf vorbereitet hatte, habe ich den Sommer verpasst. Am Tag, an dem ich meine Bilder in die Galerie gefahren habe, regnete es und über das Radio habe ich erfahren, dass es der letzte Kalendertag des Sommer sei.

Haben Sie etwas vermisst?
Einen Abend wie die «Usestuehlete» vermisse ich schon seit längerem in Basel. Die letzte «Usestuehlete» fand hier meines Wissens im letzten Jahrtausend statt. Es war ein Abend, an dem jedermann in Basel eine Beiz auf der Strasse, unter einer Unterführung, auf einem Parkplatz oder in einem Hinterhof halten konnte. Man könnte das Ganze noch um einen Tick erweitern und es zu einem Tag erklären, an dem es in Basel keine Bewilligungen für kulturelle Events braucht. Alles wäre erlaubt, was sich nach diesem Tag wieder rückgängig machen lässt. Das könnte ein Tag sein, an dem die Stadt den Leuten gehört, die sie bewohnen und nicht denen, die sie besitzen.

Was sind Ihre Kulturwünsche fürs 2011?
Dass Basel sich mehr traut und mehr ausprobiert. Ich weiss das Kulturprogramm in Basel sehr zu schätzen, doch könnte aus meiner Sicht mehr im Bereich der nicht – oder noch nicht – etablierten Künste passieren.

Wie angeschwemmt: Ein Graffiti von Smash 137 an der Küste vor Barcelona.

Es folgen unter anderem noch kulturelle Jahresrückblicke mit Sam Keller (Fondation Beyeler) , Carena Schlewitt (Kaserne), Tobit Schäfer (Rockförderverein), Hirscheneck-Booker Marlon McNeill und Galerist Stefan von Bartha. Bereits erschienen: Angelo Gallina, Guy Morin, Thomas Jenny.

Rückblick #3: Studio-Umzug vs. BaZ-Hysterie

schlaglicht am Dienstag den 28. Dezember 2010

Für den Rückblick auf das Basler Kulturjahr 2010 haben wir verschiedene Persönlichkeiten aus der Region zu ihren Höhe- und Tiefpunkten aus dem sich zu Ende neigenden Jahr befragt. Thomas Jenny, Chef von Radio X, musste bei der Frage nach dem Highlight des Jahres nicht lange überlegen.

Thomas Jenny, Leiter von Radio X, im neuen Studio. Foto Lucian Hunziker

Thomas Jenny, was war Ihr kulturelles Highlight 2010?
Die Eröffnung des neuen Studios von Radio X auf dem Dreispitz am 30. September 2010 – die eingelöste Utopie einer würdigen Plattform für ein aussergewöhnliches Medium mit 180 Freiwilligen und der grössten Musik- und Sprachenvielfalt der Region.

Gab es auch einen kulturellen Tiefpunkt?
Der Verkauf der Basler Zeitung an Tito Tettamanti ohne Gegenwehr im Februar und die Hysterie um einen Blocher-Auftrag im Herbst.

Was haben Sie verpasst?
Viele viele Filme und Konzerte, da Studiofinanzierung und -bau mich ganz in Beschlag nahmen.

Haben Sie etwas vermisst?
Entsprechend einige elektrifizierende Livemomente.

Was sind Ihre Kulturwünsche fürs 2011?
Mehr Mut. Mehr Witz. Mehr Liebe.

Es folgen unter anderem noch kulturelle Jahresrückblicke mit Sam Keller (Fondation Beyeler), Graffiti-Künstler Smash 137, Carena Schlewitt (Kaserne), Tobit Schäfer (Rockförderverein) und Galerist Stefan von Bartha.

Bereits erschienen: Angelo Gallina, Guy Morin.

Rückblick #2: (Zu wenig) Zeit für Nostalgie

schlaglicht am Montag den 27. Dezember 2010

Für den Rückblick auf das Basler Kulturjahr 2010 haben wir verschiedene Persönlichkeiten aus der Region zu ihren Höhe- und Tiefpunkten aus dem sich zu Ende neigenden Jahr befragt. Regierungspräsident Guy Morin hätte gerne mehr gesehen, als seine Zeit zulässt.

Der Basler Regierungspräsident Guy Morin.

Herr Morin, was war Ihr kulturelles Highlight 2010?
Es gab so viele, ich kann nur einzelne herauspicken: «Hair» im Theater Basel (ich bin ein Nostalgiker), das Alexanderfest oder die «Macht der Musik» von Georg Friedrich Händel in Augusta Raurica oder «Andy Warhol» im Kunstmuseum.

Gab es auch einen kulturellen Tiefpunkt?

«Maldoror» von Philipp Maintz war mir zu düster.

Was haben Sie verpasst?
«Wien 1900: Klimt Schiele und ihre Zeit» in der Fondation Beyeler und viele Produktionen in der Kaserne wie «Spot 2010 Basel: Stadt Plan 2020», «Tag der hellen Zukunft» von Thom Lutz oder Aufführungen des Jungen Theaters wie «Punk Rock» oder «Scham» unter Uwe Heinrich.

Haben Sie etwas vermisst?
Zeit, um die vielfältigsten Kulturveranstaltungen und Produktionen unserer Stadt würdigen zu können.

Was sind Ihre Kulturwünsche fürs 2011?
Dass Baselland den zusätzlichen Beiträgen fürs Theater zustimmt, und dass wir mit Unterstützung unserer Bevölkerung die wunderbare Kulturstadt Basel weiterentwickeln können.

Es folgen unter anderem noch kulturelle Jahresrückblicke mit Sam Keller (Fondation Beyeler), Graffiti-Künstler Smash 137, Carena Schlewitt (Kaserne), Tobit Schäfer (Rockförderverein), Thomas Jenny (Radio X) und Galerist Stefan von Bartha.

Bereits erschienen: Angelo Gallina

Rückblick #1: Fremdschämen vor dem TV und Brillenraub an der AVO-Session

schlaglicht am Sonntag den 26. Dezember 2010

Für den Rückblick auf das Basler Kulturjahr 2010 haben wir verschiedene Persönlichkeiten aus der Region zu ihren Höhe- und Tiefpunkten aus dem sich zu Ende neigenden Jahr befragt. Den Anfang macht Angelo Gallina (42), Boxtrainer und Organisator der Veranstaltungsreihe «Boxeo», bei der Boxen und Kultur lustvoll kombiniert werden.

Da guckst du: Angelo Gallina mit Brille. (Foto: Dominik Plüss)

Angelo Gallina, was war Ihr Kulturhighlight 2010?
Meine Nummer 1 war mit Abstand die von Carena Schlewitt eingeladene zeitgenössische Tanzaufführung von «Bruno Beltrão & Grupo de Rua» in der Kaserne Basel. Nach der Veranstaltung tanzte die Gruppe eine 30-minütige Zugabe, welche mir die letzen Haare geradestehen liess und für die sich das Publikum mit standing ovation bedankte. Im Anschluss habe ich zwei Tage lang nicht geschlafen. Mein Boxkulturhighlight war der «Pilot» von Tobias Brenk im Boxkeller.

Was für ein Pilot?
Der Anlass war die totale Verschmelzung von Kultur und Boxen auf engsten Raum. Klassische Musik bei der Pratzenarbeit des Profiboxers. Zwei Frauen bereiten sich gleichzeitig auf ihren Einsatz vor: Eine Boxerin und eine Tänzerin. Texte werden zu Boxbildern gelesen, das Publikum ist zwischen den Trainierenden und der Kulturbühne. Einzigartig!

Gab es auch einen kulturellen Tiefpunkt?
Unser Regionalfernsehen! Ich muss immer beten, dass niemand ausserhalb von Basel die Comedy-Sendung von Almi und Salvi sieht und diese mit dem Basler Humor verknüpft.

Ihre Einlage bei Tamara Wernlis Kochsendung auf Telebasel hatte aber auch komödiantische Momente.
Wernlis Kocheinsatz war reine Situationskomik. Ihre penetranten, kopulierungsangehauchten Fragen gingen mir auf den Keks. Ich war zum Kochen da, sie wollte Lokalsensationstörtchen backen. Der 18-Minuten-Dreigänger hat zumindest geschmeckt. Essen musste sie ihn alleine – ich war dann schon wieder im Training.

Was haben Sie verpasst?
Den Bus gestern Morgen und die eine oder andere Ballerina vom Basler Theater.

Morcheeba-Sängerin Skye mit Gallinas Brille.

Haben Sie etwas vermisst im vergangenen Jahr?
Meine Brille beim Morcheeba-Konzert an der AVO Session. Ich stand zuvorderst und Sängerin Skye hatte sich die Brille während dem Konzert für einen Song ausgeliehen. Ich hab sie seither nicht mehr gereinigt.

Was sind Ihre Kulturwünsche fürs 2011?
Weniger subventionierte Veranstaltungen an subventionierten Orten, welche ohne zahlende Zuschauer stattfinden und, liebes Christkindli, dass meine Boxeo-Eventreihe die kulturelle Anerkennung findet, die sie verdient.

Es folgen unter anderem kulturelle Jahresrückblicke mit Regierungspräsident Guy Morin, Sam Keller (Fondation Beyeler), Graffiti-Künstler Smash 137, Carena Schlewitt (Kaserne), Tobit Schäfer (Rockförderverein), Thomas Jenny (Radio X) und Galerist Stefan von Bartha.

«Es geht um Wertschätzung der Jugendkultur»

gastautor am Donnerstag den 23. Dezember 2010

Jugendkultur gehört ins Kulturleitbild. Diese Forderung haben diese Woche die Organisationen Basler Freizeitaktion (BFA), imagine/terre des hommes schweiz, infoklick.ch, Kulturkick, Neubasel und Jugendkulturfestival Basel (JKF) formuliert. Sie haben sich dazu entschlossen, eine Vernehmlassungsantwort zum Entwurf des Kulturleitbildes des Kantons Basel-Stadt (hier nachzulesen) zu verfassen. Sebastian Kölliker* vom JKF formuliert in folgendem Gastbeitrag für die Schlaglicht-LeserInnen Gründe und Ziele der Forderung.

Kultur lockt die Massen, wie hier an einem Konzert am Jugendkulturfestival 2009. (Foto Dominik Plüss)

81 Seiten umfasst der Entwurf des Kulturleitbildes für den Kanton Basel-Stadt. Jugendkultur ist darin kein Thema. Das wäre aber notwendig. Am besten in einem separaten Kapitel, um ihre Bedeutung für Basel zu würdigen. Denn Jugendkultur ist spartenübergreifend, voller Potenzial, und sie gestaltet die Stadt nachhaltig wie auch in kurzfristigen Aktionen.

Blättert man durch den Entwurf des Kulturleitbildes Basel-Stadt, trifft man vor allem auf Vorhaben zur Förderung von Grossprojekten und etablierter Kultur. Dass diese wichtig sind, ist gut. Sie brauchen aber ein Gegenstück, damit sie wirklich leben können. Die Jugendkultur.

*Sebastian Kölliker studiert an der Universität Basel Philosophie und Wirtschaft und ist im Vorstand des Rockfördervereins der Region Basel (RFV) und des Jugendkulturfestivals Basel (JKF) aktiv. Zudem engagiert er sich im Komitee Kulturstadt Jetzt.

Die im Entwurf des Kulturleitbildes beschriebenen Massnahmen in vielen Bereichen (wie z.B. Film oder Tanz und Theater) sowie deren Potenziale zielen auf Aktivitäten, die bereits etabliert sind und hohen Ansprüchen genügen müssen. Zusätzlich sollte Förderung aber niederschwellig beginnen, um so ein Fundament zu schaffen.

Nicht nur aus finanziellem Aspekt ist es wichtig, die Jugendkultur in das Kulturleitbild einzubinden. Es geht vor allem um Akzeptanz, Wertschätzung und die Frage, was man in dieser Stadt zulässt. Zur für die Jugendkultur sehr wichtigen Zwischennutzung und zu kulturellem Freiraum werden leider keine Aussagen gemacht. Man kann nicht ausser Acht lassen, dass der grösste kulturelle Freiraum des Kantons, das nt/Areal, schon bald in dieser Form nicht mehr zur Verfügung steht. Es braucht hier keinen Plan des Kantons, aber eine Zusage des Zulassens und Förderns von Freiräumen.

Die Jugend ist Teil der Gesellschaft und so sollte sie auch Teil der Kulturförderung sein. Jugendkultur kann wachsen und macht Nischen lebendig, reagiert schnell, nimmt schnell auf, gibt schnell wieder und kann aus wenig viel machen. Jugendkultur setzt Trends, ist Motor für Veränderungen und entwickelt Neues. Nicht zuletzt reflektiert sie unsere Gesellschaft kritisch und prägt auch den öffentlichen Raum in zunehmendem Masse.

Die Regierung muss sich unbedingt den Auftrag geben, Jugendkultur sowohl finanziell wie auch in der Frage der Akzeptanz, Wertschätzung und der Wahrnehmung in der Gesellschaft zu unterstützen.

Und ja, die Jugend darf dieses Einbinden in ein Kulturleitbild Scheisse finden. Eben, sie ist das Gegenstück.

Der Inhalt von Gastbeiträgen deckt sich nicht zwingend mit der Meinung der Schlaglicht-Redaktion. Die Gastautoren sind in ihrer Meinung und ihren Formulierungen frei.

«Nach dem Edith-Piaf-Remix tobte die Menge»

Joel Gernet am Donnerstag den 16. Dezember 2010

DJ Montes in Aktion: Mit diesem DJ-Set gewann der Basler die Schweizer Vorausscheidung in Zürich, welche ihn nach Paris brachte.

DJ Montes von den Goldfinger Brothers gehört zu den besten Partyrockern der Schweiz. Heute vor einer Woche hat der Basler HipHop-DJ am Final des «Red Bull Thre3Style»-Contest in Paris den dritten Platz erspielt (Baz.ch berichtete) – vor den Augen seiner DJ-Vorbilder Jazzy Jeff (USA), u.a. bekannt aus «Der Prinz von Bel Air», und Cut Killer (F). «Ich hatte den ganzen Tag ein Kribbeln im Bauch, das sind meine Helden», erinnert sich DJ Montes. Dass ihm so prominente DJs auf die Finger gucken, habe die Sache nicht gerade einfacher gemacht. Beim Contest ging es darum, Jury und Publikum innerhalb von 15 Minuten mit einem Mix von Songs aus mindestens drei Musik-Genres zu überzeugen.

«Ich habe mich gut vorbereitet, denn ich wollte vorne mit dabei sein,» sagt DJ Montes. Dass er schlussendlich Dritter wurde, sei eine tolle Sache. Doch vollends zufrieden wirkt der Basler nicht: «Das Problem war, dass ich als letzter der zehn Finalisten an die Reihe kam». Dementsprechend eingerostet sei er dann um halb vier Uhr nachts gewesen. Zudem seien ihm ein paar Fehler unterlaufen, die aber dem Publikum wohl kaum aufgefallen seien. «Ich hatte aber sicher die etwas originellere Soundauswahl, als die Konkurrenten.»

Besonders der Dubstep-Remix eines Edith-Piaf-Songs sei in Paris «saugut» angekommen. Und das vor den Augen der französischen DJ-Legende Cut Killer, welcher 1995 den Piaf-Klassiker «Je ne Regrette Rien» im Kultfilm «La Haine» mit «Sound Of Da Police» von Rapper KRS One mixte (hier zu sehen). Cut Killer habe ihm nach der Showeinlage auf die Schulter geklopft, erinnert sich DJ Montes.


Oben: DJ Montes nach seiner Rückkehr in die Schweiz. Das unten stehende Interview ist am Wochenende nach dem Final per Mail entstanden, als Montes noch in Paris weilte.

DJ Montes, wie hast Du den Final in Paris erlebt?
Also die Organisation war einfach top! Ausser, dass Paris einen Schneesturm erlebt hatte, wie ihn die Stadt seit etwa 15 Jahren nicht mehr gesehen hat. Die ganze Stadt schien dem Schnee zu erliegen. Aus diesem Grund war alles etwas schwieriger. Die technischen Geräte des Events etwa trafen erst rund vier Stunden vor der Cluböffnung ein – da waren viele ziemlich hektisch drauf.

Zu welchen Songs sind die Leute am meisten abgegangen?
Ich habe einige französische Lieder eingebaut, die ziemlich gut angekommen sind. Ich denke am meisten Eindruck habe ich mit meinem Edith-Piaf-Dubstep-Mashup hinterlassen. Was mich auch am meisten verwundert hat, war dass fast kein DJ richtig tief in der Plattenkiste gewühlt hat. Sie spielten oft die selben Songs und ich habe wenige Überraschungen erlebt. Ich denke, am Schluss dieses Events habe ich am vielfältigsten gespielt.

Wie war es, im Elysée in Montmartre aufzulegen?
Im Vorfeld haben alle Verantwortlichen gesagt, es wäre total hart, in Paris die Leute zu begeistern. Ich hatte aber auch das Pech, als letzter der 10 DJs zu spielen. Das machte das Ganze noch schwieriger. Aber als ich die ersten Tracks gespielt habe, gingen die Leute so extrem ab, dass mich diese Angst schnell wieder verliess. Ausserdem hatte ich das Glück, einige Leute in meinem Kreis zu haben, die extra aus der Schweiz nach Paris kamen, um mich zu unterstützen. Die haben so viel Lärm gemacht, dass alle im Club nochmals etwas Power bekamen und die Jury dadurch wieder wach wurde.

Was hat Dir schlussendlich gefehlt im Vergleich zu den beiden DJs vor Dir?
Als ich mit meinem Set fertig war, habe ich gedacht, dass ich mindestens Zweiter werden muss. Im Nachhinein wurde mir gesagt, dass die Entscheidungen sehr knapp ausfielen. Ich denke halt, dass mein Startplatz sehr unglücklich war. Was mich aber sehr gefreut hatte war, dass mir sehr viele aus dem Pariser Publikum gratuliert haben – sie fanden meine Vorstellung cool. Aber der Gewinner des Abends hatte ein wirklich gutes Set hingelegt und er hat mit seiner Bühnenpräsenz und seiner Technik überzeugt.

Wie bereitet man sich auf einen Event wie diesen vor?
Als ich vor etwa drei Monaten angefragt wurde, habe ich mir zuerst einmal eine Liste zusammen gestellt mit Tracks, die ich auf jeden Fall spielen möchte. Mit dieser Liste und mit meinen Clubsets, die ich eigentlich jedes Wochenende spiele, habe ich mich im Studio eingeschlossen und das Ganze auf 15 Minuten reduziert. Das war total schwierig. Dann habe ich die Qualifikation in Bern bestritten, um überhaupt nach Zürich in den Schweizer Final zu kommen. Da wurde ich Zweiter. Nach diesem Event hatte ich dann zwei Wochen lang alles gegeben, um mein Set nochmals anzupassen. In Zürich haben dann alle Umstände gepasst und ich habe den ersten Platz geholt. An meiner Seite hatte ich meinen Bruder, La Febbre, der mir extrem geholfen hatte, mein Set zwischen Bern, Zürich und Paris stetig zu verbessern. Es war eine Entwicklung. Da niemand genau wusste, was das für ein Contest war, musste ich halt ausprobieren. Es gab klare Regeln, die man einhalten musste – aber am Schluss war es eine Party!

Welche Musik – abgesehen von Rap – spielst Du momentan am liebsten?
Ganz klar Dubstep.

Was unterscheiden den Thre3-Style-Contest von anderen DJ-Wettbewerben?
Der Wettbewerb widerspiegelt, wie ein DJ heutzutage sein muss: vielfältig, technisch und innovativ! Es ist ein Contest fürs Publikum, der alle Seiten eines DJ’s fordert.

Wird der oben erwähnte Dubstep-Remix des Edith-Piaf-Songs irgendwo veröffentlicht?
Als ich dieses Mashup rausgefunden und den Leuten vorgespielt habe, war bei allen die gleiche Reaktion festzustellen: «voll geil!». So haben ich und mein Bruder uns entschieden, das Ganze in Eigenregie – und vorläufig auch nur im Netz – zu releasen. Watch out for The Famous Goldfinger Brothers….

Heute Donnerstag legen die Goldfinger Brothers im Rahmen der Spendenaktion «Jeder Rappen zählt» im Glascontainer auf dem Berner Bundesplatz auf. Die «Silentparty» kann vor Ort ausschliesslich via Kopfhörer mitverfolgt werden – diese gilt es zu Gunsten kriegsversehrter Kinder für 20 Franken zu mieten. Das DJ-Set wird von 22 Uhr bis Mitternacht auch live auf DRS 3 übertragen.