Manche Geschichten sind zu gross, um sie zu beschreiben. Wie «Cloud Atlas». Ein Versuch sei trotzdem gewagt. Die Erwartungen an den mit 80 Millionen teuersten unabhängig finanzieren Film aller Zeiten waren riesig. Und sie wurden erfüllt, ja sogar übertroffen. Die Wachowski-Geschwister haben es nach der Matrix-Trilogie einmal mehr geschafft, einen als unverfilmbar geltenden Stoff auf die Leinwand zu bringen – zusammen mit dem deutschen Regisseur Tom Tykwer. Und das Wunder ist nicht, dass sie das in einer Art und Weise getan haben, die einen über drei Stunden nicht loslässt und David Mitchell, den Autor der Romanvorlage, zu einer Aussage verleitete, die einem Ritterschlag gleichkommt: «Das könnte einer jener Filme sein, die besser sind als das Buch.»
Nein, das eigentliche Wunder ist es, dass im gigantischen Werk die einzelnen Geschichten nicht verloren gehen und die bodenständigen Werte sich als Leitfaden durchziehen. Es geht um Mut und Zivilcourage, um Freiheit, Vertrauen und das Hoffen auf bessere Zeiten. Und darum, dass der Einzelne den Unterschied ausmachen kann. Bezeichnend dafür der Vergleich in der Episode aus dem Jahr 1846. Auf den Vorwurf seines skrupellosen Schwiegervaters (Hugo Weaving), sein humanitärer Einsatz sei nur ein Tropfen im Ozean, antwortet Adam Ewing (Jim Sturgess): «Der Ozean ist nichts anderes als die Summer einzelner Tropfen.» Philosophie pur.
«Cloud Atlas» ist aber auch ein Paradies für Maskenbildner: Hugo Weaving als Krankenpflegerin, Jim Sturgess als Koreaner, Tom Hanks als vernarbter Londoner Gangster der übelsten Sorte, Halle Berry als Jüdin oder Hugh Grant als blutrünstiger Kannibale – die Schminkkünstler geben alles. Wichtiger als die Masken selbst sind aber die verschiedenen Charakteren, in welche die Schauspieler schlüpfen. Mehrere Rollen haben alle. Hanks, Berry, Weaving, Grant und die Koreanerin Doona Bae bringen es auf sechs Figuren, Sturgess sogar auf sieben. Und das ist der geniale Kunstgriff, mit dem das Regie-Trio Mitchells Buch filmisch umgesetzt hat: Ob 1846, 1936, 1973, 2012, 2144 oder 2346 – alles ist miteinander verbunden. Die Seelen werden in neue Körper hineingeboren und laufen einander im Lauf der Jahrhunderte immer wieder über den Weg. Reinkarnation und Karma sind ein Leitthema, das die Episoden miteinander verknüpft. Die Figuren erleben laufend Déjà-Vus aus ihren früheren Leben.
Bezeichnend dafür stehen drei Figuren. Durchwegs böse ist Hugo Weaving, der in der letzten Episode gar als Teufel auftritt. Dann wäre da Tom Hanks, der den fehlbaren Durchschnittsmenschen darstellt. Mal ist er böse, mal ist er gut, mal steht er für seine Werte ein, mal fehlt ihm der Mut dazu. Und schliesslich sind die von Jim Sturgess dargestellten Figuren am idealistischsten: Als amerikanischer Anwalt kämpft er im 19. Jahrhundert gegen die Sklaverei, im futuristischen Seoul des 22. Jahrhunderts führt er eine Rebellion gegen das totalitäre Regime an und bringt den Klon Sonmi-451 (Doona Bae) dazu, wie ein menschliches Individuum zu fühlen und zu denken. Jeder kann den Unterschied ausmachen.
Reinkarnation, Klone, Kannibalen, Teufel – kann das überhaupt ein breites Publikum ansprechen? Ja! «Cloud Atlas» hat für jede der sechs Geschichten ein eigenes Genre gewählt: Vom Drama über die Romanze, den Krimi, Thriller und Abenteuerfilm bis zu Science Fiction wird die ganze Bandbreite abgedeckt. Und auch der Humor kommt glücklicherweise nicht zu kurz, sonst würde einen die Wucht des Films erschlagen. Dass die schnellen Wechsel zwischen den einzelnen Handlungssträngen nicht als störend empfunden werden, ist faszinierend und spricht für die Stimmigkeit des Werks. Ex-FCB-Mäzenin Gigi Oeri hat ihr zweites Produktionsengagement (nach Tykwers «Das Parfum») wahrlich gut gewählt. Egal, wieviel sie investiert hat, auf diese mutige Produktion kann sie stolz sein. Denn in diesem Epos stehen nicht Special Effects oder die vorzüglichen Masken im Vordergund, sondern die Geschichte selbst. «Es ist eigentlich ein altmodischer Film», sagt Lana Wachowski.
Manche Geschichten sind zu gross, um sie zu beschreiben. Man muss sie einfach selbst sehen, erleben, bestaunen – am besten auf der grossen Leinwand. Wie «Cloud Atlas».
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und wie genau schminkt man jemanden zur Jüdin?
Mit hellem Puder, eine veränderte Nase, dazu gebleichte Haare – sie ist jedenfalls kaum zu erkennen. Ausserdem spielt Halle Berry auch noch einen glatzköpfigen koreanischen Arzt.
hahaha der mit der veränderten Nase find ich gut