Die Berliner Theatertruppe Das Helmi scheitert in der Kaserne kalkuliert an einer Novelle von Heinrich von Kleist. Mit seinen Puppen aus Abfall, seinen trashigen Zwischenspielen und seinem pubertären Spielwitz wird aus «Die Verlobung in St. Domingo» Hackfleisch gemacht. Nichts und niemand ist Helmis Häcksler heilig. Freude kommt dennoch keine auf.
Ein Gastbeitrag von Simon Aeberhard
Wenn man es ganz genau nimmt, heißt der «fürchterliche alte Neger» bei Kleist nicht «Congo Hongo» oder «Hoango Coango», wie «das Kleistmusical» ihn beharrlich nennt, sondern deutlich «Congo Hoango». Und hermeneutisch hat das schon seinen Grund: Kongo heißt der größte Strom Afrikas, Hwangho ist der chinesische Name für den Gelben Fluss. Dies ist wiederum insofern bedeutsam, als Toni, die Stieftochter des Sklavenanführers (die übrigens bei Kleist keine halbblinde Albino-Mulatta ist, sondern «eine Mestize» [sic!]) eine besonders «anstössige Farbe» hat: Sie ist, gemäß dem zugrundeliegenden Text, gelb. Auch spielt Kleists Stück nicht 1804, wie die Inszenierung behauptet, oder 1802, wie im Programmheft steht, sondern präzise (und historisch korrekt) «im Jahr 1803».
Das sind so die kleinen Fehler, die konstatiert, wer Kleists Text kennt. Das Helmi hat sich offenbar vorgenommen, die Novelle um den Sklavenaufstand und den folgenden Befreiungskrieg auf Haiti, «als die Schwarzen die Weißen ermordeten» (Kleist), mit ihren Schaumstoff-Puppen und mit ihrer nur knapp post-adoleszenten Spielfreude zu bebildern, sich revuehaft und musicalmäßig von Situation zu Situation zu hangeln, unbeachtet der genuinen Erzählakrobatik Kleists. Richtig schmerzhaft wird das an der Stelle, wo der flüchtende Schweizer Gustav von der Ried mit Toni intim wird. Kleist schreibt wortwörtlich: «Was weiter erfolgte, brauchen wir nicht zu melden, weil es jeder, der an diese Stelle kommt, von selbst lies’t.» In der Inszenierung von Das Helmi bekommen wir in aller drastischen Deutlichkeit vorgeführt, was wir zu lesen haben, wenn wir lesen, was wir ohnehin von selbst lesen. Das ist plump, das ist respektlos, das ist albern – und das ist bisweilen doch recht lustig.
Spätestens hier merkt man: Die kleinen Missverständnisse haben Kalkül; es stimmt hier gar nichts zusammen. Dass Congo Hoango brasilianisch spricht (statt französisch oder kreolisch), dass die Schweizerfahne auf der Bühne rechteckig ist (statt quadratisch), dass Gustav mit Toni an den Gardasee fliehen will (statt an die «Aaar») – dies alles ist gewollt. Das Helmi zelebriert die lustvolle Schändung der akademisch überinterpretierten Novelle. Man zielt hier absichtlich daneben. Im Kleist-Jahr, wo der 200. Todestag des Dichters allenthalben in peinlich gravitätischem Gestus (und doch oft so inhaltsleer) begangen wird, schafft dieser Reisswolf-Raubbau am Klassiker, diese possenhafte Kleist-Zertrümmerung durchaus geglückte Momente.
Mit einer Lust an frivolen Stilbrüchen, mit viel Freude an schlechtestem Geschmack, mit glücklich missglückenden Karaoke-Nummern aus dem Fundus der Trashkultur macht Das Helmi passend, was nicht passt. Doch trägt dieses Konzept nicht durch das ganze Stück. Schnell kippt die Frivolität ins Obszöne, die Ausstellung des schlechten Geschmacks ins Vulgäre, das Trashige ins Beliebige. Von der Verhohnepiepelung von Kleists Text bleibt zum Schluss nicht viel übrig, einzig die unverfrorene Garnitur dümmlicher Schwanz-, Dildo- und Fotzenwitze. Anarchisch mag das vielleicht sein, ja, vor allen Dingen ist es albern und laut. Ist es unterhaltsam? Selten. Führt es irgendwohin? Eher nicht.
Mehr Infos: Klybeckstr. 1b, 4057 Basel. 19.-20.10.2011, Beginn: 20:00h.
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