Klugscheisser sind nicht sehr beliebt. Auch nicht, wenn sie Genies sind. Das geht Albert Pottkämper nicht anders, auch wenn er durchaus treffend festhält: «Klugscheisserei ist immer Klugscheisserei für den, der keine Ahnung hat.» Das 14-jährige Universalgenie ist in der Schule chronisch unterfordert und bewirbt sich deshalb für eine Assistentenstelle an der Universität. Durch das plötzliche Ableben des Professors, der ein Engagement des halbwüchsigen Intelligenzbolzens durchaus in Betracht gezogen hätte, wird daraus nichts. Immerhin nimmt Albert aber durch die Empfehlung des Akademikers an einer TV-Talkshow teil, was den Beginn einer unglaublichen Odyssee rund um den Globus markiert. Albert schafft es aufs Titelblatt des Time Magazine, ins Weisse Haus und sogar zur Audienz beim Papst. Und das, obwohl er eigentlich nur seine ältere Schwester Anja, die mit einem alternden Schlagerstar durchgebrannt ist, zurück nach Hause holen sollte. Doch was Albert am meisten beschäftigt: Ist er der Sohn von Albert Einstein?
«Durchgeknallt!» So bezeichnet sich das Buch «Einsteins Gehirn» selbst im Klappentext. Das kann man durchaus so stehen lassen. Denn was in Peter Schmidts Roman einem 14-Jährigen – Genie hin oder her – alles gelingen will, das geht auf keine Kuhhaut. Andererseits – wer weiss schon, wie es ist, als Universalgenie durchs Leben zu gehen? Sein umfassendes Wissen in allen, aber wirklich allen Fachgebieten öffnet Albert auf der ganzen Welt Tür und Tor. Nicht einmal sein teils exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum vermag ihn auf das geistige Niveau von Normalsterblichen zurückzuholen. Schade nur für den Leser, dass sich Klugscheisser Albert bei seinen wissenschaftlichen und philosophischen Ergüssen nicht etwas mehr zurückhält. Dadurch ergeben sich einige Längen in der sonst flotten Handlung. Nur, das Buch als Kriminalroman zu bezeichnen, ist doch etwas gar gewagt. Denn das ist es beim besten Willen nicht. Aber eine kurzweilige Lügengeschichte allemal.
Peter Schmidt: «Einsteins Gehirn». Gmeiner Verlag, Messkirch 2012. 308 S., ca. Fr. 18.–.
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Einsteins Gehirn “Krimi”?
Hier gefunden:
http://www.buechereule.de/wbb2/thread.php?threadid=68176
Es ist wohl doch ein “Krimi”:
Einsteins Gehirn ist zwar kein Thriller, auch keine Detektivgeschichte, es gibt weder Kommissar noch Ermittler, wohl aber ein – oder mehrere? – Verbrechen. Insofern kann man den Roman in einem Zwischenbereich von “Gaunerkomödie” und allgemeiner Belletristik ansiedeln. Mit wechselnden Schwerpunkten: mal dominiert die Auflösung des Falls, mal treten die Ereignisse in den Vordergrund, die dem jungen Helden während seiner Recherchen auf seiner Weltreise begegnen.
Ausgangsituation: Aus Alberts Zweifeln, dass seine Eltern tatsächlich seine Eltern sind, entwickelt sich nämlich der akribisch aufgebaute Detektionsablauf eines kuriosen und äußerst durchtriebenen Gaunerstücks – und da muss man schon mal aufpassen, dass man auch alle Details mitbekommt. Teils forscht Albert bewusst nach, ob seine Eltern seine Eltern sind, teils „passiert ihm sozusagen die Aufklärung“ wie von selbst, gerät er nach und nach auf seinen Reisen an alle fehlenden Hintergrundinformationen: mysteriöse Stickstoffflasche im Keller, im Garten begrabene Zwillingsbrüder, falscher Name seines Vaters, Geständnis seiner Mutter, Informationen in amerikanischer Klinik, Besuch von Kleins Auftraggeber im New Yorker Gefängnis, seine Entdeckung im Harlem Meer, Central Park …
Lieber Herr Kern,
Sie haben in Ihrer Inhaltsangabe ja so gut wie alle Themen ausgespart, die Leser interessieren könnten? Den „sexuellen Irrsinn“ des Pubertierenden, die Klimakatastrophe, das Problem der Willensfreiheit – kontrovers diskutiert in Hirnforschung und Rechtswissenschaft -, die Theodizee. Schönheit, Glück, Fühlen, Determinismus, Kosmologie, Quantenphysik, Alberts interessanten Versuch der Moralbegründung, Erkenntnis- und Evidenzproblematik in den Geisteswissenschaften, Ungerechtigkeiten innerhalb demokratischer Gesellschaften, die Möglichkeit neuer Kriege. Unsere (manchmal) dubiose Medienkultur mit ihren aufgesetzten Talkshows. Probleme der amerikanischen Außenpolitik. Das Thema „Sinnsuche“ und Zerrissenheit des jungen überdrehten Protagonisten, der schon weiß, wo es langgehen könnte, aber noch nicht “aus dem Quark“ kommt. Fehlen diese Hinweise, weil Sie das alles nichts angeht? Was würde der kleine Oberklugscheißer Albert mit seinem frechen Mundwerk wohl dazu in der Schulstunde sagen? „Thema verfehlt – setzen“?