
Leben im Wohnwagen. (alle Fotos: Schirin Kretschmann, Nomadic Competences (KH BL), Copyright die Künstlerin und VG-Bild-Kunst Bonn)
Rechts vom Eingang des Kunsthauses Baselland steht ein beiger Wohnwagen mit Karlsruher Kennzeichen. Darin wohnt kein kunstverrückter Fan des Hauses, sondern eine Künstlerin. Schirin Kretschmann hat sich für die Dauer der «Ernte»-Ausstellung hier eingerichtet, um in unmittelbarer Nähe zu ihrem in-situ-Projekt «nomadic competences» leben zu können. «Mich interessiert die Verwobenheit dieser Kunstinstitution mit dem Leben des Kantons», erklärt sie. Diese Verwobenheit hoffte sie besser zu erfahren, indem sie hier lebt und nicht wie gewohnt ennet der Kantonsgrenze und des Rheins an der Feldbergstrasse. Nicht alles aber lief in den letzten Tag so wie erhofft. Doch der Reihe nach.
Immer einmal im Jahr präsentiert der Kanton Baselland unter dem Titel «Ernte» seine Kunstankäufe eines Jahres. Zum ersten Mal ist die «Ernte» dieses Jahr Gastgeberin für die sogenannte «Solo: Position»: Damit bietet die Ausstellung einem Kunstschaffenden aus der Region Basel die Möglichkeit, die Räumlichkeiten des Kunsthauses Baselland zu bespielen. Im Januar hat eine Jury Schirin Kretschmanns Projekt aus 70 Eingaben ausgewählt. Kretschmann, die in Karlsruhe Malerei studiert hat, promoviert derzeit am Eikones-Graduiertenkolleg in Basel. Sie beschäftigt sich dort mit Untersuchungen von Grenzbereichen der Malerei jenseits des zweidimensionalen Gemäldes. Stattdessen versucht sie, Malerei als etwas Dynamisches im Raum des Betrachters zu lokalisieren. Diese Fragestellung liegt auch ihrem aktuellen Projekt zugrunde.
Im Kunsthaus Baselland hat sich Kretschmann der hinteren drei Kabinetträume angenommen. Diese Räume wurden mehrmals ungebaut, die ursprüngliche Industriearchitektur unsichtbar gemacht, um White-Cube-Bedingungen zu schaffen. Kretschmann hat diese Umbauprozesse nun umgekehrt und abgebaut, was abzubauen war. Deckenelemente nahm sie herunter und stapelte sie entlang den Wänden, die Wänder der Blackbox hat sie herausgerissen. An der Vernissage präsentierten sich die Räume nackt und aufgeräumt.
Zwanzig Tage dauert die «Ernte»-Schau. An diesen zwanzig Tagen steht Kretschmann morgens in ihrem Wohnwagen auf und überlegt sich ein Projekt für den Tag. Für diese Tagesarbeiten nutzt sie die vorhandenen Elemente und stellt sie in Relation zu jenen Elementen, die erst während der Ausstellung entstehen. Deckenplatten werden so etwa zur Bodeninstallation. Die neuen Elemente sollten aus Tagesnachrichten oder aus Gesprächen mit Passanten entwickelt werden, so lautet das Konzept. «Ich will diese Ereignisse aber nicht einfach abbilden oder illustrieren, sondern sie als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Ausstellungselements brauchen», erklärt Kretschmann. Dies solle ganz im Rahmen der «nomadic competences» geschehen. Als solche nomadische Kompetenzen nennt die Künstlerin etwa: Mit Gegebenem auskommen, Ressourcen nachhaltig nutzen und teilen, sich Ungewohntes aneignen, sich unabhängig orientieren.

Blick in die Kabinetträume nach einigen Tagen. Vorne im Bild die leere Gasflasche und der Wasserbehälter, rechts die Fundstücke aus dem Kanton Baselland, dahinter eine Bodeninstallation aus Deckenplatten.
Im Wohnwagen zu leben gehört ebenfalls zu diesem Konzept. Und da kann es schon einmal passieren, dass morgens das Wasser und das Gas alle ist und man auf dem Trockenen sitzt. An jenem Morgen, als dies passierte, war das Erlebnis der Ausgangspunkt für ein neues Ausstellungselement: Im Kunsthaus Baselland befinden sich nun der leere Wassercontainer und die Gasflasche. Im selben Raum, hinter einer am Boden gespannten Schnur, liegen Zigarettenstummel, eine Kreide und andere kleinere Abfallprodukte. «Diese Objekte sind das Resultat meiner Auseinandersetzung mit der hiesigen Grenzsituation zwischen den Kantonen Baselland und Basel-Stadt», erklärt Kretschmann. Vom Raum aus sieht man über die Birs hinweg in den angrenzenden Kanton. Kretschmann hat die Grenze überquert und gesammelt, was sie fand – was weniger war, als sie sich erhoffte. «Manche Leute sind enttäuscht, wenn sie hier hereinkommen», sagt sie. «Sie haben wohl mehr erwartet – Illustrativeres; etwas, was man direkter ablesen kann. Ich habe an manchen Tagen auch meine Zweifel: Die Idee, die ich morgens habe, lässt sich dann nicht genauso umsetzen, wie ich es gerne hätte. Aber das gehört dazu.»
Am Ende ihres Projektes sollen die Räume wieder derart instand gestellt sein, wie sie vorher aussahen. Nur etwas wird wahrscheinlich anders sein: Unter den Deckenplatten wird man vorher wohl die Wand weiss malen. Die Künstlerin Karin Suter, die ihre Arbeiten im Sommer 2010 im Kabinett präsentierte, hatte damals unter die halbtransparenten Plexiglasscheiben weisse Blätter geklebt, um den White Cube noch etwas weisser scheinen zu lassen. Bei Kretschmanns Abräumaktion kamen diese Blätter wieder zum Vorschein und bilden nun eine Art von abstraktem Deckengemälde, bevor sie ins Altpapier wandern.
Am 25. April wird Schirin Kretschmann sich zum letzten Mal eine Tagesaufgabe vornehmen. Dann wird sie ihren Wohnwagen packen und den Kanton Baselland wieder in Richtung Stadt verlassen. Im Kabinett wird es dann aussehen, als sei nichts gewesen. Nur die Fenster bleiben geputzt zurück, für eine Weile wenigstens.
Heute Mittwoch Abend findet im Kunsthaus Baselland ein Gespräch mit Schirin Kretschmann zu ihrem Projekt «nomadic competences» statt. Wer noch Fragen hat, gehe um 18 Uhr an die St. Jakob-Strasse 170 in Muttenz.
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Steuergelder?
Schirin Kretschmanns Konzept klingt echt und auch interessant. Sie wirkt sympathisch. Und der Text ist toll geschrieben! Trotzdem: Das ist keine Kunst. Sorry. Das sind philosophische Lebensbetrachtungen und moderne, anthropologische Feldarbeiten mit einer ganz neuen, ausgefallenen Methodik. Sehr interessant, auch tiefgründig, aber keine Kunst.
Und es ist am Ende wohl eher ein “Selbstporträt”. Das hat viel mit Selbsterfahrung zu tun und wenig mit einem Dialog mit dem Publikum, trotz der Gespräche, die sie führt. Für meinen Geschmack zu egoistisch, zu weit weg von den Erfahrungen, die Menschen gemeinsam haben und die sie verbinden. Das ist wohl eher etwas für einen Wissenschaftsfonds, als für die Kunstförderung.
Ja, ich finde auch, dass das nach Nabelschau klingt und danach, dass man Nichtigkeiten wie die zufällige Tagesform überbewertet und überinterpretiert. Echt, WEN in aller Welt könnte es schon ernsthaft interessieren, packen, verunsichern oder ins Grübeln bringen, dass da jetzt eine leere Gasflasche rumsteht, weil die “nomadic competence” am Tag zuvor nicht ausgereicht hatte, eine neue zu besorgen? Ist natürlich eine tolle Wortschöpfung, diese “nomadic competence”, eine Neudeutsche, of course, denn der “artistic approach” ist natürlich sehr international, for sure, und coole Worthülsen sind schon die halbe Miete beim Kunst-Marketing, denn es geht in diesem Fall wohl um Überhöhung von banalsten Profanitäten, ums süffige “stylen” des Belanglosen.
Die Künstlerin redet also von “nomadic competence” während Berber, Massai, Sinti und Roma in der Welt herumziehen und halb Nordafrika sich nach Lampedusa aufmacht und wieder andere aus Darfur fliehen. Da wären eher “nomadische” Thermen greifbar, und diese Leute haben eher Kompetenzen und interessante Probleme, die über den Umbau eines “White cube”, der anscheinend zugleich auch eine “Blackbox” ist, hinausgehen…
Dass die Künstlerin gerade dabei ist zu promovieren finde ich auch seltsam und hoffe, diese Arbeit hat nichts damit zu tun, denn sonst müsste man sehr in Frage stellen, wie wissenschaftlich so ein Doktortitel denn sein könnte. Müssen Künstler heute schon einen Doktor haben, um ernst genommen zu werden? Oder ist das Gegenteil der Fall?
Ich kenne den persönlichen Hintergrund der Künstlerin nicht, bin mir aber sicher, wer diese Art von Ego-Tripp-Kunst macht, lebt wohl behütet, dick gepolstert und sehr, sehr, sehr realitätsfern im berühmten Elfenbeinturm von Wolkenkuckucksheim und alles, was diese Kunst ausmacht, müsste man als pseudointellektuelle “Luxus-Spielerei” bezeichnen. Dafür gibt es auch noch ein böseres Wort, nämlich …äh… “zerebale Onanie”. Ich meine das aber nicht allzu böse und ich habe auch nichts gegen Kunst – im Gegenteil, ich bin Zeichenlehrer und weiss genau, Kunst darf provozieren und elitär sein, sie darf sehr spezifisch sein, sehr persönlich, sehr spröde und unzugänglich, sehr politisch oder auch sehr philosophisch und ganz, ganz grausam abstrakt, aber einfach nur langweilig und beliebig sollte sie nicht sein. Oder? Frau Kretschmann hat doch Malerei studiert, warum also muss sie dann Deckenverkleidungen an den Wänden entlang stapeln und irgendwelche musealen Umbauprozesse aufgreifen? Wen sollte so was wirklich emotional oder intellektuell berühren? Den Abwart des Hauses? Oder ein paar wenige Freunde der Studienrichtung Innenarchitektur vielleicht? Wundern Sie sich nicht, wenn man Sie der Verschwendung von Steuergeldern bezichtigt. Ein Künstlertripp als Abenteuerurlaub und Selbstfindungs- oder Selbstheilungsprozess ist vermutlich nur dann legitim, wenn für den Betrachter auch etwas Substanzielles dabei abfällt, aber ihr ratloses “Konzept” (in diesem Fall ist dieses Wort wohl ein Euphemismus) ist schon ein wenig infantil und naiv. (Während des Studiums haben wir auch mal so Zeug gemacht.) Liebe Frau Kretschmann, liebe Kuratorinnen und Kuratoren, machen Sie mal drei Monate lang irgend einen normalen Ferienjob irgendwo, der NICHTS mit Kunst zu tun hat, reisen Sie um die Welt und/oder setzen sie ein Kind in dieselbe. Und lesen sie regelmässig Zeitung. Wenn Sie dann immer noch Kunst machen wollen, wird sicher etwas Gescheiteres dabei heraus kommen. “Competence”, die auch anderen Leuten etwas einbringen könnte.