Archiv für die Kategorie ‘Fabian Kern’

Zeit heilt nicht alle Wunden

Fabian Kern am Montag den 23. April 2012
Schattenfrauen

Die in Basel lebende Autorin Reinhild Solf präsentiert ihren zweiten Roman.

Liese Spahn glaubt, ihre einjährige Stasi-Haft in einem Frauengefängnis mit allen Erniedrigungen und Misshandlungen überwunden zu haben. Als sie aber als 67-Jährige im Jahr 2009 nach Jahrzehnten sechs Jugendfreundinnen auf der Insel Rügen wieder trifft, wo sie vor 45 Jahren ein Ferienlager der Freien Deutschen Jugend verbrachten, kommen die schlimmen Erinnerungen ans Gefängnis wieder hoch. Und auch innerhalb der Gruppe gibt es offene Rechnungen.

Anfangs besteht ein Graben zwischen den drei in der DDR gebliebenen und den vier in den Westen geflüchteten Frauen. Nach und nach wird dieser aber verwischt und abgelöst von versteckter und offener Feindschaft aufgrund von vor langer Zeit begangenen aber nie vergessenen persönlichen Gemeinheiten. Es wird gelogen und geschwiegen, bis die Verräterin isoliert ist. Bis zur Eskalation.

Die in Basel wohnhafte Schauspielerin und Schriftstellerin Reinhild Solf weckt mit ihrem zweiten Roman Betroffenheit. Mit einer klaren, direkten, schnörkellosen Sprache packt sie den Leser und führt ihn auf das unvermeidliche fatale Ende zu. Ein Stück deutsch-deutscher Geschichte mit spannendem Plot und emotionaler Dichte.

Reinhild Solf: «Schattenfrauen». LangenMüller Verlag, München 2012. 187 S., Fr. 23.50.

Im Tal der Rache

Fabian Kern am Dienstag den 10. April 2012

Frische Bergluft tut gut. Sie kann einem vom Alltag ermüdeten Gehirn helfen, die Prioritäten neu zu ordnen. Und beispielsweise zu befinden, dass man ohne den untreuen Ehepartner besser dran ist. Oder dass der Busfahrer genug lange genervt und einen ausgedehnten Mittagsschlaf verdient hat, aus dem er nicht mehr erwacht. Vielleicht löst aber die Reise in eine der beliebtesten Feriendestinationen Österreichs auch ganz speziell Rachegefühle aus. Denn eines lernen wir über das «Mords-Zillertal»: Keine Tat bleibt ungesühnt. Da kann es schon mal passieren, dass sich ein verliebter Hüttenwart sich mit dem Küchenmesser von seiner herrischen Mama emanzipiert oder ein Schweizer Auftragskiller einen singenden Fernsehkoch aus Frankfurt beim Bergsteigen in den Dolomiten für seine Seitensprünge bestraft. Die Zillertaler selbst sind aber auch ein besonderer Menschenschlag. «In Tirol, da geht die Frau nicht nach dem Mann nach Hause», belehrt ein selbstgerechter Macho seine tote Gattin. Aber Vorsicht: Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Sonst blüht einem vielleicht das frühzeitige Ableben vor der wunderschönen Kulisse des Zillertals.

Freunde des gepflegten Alpenkrimis lernen in 14 Kurzgeschichten vielleicht den einen oder anderen neuen Autoren kennen.

Jeff Maxian/Erich Weidinger (Hrsg.): «Mords-Zillertal». Gmeiner-Verlag, Messkirch 2012, 270 S., zirka Fr. 15.-.

Harry Potter hat das Lachen verloren

Fabian Kern am Mittwoch den 28. März 2012

The Woman in Black

«The Woman in Black» läuft ab dem 29. März im Kino Pathé Küchlin in Basel. (Bilder im Verleih von ASCOT ELITE)

Eben erst der Rolle des Harry Potter entwachsen, sieht sich Daniel Radcliffe im britischen Gruselfilm «The Woman in Black» schon wieder Auge in Auge mit übersinnlichen Kräften. Nur, dass er selbst diesmal nicht in Besitz von Zauberkräften ist. Im Gegenteil: Als Londoner Anwalt Arthur Kipps Ende des 19. Jahrhunderts zelebriert Radcliffe das Leiden. Das Hinscheiden seiner geliebten Gattin nach der Geburt seines Sohnes hat den jungen Vater derart aus der Bahn geworfen, dass ihn sein Sprössling nur mit den Mundwinkeln nach unten zeichnet. «Du siehst immer so aus», lautet die Begründung von Klein-Edward. In der Tat versprüht Radcliffe mit seinem bleichen, vergrämten Gesicht nicht gerade Lebensfreude.

Der Auftrag, die Erbfolge einer heruntergekommenen Villa im abgelegenen Küstendörfchen Crythin Gifford zu verkaufen, bringt Kipps die unheimliche Chance, etwas über das Leben nach dem Tod herauszufinden. Die Motivation zu erfahren, in welcher Welt sich die Seele seiner Frau  befindet, treibt den Witwer an. In jenem Haus mit dem nicht gerade einladenden Namen «Eel Marsh House» treibt die unruhige Seele einer toten Frau ihr Unwesen. Jedes Mal, wenn die «Frau in Schwarz» gesehen wird, treibt sie ein Kind aus dem Dorf in den Selbstmord, um ihren leiblichen Sohn zu rächen, der einst im Watt ertrank. Die Dorfbewohner wollen Kipps deshalb daran hindern, sich im verfluchten Haus weiter herumzutreiben, da es während seiner Anwesenheit zu weiteren tragischen Todesfällen kommt. Der Jurist aber lässt sich nicht beirren. Er stellt sich dem Geist und versucht gegen den Widerstand der Einheimischen, seiner Seele endlich Ruhe zu verschaffen. Diesen Beitrag weiterlesen »

Die andere Seite von Casanova

Fabian Kern am Montag den 26. März 2012

Meine Flucht aus den Bleikammern von VenedigWer mit dem Namen Giacomo Casanova bisher nur den Frauenhelden verband, der den venezianischen Edelmännern im 18. Jahrhundert gleich reihenweise die Hörner aufsetzte, lernt im Buch «Meine Flucht aus den Bleikammern von Venedig» eine neue Seite am Schriftsteller und Libertin kennen: den Abenteurer. Im Jahr 1755 wird der 30-jährige Lebemann zu fünf Jahren Gefängnis in den berüchtigten Bleikammern von Venedig verurteilt.

Das wäre an sich schon schlimm genug für den freiheitsliebenden Casanova. Erschwerend hinzu kommt aber die Ungewissheit. Casanova wird vom Gericht nämlich weder über die Anklagepunkte – Magie, Freimaurerei, Gotteslästerung und Unzucht – aufgeklärt, noch über die Dauer der Haft in Kenntnis gesetzt. So glaubt der Schürzenjäger, der sich natürlich keiner Schuld bewusst ist, wochenlang, dass er bald freigelassen wird.

Nach vier Monaten lässt Casanova aber alle Hoffnung fahren und plant seinen Ausbruch. Obwohl: Wer Geld hat, geniesst in den Bleikammern, die sich unter dem Dach des Dogenpalastes befinden, einige Privilegien. Casanova lässt sich seine eigenen Möbel in die Zelle bringen, und gut verköstigt wird er ebenfalls. Dennoch leidet er sehr unter den Temperaturen. Im Sommer wird es unter dem mit Bleiplatten bedeckten Dach siedend heiss und im Winter eiskalt, weshalb die Vorstellung eines längeren Aufenthalts dort keine Option für Casanova ist.

Wer die Zellen der Bleikammern sieht, versteht Casanovas Freiheitsdrang. (Bild: Wolfgang Fischbach)

Für die Entwicklung seines Fluchtplans benutzt er den geistig minderbemittelten Wärter Lorenzo. Dieser versorgt ihn unbewusst mit dem Werkzeug, das Casanova benötigt und sorgt mit seinen Botengängen zwischen Casanovas Zelle und jener von Pater Balbi, einem ebenfalls fluchtbereiten Mönch. Verzögert wird das Unternehmen Ausbruch immer wieder von wechselnden Zellengenossen, die bei Casanova einquartiert werden. Schliesslich gelingt aber nach 15 Monaten die Flucht über das Dach des Dogenpalastes. Dennoch wird Casanova durch die Freiheit nicht glücklich. Er muss Venedig verlassen und startet eine Odyssee durch Europa.

Dass die Authentizität von Casanovas Flucht immer wieder angezweifelt wurde, ist nachvollziehbar. Sehr viele glückliche Umstände haben den Ausbruch begünstigt – verdächtig viele. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, also rund hundert Jahre nach der Veröffentlichung von Casanovas Geschichte, dieser sei aus dem Gefängnis freigekauft worden und die Geschichte nur als Deckmantel für den edlen Spender erfunden worden. Der Autor selbst weist jegliche Fiktion von sich. «Ich erkläre hiermit, dass ich stets nur geschrieben habe nach dem Grundsatz, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu schreiben», betont Casanova schon zu Beginn des Buches.

Casanova

Das Plakat des Kinofilms «Casanova» mit Heath Ledger (2005) deutet die zwei Gesichter des Frauenhelden an.

Ungeachtet des Wahrheitsgehalts der Erzählung bietet «Meine Flucht aus den Bleikammern von Venedig» gute Unterhaltung, wenn auch die Beschreibungen etwas zu ausführlich ausgefallen sind. Offensichtlich hingegen ist eine gute Portion Arroganz und Selbstverliebtheit bei Casanova. Mit einem verächtlichen Unterton schreibt Casanova über die «Gäste» in seiner Zelle schreibt und auch über Pater Balbi, ohne den er die fünf Jahre hätte absitzen müssen. Immer wieder betont er seine geistige Überlegenheit, seine Geschicklichkeit und sein gutes Aussehen. Ganz Einzelgänger, benutzt er seine Mitmenschen, um sein Ziel zu erreichen. Der berühmte Charmeur scheint ein kleiner Narzisst und Opportunist gewesen zu sein.

Giacomo Casanova: «Meine Flucht aus den Bleikammern von Venedig». Aus dem Französischen von Ulrich Friedrich Müller und Kristian Wachinger. Verlag C.H. Beck textura, München 2012. 176 S., ca. Fr. 24.50.

Dr. Laurie und Mister House

Fabian Kern am Donnerstag den 1. März 2012
Titelbild von «Hugh Laurie – Die inoffizielle Biografie des Dr. House»

Anthony Bunkos Buch ist ab sofort erhältlich. (Bilder: Schwarzkopf & Schwarzkopf)

Wann kommt Dr. House? Gut die Hälfte des Buchs «Hugh Laurie – Die inoffizielle Biografie des ‹Dr. House›» habe ich durch und immer noch hält mich das Vorwort bei der Stange. Die Beschreibung, wie Hugh Laurie in schmutzigen Kleidern mit Dreitagebart in Afrika ein Castingvideo von sich aufzeichnet, das ihm die Rolle seines Lebens verschaffen sollte, ist stark. So stark, dass ich mich durch die bewegte Laufbahn des britischen Schauspielers vor seiner Amerika-Karriere kämpfe. Doch die Ausdauer lohnt sich, denn in den ersten zwei Dritteln erfahre ich sehr viel über die englische TV-Geschichte der Neuzeit, insbesondere auf dem Comedy-Sektor. Als Erklärung für jene, die Lauries Mitwirken in der englischen Kultserie «Blackadder» mit Rowan Atkinson nicht kennen: Er ist eigentlich ein Komiker.

Hugh Laurie ist Dr. House

Weltweite Popularität: Hugh Laurie alias Dr. House.

Macht Sinn, denn ohne Humor wäre die Figur des Dr. Gregory House wohl auch nicht zu ertragen. Sein Zynismus würde zu Bösartigkeit und das eigensinnige medizinische Genie seine letzten Sympathien verspielen. Das Faszinierende an diesem TV-Arzt, das wohl auch für die überwältigenden Einschaltquoten in den USA verantwortlich ist, ist schliesslich die Ambivalenz seines Charakters. Normalerweise liebt oder hasst man eine Figur. Dr. House schafft es, beide Extreme der Gefühlsskala gleichzeitig zu bedienen. «Hughs komisches Timing gibt der Serie die nötige Kraft», sagt Produzent David Shore über seinen wichtigsten Angestellten. Und auch Laurie selbst liebt die Mischung «von Hell und Dunkel» an seiner Rolle. Und stellt Gemeinsamkeiten zwischen sich und Dr. House fest: «Wir betrachten beide die Welt kritisch.»

Dr. House bei der Arbeit

Als Dr. House ist Hugh Laurie ein Segen für seine Patienten und eine Pein für seine Untergebenen.

So ist Hugh Laurie auch im gereiften Alter von 53 Jahren und trotz herausragender Kritiken über sein Schauspiel in britischen Comedies wie «Blackadder» oder «A bit of Fry and Laurie» an der Seite seines besten Freunds Stephen Fry, in Kinofilmen wie «Peter’s Friends» (1992), «Sense and Sensibility» (1995) «101 Dalmatiner (1996) oder «Stuart Little» (1999) oder in mittlerweile 150 Folgen als Dr. House immer noch überrascht über seinen Erfolg. «Habe ich das verdient?», fragt sich Laurie immer wieder und weigert sich, die Beliebtheit der Serie auf sein Mitwirken zu reduzieren. «House, M.D.», wie der Originaltitel lautet, war 2008 immerhin die meistgesehene TV-Serie der Welt.

Auftritt mit Gitarre in einer TV-Show

Hugh Laurie ist nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Musiker talentiert.

Er habe zu keiner Zeit seines Lebens einen Plan gehabt, meint Laurie bescheiden. Vielleicht ist der schlaksige Brite mit den markanten blauen Augen auch einfach mit zu vielen Talenten gesegnet. Vor seiner Karriere war Laurie wie sein Vater erfolgreicher Ruderer, neben der Schauspielerei spielt der dreifache Familienvater als Musiker – er spielt Gitarre und Klavier – in einer Band.
Autor Anthony Bunko stellt mit Hugh Laurie einen vielschichtigen Menschen vor, der sich vor allem durch eines auszeichnet: Bescheidenheit. Ganz anders also als Dr. House – oder doch nicht? Denn auch Gregory House spielt eigentlich nur eine Rolle, um die eigene Verletzlichkeit zu überspielen. Das Verhältnis zwischen Laurie und House ist fast ein wenig wie jenes von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Nur, dass in diesem Fall der Doktor der «Böse» ist.

Anthony Bunko: «Hugh Laurie – Die inoffizielle Biografie des ‹Dr. House›». Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2012. 264 Seiten, ca. Fr. 28.90. Ab 1. März in den Schweizer Buchhandlungen erhältlich.