Archiv für die Kategorie ‘Luca Bruno’

Hare-Krishna-Rap und ein Vierteljahrhundert Country in Münchenstein

Luca Bruno am Samstag den 11. Dezember 2010

Letzte Woche haben wir vom 1.STOCK in Münchenstein geschwärmt. Ob unsere Behauptung, dass das Lokal momentan über die beste Livemusik-Programmierung der Stadt verfügt, auch wirklich stimmt, können wir in den nächsten 7 Tagen gleich mehrmals überprüfen.

«Sit Down, Man»

«Sit Down, Man»

Den Anfang machen die New Yorker Das Racist, welche diesen Sonntag, dem 12. Dezember, dem 1. Stock einen Besuch abstatten werden. Auf ihrer MySpace-Seite beschreibt sich die Band als «a weed edge/hare krishna hard core/art rap/freak folk music trio». Letztes Jahr bekam die Blogosphäre dank ihrem Track «Combination Pizza Hut and Taco Bell» zum ersten Mal Wind von Das Racist und schnell war man versucht, das Duo als ein weiteres Hipsterprojekt aus Brooklyn abzustempeln. Doch schon ihr erstes Mixtape «Shut Up, Dude», welches diesen März erschien, bewies eindrücklich das Gegenteil.

Das Racist bringen zwar eine wichtige Komponente von Hipstermusik mit: Ihre Lyrics lesen sich wie ein Lexikon zeitgenössischer Popkultur und kommen dementsprechend auch verpackt in jede Menge Ironie daher, ihre musikalischen Referenzen sind allerdings viel zu tief, als dass es sich hier nur um ein blosses Spassprojekt handeln könnte. So ist beispielsweise der erste Track von «Shut Up, Dude» eine clevere Hommage an A Tribe Called Quest und in einem anderen Track wiederum wird Ghostface Killahs Klassiker «Nutmeg» angegangen.

Vor knapp 3 Monaten erschien mit «Sit Down, Man» nun ihr zweites Mixtape und ein kurzer Blick auf die Produzenten- und Gästeliste zeigt, dass sich Das Racist über die vergangenen Monate jede Menge Bewunderer angeschafft haben. Besonders erfreulich ist jedoch, dass sich unter den Gästen nicht nur Hip Hop-Grössen wie beispielsweise El-P befinden, sondern auch zahlreiche junge Brooklyn-Bands wie Chairlift oder KeepAway, die mit Hip Hop normalerweise nichts am Hut haben, die Produzentenrolle auf «Sit Down, Man» übernahmen.

Wir empfehlen das Konzert von Das Racist also allen, die wieder einmal über den Tellerrand hinausschauen möchten und wer sich aus diesem Grund ordentlich vorbereiten will, macht das am besten mit den beiden erwähnten Mixtapes, die sich auf der offiziellen Homepage von Das Racist in voller Länge anhören lassen.

Ein komplett anderes Bild bietet sich uns dann am nächsten Mittwoch. Am 15. Dezember tritt nämlich Alt Country-Grösse Howe Gelb mit seiner Band Giant Sand im nahegelegenen Depot auf. Und wer sich auf dieses Konzert ebenfalls optimal vorbereiten möchte, wird bis nächsten Mittwoch ausgiebig beschäftigt sein: Seit 1985 erschienen nämlich nicht weniger als 25 Alben von Giant Sand.

Das Motto der aktuellen Tour lautet dementsprechend «25 Jahre, 25 Alben Giant Sand» und wir dürfen nebst Stücken aus ihrem sehr gelungenen aktuellen Album «Blurry Blue Mountain» also auch auf den einen oder anderen Klassiker hoffen. Howe Gelb war in den vergangenen Jahren zwar gern gesehener Gast in der Schweiz, sein letzter Auftritt in Basel unter dem Namen Giant Sand liegt jedoch schon einige Jahre zurück. Und wer sich seit 10 Jahren nicht mehr mit Howe Gelb beschafft haben sollte, sei hiermit beruhigt: Auch 2010 steht Giant Sand noch immer für staubigen und intimen Alternative Country – wie man ihn in der Wüste von Arizona schon seit 25 Jahren macht.

Casiotone for the painfully hopeful

Luca Bruno am Dienstag den 7. Dezember 2010

In den letzten Jahren haben die ganzen Göläs und Patent Ochsners ganze Arbeit geleistet, um uns sämtliche Freude an Schweizerdeutscher Popmusik zu nehmen. So ist es umso erfreulicher, dass es sich nun endlich eine neue Generation Musiker zur Aufgabe gemacht hat, das Thema «Popmusik auf Schweizerdeutsch» wesentlich unverkrampfter anzugehen, als es die alte Generation getan hat. Und die gesunde Portion Ironie darf dabei natürlich auch nicht fehlen.

Volta Vital gilt dank seinen zahlreichen Konzerten seit einiger Zeit als Geheimtipp und seine vor wenigen Tagen erschienene Debüt-EP (sozusagen ein Mini-Album) sorgt nun endlich dafür, dass wir das «Geheim» mit bestem Gewissen streichen dürfen. Die «Mittelmass» EP enthält 7 Pophits, irgendwo zwischen Console und dem Jeans Team, welche von «slice of life»-Geschichten handeln, die sich mit den zahlreichen Hürden, die man im Leben so zu meistern hat, befassen. Und diese Hürden sind zwar hoch, den Mut verliert Volta Vital aber nie: «Au wenn die Mönschheit dräck isch, ond zwar de letschti, wönschti trotzdem du wärsch mis Hafebecki» (aus «Hafebecki»).

Wieso er seine überdurchschnittliche EP jedoch Mittelmass nennt und wie eigentlich sein Verhältnis zu Schweizerdeutscher Popmusik ist, beantwortet uns Volta Vital gleich selber:

Du singst auf Schweizerdeutsch. Inwiefern war das eine natürliche Entscheidung?
Das war keine Entscheidung. Ich merkte einfach, dass es so auch geht – und das trotz der vielen abschreckenden Beispiele an «Schweizerdeutscher Popmusik». Eigentlich bemerkte ich sogar, dass es so viel besser geht.

Deine EP heisst «Mittelmass». Warum diese Tiefstapelei?
Mittelmass ist doch ein schönes Wort, oder?

Auf deiner EP singst du über die Wettsteinbrücke, über ein Hafenbecken und nicht zuletzt Arlesheim. inwiefern darf man deine Platte als Hommage an Basel sehen?
Ich singe oft über Dinge, die vor meiner Nase passieren, oder zumindest passieren könnten. Darum musste das wohl so kommen. Zudem liebe ich diese Stadt. Gleichzeitig ist aber der geografische Bezug für das Funktionieren der Texte meines Erachtens nicht so wichtig.

Du veröffentlichst deine EP auf dem Netzlabel Interdisco – und zwar komplett gratis. Hältst du den physischen Tonträger für überholt?
Durch meine Doppelschichten im Stahlwerk habe ich bereits ein geregeltes Einkommen. Und physische Tonträger sind zwar eine feine Sache – vor allem diese 180-Gramm Vinylscheiben – doch leider platzintensiv und dadurch belastend – und sie verbrauchen Ressourcen. Dies hat mich übrigens auch in letzter Zeit davon abgehalten, übermässig Musik einzukaufen. Zudem höre ich fast nur noch mit dem iPod Musik. Und Interdisco ist schliesslich wie eine Heimat für mich.

Du hast also mit dem physischen Besitz von Musik abgeschlossen. Hast du dennoch keine Bedenken, dass damit auch niemand anderes deine Musik physisch erwerben kann?
Bedenken, dass ich meine Musik verschenke? Nein. Einer Urheberrechtsverwertungsgesellschaft beitreten, mein Werk anmelden? Ich bin ja schon mit meiner Steuererklärung überfordert! Es sollen einfach möglichst viele Leute Spass dran haben. Klar, Konzerte spielen ist schon toll und ich suche ja auch Auftrittsmöglichkeiten, und da gibt‘s ja dann manchmal auch ein wenig Gage. Aber im Grunde ist es ein Hobby. Und es ist Independent, echt Independent!

Die komplette «Mittelmass» EP gibt’s auf dem Basler Netzlabel Interdisco Gratis zum Download: http://interdisco.net/music/id25. In naher Zukunft soll ausserdem eine Remix EP mit Remixen von Dario Rohrbach, Hachi u.a. erscheinen, die Interdisco ebenfalls kostenlos zur Verfügung stellen wird.

Volta Vital gibt’s diesen Freitag, am 10. Dezember 2010, im Artstübli Basel live zu sehen.

«Guitar madness» im Hirscheneck

Luca Bruno am Montag den 29. November 2010
Marnie Stern

Foto: David Torch

Die Zeiten, in denen im Hirscheneck regelmässig Bands wie The National, Patrick Wolf oder Why? zu Gast waren, sind dank immer höher steigenden Künstlergagen zwar seit längerem vorbei. Wer deswegen aber meint, dass am Lindenberg 23 nur noch Hardcore, Deathcore und Sowiesocore-Bands auftreten, täuscht sich gewaltig. Auch 2010 bespielten wieder einige Indie Rock-Perlen die Bühne des Hirschenecks und die grösste Perle des Jahres schaut morgen Abend, am 30. November, vorbei.

Die Rede ist von Marnie Stern, eine 34-jährige Songwriterin aus New York. Wer hinter dem Begriff «Songwriterin» musikalische Untermalung für den nächsten Starbucks-Besuch erwartet, ist bei  Marnie Stern jedoch an der falschen Adresse. Die Homepage des Hirschenecks kündigt das Konzert als «Guitar madness» an und bevor wir näher auf diesen Begriff eingehen, schauen wir uns doch am besten kurz folgendes Video an:

«Guitar madness» trifft es also ganz gut. Und wem dieses Video nur ein emotionsloses Schulterzucken hervorlocken sollte – schliesslich gibt es ja nichts langweiligeres als endlose Gitarrensolos – beruhigen wir mit folgender Tatsache: Marnie Sterns Herz gehört trotz technischer Versiertheit dem Pop. Ihre Songs sind kurz und prägnant und orientieren sich nicht etwa am Classic Rock, sondern viel mehr an Bands wie den Minutemen oder Television.

Marnie Sterns drei Alben sind auf dem traditionsreichen US-Label Kill Rock Stars erschienen. Eine hervorragende Kombination; denn wer beispielsweise ihre Labelkollegen Deerhoof oder Sleater-Kinney mag, wird auch an Marnie Stern Gefallen finden.

«Transparency Is The New Mystery» (aus «Marnie Stern», 2010, Kill Rock Stars)

Marnie Stern: Diesen Dienstagabend (30. November) Live im Hirscheneck. Support von den Longjhons. Doors: 21:00, Beginn: 21:30.

«Eine Stadt in der Grösse von Basel sollte auf jeden Fall einen grösseren Club haben.»

Luca Bruno am Samstag den 27. November 2010

Kaum jemand anderes hatte in den vergangenen Jahren einen so guten Blick hinter die Konzertkulissen der Stadt Basel wie Heinz Darr. Bis vor kurzem war er Bookingverantwortlicher des Volkshauses und hatte vor ein paar Jahren die gleiche Position in der Kaserne inne.

Gestern haben wir uns gefragt, ob Basler eigentlich einfach nicht gerne an Konzerte gehen. Heinz Darr präsentiert uns seine Sicht der Dinge:

Ist Basel ein gutes Pflaster für Konzerte?
Heinz Darr:
Basel hat eine gute Tradition im Britpop, die bis heute wirkt. Natürlich werden die Konzertgänger älter und neue Generationen wachsen nach. Doch wenn man ein Programm nicht nur für die «Szene» macht und auch Publikum von Deutschland, Frankreich und der Restschweiz generiert, hat man auch in Basel tolle Möglichkeiten.

Was heisst das konkret für die Programmierung einer Location wie das Volkshaus?
Ein grösserer Club, der nur auf eine Richtung spezialisiert ist, sei es Indie, Hip Hop oder Techno, wird auf Dauer Probleme haben. Das was für einen kleinen Club unverzichtbar ist – Ausrichtung auf ein Stammpublikum und Verlässlichkeit in der Programmausrichtung – kann für einen grossen Club zur Falle werden, weil es so unheimlich schwierig wäre, regelmässig 1000 Besucher zu generieren. Deshalb muss man aber noch lange nicht «alles» machen, das hängt dann von der eigenen Kompromissfähigkeit ab.

In Basel beschweren sich Konzertgänger oftmals darüber, dass ein zu kleines Angebot besteht. Trotzdem sind die Konzerte in dieser Stadt chronisch unterbesucht. Woran liegt das?
Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es Bands gibt, die in einer vergleichbaren Stadt das Gegenteil bewirken. Das heisst im Klartext: Konzerte, die in Basel kein Publikum anziehen, sind in einer vergleichbaren Stadt auch nicht plötzlich ausverkauft. Es bleibt ein Problem für unbekannte Bands, ein Publikum zu erreichen. Das ist nicht nur in Basel so. Allerdings hatte ich auch schon den Eindruck, dass man hier nicht sonderlich experimentierfreudig ist. Anderseits ist ein grosses Konzertangebot immer vom Publikumszuspruch abhängig: Langfristig wird es nicht 10 Konzerte pro Woche geben, wenn nur eines oder zwei gut besucht werden. Wenn alle die gleiche Rosine picken, wird die Möglichkeit des Rosinenpickens wegfallen.

Ist es in Basel, das nur knapp 50 Zugminuten von Zürich, einer Stadt mit einem viel besseren Konzertangebot, entfernt liegt, überhaupt möglich, ein vernünftiges Konzertprogramm auf die Beine zu stellen?
Natürlich ist Zürich eine Liga für sich, welche die Konzerte bündelt. Die Konkurrenz um eine bekannte Band ist vielfältig, da in der Regel nur ein Termin für die Schweiz zur Verfügung steht. Zürich ist die erste Präferenz, alle anderen Schweizer Städte bewerben sich auch und die Clubs in Basel konkurrieren sich ebenfalls. Aber natürlich gibt es immer wieder Chancen, Bands auch nach Basel zu holen, das zeigt die Vergangenheit.

Das Komitee «Popstadt Basel» fordert eine zusätzliche Konzerthalle für Basel die 1000-1500 Zuschauer fasst. Ist das überhaupt der richtige Ansatz, wenn Konzerte hier so oft nur spärlich besucht sind?
Eine Stadt in der Grösse von Basel sollte auf jeden Fall einen grösseren Club haben. Es gibt ja Schweizer Künstler wie Stress, die Lovebugs oder Sophie Hunger, die nicht mehr unbedingt in einem kleinen Club spielen. Dann sind da deutsche Acts wie Clueso, Sido, BossHoss u.a., die national erfolgreich sind und gerne und oft in der Deutschschweiz spielen. Und internationale Acts von grösserer Bekanntheit würden ohne grössere Konzerthalle so einen Bogen um Basel machen. Und dass grosse Clubs in mittelgrossen Städten funktionieren, sieht man ja in anderen Städten wie Bern, Fribourg oder Solothurn.

Die Kaserne reicht also nicht aus?
Die Reithalle in der Kaserne ist eine tolle Konzertlocation. Durch die zusätzlichen Sparten Theater und Tanz gibt es allerdings zum Einen recht wenig Freitermine für Konzerte und zum Anderen steht die Halle nicht «konzertbereit» mit Bühne, Sound und Lichtanlage zur Verfügung und muss immer erst auf- und nach der Veranstaltung wieder zurückgebaut werden, was jeweils mehrere Tage dauert und sehr kostenintensiv ist.

Nehmen wir mal an, es stünde ein unlimitiertes Budget für die Errichtung einer neuen Konzertlocation in Basel zur Verfügung. Wie sollte diese Location aussehen?
Ich finde das Volkshaus architektonisch und klanglich wesentlich gelungener als viele neue Spielorte, an denen ich war. Einem Neubau fehlt einfach das Flair, wie es ein älteres Gebäude hat. Ich würde also viel Geld in das Volkshaus investieren, bevor etwas Neues gebaut wird. Umgebaute Fabrikhallen haben meist eine gute Atmosphäre, leiden aber oft unter Soundproblemen. Ich war allerdings einmal im Kraftwerk in Rottweil, einem Industriedenkmal, jetzt Veranstaltungslocation. Da dachte ich, das dies in etwa die perfekte Location sei – ausser der Tatsache, dass sie in Rottweil steht (die Rottweiler mögen mir verzeihen).

Auch wenn Ihre Zeit im Volkshaus von eher kurzer Dauer war: Was waren Ihre Highlights?
Das erste Konzert von Sophie Hunger hatte etwas magisches, das sie niemals mehr in dieser Form erreichte. Grizzly Bear waren als Band der Stunde unheimlich schwer zu bekommen und ich war doch ziemlich stolz darauf, dass sie schlussendlich in Basel spielten. Milow war das am schnellsten ausverkaufte Konzert – das hätte man sicherlich auch an drei Tagen vollbekommen. Und die Aftershow-Party von Erobique und The Whitest Boy Alive war unglaublich cool und der wohl schönste Sommerabend, den ich in Basel erlebt habe.

Popstadt Basel – Alles nur Lippenbekenntnisse?

Luca Bruno am Freitag den 26. November 2010

Als vergangenen April Roxy Records, der einzige szene-relevante CD-Laden in der Basler Innenstadt, ankündigte, sein Tore für immer zu schliessen, platzte das Roxy an seinem letzten Tag urplötzlich aus allen Nähten. Wahrscheinlich hatten die meisten, die damals noch kurz vor Schluss eine CD ergattern wollten, das Innere des Roxy seit über 10 Jahren nicht mehr gesehen. Trotzdem beklagten sich alle darüber, dass Basel nun keinen einzigen unabhängigen CD-Laden in der Innenstadt mehr besässe, und im Nu sprossen zahlreiche Facebook-Gruppen aus dem Boden, in denen alle um das Roxy trauerten oder sogar die Verantwortlichen des Untergangs zu Rechenschaft ziehen wollten.

Foto: Dominik Plüss (BaZ)

Knappe 18 Monate später bietet sich das gleiche Bild: Im Februar 2010 wird bekannt, dass das Volkshaus vor dem Ende steht. 5761 Personen unterstützen das Komitee «Popstadt Basel», welches für Basel u.a. eine Konzerthalle mit einem Fassungsvermögen für 1500 Besucher fordert, mit einer Unterschrift. Als knapp einen Monat später dann die kanadische Band The Hidden Cameras zu Gast ist, sind wieder einmal nur 45 Besucher anwesend. Und das ist nicht etwa ein Einzelfall: CasioKids? 40 Besucher. Hercules And Love Affair (im grossen Saal)? knapp über 100 Besucher. Und diese Liste lässt sich leider beliebig fortsetzen…

Doch als letzten Donnerstag dann der Schwede Kristian Matson alias The Tallest Man On Earth zum vorerst letzten Konzertabend im Volkshaus aufspielt, sind im Unionssaal plötzlich über 400 Leute zugegen. Und wie so oft in Basel hört man dann in den Gängen, wie schade es doch sei, dass es mit den Konzerten im Volkshaus nun schon wieder vorbei sei. Und so weiter…

Offensichtlich werden in Basel also lieber Komitees gegründet und Facebook «Like»-Buttons angeklickt, als an Konzerte gegangen. Es stellt sich also die Frage: Wieso braucht Basel eine Konzerthalle für über 1500 Personen, wenn ein Konzertpublikum dafür gar nicht existiert? Oder existiert es doch und wird in Basel schlicht und einfach das falsche Programm angeboten? Diese und andere Fragen haben wir Heinz Darr gestellt – schliesslich kennt sich wohl kaum jemand anderes mit dem Konzertbetrieb dieser Stadt so gut aus, wie der ehemalige Booker des Volkshauses und der Kaserne. Seine Antworten zu diesem Thema werden wir morgen publizieren – alle Leser sind jedoch herzlich dazu eingeladen mittels Kommentarfunktion schon jetzt ihre persönlichen Meinungen dazu abzugeben.

5 Jahre 1.STOCK – Schlaglicht gratuliert

Luca Bruno am Donnerstag den 25. November 2010

Man könnte meinen, dass uns in Basel langsam aber sicher die Orte für Livemusik ausgehen: Letzten Donnerstag fand das vorerst letzte Konzert im Volkshaus statt, der Kuppel droht momentan die Gefahr, bald von Elefanten des Zoos zertrampelt zu werden und auch das Gerücht, dass es beim Schiff zwangsweise bald “Leinen los!” heissen wird, hält sich seit einiger Zeit wacker. Trotzdem kein Grund, nur Trübsal zu blasen: Seit einiger Zeit erfindet sich die Basler Konzertkultur nämlich am Rande der Stadt gerade neu.

Wer sich schon ein mal ins Tram Nr. 10 oder in die S3 Richtung Münchenstein gesetzt hat, um im Hochsommer auf der Terrasse des 1.STOCKs auf dem Walzwerkareal ein Bier zu trinken oder an einem verschneiten Winterabend “The Next Big Thing” zum ersten Mal auf einer Schweizer Konzertbühne Live zu erleben, weiss wovon hier die Rede ist. Ohne schlechtes Gewissen darf man behaupten: Das beste Konzertprogramm aller Basler Clubs wird momentan im 1. Stock in Münchenstein gemacht.

Vor zweieinhalb Wochen feierte der 1.STOCK nun sein 5-jähriges Jubiläum. Grund genug also, nicht nur ein wenig verspätet zu gratulieren und auf die nächsten fünf Jahre anzustossen, sondern auch mit den Machern des 1. Stocks die vergangenen 5 Jahre ein wenig Revue passieren zu lassen. Felix Bossel stand uns Rede und Antwort:

1. Stock, Walzwerkareal Münchensten

Für einige Konzertlocations in Basel und Region sieht es momentan nicht all zu rosig aus. So verwundert es doch eigentlich, dass ihr euer Konzertangebot von Monat zu Monat mit immer mehr bekannteren Acts ausbaut. Womit begründet ihr das?
Felix Bossel: Weil wir nicht auch noch Konzerte machen, sondern vor allem.

Inwiefern seid ihr selbst an euren Aufgaben gewachsen?
Zu Beginn war da kein Masterplan. Eher war es eine spontane Entwicklung in kleinen Schritten, die zu dem führte, was heute ist. Dabei war hilfreich, dass sich im Team von Anfang an für alles Anfallende die passende Besetzung fand: Handwerker, Tontechniker, Gastroerfahrener, Compi-Arbeiter – alles war da und hat sich mitentwickelt. Und auf halbem Wege dieser Entwicklung entstand der Hauptbroterwerb für zwei Drittel des Teams: eine Handwerkergenossenschaft, die uns vieles im baulichen Bereich, besonders was die zeitlichen Ressourcen betrifft, ermöglichte und der ganzen Sache damit nochmals entscheidend Schwung verlieh.

Man kann also durchaus sagen, dass wir an unserer Aufgabe mitgewachsen sind.  Muss man auch, insbesondere in der Zusammenarbeit mit Agenturen und Musikern konnten wir uns mit guter Arbeit einen Ruf machen, was nun eben dazu führte, dass immer bekanntere Namen den Weg zu uns finden. Kurz gesagt: Antrieb = Leidenschaft.

Orte für Livemusik in Basel, die nicht gerade im Radius von 500 Meter um den Barfüsserplatz stehen, bemängeln regelmässig, dass sich ihr abgelegener Standort nachteilig auswirkt. Ist der Standort Münchenstein für euch eher Vor- oder Nachteil?
Sicher geht auf dem Weg nach Münchenstein der eine oder andere Stadtbewohner verloren. Aber das hat auch seine guten Seiten: Das Publikum besteht somit fast ausschliesslich aus Leuten, die wegen der Musik da sind und nicht einfach auftauchen, weil sie halt grad um die Ecke wohnen. Das macht sich insbesondere bei ruhigeren Shows oder ruhigen Passagen von Shows bemerkbar: Es wird nicht geschwatzt!

Aber natürlich muss man, wenn man etwas ausserhalb zuhause ist, ganz besonders den eigenen Ruf kultivieren. Das aufmerksame Publikum ist beispielsweise so eine Sache, die sich da anbietet. Das macht nicht nur den Musikern jeweils grossen Eindruck.

Obwohl euer Club ja inmitten eines Industriegebietes steht, hattet ihr – wie auch viele andere Basler Clubs – schon mit Lärmklagen zu kämpfen. Wie geht ihr damit um?
Mittlerweile hat sich die Lage ein wenig beruhigt und wird das hoffentlich weiter tun. Der primäre Lärm war ja noch nie das Problem. An diesem Standort hängt viel mehr vom Verhalten der Besucher ab, denn auf den ersten Blick könnte man wirklich meinen, dass es weit und breit niemanden gäbe, der sich gestört fühlen könnte. Das ist aber nicht der Fall.

Lassen wir nun die ersten fünf Jahre 1. Stock ein wenig Revue passieren. Was waren die Highlights und was die eher weniger guten Momente?
Grösstes Highlight und grösste Anstrengung in einem: Friska Viljor mit proppevollem Haus, tropfenden Decken, einer Band in Hochform mit zweistündigem Set plus Zugaben, Crowdsurfing bei 2.30m Raumhöhe (somit wohl eher Ceiling-Surfing), einem völlig durchdrehenden Publikum, welches irgendwann dann auch noch den Sänger von der Bühne reisst und gegen die Decke drückt. Ebenfalls grossartig waren The Wave Pictures, die uns an einem Sonntagabend beinahe volles Haus bescherten und sich mit drei Sets à 60 Minuten – und damit der Livepräsentation ihres kompletten Liedkatalogs – bedankten (am 11. Februar 2011 übrigens mit neuem Album zu Gast).

Zu erwähnen wäre auch noch das allererste Schweizer Konzert von Gisbert zu Knyphausen – ein grandioser Soloauftritt in intimem Rahmen, der sein ganzes Potenzial erahnen liess. Giant Panda gehört definitiv ebenfalls auch auf diese Liste – Hip Hop ganz ohne Allüren und Stereotypen. Resultat: Party, aber friedlich und entspannt – und natürlich das erste Efterklang-Konzert als Premiere im Depot oder Port O’Brien – was für liebe Leute!

Weniger gute Momente gab’s natürlich auch: Die nicht so gut besuchten Konzerte; oder mühsame, weil geldgierige Bands/Managements/Agenturen. Und eine der wohl grössten Enttäuschungen: die mangelnde Unterstützung und auch Anerkennung durch die Institutionen; und das, obwohl alles, was wir haben – sei es Live-Technik, Umbau und Ausbau der Räumlichkeiten, Expansion ins Depot, und für dort wiederum der Kauf von Live-Technik – aus dem Betrieb selber finanziert wurde und der Beweis mittlerweile mehr als erbracht sein dürfte, dass an diesem Ort ernsthaft und professionell gearbeitet wird. Aber so ist das wohl: Die wirklich spannenden Sachen entstehen an der Peripherie und ohne Zuschüsse.

Und wie sehen eure Pläne für die nächsten Monate aus?
Im neuen Jahr gibt’s Umbauten im Depot, damit da ein paar grössere Namen an Land gezogen werden können. Und auch im 1.STOCK werden wir den einen oder anderen Schritt vorwärts machen und ein qualitativ hochwertiges Programm bieten.

Zukünftige Highlights im 1. Stock, von Schlaglicht empfohlen:
Am 12. Dezember erwartet uns die New Yorker Hip Hop-Combo Das Racist, die vor kurzem mit ihrem Mixtape “Sit Down, Man” für mächtig Aufsehen gesorgt hat.

Ausserdem im Dezember im 1. Stock: Howe Gelb’s Band Giant Sand (15.12.) schaut mal wieder in Basel vorbei und Freunde von Folk Rock werden sicherlich auch an The Builders & The Butchers (17.12.) Gefallen finden.

http://www.schoolyard.ch/
http://www.facebook.com/1.stock