Von Brasiliens Favelas ins Basler Stücki Shopping: Die Streetart-Werke von Zezão passen nicht in den Kleinhüninger Konsumtempel, könnte man meinen. Doch der Spagat zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Gosse und Galerie, passt zum Graffiti-Pionier aus São Paolo.
Vor wenigen Wochen musste Zezão auf Samtpfoten durch die unterirdischen Abwasserkanäle von Kassel schleichen, um beim Malen nicht die Aufmerksamkeit von Passanten und Polizei auf sich zu ziehen. In Basel geht der brasilianische Streetart-Künstler weniger diskret zu Werk: Im Brasilea-Atelier wird lautstark gebohrt und gehämmert. Es gilt, die letzten Werke für seine Solo-Ausstellung zusammenzubasteln und, natürlich, anzumalen.
Während der 43-Jährige in den Favelas seiner Heimatstadt São Paolo vom Bettgestell über Autowracks bis hin zu abgefuckten Mauern fast alles lackiert, was ihm vor die Dose kommt, schustert er sich im Kleinhüninger Rheinhafen seine Unterlage selber zusammen.
Die Holz- und Metallabfälle stammen von der Schrottfirma vis-à-vis. Und weil die Recycling-Leinwand nach dem Zusammenschrauben noch zu unspektakulär aussieht, wird sie mit einer Hitzepistole behandelt, bis sie so schwarz ist wie die Vergangenheit des brasilianischen Streetart-Stars.
Aufgewachsen am Rand von São Paolos Favelas unter prekären familiären Verhältnissen und ohne abgeschlossene Ausbildung, zog sich der junge Zezão in den urbanen Untergrund zurück, um über das Malen zu sich zu finden. «Er ist im wahrsten Sinn abgetaucht», sagt Daniel Faust, Brasilea-Direktor und Kurator der Ausstellung. «Das Malen war sein Yoga.» Von Abwasserkanälen und Brückenpfeilern gings Stück für Stück zurück ins Tageslicht und – nach zwanzig Schaffensjahren – ins Rampenlicht. «In Brasilien ist Zezão ein Superstar», findet Faust.

Zezão vor dem Brasilea-Gebäude im Rheinhafen.
Das Kennzeichen des brasilianischen Graffiti-Pioniers: die blaue Krakelschrift, abgeleitet aus dem Wort vício – Sucht. «Ich benutze dieses Himmelblau, weil es im Dunkeln so schön leuchtet», sagt Zezão. São Paolo sei eine hässliche Stadt, deren System er als junger Sprayer zerstören wollte. «Aber irgendwann realisierte ich: Ich mache meine Bilder, um sie zu verschönern.»
Inzwischen sind seine blauen Hinterlassenschaften in aller Welt zu sehen – in Galerien oder unter Brücken. So auch am Wiesenufer in Kleinhüningen, wo Zezão bei seinem Brasilea-Debut 2010 ein Wasserzeichen setzte. Dass das Bild immer noch steht, verwundert ihn genauso wie der Hinweis, dass es wenige hundert Meter rheinaufwärts ein Favela-Dorf gibt. «Really?!», sagt er irritiert und lässt sich die verrückte Geschichte der Kunst-Baracken erklären.
Wie Tadashi Kawamata mit seinem Favela Café an der Art Basel pendelt auch Zezão zwischen Selbstverwirklichung, Sozialkritik, Kunst und Kommerz. Der Brasilianer unterscheidet zwischen «Graffiti» und «Fine Art», die bei ihm letztlich zwei Seiten der selben Medaille markieren. Einerseits sagt der Sprayer, der auch mit 43 Jahren noch gerne in Abwasserkanälen und Abrissruinen unterwegs ist: «Ich will meine Kunst mit den armen Leuten teilen». Andererseits versucht er mit seinem einzigartigen Talent ein angenehmes Leben zu bestreiten. «Ich versuche meine Energie vom Graffiti-Kontext in diese Umgebung zu transformieren», erklärt Zezão während er sich im Brasilea-Atelier umblickt.

Über den Favelas: Ein Zezão in São Paolo.
«Wegen meiner rauhen Strassenkunst meinen viele, ich sei ein harter Typ – dabei bin ich sehr emotional», sagt er und lacht. Die Worte sprudeln aus seinem Mund wie die Bilder aus seinem Handgelenk. «Dein Leben ist ein Kunstwerk, du kannst selber entscheiden, was du damit machst.» Seine Kollegen in Brasilien meinen immer noch, er relaxe in Europa, schildert Zezão. «Aber bin kein Tourist, sondern muss arbeiten!» Vor Ausstellungen wie der Solo-Show in Basel heisst das: 18 Stunden pro Tag planen, basteln und malen. «Ich bin müde – und gleichzeitig glücklich.»
Basel ist nur eine Station auf Zezãos zweimonatiger Europa-Tour. Er kommt von einer Gruppenausstellung in der namhaften Schirn Kunsthalle in Frankfurt. Und vom Rheinknie aus geht es demnächst ein paar Kilometer den Bach runter nach Köln ans Urban Art Festival CityLeaks, wo er mit Szene-Grössen wie Aryz, Cope2 oder Satone Häuser bis unters Dach bemalen wird.
Zuerst wird aber in der Brasilea-Galerie im Stücki Shopping eine der wenigen Solo-Ausstellungen von Zezão zelebriert. Der unkonventionelle Ort kam vor etwa einem Jahr ins Spiel, als Center Manager Jan Tanner auf Brasilea-Direktor Daniel Faust zukam und ihm eine leere Ladenfläche zu sehr guten Konditionen anbot. Ab Samstag wird deshalb im Stücki Zezãos Leben der Kontraste gezeigt: Zwischen dem Müll der Favelas und dem Glanz der Stadtzentren, ein Tanz zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Licht und Schatten, Oberfläche und Untergrund. Dies übrigens an einem Ort, an dem einst die alte Stückfärberei stand. Eine Farbfabrik, die nach ihrer Stilllegung in den 80er-Jahren zu einem pulsierenden Treffpunkt der noch jungen Basler HipHop-Szene wurde. Natürlich blieben die Wände damals nicht lange grau. Mit Blick auf Zezãos Solo-Show könnte man also auch sagen: Graffiti is coming home.
Zezão – Soloshow. 14. September bis 30. November 2013. Brasilea Galerie, 1. OG Stücki Shopping Basel, Hochbergerstrasse 70. Offen Samstag von 11 Uhr bis 17 Uhr oder nach Vereinbarung. Vernissage: Sa. 14. September ab 12 Uhr. Hier der PDF-Katalog zur Ausstellung als Free-Download.
Zeitgleich findet in der Stiftung Brasilea an der Westquaistrasse 39 im Rheinhafen bis am 7. November eine 10-Jahr-Retrospektive der vergangenen 42 Ausstellungen statt.