Archiv für die Kategorie ‘Allgemein’

Strassenrap mal anders

Joel Gernet am Donnerstag den 28. November 2013

Er rappt gerne über Rap, verwendet HipHop-Puristen-Wörter wie «real» und seine Beats klingen, als hätte er sie den US-Raplegenden von A Tribe Called Quest geklaut. Oder von den Roots. Klingt altbacken? Ist es aber nicht! Denn Kuzco gehört zum Frischesten, was Basler Rap momentan zu bieten hat. Sein erstes Album (download hier) enthält ein dutzend Songs, deren Qualität für ein Gratis-Release unverschämt gut ist.

Relaxte Beats, getränkt von Jazz Samples treffen auf einen Flow, der so locker und unverkrampft daherkommt wie Snoop Dogg bei einem Amsterdam-Aufenthalt. Komplettiert wird das Gesamtbild von astreiner Reimtechnik und der authentischen Attitüde eines jungen Mannes, der sich je nach Laune als selbstironischer Angeber, lockerer Frauenheld oder leidender Zweifler inszeniert.

Milchstroossetournee: Kuzcos Debut enthält u.a. Features von Black Tiger, Shape, Céline Huber, den Tafs und Fetch.

Milchstroossetournee: Das Album hat trotz den drei Beat-Produzenten (Audio Dope, Kuzco, Zois) musikalisch einen roten Faden.

Man könnte das Debut des 22-Jährigen auch mit «Die Freuden und Leiden des jungen Kuzco» betiteln. Stattdessen hat der Basler sein Baby, das am Sonntag das Licht der Welt erblickt hat, auf den Namen «Milchstroossetournee» getauft. Der Titel hat nichts mit kosmischen Kräften oder Erich von Däniken zu tun, er umschreibt viel eher die Dimension von Kuzcos musikalischen Ambitionen. Die Welt ist nicht genug, deshalb macht sich der kleine Prinz des Basler Rap auf, die ganze Milchstrasse zu erobern. Streetrap mal anders – Milchstrassenrap sozusagen.

Inhaltlich umfasst Kuzcos Kosmos die Freuden und Sorgen, die man Anfang 20 halt so hat: Die Jugend neigt sich dem Ende zu, der Ernst des Lebens hat noch nicht begonnen. Orientierungslosigkeit, Feiern, Festen, Liebeskummer – und natürlich eine Flut von Rap-Punchlines und Metaphern wie auf dem Song «Long Live Kuzco Pt. II»…

«Mi Kopf isch wie e Musik-Enzyklopädie.
Und ich scheiss uf jede Trend denn jede Trend isch mol verbyy.
HipHop und ych isch wie Romeo und Julia.
Ich mein, lueg mi aa: In dr Schwizer Szene bin ych e Unikat.»

Dass Kuzco sein erstes Album verschenkt, ergibt Sinn. Geht es ihm momentan doch vor allem darum, so viele Hörer wie möglich zu finden – und möglichst viele Konzerte zu spielen. Das Rapgame ist – wie alle Unterhaltungssparten – ein Kampf um Aufmerksamkeit und mit seinem Debut hat Kuzco gute Karten, tatsächlich auch wahrgenommen zu werden. Das zeigt sich auch in ersten Reaktionen wie jener vom Berner Tommy Vercetti, einer der Schweizer Rapper der Stunde (Stichwort «Glanton Gang»), der «Milchstroossetournee» auf Facebook anpreist. Dass Kuzco ausserhalb von Basel auf Wohlwollen stösst, ist ein gutes Zeichen. Viel zu vielen Basler Rapper gelingt es nämlich kaum, über die Region hinaus Gehör zu finden.

Im Studio: Kuzco und Black Tiger (v.r.). «Milchstroossetournee» enthält u.a. Features von Black Tiger, Shape, Céline Huber, den Tafs und Fetch

Im Studio: Kuzco und Black Tiger (v.r.). «Milchstroossetournee» enthält u.a. Features von Black Tiger, Shape, Céline Huber, den Tafs und Fetch

Anbiedern will sich der Musikstudent aber nicht. Kuzco möchte weder sich noch seinen Sound verbiegen für Hits und Clicks, das betont er immer wieder. Und das wird auch dem Namen seines Basler Musikkollektivs ersichtlich – «Anti Radio» ist die Devise. Ein Mittelfinger an den Mainstream. Aber Zeiten und Geschmäcker ändern sich und im Rap scheinen sich in Anbetracht der grassierenden Kommerzialisierung in Richtung Kaugummipop à la Nicki Minaj viele Hörer wieder auf die organisch-jazzigen Anfänge des Genres zu besinnen. Womit wir wieder bei Kuzco wären. Wenn er so weitermacht, könnte er mit seiner sympathischen Art nämlich genau dort landen: Im Mainstream und in den Radios. Ohne sich zu verbiegen notabene. Man würde es ihm und den Hörern wünschen.

Bevor es soweit ist, wird aber die «Milchstroossetournee» in Angriff genommen: Diesen Samstag, 30. November, gibt es im Kleinbasler SUD vor dem Beatnuts-Konzert eine kurze Kostprobe. Und am 7. Dezember eröffnet Kuzco das Konzert des Solothurner Rappers Manillio in der Kaserne Basel – zum ersten Mal mit Live-Band im Rücken. Daneben ist Kuzco zudem als Keyboarder mit Ira May – die zu recht hochgelobte «Amy Winehouse aus Sissach» – oder dem Basler Reggae-Sänger Tom Swift unterwegs. Auf Tournee ist der 22-Jährige also so oder so. Jetzt muss er nur noch die Milchstrasse erobern. Das Buffet ist jedenfalls angerichtet, wie den letzten Zeilen von Kuzcos Album zu entnehmen ist: «Das isch erst dr Warm-Up, das isch mi Apéro. Uf mir ligge grossi Hoffnige, han ych mir sage loh».

Der Korrektheit halber sei hier erwähnt, dass der Blog-Autor an einem Album-Song mitgewirkt hat.

– Kuzco, Milchstroossetournee (Anti Audio 2013). Free Download.
– Live: Sa. 30. November, Opening für die Beatnuts (USA), u.a. mit Kalmoo (BS) und Panadox (SO); Afterparty: DJ Philister (TNN, BS), D.Double (2LC, BL), DJ Tray (BS), Giddla (TNN, BS); SUD Basel.
– Live: Samstag, 7. Dezember, Kaserne Basel. Opening für Manillio.

MacGyver auf Anabolika

Fabian Kern am Mittwoch den 13. November 2013

«Escape Plan» läuft ab 14.11. in den Kinos Pathé Küchlin (Basel) und Oris (Liestal).

«Escape Plan» läuft ab 14.11. in den Kinos Pathé Küchlin (Basel) und Oris (Liestal).

Die lieben Erwartungen. Da sieht man zwei gealterte Actionstars auf dem Plakat eines Ausbruchsthrillers und denkt sich: Das wird sicher lustig – wenn auch vor allem unfreiwillig. Sylvester Stallone und Arnold Schwarzenegger schossen und prügelten sich letztes Jahr in «Expendables 2» erstmals Seite an Seite durch die Kinosäle. Der frühere Gouverneur von Kalifornien doppelte im zweiten Frühling seiner Schauspielkarriere mit der altmodischen, aber amüsanten Actionkiste «The Last Stand» gleich nach. Also weiter in diesem Stil? Nein! Mikael Hafströms «Escape Plan» bietet keine Haudrauf-Action, sondern vielmehr solide Spannung, die über die gesamte Filmdauer anhält.

In der Falle: Ray Breslin. (Bilder: Ascot Elite)

In der Falle: Ray Breslin. (Bilder: Ascot Elite)

Ray Breslin (Stallone) ist der Spezialist schlechthin, wenn es um die Sicherheit von Gefängnissen geht. Die Haftanstalt, aus welcher der frühere Staatsanwalt (!) nicht ausbrechen kann, muss erst noch gebaut werden. Oder wurde sie das schon? Die CIA beauftragt den Experten, ein neuartiges Hochsicherheitsgefängnis für die Bösesten der Bösen auf ihre Schwächen zu testen. Weil das Honorar exorbitant hoch ist, zögert Breslins Geschäftspartner Lester Clark (Vincent D’Onofrio) keine Sekunde, seinen besten Mann ins Ungewisse zu schicken. Denn der Haken an der Geschichte: Keiner aus dem Team darf wissen, wo der Knast liegt. Eine klare Verletzung von Breslins Regeln, was ihn aber nicht daran hindert, das Risiko einzugehen.

Skrupellos: Direktor Hobbes.

Skrupellos: Direktor Hobbes.

Dabei weiss man doch, dass die Verletzung von Regeln in Filmen immer zu Problemen führt! Das merkt auch Breslin in seinem neuen ungemütlichen Zuhause. Das Hightech-Verlies ist anders als alles, was er bisher gesehen hat. Kein Wunder, hat es Direktor Hobbes (Jim Caviezel) doch aufgrund Breslins Buch über Sicherheit bauen lassen. Und nun will er ihn mithilfe seiner Wärtertruppe um den Sadisten Drake (Vinnie Jones) schmoren lassen. Aber warum? Und wo ist dieses Gefängnis überhaupt? Fragen, die Breslin nur mit Unterstützung beantworten kann: Vorhang auf für Emil Rottmayer (Schwarzenegger). Der im Knast höchst respektierte Häftling macht mit Breslin gemeinsame Sache – unter der Bedingung, dass er ihn mit auf die Flucht nimmt. Doch Hobbes bekämpft alle verdächtigen Aktivitäten mit brutalen Massnahmen.

Knastbrüder: Emil und Ray.

Knastbrüder: Emil und Ray.

Natürlich, gewisse Szenen sind etwas übertrieben. Stallone als MacGyver auf Anabolika weiss aus jeglichen Materialien irgendetwas Nützliches anzufangen und übertreibt es bisweilen mit seinen Fertigkeiten. Zudem geniesst er trotz aller Repressionen erstaunliche Freiheiten in einem Knast, wo jeder Winkel dauerüberwacht ist. Seis drum, die Mischung zwischen Spannung und Humor, zwischen Action und Dialogen stimmt. Auch deshalb, weil man das Alter von Stallone (67) und Schwarzenegger (66) berücksichtigt, und die beiden Actionikonen nicht mit übertriebener Kraftmeierei der Lächerlichkeit preisgibt. Allerdings muss man sagen, dass Schwarzeneggers Deutsch, das er im Film ziemlich lange präsentiert, fast noch schlimmer ist als sein Englisch. Dennoch ist «Escape Plan» ein guter Actionthriller. Wem das zu wenig Muskeln, Maschinen und Kanonen sind, der kann sich auf «Expendables 3» freuen, mit dem uns Stallone 2014 beglücken wird.

Die lieben Erwartungen. Manchmal ist es auch schön, wenn sie nicht erfüllt werden.

«Escape Plan» läuft ab 14. November 2013 in den Kinos Pathé Küchlin (Basel) und Oris (Liestal).

Weitere Filmstarts in Basel am 14. November: Captain Phillips, Last Vegas, Eltern, Io e te, Venus im Pelz, The Lunchbox, Watermarks – Three Letters from China.

Basler Battle-Rapper schlagen sich wacker

Joel Gernet am Dienstag den 27. August 2013
Mad Ced, Gewinner der Vorrunde.

Mad Ced, Gewinner der Vorrunde.

Die Rapper am Swiss Video Battle Turnier (Swiss VBT) schlagen sich noch immer die Köpfe ein – und das ist gut so. Schliesslich ist die Kunst der gepflegten Beleidigung eine wichtige Diziplin des Rap. Solange sich die Kontrahenten ausschliesslich verbal und mit dem nötigen Respekt auf den Deckel geben, kann das für Gladiatoren und Zuschauer nur ein Gewinn sein.

Das haben auch die Macher des Swiss VBT gewusst, als die ihren audiovisuellen Rapwettbewerb ins Leben gerufen haben. Das Resultat: Viele Teilnehmer, packende Zweikämpfe und hochstehende Videoclips. Inzwischen laufen die Halbfinals der zweiten Staffel und die Nordwestschweizer Rapper schlagen sich noch immer wacker.

Misandope in Action.

Misandope in Action.

Mit Mad Ced und Misandope stellt Basel zwei der vier verbliebenen Silben-Söldnern. Insgesamt 32 Teilnehmer waren es beim Start der Vorrunde im April, darunter über ein Dutzend aus der Region Basel (wir berichteten). Viele von ihnen mussten sich in den folgenden Runden allerdings gegenseitig «kannibalisieren». Mit Sherry-Ou und Bone haben es zwei weitere Rapper aus der Region bis in die Viertelfinals geschafft – wo sie gegen die die Basler Halfinalisten Mad Ced und Misandope ausschieden. Immerhin: Vier der letzten acht Video-Battle-Rapper kamen aus der Region. Und die Chance auf einen Basler Sieg ist mit zwei Bebbi in den Halbfinals immer noch sehr gut.

Doch der Weg in den Final wird steinig: Mad Ced, Gewinner der Vorrunde, trifft auf den Zürcher Titelverteidiger Jones Burnout. Und Misandope bekommt es mit dem Luzerner Sympathieträger Visu zu tun. Alle vier haben inzwischen ihre Hinrunde vorgelegt. Mit einer Mischung aus Ironie, Humor und gnadenlosen Punchlines wird hier von allen Halbfinalisten allerhand Unterhaltsames geboten: Mad Ced macht sich über die clowneske Gestik und die markante Mundform von Jones Burnout lustig, dieser wiederum lässt an der Frisur des Baslers kein gutes Haar; Misandope lästert über den «Bünzlirap» von Schulbub Visu während der Innerschweizer im IKEA-Parkhaus Witze über Misandopes markante Ohrringe reisst. Wer die besten Punchlines auf Lager hat, kann jeder selber entscheiden: Hier die vier Begegnungen…

Mad Ced vs. Jones Burnout

Jones Burnout vs. Mad Ced

Misandope vs. Visu

Visu vs. Misandope

Die Hinrunden können noch bis am 31. August bewertet werden. Danach folgt die Rückrunde, in der die Battle-Rapper jeweils über den Hinrunden-Beat des Gegners spitten müssen. Für Unterhaltung ist also weiterhin gesorgt. Die Bewertung der Begegnungen erfolgt zu 80 Prozent durch ein Jury-Urteil (Song, Video, Gesamteindruck), den Rest macht das Publikums-Voting aus. Der Final-Showdown beginnt Ende September. Im Oktober wird der Video-Battle-King gekrönt. Dass der Sieger dann aus Basel kommt, ist nicht unrealistisch. Man wird es an dieser Stelle erfahren.

Wer die Basler VBT-Teilnehmer live erleben möchte, kann das diesen Samstag ab 23.20 Uhr auf dem Barfüsserplatz in Basel. Dort wird im Rahmen des Jugendkulturfestivals das 83-minütige Monsterprojekt «1 City 1 Song» live präsentiert – mit über 140 Rappern aus Basel und Umgebung. Hier die soeben eingetroffene Kurzdoku dazu…

So long, suckers!

karen gerig am Dienstag den 27. September 2011

Mit diesem Titel – Jodie Fosters berühmtesten Worten aus dem Film «Alice doesn’t live here anymore» – hab ich jemandem einen Gefallen getan. Doch ich kann ihm auch eine weitere Bedeutung verleihen. Hab ich doch in einem knappen Jahr Schreiben fürs Schlaglicht immer wieder über Kino schreiben wollen – und es nie geschafft. Schade eigentlich. Aber es gab genügend anderes, über das sich zu schreiben lohnte. Und nur selten reicht ja die Zeit, alles zu machen, was man gerne möchte.

Künftig wird meine Zeit kaum mehr zum Bloggen reichen. Das Schlaglicht wird deshalb hier bei der Basler Zeitung bleiben, während ich weiterziehe. Diesen Beitrag weiterlesen »

Wieviel soll Kultur die Konsumenten kosten?

karen gerig am Mittwoch den 10. August 2011

Eines der aktuellen Gratis-Kultur-Angebote: Das Kulturfloss. (Foto Pino Covino)

Die Aussage einer Bekannten gab mir kürzlich zu denken. In einer Diskussion darüber, dass immer mehr Events kostenlos zu besuchen seien, meinte sie, sie erwarte das inzwischen auch. Sie sei aber auch bereit, dafür etwa höhere Getränkepreise in Kauf zu nehmen. Ich stutzte: Die Erwartung, Kultur gratis zu konsumieren, das war mir neu. Und ich begann mich zu fragen, woher sie kommt. Diesen Beitrag weiterlesen »

«Hoffentlich hast Du Dir nicht weh gemacht»

karen gerig am Donnerstag den 5. Mai 2011

Wo ich hinblicke im Moment, da seh ich Plakate, die mir einen strahlenden Kreis von Kindern zeigt, aus deren Mund eine Sprechblase einhellig verrät: «Mir wänn Dialäggt!». Eines dieser Dialektinitiative-Plakate hängt just neben dem Kindergarten, den meine Tochter besucht. Die dortige Lehrperson hält sich streng an die (noch) gültige Regierungsvorgabe und spricht zu 50 Prozent mit den Kindern Standardsprache. Sie hat es, meiner Meinung nach, schlau aufgeteilt, und spricht zwei Quartale nur Dialekt, die zwei anderen Quartale nur Standardsprache. Meiner Tochter fällt das kaum auf – sie darf ja schliesslich immer so reden, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Diesen Beitrag weiterlesen »

Warum der Osterhase fröhlich hoppelt

karen gerig am Montag den 18. April 2011

Haben Sie ein Kind zuhause? Das Ihnen, unschuldig logisch wie es denkt, in diesen Tagen eine dieser Fragen zuwirft, die man spontan mit «Äh…» beantwortet? Es handelt sich dabei um folgende, durchaus auch für Erwachsene nachvollziehbare Erkundung: «Mami, warum bringt eigentlich ein Hase die Ostereier?» Nun, man kann sich herausreden: Weil er ein guter Freund der Hühner ist vielleicht, oder weil er besser malen kann. Oder weil er schneller läuft als das Geflügel mit seinen kurzen Beinen und deshalb beim Verstecken nicht gesehen wird. Vielleicht auch, weil er niedlicher ist als ein Huhn und deshalb besser zu vermarkten.

Man mutmasst also, oder aber man nutzt, was die moderne Zeit uns beschert hat, und sucht auf Wikipedia. Viel schlauer ist man jedoch in diesem Fall danach nicht – denn der Wikipedia-Eintrag beginnt mit derselben Unwissenheit, die wir gerade an den Tag gelegt haben. Also forschen wir etwas weiter. Und finden folgendes heraus:

Um den Osterhasen ranken sich viele Mythen – die absolute Wahrheit über den Osterhasen gibt es nicht!

Psst... Du siehst mich nicht, ich bin der Osterhase! (Foto Roland Schmid)

Ein paar Dinge, die über ein «Äh…» hinausreichen, kann man trotzdem festhalten. Der Osterhase macht seinen Job noch gar nicht so lange. Erst Ende des 17. Jahrhunderts wurde er das erste Mal schriftlich erwähnt – im Buch eines Mediziners, als bestes Beispiel für den Aberglauben des naiven Volkes und damit als Abschreckung vor zu grossem Eierkonsum, der als ungesund galt. Evangelische Familien hatten in der Reformationszeit den Osterhasen zum Eierlieferanten gemacht. Ein Hase als Ostersymbol ist in christlichen Quellen aus Südosteuropa seit der Spätantike belegt. Populär wurde der Osterhase allerdings erst im 19. Jahrhundert, durch Bilderbücher und die Schokoladenindustrie – im deutschen Sprachraum, wohlgemerkt. Davor waren es etwa der Kuckuck, der Fuchs oder der Storch, die die Eier brachten.

Der Frühling spielt in der Ostersymbolik eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Das Osterfest wird mancherorts auch als Frühlingsfest gefeiert. Kuckuck und Storch sind Vögel, die im Frühling wieder in Erscheinung treten. Der Fuchs erwacht aus dem Winterschlaf und kriecht aus seinem Bau. Im Frühling kommen auch die ersten Hasenkinder des Jahres zur Welt. Früher kamen die Hasen dann in die Gärten der Häuser und suchten nach Nahrung. Ein Leichtes also, ihnen anzudichten, dass sie bei diesen Besuchen gleich die Eier zurücklassen.

In der heidnischen Mythologie ist der Hase ein Fruchtbarkeitssymbol. Der Grund liegt auf der Hand, schliesslich gebärt eine Häsin drei- bis viermal pro Jahr mehrere Junge. Aus der Antike kommt die Deutung des Hasens als Sinnbild von Lebenskraft, Wiedergeburt und Auferstehung. Hier liegt die Wurzel für Darstellungen im Zusammenhang mit dem christlichen Osterfest, in dem der Auferstehung Christi gedacht wird. Die vielfältige christliche Hasensymbolik fand im Mittelalter in vielen Bildwerken, auch an Kirchen, ihren Ausdruck. Auch das Ei ist ein Fruchtbarkeitssymbol, schon im alten Ägypten und bei den Babyloniern. Im christlichen Sinne ist das Ei wie der Hase Symbol für die Auferstehung. Kamen also beim Osterhasen und den Ostereiern einfach zwei Dinge zusammen, die dasselbe bedeuten?

Nun haben wir also ein paar neue Antworten parat, was den Osterhasen betrifft. Und nach unserer Erklärung ist es am Kind, uns anzugucken und «Äh…» zu sagen. Und gleich mit der nächsten Frage aufzuwarten: «Ja aber, wer bringt denn dem Hasen die Eier? Und wer bemalt sie? Und warum?»

Wissen Sie die Antwort, liebe Leser?

Herausgepickt: Fabiola, die Patronin der Betrogenen

karen gerig am Mittwoch den 23. März 2011

Sparen wir uns das Spekulieren über vielfach gestellte Fragen. Weshalb das Schaulager auf eine grosse Ausstellung verzichtet und mit Francis Alÿs’ Fabiola-Projekt eine zwar spannende, aber nicht gerade originelle Jahresausstellung ausser Haus bietet, soll uns egal sein. Alÿs bringt immerhin mal ein paar Nasen mehr ins Haus zum Kirschgarten, das 11er-Tram hat dafür ein paar Passagiere weniger. Wir wollen uns auch nicht bei der Frage aufhalten, weshalb Alÿs für sein Sammlungs-Projekt Kopien eines Bildnisses einer Heiligen wählte, von der kaum jemand die Heilige und schon gar niemand das Bildnis kennt.

Bildnis der Fabiola, nach Jean-Jacques Henner.

Nein, wie wollen uns der Heiligen selbst widmen. Jener Frau, die seit dem 19. Jahrhundert, als ein elsässischer Realist namens Jean-Jacques Henner ein Bildnis von ihr schuf, das heute verschollen ist, auf immer dieselbe Weise dargestellt wird – mit seltenen Ausnahmen: Im Profil abgebildet, nach links blickend, mit dem karmesinrotem Schleier eines Büssergewands, ein kleiner, meist brauner Haarbüschel darunter hervorblickend.

Im 4. Jahrhundert lebte Fabiola, soviel wissen wir. Das Geburtsjahr unbekannt, das Todesjahr 399 n. Chr. In Rom geboren, entstammte sie dem noblen Geschlecht der Fabier. Sie war vermögend und wird in der nach ihr benannten Novelle des Kardinals Nicholas Wiseman als verwöhnt geschildert. Vielleicht war sie das, vielleicht auch nicht. Mit ihrem ersten Ehemann hatte sie Pech. Er war ihr zwar ebenbürtig von Geburt, aber er war lasterhaft, so lasterhaft, «dass nicht einmal eine Dirne oder gemeine Sklavin es hätte aushalten können», wie der Kirchenvater und Heilige Hieronymus, später langjähriger Weggefährte Fabiolas, nach ihrem Tod in seiner Lobrede auf die Heilige schrieb. Fabiola wollte sich das nicht bieten lassen – und trennte sich. Ein Fehler im Rom des 4. Jahrhunderts. Denn betrog der Mann die Frau, so war der Mann nicht schuld daran. Eine Frau hatte zu erdulden. Die Frechheit, ihren Mann zu verlassen, bezahlte Fabiola mit dem Ausschluss aus der christlichen Gemeinde.

Fabiola scherte das wenig, sie nahm sich einen zweiten Mann, der wenig später starb. Als Strafe für ihren Hochmut wurde Fabiola das ausgelegt, auch nach ihrem Tod noch. Sie selbst sah es wohl auch so, denn sie tauschte ihre edlen Kleider gegen das Büsserkleid und veräusserte ihr beträchtliches Vermögen. Den Erlös liess sie den Armen zukommen. Hieronymus formulierte es so: «Viel schwerer ist es, von Hochmut als von Gold und Edelsteinen zu lassen.» Fabiola aber schaffte es. In ihrem Büssergewand stellte sie sich am Tag vor Ostern den Blicken von ganz Rom, und «der Bischof, die Priester und das ganze Volk weinten mit ihr, wie sie mit aufgelöstem Haar, bleichem Antlitz und schmucklosen Händen ihren Nacken demütig beugte», schrieb Hieronymus.

Mit dem Erlös aus ihrem Vermögen errichtete sie ein Krankenhaus für die Kranken von der Strasse, die sie selbst ungeachtet ihrer Leiden liebevoll umsorgte. Auch gegenüber der Kirche zeigte sie sich grosszügig und spendabel. Auf einer Wallfahrt nach Jerusalem traf sie Hieronymus und widmete sich zu dessen Freude mit Inbrunst und grossem Lerneifer den göttlichen Büchern. Nach dem Einfall der Hunnen in Jerusalem nahm sie, zurück in Rom, ihren Dienst an den Kranken wieder auf. Als sie starb, ertönten, so Hieronymus, in ganz Rom Psalmen, «und oben an die vergoldeten Deckel der Tempel schlug der Widerhall des Alleluja». Ihr Begräbnis soll nach Hieronymus die römischen Siegesfeiern der Antike übertroffen haben.

Heute ist die Heilige Fabiola weitgehend unbekannt. Trotzdem ist sie die Patronin der Geschiedenen, Betrogenen, Misshandelten, der Krankenschwestern und der Witwen. Die über 370 Porträts, die Francis Alÿs bis jetzt vor allem in Europa und Lateinamerika gesammelt hat, zeugen von ihrer Verehrung.

Die Ausstellung im Haus zum Kirschgarten ist noch bis zum 28. August zu sehen.

Die Einsamkeit des Münsters

karen gerig am Donnerstag den 17. Februar 2011

Der Münsterplatz – ein grosser, leerer Platz. (Foto Margrit Müller)

Basel hat ein wunderschönes Münster. Es thront hoch über dem Rhein, blickt nach Frankreich, Deutschland, und in die Schweiz. Umgeben ist das Münster von viel Platz, der nur von einigen Bäumen besetzt wird. Über die Pflastersteine trippeln die Touristen, wenige Autos verirren sich auf die geteerte Strasse, seit das Parkverbot rigoros durchgesetzt wird. Altehrwürdige Häuser säumen den Platz. Früher hauste hier vor allem der Amtsschimmel, bis man in einigen davon schöne Wohnungen einrichtete. Zwei Restaurants stellen in der Sommersaison ein paar Stühle auf den Platz.

Still ists.

Einmal, im Herbst jeweils, verwandelt sich der Platz vor dem Münster zum Spielplatz. Die Herbstmesse lockt zahlreiche Gäste her, und das Münster staunt ob soviel Buntheit. Im Sommer darf es Filme auf einer Grossleinwand gucken, und an Silvester klingen von seinem Turm Posaunen und Trompeten. In einer Winternacht dann steigen viele Menschen in Busse ein, die sie zu Museen bringen, die weiter entfernt liegen. Und dann, an der Fasnacht, leuchtet der Platz dank der vielen farbigen Laternen. Dem Münster gefällt das.

Das Basler Münster im fasnächtlichen Schein. (Foto Roland Schmid)

Doch was das Münster sich fragt: Wo sind denn all die Menschen, die an diesen Anlässen den Platz bevölkern, an den vielen anderen Tagen im Jahr? Was es nicht weiss: Die Menschen kommen nicht zum Münsterplatz, weil sie anderswo mehr Vergnügen finden. Im Winter verziehen sie sich in die vielen Cafés, die die Stadt ihnen bietet. Und im Sommer sitzen sie lieber am Rheinufer und holen sich an einer der Buvetten ein Bier oder Weissweinschorle. Wüsste das Münster das, dann würde es wohl fordern: Stellt so eine Buvette doch vor meine Tore, dann nehmen mich die Menschen wieder wahr! Oder baut gar einen Spielplatz auf diesen grosszügigen Platz, damit mich auch die Kinder kennenlernen. Im Winter könnte man ihn durch eine Eisbahn ersetzen. Auch Musik würde ich gerne etwas mehr hören. Oder zusehen, wie die Leute ihr tägliches Brot hier kaufen. Wie das früher der Fall war, vor hunderten von Jahren schon, als hier noch Märkte abgehalten wurden, als die Menschen mit ihren Fuhrwerken vorbeizogen, Prozessionen und Feste hier gefeiert wurden. Als der Platz lebte und ich noch zentraler Bestandteil des gesellschaftlichen und kulturellen Stadtlebens war. Sonst kann man hier auch gleich wieder die Autos parken lassen. Es ist schön, wenn Ihr mich schützt, doch treibt es nicht zu weit. Denn schliesslich will auch ich nicht nur in mir drinnen leben und gegen Aussen ein totes Gebäude sein. Bringt mir das Leben zurück, denkt es, lasst mich wieder zu einem Mittelpunkt werden!

Doch das Münster kann nicht reden.

Der Bau einer Kunsteisbahn auf dem Münsterplatz wurde soeben verhindert. Die Gründe dafür gibts hier.