Archiv für die Kategorie ‘Fabian Kern’

Ben Afflecks grosser Wurf

Fabian Kern am Mittwoch den 7. November 2012

Argo

«Argo» läuft ab 8. November im Pathé Küchlin und im Rex.

Als Ben Affleck 1998 mit seiner Rolle im Blockbuster «Armageddon» in die erste Schauspiel-Riege Hollywoods aufstieg, war den Wenigsten bewusst, dass der wie fürs Heldenkino gemachte Kalifornier noch viel mehr auf dem Kasten hat. Bereits ein Jahr zuvor war er zusammen mit seinem Kumpel Matt Damon für das brillante Drehbuch zu «Good Will Hunting» mit einem Oscar ausgezeichnet worden. Doch damit waren die filmischen Ambitionen des Ex-Manns von Jennifer Lopez noch nicht befriedigt. Auch der Regiestuhl lockte. Mit dem beklemmenden Thrillerdrama «Gone Baby Gone» legte Affleck 2007 ein überzeugendes Debüt als Regisseur hin, das er drei Jahre später mit dem Copthriller «The Town» bestätigte. Und nun liefert der 40-Jährige mit «Argo» sein Meisterstück ab.

Tony Mendez und die Flüchtlinge

Tony Mendez paukt mit den Flüchtlingen den Auftritt als Filmcrew. (Bilder: Warner Bros.)

Im November 1979 stürmten in Teheran iranische Studenten die amerikanische Botschaft und nahmen die gesamte Belegschaft in Geiselhaft. Doch sechs Personen gelingt die Flucht. Der kanadische Botschafter gewährt den je drei Männern und Frauen Unterschlupf. Doch damit sind die Amerikaner noch nicht in Sicherheit. Sobald die Iraner merken, dass einige Leute fehlen, würden sie sie mit allen Mitteln jagen und öffentlich hinrichten, um den Ernst ihrer Forderung nach der Auslieferung des Schahs zu unterstreichen. Also muss ein Rettungsplan her. Die Verantwortlichen der CIA entwerfen Szenarien von einer Ausreise mit falschen Papieren als Lehrer bis zu einer Flucht auf Fahrrädern. Bis Agent Tony Mendez (Ben Affleck) eine noch abenteuerlichere Idee vorstellt: Er möchte als Produzent eines fiktiven Science-Fiction-Films mit dem Titel «Argo» nach Teheran fliegen, die sechs Amerikaner als seine kanadische Filmcrew ausgeben und mit gefälschten Pässen ausreisen. Dabei riskiert Mendez aber nicht nur die Leben der Botschaftsangestellten, sondern auch seinen eigenen Kopf. «Das ist die beste schlechte Idee, die wir haben. Mit Abstand», verteidigt Mendez’ Mitstreiter Jack O’Donnell (Bryan Cranston) das vermeintliche Himmelfahrtskommando vor seinen Vorgesetzten.

John Chambers und Lester Siegel

Spassvögel: John Chambers und Lester Siegel.

Der Plot liest sich wie eine Politfarce über ein ernstes Thema. Der Clou daran ist aber: Alles hat sich so zugetragen. Manchmal schreibt das Leben die verrückteren Geschichten als die Drehbuchautoren der Traumfabrik. Wie Affleck nun diese Geschichte inszeniert, ist stark. Er schafft es, zwischen ernst und lustig hin- und herzuwechseln, ohne dabei die Spannung zu verlieren oder ins Lächerliche abzudriften. Ernst, das sind die Geiseln mit ihrer klaustrophobischen Todesangst in Teheran. Lustig, das sind die Szenen in Hollywood. Die CIA muss, um die Tarnung perfekt zu machen, einen Film promoten und bewerben, der nie gemacht wird. Dazu werden mit grossem Aufwand Setdesigns und Kostüme entworfen und ein riesiger Medienhype um die Mogelpackung veranstaltet. Mendez’ eingeweihte Verbündete in der Filmbranche sind der Maskenbildner von «Planet der Affen» John Chambers (John Goodman) und Produzent Lester Siegel (Alan Arkin). Die beident Routiniers Goodman und Arkin verkörpern das Filmbusiness mit viel Lust und Ironie und lockern so den dramatischen Plot auf.

Ben Affleck

Auch hinter der Kamera stark: Ben Affleck.

Zugegeben, Affleck hat sich mit der Geschichte um Tony Mendez, die wegen Geheimhaltung erst Ende der Neunziger Jahre bekannt wurde, eine tolle Vorlage gesichert. Er hat diese aber in einen packenden Thriller umgemünzt, der einem ohne Actionszenen bis am Schluss an den Nerven zerrt. Und sogar die gute alte Swissair erlebt eine kurzzeitige Auferstehung. Für einmal lohnt es sich aber auch, für den Abspann noch sitzen zu bleiben, denn dort werden die Fotos der echten Beteiligten am Geiseldrama gezeigt. Und erst da wird einem richtig bewusst, wie nahe sich der Film an der Realität orientiert hat. Chapeau, Mr. Affleck!

«Argo» läuft ab 8. November in den Basler Kinos Pathé Küchlin und Rex.

Mord am Spalentor

Fabian Kern am Freitag den 2. November 2012

Schwarze Rosen

Wer einen neuen Basler Kommissar ins Rennen schickt, provoziert zwangsläufig den Vergleich mit Hansjörg Schneider und seiner Kultfigur, dem Kommissär Hunkeler. Der Bündner Alexander Condrau hat diesen Versuch gewagt. «Schwarze Rosen», der erste Fall von Kommissar Carlo Sarasin, begegnet Schneiders beliebter Krimireihe aber nicht auf Augenhöhe. Dies liegt schon am gewöhnungsbedürftigen Umfang: Einen Krimi mit nur 88 Seiten sieht man selten.

Ein hinterhältiger Schuss – und Harry Thommen ist nicht mehr. Am Spalentor wird der Immobilienmakler erschossen, seine Leiche taucht Tage später im Rhein auf. Das ist die Steilvorlage für Kriminalkommissar Carlo Sarasin. Der Fall entpuppt sich aber als harte Nuss. Lose Indizien deuten auf Verbindungen zur spanischen Mafia hin, aber Sarasin hängt etwas in der Luft. Weil er sich emotional zu sehr auf den Mord am zweifachen Familienvater aus Reinach einlässt, gerät er in eine Depression und wird freigestellt. Erst in seiner Auszeit in Spanien nimmt Sarasin wieder Witterung auf.

Als routinierter Krimileser tut man sich schwer mit Condraus pragmatischem Stil. Die Geschichte wird sehr deskriptiv erzählt, beinahe dokumentarisch, was eine Identifikation mit dem Protagonisten erschwert. Der Autor bemüht sich offensichtlich um Genauigkeit, was die Orte anbelangt. Dabei wird aber offensichtlich, dass er nicht aus der Region stammt. Die Basler Leser werden sich ärgern über den Ausdruck «mit der dreier Tram» oder Schreibfehler wie «Aeschervorstadt» und – eine Todsünde am Rheinknie – «Basler Fastnacht». Zudem ist die erste Auflage durchsetzt mit einigen Fehlern. Am gravierendsten sind Namensverwechslungen, die einen immer wieder verwirren. Der Verlag kündigte zwar an, die Fehler im Nachdruck zu korrigieren, was das Lesevergnügen der «Erstkonsumenten» aber auch nicht wiederbringt.

Die Auflösung des Falls ist schliesslich sehr abrupt. Man würde sich mehr Atmosphärisches wünschen, denn die Aneinanderreihung der harten Fakten ist zum Teil etwas ermüdend. Sarasins seelischer Zustand etwa wird überhaupt nicht behandelt, was dessen Charakter unnahbar macht. Dem Buch hätten etwas mehr Seiten oder sogar die doppelte Länge gut getan. Deshalb hat der Kommissär Hunkeler vorderhand nichts zu befürchten. Carlo Sarasin muss sich mächtig steigern und mehr von sich preisgeben, um zur ernsthaften Konkurrenz für den Basler Platzhirsch zu werden.

Alexander Condrau: «Schwarze Rosen». Literareon, München 2012. 88 Seiten, ca. Fr. 24.-.

Ein Ruhmesblatt des deutschen Kinos

Fabian Kern am Mittwoch den 31. Oktober 2012

Ruhm

«Ruhm» läuft ab 1.11. im Kultkino Camera.

Wann haben Sie Ihr erstes Handy gekauft? Vor 10 Jahren? Vor 12? Joachim Helbling (Justus von Dohnanyi) war in dieser Hinsicht noch eine Jungfrau. Bis jetzt. Jetzt überwindet der biedere Elektroingenieur seine Angst vor dem Elektrosmog und ersteht sein erstes Mobiltelefon. Als aber lauter unbekannte Leute anrufen, kaum hat er das Ding in Betrieb genommen, ist für ihn der Fall klar: Die Nummer ist bereits vergeben. Doch sein anfänglicher Widerstand schlägt immer mehr in Faszination um. Die mysteriösen Anrufe, die offensichtlich für einen bekannten Menschen bestimmt sind, bringen Aufregung in Helblings ödes Leben – und sogar seine Libido erwacht wieder.

Ralf Tanner (Heino Ferch)

Ralf Tanner (links) wird zu seinem eigenen Double. (Bilder: Frenetic)

Jene Nummer gehört Ralf Tanner (Heino Ferch). Der umtriebige Blockbuster-Schauspieler ist zu seinem Leidwesen in jeder Klatschspalte vertreten und wünscht sich nichts mehr, als seinem Ruhm zumindest zwischenzeitlich zu entfliehen. Als er in einer Disco zufällig seinem eigenen Double über den Weg läuft, beschliesst er, sich ebenfalls als Tanner-Double auszugeben. Alles läuft wie am Schnürchen – bis sein Doppelgänger auf die umgekehrte Idee kommt…

Leo Richter und Elisabeth

Autor und Ärztin: Leo Richter und Elisabeth.

Das sind nur zwei von insgesamt sechs Geschichten, die in Isabel Kleefelds Kinodebüt «Ruhm» miteinander verwoben werden. Die einzige Gemeinsamkeit, welche die Figuren miteinander verbindet, ist das Handy. Im Zentrum der Episoden steht der erfolgreiche Schriftsteller Leo Richter (Stefan Kurt), der sich zusammen mit seiner Freundin, der Ärztin Elisabeth (Julia Koschitz) auf einer Lesereise in Südamerika befindet. Der etwas weltfremde Autor zieht seine Inspiration aus den Leben seiner Mitmenschen und schreibt die Geschichten einiger anderer Filmfiguren gleich selbst. Doch nicht für alle Protagonisten hat der Autor ein Happy End vorgesehen.

Rosalie

Stark: Senta Berger als Krebskranke.

Wer die Romanvorlage von «Ruhm» nicht gelesen hat, ist im Kinosaal im Vorteil. Einerseits, weil die Regisseurin die neun verschiedenen Geschichten in Daniel Kehlmanns Buch auf sechs reduziert, andererseits, weil so der Überraschungseffekt grösser ist. Die «Fiktionalität auf mehreren Ebenen» (Zitat Kehlmann) der Erzählung ist virtuos. Geschickt springt der Film von einem Handlungsstrang zum nächsten und bringt die Figuren immer näher zusammen. «Ruhm» ist deutsches Kino auf hohem Niveau mit hervorragenden Darstellern. Kein Wunder, zeigte sich Kehlmann hell begeistert von der filmischen Umsetzung seines Werks: «Die Schauspieler sind grossartig und der Film eine fantasievolle, kluge und sowohl getreue als auch künstlerisch selbstständige Umsetzung des Romans.»

«Ruhm» läuft ab 1. November im Kultkino Camera in Basel.

Der blutleere Freund

Fabian Kern am Mittwoch den 24. Oktober 2012

Robot & Frank

«Robot & Frank» läuft ab 25. Oktober im Eldorado.

Vergesslichkeit ist eine ärgerliche Geschichte, aber man lernt damit zu leben. So auch Frank (Frank Langella) in der nahen Zukunft. Der rüstige Senior lebt ganz für sich allein in einem Haus in den Wäldern der Provinz und bekommt wenig vom Lauf der Zeit mit. Der ehemalige Fassadenkletterer, spezialisiert auf Diamantenraub, ist mit wenig zufrieden. Mal lässt er ein Stück Seife im Dorfladen mitgehen, mal besucht er die Bücherei, um mit der feschen Bibliothekarin Jennifer (Susan Sarandon) zu flirten. Bis ihn sein Sohn Hunter (James Marsden) mit einer absolut unerwünschten Haushaltshilfe beglückt: einem Roboter. «Das Ding wird mich im Schlaf ermorden», lautet Franks trockener Kommentar, nachdem er sich mit Händen und Füssen vergeblich gegen die Anschaffung des mechanischen Helfers gewehrt hat. Blöd nur, dass Hunter der Einzige ist, der das Password für die Hunter macht sich Sorgen um seinen Vater und möchte nicht jede Woche fünf Stunden Autofahrt für einen Routinebesuch von New York aus aufwenden.

Frank und der Roboter

Freunde und Komplizen: Frank und der Roboter am Ausbaldowern. (Bilder: ASCOT ELITE)

Frank und Jennifer

Flirten in der Bibliothek: Frank und Jennifer.

Frank muss sich also mit dem Blechdiener arrangieren und entdeckt bald die Vorzüge des treuen Begleiters. Den Auftrag des Roboters, ihn zu geistiger Bewegung anzuregen, nutzt der notorische Dieb zum eigenen Vorteil: Er macht ihn zum Komplizen bei seinen Raubzügen. Dabei entdeckt er nicht nur seine Lebenslust neu, sondern schliesst ungewollt Freundschaft mit dem mechanischen Kameraden. Franks Problem ist nur, dass ihm die Polizei im Nacken sitzt und die einzigen Beweise für seine Taten im Speicher des Roboters sind. Wird er ihn formatieren und damit die ganzen gemeinsamen Erinnerungen ausradieren?

Madison und Frank

Madison (Liv Tyler) sorgt sich um ihren Vater.

In Jake Schreiers beachtenswertem Debüt als Spielfilmregisseur beweist Frank Langella (Frost/Nixon) einmal mehr, einer der begabtesten Schauspieler Hollywoods zu sein. Er schafft es mit seiner subtilen Mimik, das traurige Thema Alzheimer in einer Buddy-Komödie darzustellen, ohne lächerlich oder geschmacklos zu wirken. Der gesellschaftskritische Ansatz, die Handlung in die nahe Zukunft zu verlegen, in der das menschliche Gehirn als Gedächtnis immer mehr von elektronischen Archiven abgelöst wird, ist spannend. Die herzerwärmende Geschichte zeigt aber auch, wer unter den Folgen von Alzheimer am meisten zu Leiden hat: die Familie.

«Robot & Frank» läuft ab 25. Oktober im Kino Eldorado in Basel.

«The Sixth Sense» auf italienisch

Fabian Kern am Mittwoch den 17. Oktober 2012

Magnifica Presenza

«Magnifica Presenza» läuft ab 18. Oktober im Kult.kino Club.

«Ich sehe tote Menschen.» Dieser geflüsterte Satz aus dem Mund von Haley Joel Osment in der Rolle des jungen Cole ist bereits ein Klassiker der Filmgeschichte. Diese Worte könnte auch von Pietro (Elio Germano) in «Magnifica Presenza» ungelogen von sich geben. Der 28-Jährige hat seine Heimat Sizilien verlassen, um in Rom eine Schauspiel-Karriere zu starten. Um seiner Cousine Maria (Paola Minaccioni) nicht länger auf der Pelle zu sitzen, sucht er sich seine eigenen vier Wände und verliebt sich dabei in ein baufälliges Reihenhaus. Mit viel Hingabe renoviert der leider nur mässig begabte Mime sein Schmuckstück, bemerkt aber schon bald, dass er nicht allein in dem Altbau ist. Eine Gruppe von acht Menschen – vier Männer, drei Frauen und ein übergewichtiger Halbwüchsiger – erscheint ihm immer wieder. Die Tatsache, dass nur er die Geister sieht, macht die Geschichte auch nicht weniger unheimlich.

Das Schauspiel-Ensemble «Apollonio»

(Un-)heimliche Besucher in Pietros Wohnung: das Schauspiel-Ensemble «Apollonio». (Bilder: Pathé)

Pietro (Elio Germano)

Unglücklich verliebt: Pietro.

Immerhin scheinen Pietro die opulent gekleideten und geschminkten Geister nicht feindlich gesonnen. Im Gegenteil, der Homosexuelle mit unglücklichem Liebesleben wird von einem männlichen Untoten derart angemacht, dass ihm gleichzeitig heiss und kalt wird. Nur, was wollen die Erscheinungen? Die Gruppe stellt sich als das Schauspiel-Ensemble «Apollonio» heraus, das 1943 unter mysteriösen Umständen an ihrem Premieren-Abend in Mailand spurlos verschwand. Pietro soll nun herausfinden, was damals passiert ist. Im Gegenzug coachen ihn die Geister aus dem zweiten Weltkrieg bei seinen Castings. Aber Pietro hat auch noch eine andre Aufgabe: Er muss den Verstorbenen, die kein Zeitgefühl haben, schonend beibringen, dass sie bereits seit 69 Jahren nicht mehr unter den Lebenden weilen…

So sehr die Handlung von «Magnifica Presenza» jener von «The Sixth Sense» gleicht, so unterschiedlich ist aber der Rest. Das Werk von Ferzan Ozpetek ist als teilweise etwas eigenwillige Tragikomödie mit lauter skurrilen Figuren angelegt. Den Zugang dazu zu finden, ist nicht jedermanns Sache. Eines aber schafft der italienische Film ebenso stilsicher: Man will wissen, wie es ausgeht. Immerhin.

Der Anti-Schwarzenegger

Fabian Kern am Mittwoch den 10. Oktober 2012

Teddy Bear

«Teddy Bear» läuft ab 11. Oktober im Kult.kino Atelier.

Wer Bodybuilding und Kino in einem Satz hört, denkt unweigerlich an einen Namen: Arnold Schwarzenegger. Die «steyrische Eiche» hat mit seiner Hollywood-Karriere die Kraftmeierei salonfähig gemacht. In seinem Kielwasser wollten auch andere Bodybuilder auf die Leinwand. Deren Erfolge sind aber überschaubar. Nun hat mit dem Dänen Kim Kold ein weiterer Muskelberg den Weg in die Kinos gefunden. Doch während Schwarzenegger mit coolen Sprüchen in Actionfilmen, einer Politik-Karriere und einer Affäre mit dem Kindermädchen inklusive unehelichem Sohn die Gazetten füllt, glänzt Kord im dänischen Film «Teddy Bear» mit Zurückhaltung.

Dennis (Kim Kold) in Thailand

Greifbare Einsamkeit: Dennis wird zunächst auch in Pattaya nicht glücklich. (Bilder: Pathé)

Kim und Ingrid

Unter der mütterlichen Fuchtel: Dennis und Ingrid.

Bodybuilder sind extrovertierte Menschen, sollte man glauben. Das extreme Posing auf der Bühne, eingeölt bis in die letzte Pore, ist schliesslich das Ziel der menschlichen Kunstwerke. Nicht so Dennis Petersen (Kim Kold). Der tätowierte Riese, der spontan an Mickey Rourkes Figur Marv aus «Sin City» erinnert, hatte noch nie eine feste Freundin und wohnt mit 38 Jahren immer noch bei seiner Mutter (Elsbeth Steentoft). Um seiner Einsamkeit Abhilfe zu schaffen, folgt er dem Vorbild seines Onkels, dessen Brautschau in Thailand erfolgreich verlief. Doch das aggressive Werben der Thailänderinnen ist nichts für den schüchternen Hünen. Also gibt Dennis sein Vorhaben auf und konzentriert sich auch in fremden Gefilden darauf, was er am besten kann: Bodybuilding. Und prompt verliebt er sich in die Inhaberin seines Gyms in Pattaya. Doch wie soll er das seiner Mutter beibringen, die so sehr klammert, dass sie schon eine Krise kriegt, wenn ihr Sprössling mal einen Abend ausgeht?

Dennis und Toi

Wer nicht mehr sucht, der findet: Dennis und Toi.

«Teddy Bear» legt den Fokus auf zwischenmenschliche Beziehungen. Ein erwachsener Mann sucht auf herzerwärmend hilflose Weise seine wahre Liebe und versucht gleichzeitig, sich von seiner unnatürlich behütenden Mutter zu emanzipieren. Es geht aber auch um Klischees. Ein Berg von einem Mann wünscht sich nichts sehnlicher, als nicht auf seine Muskeln reduziert zu werden, sondern eine Partnerin fürs Leben zu finden. Ausgerechnet in Thailand, das mit Sextourismus gleich gesetzt wird, findet er sie – just nachdem er die Suche enttäuscht abgebrochen hat. Der Regisseur Mads Matthiessen hat seinen Kurzfilm «Dennis» von 2007 zu einem Kinofilm der leisen menschlichen Töne ausgebaut und wurde dafür am Sundance Film Festival ausgezeichnet. Dennis’ Einsamkeit ist beinahe greifbar, man möchte den Hünen an der Hand nehmen und ihn davor behüten, ausgenutzt zu werden. Die Tatsache, dass vorwiegend mit Amateur-Schauspielern an Originalschauplätzen gedreht wurde, verleiht dem Drama einen dokumentarischen Touch.

Die Leistung des Hauptdarstellers ist beeindruckend. Kolds erste Kinorolle könnte den Beginn einer internationalen Karriere markieren. Man darf gespannt sein, welche Rollen sich der Däne in Zukunft aussucht. Den Schritt nach über den grossen Teich wagt der Super-Schwergewichts-Bodybuilder nun schon einmal. Zur Zeit steht Kold für das Actionspektakel «Fast and the Furious 6» vor der Kamera. Vielleicht wird das ja doch noch etwas mit einer Karriere à la Schwarzenegger – wenigstens in filmischer Hinsicht. Der ganze private Mist von Arnie muss ja nicht sein. Aber eines ist nach «Teddy Bear» sicher: He’ll be back.

Hier die Vorgeschichte zu «Teddy Bear», der Kurzfilm «Dennis» aus dem Jahr 2007:

Küss mich, Stiefschwester!

Fabian Kern am Mittwoch den 3. Oktober 2012

Kyss mig

«Kyss mig» läuft ab 4. Oktober im Pathé Eldorado.

Eine Träne kullert Mias Wange hinunter, nachdem sie zum ersten Mal mit Frida geschlafen hat. Kein Vergleich zur Einstiegsszene von «Kyss mig», einem routinierten Liebesakt mit ihrem Verlobten Tim. Zwischen diesen beiden Szenen liegen nur etwa zwei Tage, in denen sich jedoch für die beiden Frauen Entscheidendes ereignete: Liebe auf den ersten Blick. Das Verzwickte an der Situation ist aber nicht nur, dass sowohl Mia (Ruth Vega Fernandez) als auch Frida (Liv Mjönes) in einer festen Beziehung sind – die eine hetero, die andere homo –, sondern dass Fridas Mutter Elisabeth (Lena Endre; «Mankells Wallander», «Millennium»-Trilogie) kürzlich den Heiratsantrag von Mias Vater Lasse (Krister Henriksson; «Mankells Wallander») annahm, an dessen Feier sich die beiden über den Weg liefen. Doch Mia fällt es weit weniger leicht, sich ihren romantischen Gefühle für Frida zu stellen als umgekehrt. Zu weit fortgeschritten ist ihre konservative Zukunftsplanung: Hochzeit, Haus, Kind. Da passt eine lesbische Affäre mit der Stiefschwester in spe natürlich gar nicht ins Bild.

Tim und Mia

So sehen einseitige Gefühle aus: Mia mit ihrem Verlobten Tim. (Bilder: Rialto)

Elisabeth und Lasse

Bekannte Gesichter für Wallander-Fans: Lena Endre und Krister Henriksson.

Was für ein Paar die beiden Frauen abgeben! Die rehäugige Brünette Mia und Frida, die mit ihren blonden Haaren und blauen Augen einem Astrid-Lindgren-Buch entsprungen scheint. Passend dazu ist die ganze Ästhetik des Films. Die Einrichtung der Wohnung in Stockholm wirkt wie aus einem Ikea-Katalog, in Lasses Haus in Südschweden und Elisabeths gemütliche Sommerresidenz auf einer kleinen Insel möchte man sofort einziehen. In Sachen Stil kann man den Schweden einfach nichts vormachen.

Mia und Frida

Aus anfänglicher Abneigung wird leidenschaftliche Liebe: Mia und Frida.

Stilvoll ist auch der Umgang der Regisseurin Alexandra-Therese Keining mit dem Thema Homosexualität. Der Grundton des Films ist angenehm unaufgeregt. «Kyss mig» würde auch als konventionelle Hetero-Lovestory funktionieren. Die Chemie zwischen Mia und Frida stimmt, man spürt, dass sie ganz einfach zwei Menschen sind, die zusammen sein wollen. Mit dem Einsatz verschiedener Lichtfilter versetzt Keining den Zuschauer in die Rolle des Voyeurs. Zudem spielt sie mit der Tonspur, um zu zeigen, wie man mit grossen Gefühlen – ungeachtet der sexuellen Ausrichtung – umgehen sollte: alle Begleitumstände ausblenden und das Herz sprechen lassen.

Das Leben ist kein Homerun

Fabian Kern am Montag den 17. September 2012

Die Kunst des Feldspiels

Der Sport ist ein Mikrokosmos des Lebens, insbesondere Mannschaftssportarten. Erfolg, Drama, Freude, Enttäuschung, Vertrauen, Streit – alles findet sich auf dem Feld der Träume. Kein Wunder also, hat Chad Harbach in seinem Debütroman über den Sinn des Lebens rund um die amerikanischste aller Sportarten angelegt: Baseball. Das Landei Henry Skrimshander ist ein schlaksiger, schüchterner und unscheinbarer Junge. Im Umgang mit dem lederbezogenen Hartgummiball aber ist er virtuos. Er scheint das Potenzial zu haben, einst so gut zu werden wie sein Idol Aparicio Rodriguez. Mike Schwartz, Spieler und Herz der Westish Harpooners, erkennt diese Gabe auf Anhieb und holt Henry an sein College nach Wisconsin.

Dort setzt dieser die Jagd nach Rodriguez’ legendärem Rekord von fehlerfreien Spiele fort – bis ihm sein erster Fehlwurf unterläuft. Dieses im Sport eigentlich alltägliche Ereignis stellt die Leben von nicht weniger als fünf Menschen auf den Kopf. Neben Henry und Mike werden auch Henrys intellektueller dunkelhäutiger Mitbewohner, der College-Präsident, der im Herbst seines Lebens seine Homosexualität entdeckt, sowie dessen Tochter aus der Bahn geworfen. Plötzlich werden sie alle mit ihren Makeln konfrontiert und müssen sich fragen, ob sie ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden.

Chad Harbach

Chad Harbach (Jahrgang 1975).

Es ist kein Wunder, spielt Harbachs Roman in seiner Heimat, dem Mittleren Westen der USA, ist dieser doch der Inbegriff für den bodenständigen Durchschnitts-Amerikaner. Der Autor verknüpft Schicksale mit einem banalen Vorkommnis, was die Figuren fassbar macht – auch ennet des Atlantiks. Anstelle von Mitleid, das man mit den Protagonisten von Dramas hat, fühlt man mit ihnen mit und fragt sich unweigerlich: Was würde ich an ihrer Stelle tun? Chad Harbach, der den Spannungsbogen bis zum Schluss zu halten vermag, wird in den Vereinigten Staaten bereits in der Oberliga der All American Novel begrüsst. Und plötzlich findet sich der Jungschriftsteller in der Situation seiner Figur Henry Skrimshander wieder: Die Augen Amerikas sind auf ihn gerichtet, der Erwartungsdruck steigt. Harbach hat einen beeindruckenden Homerun geschlagen, aber noch nicht das Spiel gewonnen.

Chad Harbach: «Die Kunst des Feldspiels». Aus dem Englischen von Stephan Kleiner und Johann Christoph Maass. Roman. DuMont Buchverlag, Köln 2012. 607 Seiten, ca. Fr. 33.-.

«Rumantik» in Puerto Rico

Fabian Kern am Mittwoch den 12. September 2012

Filmplakat

«The Rum Diary» läuft ab 13. September im Pathé Küchlin und im Rex.

Johnny Depp als Rum saufender Chaot in der Karibik – da war doch etwas? Diesmal segelt Hollywoods Superstar allerdings nicht unter der Piratenflagge, sondern recherchiert im Jahr 1960 als Paul Kemp in Diensten des «San Juan Star», einer heruntergekommenen amerikanischen Zeitung in Puerto Rico. Recherchieren ist allerdings schon fast etwas zuviel gesagt, denn sein Leistungsauftrag ist es, bloss keine negativen Geschichten auszugraben, sondern die Exil-Amerikaner in ihrem Gefühl zu bestärken, sie lebten im Paradies. Was auf die herrliche Natur bezogen zwar stimmt, nicht jedoch auf die sozialen Zustände. Die Amis trampeln rücksichtslos über die Insel und behandeln die stolzen Puertoricaner wie Leibeigene.

Kemp, Sanderson und Chenault

Sanderson (mitte) stellt Kemp seine verführerische Verlobte Chenault vor.

Der eigentlich aufstrebende Jungjournalist Kemp ersäuft seinen beruflichen Ehrgeiz zunächst im Rum, welcher literweise fliesst. «Wir sollten weniger trinken. Hoffentlich werde ich nie Alkoholiker», stellt er mit Depps unnachahmlichem Säufer-Ausdruck auf dem Gesicht fest. Er sinkt sogar so tief, dass er sich vom skrupellosen Geschäftsmann Sanderson (Aaron Eckhart) kaufen lässt, um dessen illegales Hotelprojekt zu bewerben. Allerdings ist der Hauptgrund für dieses Engagement weniger das schnell verdiente Geld, als vielmehr Sandersons sexy Verlobte Chenault (Amber Heard), die Kemp fast den Verstand raubt. Schliesslich aber erwacht doch noch sein vom Alkohol und anderen Rauschmitteln verschüttetes Ehrgefühl, und er sagt den rücksichtslosen Kapitalisten den Kampf an: «Es gibt keinen amerikanischen Traum.»

Paul Kemp

Paul Kemp orientiert sich nach einer durchzechten Nacht. (Bilder im Verleih von ASCOT ELITE)

Sala und Kemp

Sala und Kemp verstehen sich auf Anhieb.

Chenault und Kemp

Chenault und Paul kommen sich näher.

Hunter S. Thompsons Roman lag jahrzehntelang in seiner Schublade. Als Johnny Depp, seit der Verfilmung von Thompsons «Fear and Loathing in Las Vegas» mit ihm befreundet, davon erfuhr, brachte er das Filmprojekt ins Rollen. Leider bekam Thompson das Endprodukt nie zu sehen – der Erfinder des Gonzo-Journalismus starb 2005. «The Rum Diary» ist ein autobiografischer Roman, Paul Kemp niemand anderes als Thompson in jungen Jahren. Depp mimt einmal mehr den routinierten Alkoholiker, der zusammen mit dem desillusionierten Redaktionskollegen Sala (Michael Rispoli) und dem schmuddligen Moburg (herrlich: Giovanni Ribisi) ein umwerfendes Trio bildet. Die herrliche Natur Puerto Ricos bildet einen faszinierenden Kontrast zur ekelhaften Journalisten-WG und Salas Schrott-Fiat. Dass die Drogen-Exzesse nicht ganz so dominant sind wie noch in Terry Gilliams überdrehtem «Fear and Loathing in Las Vegas», tut Bruce Robinsons Film gut. Tolle Darsteller, schräge Figuren, etwas Spannung und Romantik in einer Story um Ethik, angerichtet mit einem guten Schuss Hochprozentigem vor einer exotische Kulisse – «The Rum Diary» ist ein süffiger Cocktail. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

«The Rum Diary» läuft ab 13. September in den Basler Kinos Pathé Küchlin und Rex.

Truman Show für Horrorfans

Fabian Kern am Mittwoch den 5. September 2012

The Cabin in The Woods

«The Cabin in the Woods» läuft ab 6. September im Pathé Küchlin in Basel.

Fünf College-Studenten – je zwei schöne junge Frauen und Männer, darunter Hollywoods Mann der Stunde Chris Hemsworth («Thor», «The Avengers»), sowie ein kiffender Nerd – fahren in eine düstere Waldhütte, um ein Wochenende abseits der Handy- und WLAN-Netze zu verbringen. Die Warnung eines scheinbar vom religiösen Wahn befallenen Hinterwäldlers schlagen sie selbstverständlich in den Wind und geben sich dem Alkohol und dem THC hin. Ziel ist es, nichts zu tun, was keinen Spass macht und nebenbei noch die verklemmte Dana (Kristen Connolly) mit dem neuen Mitglied des Football-Teams, dem charmanten Holden (Jesse Williams, «Grey’s Anatomy») zu verkuppeln. Doch in den Wäldern lauern grässliche Kreaturen, die der Spassgesellschaft nach dem Leben trachten… Wie oft haben wir so etwas schon gesehen?

Curt, Holden, Jules, Marty und Dana

Die Opferlämmer: Curt (Chris Hemsworth), Holden (Jesse Williams), Jules (Anna Hutchison), Marty (Fran Kranz) und Dana (Kristen Connolly). (Bilder: Rialto)

Marty

Kiffer Marty entdeckt sein Kämpferherz.

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Regisseur Drew Goddard (Autor von «Cloverfield») und seinen Produzenten Joss Whedon (Autor von «The Avengers»). Anstatt uns mit einem weiteren überflüssigen Slasher-Streifen à la «Wrong Turn» zu langweilen, haben die beiden Co-Autoren bei ihrem innovativen Schocker «The Cabin in the Woods» dem gängigen Horror-Konzept eine neue Ebene verpasst. Denn die Hütte ist nicht einfach nur ein Ort des Schreckens, sondern die High-Tech-Falle eines weltweit operierenden Unternehmens, das nur ein Ziel hat: junge Menschen auszulöschen. Während also die Opferlämmchen um ihr Leben kämpfen, wetten ein paar Stockwerke tiefer unten die gelangweilten Techniker darauf, welches Gräuel dem Partyvolk den Garaus macht. Denn dies ist die einzige Entscheidung, welche die Studenten durch ihr Verhalten beeinflussen können – wobei sie von den «Überwachern» mittels mittels modernster Technik gelenkt werden. Aber wer ist der mysteriöse «Kunde», für den das ganze Gemetzel veranstaltet wird?

Dana

Dana bietet einem Zombie ihre Kleider an.

Das ganze Konzept erinnert stark an einen anderen Film, in dem das «Big Brother»-Szenario zelebriert wurde: «The Truman Show» (1998). Jenem Meisterwerk von Peter Weir, in dem Jim Carrey eindrucksvoll bewies, dass er nicht nur Blödel-Rollen besetzen kann, erweisen die Macher von «The Cabin in the Woods» schliesslich auch ihre Referenz. Der Chefbeamte, der Einzige im Überwachungsbunker mit einem Funken Moral im Leib, heisst nämlich Truman. So sozialkritisch wie die «Truman Show» ist der Horrorfilm zwar nicht, das ist in diesem Genre aber auch gar nicht nötig. Vielschichtig ist der unvorhersehbare Streifen allemal. Anschauen!

Wir verlosen 5 mal 2 Kinotickets für «The Cabin in the Woods»! Zum Wettbewerb