Eigentlich sollte dies ein Artikel über Robert Downey Jr. werden. Über das so talentierte Enfant Terrible Hollywoods. Den Suchtmenschen, der den Absprung vom Koks in den letzten Jahren zumindest so gut gemeistert hat, um zu einem der begehrtesten Schauspieler der Traumfabrik aufzusteigen. Der Sherlock Holmes und Tony Stark alias Iron Man mit derselben unwiderstehlichen Mischung aus Arroganz, Zynismus und augenzwinkerndem Humor darstellte, dass man keinen anderen in diesen Rollen mehr sehen will. Sollte. Wird es aber nicht. Denn «The Judge» ist der falsche Anlass für eine Hommage an einen einzelnen Schauspieler. Es ist einer der besten Filme des Jahres.
Das beschauliche Carlinville, Indiana scheint ein schönes Fleckchen Erde zu sein. An einem Fluss gelegen, der seine Wassermassen durch ein bewaldetes, wildromantisches Tal wälzt, scheint sind die Palmers seit Jahren ansässig. Nur der mittlere der drei Söhne des Richters konnte es nicht erwarten, der Dorfidylle den Rücken zu kehren und seine provinzielle Herkunft möglichst zu verwischen. Doch seine Vergangenheit holt einen irgendwann ein. Auch Hank Palmer (Robert Downey Jr.), den aalglatten, arroganten Chicagoer Staranwalt. Als seine Mutter plötzlich stirbt, kehrt er erstmals nach rund zwanzig Jahren wieder in seine Heimat zurück. Der Empfang seiner Brüder Glen (Vincent D’Onofrio) und Dale (Jeremy Strong) fällt kühl aus, jener des Vaters (Robert Duvall), der von allen nur seiner Position gemäss «Richter» genannt wird, noch etwas kühler. Und auch wenn Hank, dem eine Scheidung bevorsteht, seine immer noch sehr attraktive Jugendliebe Sam (Vera Farmiga) wieder über den Weg läuft, die er damals stillos sitzen liess, will er nichts als nach der Beerdigung so schnell wie möglich wieder in die Grossstadt entfliehen.
Doch so einfach kommt Hank nicht wieder von Indiana fort. Als er ins Mietauto steigen will, macht der Sheriff den Palmers seine Aufwartung. Die Schrammen am richterlichen Auto passen zu einem nächtlichen Verkehrsunfall, der einen Velofahrer das Leben kostete. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich beim Todesopfer ausgerechnet um Mark Blackwell handelt. Jenen Taugenichts, den der Richter einst laufen liess, und der dann ein Mädchen umbrachte. Hat der alte Palmer tatsächlich Selbstjustiz walten lassen? Hank anerbietet sich als Verteidiger, insbesondere weil mit Dwight Dickham (Billy Bob Thornton) ein hochkarätiger Staatsanwalt die Anklage führt. Doch sein sturer Vater verweigert zunächst jegliche Einmischung des schwarzen Schafs der Familie. Erst, als sich Hank aufrichtig seiner Vergangenheit stellt, kommt er näher an den Richter heran und erkennt, dass es hier um mehr als «nur» Recht geht.
Jack Nicholson und Tommy Lee Jones waren ursprünglich für die Titelrolle als ehrenwerter Joseph Palmer vorgesehen. Gut wurden sie es nicht. Wir wollen den beiden hochbegabten Herren nicht zu nahe treten, aber es darf ernsthaft bezweifelt werden, dass den herrischen, dickköpfigen und dennoch mit Witz und Mitgefühl ausgestatteten Richter irgend jemand besser hätte darstellen können als Robert Duvall. Der oft unterschätzte Altmeister ist einer der grossen Charakterdarsteller unserer Zeit und bildet mit Robert Downey Jr. ein faszinierendes Duo. Die Geschichte steht dem Cast in nichts nach. «The Judge» ist ein vielschichtiges Geflecht aus Justizfilm und Familiendrama, brillant inszeniert von David Dobkin, der mit seichten Komödien wie «Wedding Crashers» oder «Shanghai Knights» in seiner Filmografie nicht eben als ernsthafter Regisseur bekannt war. Das wird sich jetzt schlagartig ändern. «The Judge» ist packendes, emotionales Kino, das höchsten Ansprüchen genügt. Über Robert Downey Jr. kann man noch genug oft schreiben.
«The Judge» läuft ab 16. Oktober 2014 in den Basler Kinos Pathé Küchlin und Rex.
Weitere Filmstarts in Basel am 16. Oktober: The Maze Runner, The Cut, Teenage Mutant Ninja Turtles, Sleepless in New York, The Love Punch, We Are the Best!, Die Vampirschwestern 2.