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Kunst gegen brasilianische Gefängnis-Tristesse

Graziella Kuhn am Donnerstag den 10. April 2014

Wenn Häftlinge auf klassische Musik und Malerei treffen, entsteht Ungewöhnliches. Die Basler Stiftung Brasilea zeigt diese Begegnungen in einer multimedialen Ausstellung. Heute ist Vernissage.

In Brasilien ist das Gefängnisleben geprägt von tristen Wänden. Es gibt keinerlei Dekoration oder auch nur die kleinste Möglichkeit, sich zu beschäftigen. Keine Bücher, Computer oder Fernseher. Das Einzige was den Insassen bleibt, ist der tägliche Spaziergang um den Baum im Hof – sofern denn einer da ist. Wenn es der Anstalt gut geht, besitzen sie eine kleine Bibliothek mit vielleicht 50 Büchern. Allerdings keine Gesetzesbücher: Häftlinge mit Gesetzkenntnissen, können gefährlich werden. Um der täglichen Einöde zu entschwinden, dürfen die männlichen Gefangenen sich eine Frau für sexuelle Dienste kommen lassen, den weiblichen Insassinnen bleibt dieses Recht jedoch verwehrt. Auch in diesem Land ist das Patriarchat – zumindest im Gefängnis— noch alles bestimmend.

Um gegen diese Tristesse des grauen Alltags anzukämpfen, hat das brasilianische Künstlerduo Mariannita Luzzati und Marcelo Bratke aus Sao Paolo das Projekt «NO LAND» lanciert. Die Landschaftsmalerin und der Pianist haben es sich zum Ziel gesetzt, die Insassen als Publikum auf eine Reise durch brasilianische Landschaften mitzunehmen – und so wieder Freude hinter den Gittern zu ermöglichen.

Begleitet werden die Zuschauer durch die Musik von Heitor Villa-Lobos und weiteren brasilianischen Komponisten, deren Inspirationsquelle in der Natur liegt. Die Musik wird visuell durch die Naturfilmaufnahmen und deren Interpretation von Mariannita Luzzati untermalt. Aus den Aufzeichnungen dieser aussergewöhnlichen Begegnungen ist ein Film entstanden: Eine Dokumentation über Emotionen und Leidenschaft, mit eindrücklichen Bildern und schöner Klaviermusik. Nach der Vorführung in zehn brasilianischen Haftanstalten, wurde «Cinemúsica» in Konzerthäusern und Museen in Brasilien, Deutschland, England, Serbien, Bosnien und den USA gezeigt – zusammen mit der Dokumentation über das Gefängnis-Projekt.

Die Stiftung Brasilea stellt ihre Räume am Dreiländereck für eine Symbiose aus Dokumentationsfilm, Landschaftsmalerei und Live-Musik zur Verfügung. So soll es den Betrachtern ermöglicht werden, das zu sehen, was die Gefängnis-Insassen sahen und fühlten. «Cinemúsica» erhielt im Jahr 2011 den 14. Brazilian International Press Award und wurde beim Art of Touch Sarajevo Winter Festival 2014 ausgezeichnet.

Emotionen im Gefängnis

Marcelo Bratke gehört zu den international bekanntesten Pianisten Brasiliens, dem das Werk seines renommierten Landmannes Heitor Villa-Lobos (1887-1959) am Herzen liegt. Bratkes musikalisches Repertoire reicht von Klassik bis zur populären Musik. Mit seinen musikalischen Vorführungen füllt er Konzerthäuser rund um den Globus, wie die Queen Elizabeth Hall in London, die Carnegie Hall in New York und das Teatro Colón in Buenos Aires. Mit der Musik und den Werken seiner Lebenspartnerin Mariannita Luzzati will er die zwischenmenschliche Ebene der Betrachter ansprechen. Ihre Bilder basieren auf eigenen Landschaftsaufnahmen und auf Fotos aus den Anfängen der Fotografie ab 1880. Einer Zeit, bevor der Mensch die Landschaftsansichten durch sein Einwirken stark verändert und geprägt hat.

Die Inhalte werden auf ein Minimum reduziert, um so das Sehen und auch die Fantasie des Betrachters zu stimulieren. Die Landschaften wirken wie in Nebel gehüllt, entstanden durch zahlreiche dünne Ölschichten, die die Ränder und Kanten leicht verschwimmen lassen. Luzzati will so im Betrachter das Gefühl des schon «Dagewesenseins» hervorrufen. Die vertraut wirkenden Szenen im Zusammenspiel mit der Musik lösten bei den Insassen und später auch beim Publikum starke Emotionen aus, wie Bratke schildert. Genau auf dieser Ebene will das Künstlerpaar die Menschen erreichen.

«NO LAND» von Mariannita Luzzati & Marcelo Bratke»
10. April bis 14. Mai 2014. Vernissage mit Klavierkonzert von Marcelo Bratke: Do. 10. April, ab 18.45 Uhr. Stiftung Brasilea, Westquaistrasse 39, Basel.

Zur neuen Ausstellung gibt es einen Workshop mit der Künstlerin Cerstin Thiemann. Als Inspiration dienen dabei Mariannita Luzzatis Landschaften. Mittels Motivsuche und Gestaltung werden dann eigene Bilder komponiert. Die Teilnehmerzahl für den Workshop ist limitiert. Mehr Infos

 

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