Wer das Cover von «Vergiss Venedig» ganz genau betrachtet, erkennt, wer der Protagonist des Romans von Marcus P. Nester ist: des Mannes bestes Stück. Konkret dasjenige von André Kiefer, welcher ihm auch gleich komplett das Denken überlässt. Der Zürcher Filmjournalist begegnet auf seiner alljährlichen Flugreise zu den Filmfestspielen von Venedig der Liebe seines Lebens, die ihn in eine heftige Midlife Crisis stürzt. Barbara Benning, der heisseste deutsche Kinostar der Gegenwart, verdreht dem kleinmütigen Enddreissiger derart den Kopf, dass er sich nicht nur auf eine wilde Affäre einlässt, sondern sich sogar dazu entschliesst, seine hochschwangere Frau und seine kleine Tochter zu verlassen sowie seinen sicheren Job beim Schweizer Fernsehen in den Wind zu schlagen.
Die Tatsache, dass der Basler Autor Marcus P. Nester, dessen Fachwissen als Einkäufer von Spielfilmen beim Schweizer Fernsehen den Roman sehr interessant macht, seinen Antihelden bewusst nicht als Sympathieträger darstellt, hilft dem Leser. So kann man genüsslich mitverfolgen, wie sich Kiefer ins Elend reitet. Buchstäblich. Wie dumm kann ein Mann sein? Obwohl – wem ist das schon passiert, dass er die Chance hatte, mit einem absoluten Filmstar eine Affäre zu haben? Würde «mann» widerstehen? Aber solange man das nicht erlebt hat, darf man getrost über André Kiefer schnöden. Am Treffendsten wird die Hauptfigur in einem kurzen Dialog mit einer Freundin analysiert: «Herrgott Rita, hältst du mich wirklich auch für ein Machoschwein?» «Nein, das nicht. Aber für einen schwanzgesteuerten Spätpubertierenden in seiner ersten Midlife-Crisis.»
Marcus P. Nester: «Vergiss Venedig». Margarete Berg Verlag, Wesseling 2012. 247 Seiten, ca. Fr. 25.-
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