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Vor der Art attackiert die Strassenkunst

Joel Gernet am Donnerstag den 7. Juni 2012

Nicht weniger als vier Graffiti- und Streetart-Ausstellungen bereichern dieser Tage den regionalen Kunstkosmos zwischen Dreispitz und Riehen. Vom Galeristen-Liebling bis zum Untergrund-Künstler gibts dabei alles zu sehen – und kaufen. Ein Überblick.

Einfach weggeputzt! Über 300’000 Euro soll es wert gewesen sein, das Bild des britischen Streetart-Stars Banksy an einer Londoner Hausfassade. Die Behörden allerdings hatten keine Freude daran. Sie beseitigten das unerlaubt angebrachten Werk, das eine Szene des Kultfilms «Pulp Fiction» zeigte, in der John Travolta und Samuel L. Jackson mit Bananen anstatt Pistolen hantieren. Das war im März 2007. Heute, nach fünf weiteren Jahren Banksy-Hype, würde das Strassenbild wohl noch wertvoller eingeschätzt werden.

Rooftop: Das Banksy-Bild mit John Travolta und Samuel L. Jackson wurde 2007 in London weggeputzt.

Und es könnte ohne Weiteres an der Art Basel gezeigt und verkauft werden. Schliesslich geben hier Kunstsammler ohne mit der Wimper zu Zucken sechsstellige Beträge aus für Kunstwerke. Manchmal auch für solche aus dem Graffiti- und Streetart-Bereich. Allerdings ist Banksy in diesem Kosmos noch immer eine Ausnahmeerscheinung, der personifizierte Spagat zwischen Kunst und Kommerz. Er steht aber auch für eine steigende Zahl urbaner Künstler, die es in Galerien und an Kunstmessen zieht und die dort zunehmend Anklang finden.

Das liegt auch daran, dass viele Graffiti- und Streetart-Kenner zu potenziellen Käufern herangewachsen sind. Und dass viele Exponenten jetzt in einem Alter sind, in dem sie von der Kunst leben wollen, beziehungsweise müssen, oder eine Galerie gründen. Die Region Basel mit ihrer langjährigen Graffiti-Tradition ist dafür nicht das schlechteste Pflaster. Das zeigen auch die vier Graffiti- und Streetart-Ausstellungen, die rund um die Art Basel zum Besuch einladen: «Public Provocations» in der Carhartt Gallery Weil am Rhein (D), «Suspect» in der Galerie Schöneck Riehen, «L’art de vandalisme» in der YourGallery auf dem Dreispitz und die NeoVandalism Gallery im Gundeli. Hier gibts dieser Tage die Künstler zu sehen, deren Werke vielleicht morgen – oder übermorgen – an der Art Basel für teures Geld den Besitzer wechseln.

Zu kaufen in der «NeoVandalism Gallery»: Dieses KAWS-Bild hat seinen Wert in den letzten 7 Jahren vervielfacht.

Beispielhaft dafür ist das Siebdruck-Bild des jungen US-Künstlers KAWS, welches ab dem 16. Juni in der NeoVandalism Gallery beim Bahnhof-Hinterausgang gezeigt wird: Vor sieben Jahren für einen geringen vierstelligen Betrag verkauft, liegt der der Marktwert des Werkes nun bei 15’000 Franken. KAWS kommt aus der Graffiti-Szene und hat mit seinen Comic-artigen Bildern und Skulpturen die Kunstwelt erobert. An der Art Basel ist er dieses Jahr am Stand der Pariser Galerie Perrotin zu sehen – zusammen mit dem französischen Streetart-Künstler JR.

Zehn Tage vor Eröffnung der NeoVandalism Gallery hängt der besagte Siebdruck noch im Wohnzimmer von Galerie-Mitbegründer Michael Ruch. Der Basler Kunstsammler hat das Bild 2007 in Los Angeles gekauft. Inzwischen ist der 25-Jährige unter die Galeristen gegangen – da kann schon einmal ein Bild aus dem Privatbestand veräussert werden, um den Gewinn in Werke junger, aufstrebender Künstler zu investieren. Am Samstag während der Art Basel erhält die Ende 2010 als Pop-Up-Galerie konzipierte NeoVandalism Gallery nun im Gundeli ihr erstes «festes» Domizil: Mindestens ein paar Monate soll die Zwischennutzung an der Frobenstrasse 4 dauern. Während dieser Zeit planen Ruch und der Zürcher Galerie-Mitbegründer Quentin Caminada jeden Monat eine Vernissage. Den Auftakt am Art-Wochenende macht das Duo mit Werken von Künstlern wie Thomas Bestvina (Basel), Doppeldenk (D), KAWS (USA), Elroy (F), Shepard Fairey (USA), David Lucco (Basel) und Tobias Nussbaumer (Basel). Banksy-Bilder wurden von der NeoVandalism Gallery übrigens auch schon verkauft.

Die Bilder des iranischen Künstlers A1one gibt es an der «Public Provocations IV» zu sehen.

Im Gegensatz zum NeoVandalism-Duo sind die Macher der «Public Provocations» in Weil am Rhein fast schon alte Hasen im Urban-Art-Business. 2009 von Dare ins Leben gerufen, führen heute die Weggefährten der verstorbenen Basler Graffiti-Legende dessen Pionierarbeit weiter. Dies mit grossem Erfolg: Die Carhartt Gallery unweit des Rheincenters hat sich zu einer bekannten Grösse in Sachen Graffiti- und Streetart-Ausstellungen gemausert. Ursprünglich ins Leben gerufen, um während der Art Basel auch die urbane Kunst ans Rheinknie zu holen und zu unterstützen, hat sich die «Public Provocations» inzwischen fast ein wenig von der Übermutter am Messeplatz emanzipiert.

Jedenfalls wollen die meisten Künstler, welche die Carhartt Gallery mit Anfragen überhäufen, ausdrücklich nach Weil am Rhein – die Art Basel ist für viele von ihnen Nebensache, wie Francesca Fresta von der «Public Provocations» sagt. Dreizehn Künstler aus acht Ländern reisen diese Woche in die Galerie über dem Carhartt-Outlet, um vor Ort – wie es die «Public Provocations»-Tradition will – ihre eigenen, grosszügigen Ausstellungsboxen zu gestalten. Besonders interessant dieses Jahr: Der iranische Künstler A1one, der auch als international anerkannter Künstler in seinem Heimatland mit der Dose auf die Strasse geht und dabei wesentlich mehr riskiert, als die wohlstandsverwahrlosten Kids in Europa – seine Hand zum Beispiel. Ebenfalls am Start sind die Londoner Koriphäe Dave The Chimp, bekannt für seine liebenswürdigen Strichfiguren, der französische Streetart-Pionier Jef Aérosol oder der deutsche Sprayer Tasso, der mit seiner Crew Maclaim das fotorealistische Sprühen auf ein neues Level gehoben hat.

In der «YourGallery» auf dem Dreispitz gibts ab Donnerstag Basler Graffiti-Kunst zu sehen.

Auch die Macher der Ausstellung «L’art de vandalisme» sind aktive Dosenkünstler – und zwar aus der Region. Die Ausstellung wird diesen Donnerstag, 7. Juni, in der kleinen aber feinen YourGallery (0123spitz) auf dem Dreispitz eröffnet und sie ist so «underground», dass noch nicht genau gesagt werden kann, welche Künstler genau ausstellen werden. Während die Vernissage für einige der beteiligten Künstler eine Premiere darstellt, konnte die YourGallery seit der Eröffnung vor einem Jahr schon diverse Ausstellungen im Graffiti- und Streetart-Bereich lancieren. Getragen wird der in einer umgebauten Autogarage untergebrachte Offspace mit Freiluftlounge von jungen Künstlern und Kunst-Afficionados aus der Region, die sich im Verein 0123spitz organisiert haben. Wie meistens bei solchen Projekten, handelt es sich auch bei der YourGallery um eine Zwischennutzung – die Bewilligung liegt bis Ende Jahr vor.

Bildausschnitt: Dieses Werk von Smash137 gibt es derzeit in der Galerie Schöneck in Riehen zu bestaunen.

Beendet wird der Sprayer-Reigen an dieser Stelle mit Smash137, dem berühmtesten aktiven Graffiti-Künstler aus Basel, dessen Bilder inzwischen wohl den halben Erdball umspannen müssten. Zusammen mit Tilt, einer der namhaftesten Sprayer aus Frankreich, und dessen Landsmann Pro176 zeigt Smash137 seine Werke noch bis am 23. Juni an der Ausstellung «Suspect» in der Riehener Galerie Schöneck. Ähnlich wie die Kollegen von der «Public Provocations» schielen auch die Macher und Künstler dieser Werkschau mit mindestens einem Auge auf die Art Basel. «Smash137 wollte, dass seine Bilder während der Art Basel für Interessierte leicht zugänglich sind, also haben wir diese Ausstellung auf die Beine gestellt und dabei zwei bekannte Graffiti-Kollegen aus Frankreich mit ins Boot geholt», sagt Mitorganisator Philipp Brogli (Artstübli/Artyou).

Ob «L’art de vandalisme», «NeoVandalism», «Public Provocations» oder «Suspect» – an allen vier Ausstellungen kann Kunst nicht nur betrachtet, sondern auch gekauft werden. Dabei reicht der Preisrahmen von rund 100 Franken für ein Siebdruck-Bild bis zu mehreren tausend Franken für ein Originalwerk – ausser bei der «YourGallery», dort sind ab rund hundert Franken die Original-Leinwände der Ausstellungs-Novizen zu haben. Und wer weiss, vielleicht treffen wir in den kommenden Jahren an der Art Basel auf den ein oder anderen hier genannten Graffiti- und Streetart-Künstler. In so einem Moment kann sich glücklich schätzen, wer sich deren Bilder bereits zu bezahlbaren Zeiten gesichert hat. Ansonsten ergeht es diesen Künstlern vielleicht wie dem britischen Superstar Banksy, dessen Strassenbilder vereinzelt nicht nur von übereifrigen Putzequipen, sondern auch von Fans entfernt werden. Letztere sollen schon Banksy-Bilder zum Eigengebrauch aus der Wand gerissen haben.

NeoVandalism Gallery, Frobenstrasse 4, Basel, Vernissage: Sa. 16. Juni, 20h.
Künstler: Thomas Bestvina (BS), Doppeldenk (D), Elroy (F), Shepard Fairey (USA), KAWS (USA), David Lucco (BS), Tobias Nussbaumer (BS). Mehr Infos

L’art de vandalisme, YourGallery (0123spitz), Walkeweg 1, Basel,  7.-17. Juni.
Vernissage: Do. 7. Juni ab 19h. Mehr Infos

Public Provocations IV, Carhartt Gallery, Schusterinsel 9, Weil am Rhein (D), Juni – Oktober 2012, Vernissage: Sa. 9. Juni, 19:00h.
Künstler: A1one (IR), Bezt (PL), Czarnobyl (PL), Dave the Chimp (GB), EME (Esp), Honet (FR), Jef Aérosol (FR), Klaas Van der Linden (Bern), Maoma (NL), Marco Zamora (USA), SatOne (D), Tasso (D), The London Police (NL). Mehr Infos

SUSPECT, Galerie Schöneck, Burgstrasse 63, Riehen, 2.-23. Juni.
Öffnungszeiten: Do + Fr 11 – 18h, Sa. 11 – 16h, während der Art Basel auch am So. von 11-16 Uhr.
Künstler: Smash137, Tilt, Pro176. Mehr Infos

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Ein Kommentar zu “Vor der Art attackiert die Strassenkunst”