Telepathe, ein in Brooklyn beheimatetes Duo bestehend aus Busy Gangnes und Melissa Livaudis, waren diesen Samstagabend, am 22. September, in der Kaserne zu Gast. Brooklyn? Da war doch was… Schlaglicht war jedenfalls anwesend.
Es gibt ja diese bestimmten Worte oder Personen, die bei einem Musikfan in etwa die gleichen Gefühle auslösen, wie wenn einem Primarschüler das monatliche Taschengeld verdoppelt wird oder man einem FCB-Fan folgendes Video zeigt. Dave Sitek ist so ein Name. Der mittlerweile 40-jährige New Yorker, hauptberuflich Gitarrist des Brooklyner Kollektivs TV On The Radio, hat durch seine einflussreiche Arbeit als Produzent von u.a. seiner Hauptband, aber auch Acts wie den Yeah Yeah Yeahs oder den Liars während der letzten 10 Jahre einiges unternommen, um der Rockmusik seinen Stempel nachhaltig aufzudrücken. Wird eine Platte von Sitek produziert, sind nicht nur erhobene Augenbrauen und anerkennende Blicke angebracht, sondern erreicht sie dadurch auch ganz generell ein gewisses Level an Aufmerksamkeit und Pressetexte können damit entscheidend ausgeschmückt werden.
Doch auch ein ausgewiesenes Talent wie Sitek kann nicht jedes Wässerchen zu Wein verwandeln. «Dance Mother», das 2009 erschienene Debütalbum von Telepathe, ist ein gutes Beispiel dafür. Auch die gewohnt raffinierte Produktion von Dave Sitek konnte den neun nicht-ganz-fertig-gedachten Songs des Duos kein zusätzliches Leben einhauchen (Umso erstaunlicher eigentlich, berücksichtigt man das Gerücht, dass Sitek bei dieser Platte anscheinend mehr gemacht haben soll, als nur hinter dem Mischpult zu stehen). Aller Experimentierfreude von Telepathe zum Trotz, das Endprodukt «Dance Mother» erinnerte im Endeffekt lediglich an eine halbgare Version der (grossartigen) Gang Gang Dance und ist am ehesten unter der «ferner liefen»-Sektion im Plattenladen aufgehoben. Aber bekanntlich sind «Live» und «auf Platte» noch immer zwei komplett verschiedene Dinge und bevor sich Gangnes und Livaudis an diesem Samstagabend auf die Konzertbühne des Rosstalls der Kaserne begeben, wurde die imaginäre Anzeigetafel auch dieses Mal wieder ganz fair auf Null zurückgesetzt.
Leider gestaltet sich der Beginn des Auftritts des Duos in etwa gleich harzig, wie ihr Studioalbum. In der ersten Viertelstunde des Konzerts reihen sich «Song» an «Song», welche diesen Namen eigentlich gar nicht verdient hätten und – wie bereits beschreiben – in erster Linie mehr Ideen und Fragmente denn fertige Stücke sind. Spärliche Beats und enttäuschend limitierte Stimmen bestätigen jedes negative Stereotyp, welches man Hipsterbands aus Brooklyn gerne unterstellt. Und dass die Effekte auf Livaudis’ Vocals auch dann nicht abgestellt werden, wenn sie sich zwischen den Songs ans Publikum wendet, lässt irgendwie die Vermutung aufkommen, dass die beiden ihr Equipment nicht ganz im Griff zu haben scheinen.
Nach ca. einem Drittel des Konzerts holt Livaudis dann aber eine Bassgitarre hervor, zaubert fortan ein paar sehr gelungene Basslinien herbei, die ab und zu sogar an Peter Hook zu «Brotherhood»/«Technique»-Zeiten erinnern, und sofort ernten Telepathe vom Publikum – völlig verdient – mehr als nur ein desinteressiertes Schulterzucken. Allerdings: Während die Songs nun lebendiger werden, sucht man jegliche Bühnenpräsenz weiterhin vergebens. Ausserdem könnte man eigentlich meinen, dass sich der leicht gespenstische und sicherlich auch goth-inspirierte Sound der Band in einem dunklen und eher engeren Raum, wie der Rossstall einer ist, wie zu Hause fühlen müsste, trotzdem bekommt man den Eindruck nie los, dass sich Telepathe in einer Kunstgalerie wohl gerade um einiges wohler fühlen würden. Immerhin leitet «So Fine», ohnehin auch schon das beste Stück des Albums, als zweitletztes Stück des Konzerts dann eine ziemlich versöhnliche Abschlussrunde ein, welche die Band nun um einiges dynamischer als auf «Dance Mother» oder in den vorangegangen 40 Minuten zeigt.
Allzu viele Bands, die in den letzten Jahren dem Kreativherd Brooklyn entsprungen sind, müssen sich am Ende des Tages den Vorwurf anhören, nur eine Kopie oder in vielen Fällen sogar eine Kopie der Kopie zu sein. Während sich im Fall von Telepathe diese Unterstellung als unwahr erweist – schliesslich lassen sich sowohl auf «Dance Mother», als auch während ihrem Konzert in der Kaserne genügend Beweise für die Einzigartigkeit der Band finden -, muss man hier jedoch ernüchternd feststellen, dass es derzeit für jedes der einzelnen Elemente, welche zusammengesetzt die Einzigartigkeit von Telepathe ausmachen, eine andere Band gibt, die ihr Handwerk auf die eine oder andere Weise besser beherrschen als das Brooklyner Duo. Wer zum Beispiel «Witch House»/Gothic-inspirierten Dance-Pop mit verfremdeten Stimmen sucht, ist mit dem aktuellen Purity Ring-Album «Shrines» besser bedient als mit «Dance Mother», wer die lärmigere, harschere Seite des Duos bevorzugt, wendet sich am besten an die Sleigh Bells und die beste Adresse für den puren, unverfälschten Electro-Pop mit ähnlich viel gesampelten Instrumenten wie bei Telepathe heisst momentan Elite Gymnastics. Ab und zu sind die einzelnen Teile halt doch grösser, als ihre Summe.
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