Archiv für die Kategorie ‘Joël Gernet’

Epischer Rap, passend zur arktischen Kälte

Joel Gernet am Freitag den 18. Januar 2013

Die Basler Rapszene beglückt uns heute gleich mit zwei Kollabo-Alben: Kush, Chilz und M-Skills wollen Schweizer Rap mit «Entwickligshilf» einen Tritt in den Allerwertesten versetzen – deren Tonträger wird kommende Woche im Rahmen der Videoclip-Première ausführlicher vorgestellt.

Hier geht es um den zweiten Basler Raprelease von heute: Das gemeinsamen Album von Einzelgänger und Kaotic Concrete. Passend zum aktuellen Wetter heisst deren Veröffentlichung «Antarctica», wobei der Titel vermutlich in erster Linie den düster gehaltenen Songs geschuldet ist. Diese kommen dem ersten Eindruck nach ziemlich episch und bombastisch daher – textlich und musikalisch. Insofern bietet der frisch geleakte Album-Track «Reach For The Stars» mit Slaine (La Coka Nostra, NYC) und Amadeus The Stampede einen guten Vorgeschmack…

Neben LCN-Söldner Slaine haben die beiden mit Sabac Red (Non Phixion) eine weitere Harcore-Rap-Koriphäe aus New York für ihr Album gewinnen können. Gespittet wird auf «Antarctica» hauptsächlich in zwei Sprachen: Der jung und hungrig wirkende Einzelgänger rappt auf Baseldeutsch, Counterpart Kaotic Concrete überzeugt mit englischen Zeilen, wie sie in Basel nur Einer liefern kann. Das «Comeback» von Kaotic Koncrete erfreut Rapfans besonders, gehört der Basler mit Wurzeln in Boston doch seit den 90er-Jahren zur Rapszene am Rheinknie. Zuerst als Mitglied der englischsprachigen Crew Underclassmen (UCM) – und jetzt als schlagkräftiges Zugpferd bei Einzelgängers Label Poetica Fraterna.

Erhältlich ist «Antarcitica» von Einzelgänger & Kaotic Concrete – ebenso wie «Entwickligshilf» von Chilz, Kush & M-Skills – in den Basler HipHop-Geschäften 4Elements (Gerbergässlein) und Ace Records (Steinentorstrasse). Und auf iTunes.

Das Stehaufmännchen des Basler Rap

Joel Gernet am Donnerstag den 10. Januar 2013

Mit «Eva» bringt Rapper Abart sein drittes Solo-Album in Umlauf. Dass es sein bisher nachdenklichstes Werk ist, hat seinen Gund.

Es ist nicht einfach, über Kollegen zu schreiben. Vor allem, wenn sie der eigenen Rap-Crew angehören. Man könnte mir Filz und Beisshemmungen vorwerfen. Andererseits ist dies ein Blog, den wir aus Leidenschaft nebenbei betreiben und in dem wir uns subjektiv mit Sachen beschäftigen, die uns interessierten und die wir als relevant erachten. Und Abart ist relevant: Der TripleNine-Söldner gehört zu den produktivsten Rappern dieser Stadt und tickt seit Jahren konstant wie ein Uhrwerk – auch in Sachen Rapflow. Er war treibende Kraft hinter den drei FCB-Maischtertracks seiner Crew. Und in früheren Jahren stand er mit der Crew Taktpakt und als Backup-Rapper von Black Tiger auf den Bühnen dieses Landes.

Abart – Eva (TripleNine Records 2012).

Abart – Eva (TripleNine Records 2012).

Ende Dezember ist Abarts drittes Solo-Album «Eva» erschienen. Die ausschliesslich in digitaler Form vorliegende «CD» markiert so etwas wie die dunkle Seite des Mondes. Eine kühle, schattige Seite, bedeckt mit Asche und Tränen. Aber auch mit Freude, Liebe und Zuversicht. «Eva» ist ein emotionales Audio-Manifest, mit dem Abart alias Nico Jucker den Tod seiner Mutter, der dieses Album gewidmet ist, verarbeitet. Es ist Schlussstrich und Neubeginn, mit dessen Veröffentlichung der 34-Jährige neue Kräfte freisetzen will. Und wird.

Denn wenn Abart für etwas berüchtigt ist, dann für seine unerschöpfliche Energie, die ihn zum produktivsten Mitglied des Rapkollektivs TripleNine macht – ein stetig schnurrender Musik-Motor. «Eva» umfasst 13 Songs, von denen ein Grossteil ehrlicher und persönlicher daherkommen als dies bei Abart ohnehin schon der Fall ist. Hier landen die Hochs und Tiefs des Lebens direkt auf dem Textblatt. Seine grossmauligen Punchline-Raps hat er fürs TripleNine-Album aufgespart. Liebe und Tod, Hoffnung und Schmerz – auf seinem Drittling behandelt Abart Themen, mit denen sich jeder identifizieren kann. So kommt es, dass der Basler dieser Tage auch positives Feedback von 40-Jährigen Hörern erhält. Eine ungewohnte, aber angenehme Erfahrung für Abart.

Abart und DJ Johny Holiday.

Abart und DJ Johny Holiday.

Dessen drittes Solo-Album markiert den Anfang vom Ende – und umgekehrt. Es wird die letzte Veröffentlichung von Abart sein; gleichzeitig steigt aus Abarts Asche das neue Ich des 34-Jährigen empor. So beschrieben auf auf dem Vorabtrack «Wachküsst usem Schloof»: «Eva isch fertig, y bruuch kei Maske meh. Drum git’s nach däm Album au kei Abart meh. Denn kunnt Nico vom Nico mit em Nico druff. Bi nie meh uf dr Flucht, gib dr Schizo uff».

Dieses Album beschliesst einen Lebensabschnitt und weist mit seiner Jetzt-wird-alles-besser-Haltung den Weg in die Zukunft. Neben dem persönlichen Struggle manifestiert «Eva» aber auch Abarts ungebrochene Liebe für Rap. Dies zeigt sich insbesondere in den Songs, bei denen der Basler seine Mitstreiter ans Mikrophon bittet. Neben seinen TripleNine-Freunden Thierrey, Zitral und Jean Luc Saint Tropez, sind dies Silenus und Krime (Rapreflex) sowie Kid Bakabu, der den Song «Durchblick» mit einem einzigartigen Refrain veredelt.

Wenn ich jetzt das Haar in der Suppe suchen müsste, würde ich den auf Dauer halt doch etwas monotonen Rapflow von Abart bemängeln. Die fadengerade, unverschnörkelte Vortragsweise ist zwar eines von Abarts Markenzeichen, ich glaube aber, es würde seiner Musik gut tun, wenn der 34-Jährige punktuell seine Komfortzone verlassen und sich auf Rap-Experimente einlassen würde.

«Eva» ist seit dem 21. Dezember 2012 auf iTunes erhältlich. Dies nicht nur, um die Produktionskosten des in Eigenregie realisierten Albums möglichst tief zu halten, sondern auch, um die Kräfte für künftige Veröffentlichungen zu bündeln. Denn Abart wäre nicht Abart, hätte er nicht bereits mit den Arbeiten zum nächsten Album begonnen. Und dieses wird dann im besten Fall wieder die Sonnenseite des Mondes abdecken.

Abrissparty auf dem Dreispitz

Joel Gernet am Freitag den 21. Dezember 2012

Die letzte Stunde der YourGallery rückt näher: Ende Jahr wird das Kleinod des Kunstvereins 0123spitz seine Pforten am Walkeweg für immer schliessen. Bevor es soweit ist, steigt in der Halle neben der 36er-Bushaltestelle eine letzte Abrissparty in Form der Abschiedsausstellung «Les Copins». Heute Freitag wird sie eröffnet.

Daniel Fröhlicher aka Jon Doe, Initiant der YourGallery.

Zum letzten Tanz bitten mit Ynre und Jon Doe zwei der Künstler, die die Geschicke der YourGallery in den vergangenen eineinhalb Jahren leiteten. Während es in der vorletzten Ausstellung von Graffiti-Legende Kron vor allem Bilder mit Gesichtern und Figuren zu sehen gab, bekommen die Besucher nun wieder eine geballte Ladung Buchstaben vorgesetzt – von filigran bekritzelten Leinwänden über saftige Tag-Schriftzüge bis hin zu klassischem Wand-Graffiti.

Und als Abschlussbouquet haben es sich Ynre und Jon Doe nicht nehmen lassen, die Gallery-Mauern bis unters Dach zuzubomben. «Wir wollten durchdrehen und den Raum so bemalen, wie es bisher noch nie der Fall war», sagt Daniel Fröhlicher alias Jon Doe. Der Galeriegründer und Vereinspräsident blickt auf eine ereignisreiche Zwischennutzung mit rund 20 Ausstellungen zurück.

Im Sommer 2011, kurz vor der Art Basel, bekam er Wind von der leerstehenden Garagenhalle – und schlug zu. «Als ich den Raum und den Mietpreis sah, wusste ich: da ist etwas machbar», erinnert sich der 30-Jährige. Ohne Konzept, dafür mit umso mehr Elan, erschufen Fröhlicher und seine Kunstkollegen – alle mit Graffiti-Hintergrund – quasi über Nacht einen neuen Basler Offspace für junge, urbane Kunst. «Es war cool, etwas für Basel machen zu können», sagt Fröhlicher. Als grösster Erfolg wertet er, dass sich die YourGallery während der Zwischennutzung eine treue Fanbasis erarbeiten konnte und in der Öffentlichkeit als Kunstplattform wahrgenommen wurde. Unvergessen auch die Sommernächte im Hinterhof der Galerie – mit Grill, Getränken und Blick auf die Bilder im Innern der Halle.

Zähne zeigen: Eines der Bilder von Ynre.

Zähne zeigen: Eines der Bilder von Ynre.

«Klar hat uns die Gallery zeitweise auch aufgefressen, schliesslich haben wir sehr viel Zeit investiert – aber ich bereue nichts», sagt Fröhlicher mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht. Wie es 2013 weitergeht, weiss der 30-Jährige noch nicht genau. Nach alternativen Standorten hat sich der Kunstverein zwar bereits (erfolglos) umgesehen. Man ist sich aber auch bewusst, welche Perle man sich mit der ausrangierten Garage geangelt hat. «Wir waren verwöhnt mit dieser Halle an diesem zentralen Standort », findet Fröhlicher.

Wenn sich eine neue Gelegenheit bietet, ist ein Revival nicht ausgeschlossen – forcieren will man aber nichts. «Wir wollen Spass haben – und nicht eine professionelle Galerie betreiben», erklärt Fröhlicher. Der Kunstverein 0123spitz bleibt jedenfalls auch ohne festes Domizil bestehen. Und voraussichtlich wird es auch 2013 vereinzelte Events geben. Wo auch immer. Bevor es soweit ist, steht jetzt aber eine letzte Ausstellung zweier «Copains» an – und danach bleiben viele farbige Erinnerungen.

Les Copains. YourGallery, Walkeweg 1, Basel, Fr. 21. Dezember bis So. 30. Dezember. Öffnungszeiten

Der Basler Tempelritter

Joel Gernet am Donnerstag den 20. Dezember 2012

Der HipHop-Pionier Kalmoo ist der neuste Zugang des interkantonalen Rapkollektivs Temple Of Speed um Skor, Baze, Tinguely dä Chnächt und EKR. Das gemeinsame Album «10 Tracks – Vol. 4» ist soeben erschienen. Die CD markiert den Anfang einer neuen Soundoffensive des Baslers.

Als bei Kalmoo vor ein paar Wochen das Telefon klingelte, wusste er noch nicht so genau auf was er sich einlässt. Am anderen Ende der Leitung: EKR, Zürcher HipHop-Legende und Mitglied des Rapkollektivs Temple Of Speed (TOS). Er wollte den Basler Rapper mit dabei haben bei den Tempelrittern. «Zuerst habe ich schon gestaunt», erinnert sich Kalmoo. Natürlich hat der 38-Jährige den Ritterschlag angenommen.

Kalmoo (mit Cap) mit Skor, Tinguely dä Chnächt, E.K.R., Baze und Sterneis (v.l.). (Foto: Tobias Nölle)

Seit Freitag ist das erste TOS-Album mit Basler Beteiligung um Umlauf. Es heisst «10 Tracks – Vol. 4» und wer meint, damit habe der Basler seine Schuld getan, täuscht sich gewaltig: Die CD ist nämlich die vierte einer Serie, die am Ende aus zehn Alben mit je zehn Songs bestehen wird, alle produziert vom Zürcher Beatbastler Sterneis. Die Songs heissen konsequenterweise stets «Track 1» bis «Track 10» – und ratet mal, wieviel der Tonträger kosten wird. Auf jedem Album stösst ein weiterer Rapper zur Runde. Beim vierten Tempeltreffen sind dies Skor, EKR und Tinguely dä Chnächt aus Zürich, der Berner Baze – und Kalmoo, straight outta Rheinknie, der dem Ganzen nun eine Basler Dialektnote beifügt.

Mit seinen atemlosen, verschachtelten, assoziativ aneinandergereihten Reimkaskaden passt Kalmoo perfekt zu Temple Of Speed, wo sich jeder Rapper durch eine heute fast schon selten gewordene Unverwechselbarkeit auszeichnet. Mal sind die Raps der Fünf direkt aus dem Leben gegriffen, dann bewegen sie sich wieder auf dem schmalen Grad zwischen Genie und Wahnsinn – insbesondere bei EKR und Kalmoo. Was vom Stapel gelassen wird, hat Ecken und Kanten, ist das Gegenteil von massentauglich – und gerade deswegen so erfrischend. Refrains sind eine Seltenheit, dafür platziert Sterneis immer wieder witzige Gesprächsfetzen auf seinen Soundteppichen, die vorzugsweise auf Soul- und Rocksamples basieren.

Erhalten hat Kalmoo die zehn Beats eineinhalb Wochen vor den Aufnahmen – auch das ist Teil des Konzepts. «Das war ziemlich happig» erinnert sich der Basler, «da musste ich richtig Gas geben». Die Atmosphäre bei den Aufnahmen sei dann vom ersten Moment an super gewesen. «Wir wussten: das mit dem Fussball lassen wir auf der Seite», schildert ein lachender Kalmoo sein erstes Zusammentreffen mit den Tempelrittern.

Eigentlich möchte er lieber als «Tempelmönch» betitelt werden – weil diese nicht mit den Kreuzzügen in Verbindung gebracht werden. Allerdings kann man die Mission von Temple Of Speed durchaus als Kreuzzug bezeichnen – als Kreuzzug gegen massentauglichen Poprap zum Beispiel. Und als Statement für bodenständiges Mcee-Handwerk, das trotz Retro-Flavour frisch wirkt wie das Gemüse im Quartierladen.

Altersmilde kann man Kalmoo nicht vorwerfen. Und Altersmüdigkeit erst recht nicht, denn 2013 schiesst der 38-Jährige aus allen Rohren: Im Frühjahr soll das 20-Jahr-Jubiläum seiner Crew TNN (mindestens) mit einem Konzert im Sommercasino gefeiert werden. Daneben arbeitet Kalmoo am dritten Solo-Album, das «Egomania» heissen soll. Und auch seine sexbesessenen Alter-Ego-Terrorbrüder «MC Bitch & Dick MC» planen ein Mixtape mit dem passenden Namen «Eine Penislänge voraus». Es wird einiges zu hören geben von Kalmoo – zumal er sechs weitere Alben mit Temple Of Speed rauszuballern hat.

Temple Of Speed: 10 Tracks – Vol. 4, Bakara Music. Erhältlich bei iTunes, Urbanpeople oder – ab Samstag – im Ace Records an der Steinentorstrasse 35 in Basel.

TOS-Member Baze kann zudem am Freitag, 21. Dezember, mit seinem Kult-Projekt Tequila Boys live auf der Bühne des SUD Basel erlebt werden. Soll eine Riesensause sein.

Aus dem Schatten der Boxen ins Rampenlicht

Joel Gernet am Mittwoch den 12. Dezember 2012

Aus Pyros Facebook-Timeline sprudeln dieser Tage mehr Hurra-Meldungen als Schaumbläschen aus einer frisch entkorkten Champagnerflasche. Der Basler Rapper hat auch allen Grund, die Korken knallen zu lassen. Die Veröffentlichung seines zweiten Solo-Albums «Schatteboxe» (VÖ: 07.12.12) läuft bis jetzt nämlich wie geschmiert: Das Feedback der Fans ist positiv bis überschwänglich, Airplay bei DRS 3, TV-Auftritt bei Joiz und ein fester Platz in den Top-Ten der Rapalbum-Charts auf iTunes. Und das alles völlig zu Recht.

Mit der Doppel-CD «Schatteboxe» unterstreicht Pyro, dass der berüchtigte Freestyle-Champ nicht ohne Grund zu Basels Vorzeigerappern zählt. Und er beweist, dass er seinem Album-Debut 2008 mit «Hoffnigsfungge» den richtigen Titel verpasste. Was der 31-Jährige in seinem jüngsten Werk liefert, ist nämlich so vielseitig wie überzeugend. Von rockigen Bangern wie dem Opener «Us em Schatte vo de Boxe» über Gutelaune-Tracks wie «Mach was d wotsch» oder Hühnerhaut-Songs wie «Dr Grund» (mit Danimaa) bis hin zu exotisch angehauchten Fernweh-Hymnen wie «I kumm zrugg» bietet Pyros Zweitling alles, was ein gutes Album ausmacht. Bei den beiden letztgenannten Songs beweist der Basler zudem, dass er auch ein Händchen für eingängige Refrains hat. Das kommt gut und sorgt lustigerweise dafür, dass die Vorabsingle «Radio» nicht der zwingendste Radio-Song auf dem Album ist.

Nicht nur deshalb, sondern auch wegen Pyros schön verständlich vorgetragenen Mundartraps und dem positiven Grundton, ist das Album auch für Musikfreunde ausserhalb des HipHop-Kosmos sehr gut zugänglich. Und dennoch ist «Schatteboxe» ein Rapalbum durch und durch, da darf Pyro ruhig mit breiter Brust drauf beharren. Dieses «nicht-das-typische-Rapalbum»-Gerede in Presstext und Interviews ist meiner Meinung nach völlig unnötig. Pyro ist Rap. Er macht Rap. Und dies richtig gut. Dass der Herr dabei stets über den Tellerrand der eigenen Szene blickt, macht seine Musik umso spannender.

Der Dubsteb-Remix des Songs «Zombie», in dem Pyro mit Ironie gierige Businessmänner und Politiker seziert, ist ebenso eine Bereicherung wie der Reggae-Remix von «Fühl mi guet». Insgesamt werden auf der Doppel-CD diverse Songs als Original- und Remix-Version präsentiert. Da können beim Hören schon einmal Luxusprobleme auftreten: So kann ich mich etwa bei der humorvollen Bombe «Mach was d wotsch» nicht entscheiden, welche Variante mir besser gefällt. Wenn ich Pyro wäre, würde ich an den Konzerten die Strophen jedenfalls auf beide Beats verteilen. Ein weiterer Höhepunkt ist der Song «Mi Tisch», auf dem der 31-Jährige seiner treuen Schreibunterlage huldigt und dabei in Sachen Wortwitz an deutsche Rapper wie Dendemann oder Blumentopf erinnert.

Humor ist ohnehin eines der prägenden Elemente dieses Albums. Daneben wären auch Selbstironie, Lebensfreude und eine Offenheit gegenüber allem und jedem zu nennen. Die Beats auf «Schatteboxe» werden von Funk-, Jazz- und Soul-Samples dominiert, die perfekt zu Pyros durchdachten Texten und Flows passen. Verantwortlich dafür ist in erster Linie Tron (P-27), dessen Soundunterlagen selten so perfekt zu einem Rapper gepasst haben wie zu Pyro. Da haben sich zwei gefunden. Neben Tron haben PearlBeatz, Dr. Aux, Funky Notes und Sandro je einen Beat gebastelt für das 32 Songs umfassende Werk.

Wenn ich nun ein Haar in der Suppe suchen müsste, würde ich allenfalls die vielen Remixes bemängeln – immerhin bekommt man nicht weniger als neun Songs doppelt zu hören. Allerdings ist keiner davon schlecht gemacht. Was soll man dazu noch sagen?! Wenn das Album nur eine CD umfassen würde, hätte Grafiker Pyro die Silberscheiben zudem nicht als Boxen-Membran in den Ghettoblaster-Radio des CD-Artworks miteinbeziehen können. Die Gewinner von Pyros Spendierfreude sind die Hörer, die für wenig Geld viele gute Rapsongs geboten kriegen. Aber das ist der Rapper seinen Fans auch schuldig – schliesslich haben sie sein Album über die Crowfunding-Seite wemakeit mit fast 5000 Franken mitfinanziert. Als erstes Basler Rapalbum. Bleibt zu hoffen, dass auf den gelungenen Album-Zweitling nun viele Konzerte folgen – damit die ganze Schweiz mitbekommt, was für einen freshen Rapper Basel wieder am Start hat. Aus dem Schatten der Boxen ins Rampenlicht!

Pyro: Schatteboxe, erschienen am 07.12.12 via Rappartment.
Plattentaufe: Samstag, 5. Januar 2013, Kuppel Basel.

Die Essenz des Schreibens

Joel Gernet am Dienstag den 11. Dezember 2012

Nichts als Buchstaben – auch wenn sie nicht immer als solche erkennbar sind. In ihrer frisch eröffneten Ausstellung kehren die Macher der Carhartt Gallery in Weil am Rhein (D) zurück zur Essenz des Schreibens. Da gibt es zum Beispiel überdimensionale Tag-Letter des New Yorker Buchstaben-Virtuosen Faust zu sehen. Oder filigrane Kalligraphie-Kunstwerke des Italieners Luca Barcellona. Und bei den geometrischen Mustern des Künstlers Jia aus Vevey (CH) wird das Alphabet fast bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert. Wer will, kann in der Carhartt Gallery also Stunden damit verbringen, Schriftbilder zu entziffern.

Wobei Kenner der Graffiti- und Streetart-Szene eindeutige Vorteile haben beim Dechiffrieren: Kurator Stefan Winterle lotste auch dieses Mal Künstler aus dem Bereich Urban Art nach Weil am Rhein. In diesem Bereich hat sich die Galerie seit der Eröffnung 2006 europaweit einen Namen gemacht. Neun Künstler aus Europa und Amerika haben für die aktuelle Ausstellung «Don’t Forget to Write» – so will es die Tradition – ihre eigenen drei Wände gestaltet. Alle natürlich mit ihrer ganz eigenen Handschrift.

Die Fokussierung auf die Welt der Buchstaben ist gleichzeitig auch eine Rückbesinnung auf die Anfangszeit der Carhartt Gallery und deren Gründer Sigi von Koeding alias Dare. Die Basler Graffiti-Legende galt schon zu Lebzeiten als einer der begnadetsten und versiertesten Buchstaben-Künstler. Einer von Dares Leitsprüchen: «Handschrift ist für mich Ausdruck von Persönlichkeit». Der Slogan passt perfekt zur neusten Ausstellung jener Galerie, deren Fundament er gelegt hat.

Don’t Forget To Write. Carhartt Gallery, Schusterinsel 9, Weil am Rhein (D). Die Ausstellung läuft noch bis am 27. April 2013. Mehr Infos.

Der Meister der Totenköpfe

Joel Gernet am Freitag den 16. November 2012

Nach über 20 Jahren an der Dose präsentiert Kron mit «Still Standing» seine erste Solo-Ausstellung. Wir haben das Basler Graffiti-Urgestein auf dem Dreispitz besucht.

Zügig lässt Kron den Pinsel über die knallrote Leinwand tanzen. Totenschädel und Banderole mit Gothic-Schrift nehmen langsam Gestalt an, zwei typische Motive das Baslers. Wenn der 37-Jährige am Werk ist, wird nicht lange gefackelt. Nach über zwei Jahrzehnten Graffiti, Airbrush, Grafikdesign und Tätowieren sitzt jeder Strich.

Ganze 24 Jahre hat es gedauert bis zu Krons ersten Solo-Ausstellung, die am Samstag in der YourGallery auf dem Dreispitz Vernissage feiert. Ja, den Basler Graffiti-Pionier gibt’s noch – und er steht nach turbulenten Zeiten aufrechter denn je. Darum nennt er seine Solo-Show auch «Still Standing». Angesprochen auf sein spätes Galerie-Debut meint er grinsend: «Die ganze Stadt ist meine Galerie». Mitentscheidend war auch, dass die Macher der YourGallery der Graffiti-Szene entstammen – Hauptsache kein Schickimicki. Kron ist so bodenständig, dass er sich früher als Breakdancer darauf gewälzt hat.

Seine wahre Berufung aber war und ist das Malen. Zum ersten Mal zur Dose gegriffen hat der in Basel geborene Spanier 1988 als es in der HipHop-Szene noch um einiges rauer zuging als heute. Die berüchtigte Zeit, als man sich in der Steinenvorstadt noch um seine Homeboy-Kleidung fürchten musste, kennt er im Gegensatz zu vielen anderen nicht nur vom Hörensagen. Insbesondere in den 90er Jahren waren seine Schriftzüge, B-Boy-Männchen und Totenköpfe allgegenwärtig auf den Wänden Basels.

Damals führte der Autor, das soll hier nicht verheimlicht werden, eine Art Fernbeziehung mit Kron: Er überspayte meine Bilder – und umgekehrt. Zum Glück kreuzten sich damals unsere Wege nie direkt – der Herr kann nämlich ziemlich ungemütlich werden, hiess es. Ein halbes Leben später ist Kron Hausgrafiker der gemeinsamen Rapcrew TripleNine, bei deren Gigs er seine Spuren nicht selten auf Shirt und Haut der KonzertbesucherInnen hinterlässt. Soviel zur gemeinsamen Geschichte – ich schreibe hier also nicht ganz neutral.

Und jetzt sitzt Kollege Kron also da und arbeitet unter Hochdruck für seine Solo-Show. «Es wird fast keine typischen Graffiti-Schriftzüge geben», erklärt er, «mein Markenzeichen waren immer die Character». Gemeint sind seine typischen HipHop-Männchen mit übergrossen Turnschuhen und Augen so gross wie Hände. Oder seine Totenköpfe und Fratzen mit Eishockey-Maske. Derartige Motive hat Kron in den letzten Wochen auf rund 30 Leinwänden verewigt – Graffiti-Schriftzüge hingegen gehören seiner Meinung nach auf Wände.

Also gibt es bei «Still Standing» etwa Comic-artige Bilder von Puma-State-Sneakers mit dicken Schuhbändeln zu sehen. Oder eine Totenkopf-Fratze, die zur Hälfte von einer echten Eishockey-Maske überdeckt wird – eines der eindrucksvollsten Bilder der Ausstellung. «Am liebsten hätte ich nur Totenköpfe gemalt, aber meine Freundin meinte, das kann ich nicht machen», sagt Kron mit einem Lausbubenlächeln im Gesicht.

Seine Werke wird es für 200 bis 1000 Franken zu kaufen geben. An der Vernissage ist zudem eine Live-Aktion geplant, die unter die Haut gehen dürfte. Zur Einstimmung auf seine erste Solo-Schau zeigt Kron am Samstagnachmittag an einem HipHop-Jam in Winterthur seine Graffiti-Künste – schliesslich hat das Basler HipHop-Urgestein nie vergessen, wo seine künstlerischen Wurzeln liegen. Auch deshalb ist «Still Standing» überfällig. «Diese Ausstellung ist ein Dankeschön für alle, die mich über all die Jahre unterstützt haben – und an die Stadt Basel», sagt Kron. Ein schönes Schlusswort.

Kron – Still Standing. Vernissage: Sa. 17. November 2012, 18 Uhr, YourGallery (0123spitz), Walkeweg 1, Basel. Öffnungszeiten: 17.11. ab 18h, 18.11. ab 16h, 24.11. ab 18h, 25.11 ab 16h.

Ein 83-Minuten-Monument für den Basler Rap

Joel Gernet am Mittwoch den 17. Oktober 2012

Dieses Wochenende erblickt ein Monster von einem Raptrack das Licht der Welt: Auf «1 City 1 Song» vereinigt Black Tiger über 140 Rapper aus der Region Basel. Am Freitag feiert das Werk mit einem Weltrekord auf DRS 3 Premiere, am Samstag gibts das Werk live in der Kaserne zu hören und als Gratis-Download. Der Bericht eines Beteiligten.

Black Tiger, Basler Rappionier. (Bild: Tim Lüdin)

Black Tiger, Basler Rappionier. (Bild: Tim Lüdin)

Black Tiger hat ein Monster erschaffen! Einen 83 Minuten langen Rapsong mit über 140 Rapperinnen und Rappern aus der Region und Beats von 11 Produzenten (Liste am Ende dieses Artikels). Auch wenn sich der Basler Rappionier eigentlich lieber nicht in den Vordergrund drängen will, schliesslich hatte er viele Helfer zur Seite, so ist es doch er, der dieses Wahnsinnsprojekt angerissen und durchgezogen hat. Es kann nur Black Tiger sein!

Kaum ein anderer Rapper hätte die Vision, den Optimismus und die Hartnäckigkeit, während zwei Jahren ein derart selbstloses Projekt zu realisieren. Andere hätten mit dieser Energie zwei Solo-Alben geschrieben. Nicht so Tiger, der mit «1 City 1 Song» ein eindrückliches Statement für die lokale HipHop-Szene abgibt und rund 20 Jahre nach der «Basler-Rap»-Hymne «Murder by Dialect» (mit P-27) ein zweites Mal Schweizer Musikgeschichte schreibt. Diesen Beitrag weiterlesen »

Der Ackermannshof als Kunst-Kirche

Joel Gernet am Donnerstag den 20. September 2012

Dieses Wochenende wird die St. Johanns-Vorstadt wieder zum Zentrum für urbane Kunst. An der «Artyou» treffen Tattoos aus Frankreich auf Basler Graffiti-Bilder oder gesellschaftskritische Comic-Kunst aus Leipzig.

Ein Triptychon ist ein dreigeteiltes Gemälde mit christlichen Motiven und einklappbaren Seitenteilen. Die grossen Exemplare sind oft Teil eines Flügelaltars. Und sie werden ausschliesslich an Feiertagen aufgeklappt. Heute ist so ein Feiertag – zumindest für die regionale Urban-Art-Szene. Heute nämlich wird der Ackermannshof in der St. Johanns-Vorstadt im Rahmen der 7. Artyou – Urbane Kunst Basel zur temporären Kunst-Kirche – dank dem Doppel-Triptychon, welches das deutsche Duo Doppeldenk auf einem grossen Altar im Herzen der Ausstellung platziert hat. Inklusiv Kerzen, Samt-Bezug und Kirchenbänken zum hinknien. Diesen Beitrag weiterlesen »

Die Bilder vom «Schänzli Jam» 2012

Joel Gernet am Sonntag den 16. September 2012

Der «Schänzli Jam» 2012 ist Geschichte und alle Beteiligten blicken auf einen hervorragenden Jahrgang zurück. Hier einigen der Bilder, welche die über 30 Graffiti-Artists am Samstag auf den Wänden bei der 14er-Tramschlaufe hinterlassen haben.

Unsere Beiträge über die Vorbereitungen sowie den letztjährigen Jam gibt es hier bzw. hier.