Hörten Krimileser bisher den Namen Rolf von Siebenthal, dann stellte sich sofort die Assoziation mit Max Bollag und dem Liestaler Tagblatt ein. Künftig werden sich da wohl noch einige Namen dazugesellen, denn der Baselbieter Krimiautor verlässt sein vertrautes Terrain, die Region Basel, und begibt sich aufs politisch heikle Parkett der Bundeshauptstadt. In Bern ermitteln in «Lange Schatten» offiziell Bundeskriminalpolizist Alex Vanzetti und inoffziell die junge Journalistin Zoe Zwygart sowie deren rüstige Grossmutter Lucy, selbst ehemalige Reporterin. Weil es sich gleich beim ersten Fall, bei dem sich die Wege dieser drei Protagonisten kreuzen, um einen Anschlag auf eine Bundesrätin handelt, ist für gehörig Brisanz gesorgt.
Von Siebenthal verlässt sein gewohntes Terrain also nur geografisch. Wie schon bei der Bollag-Serie werden die polizeilichen Ermittlungen von der Presse unterstützt oder behindert – je nach Perspektive. Diesmal allerdings ist die Hauptperson der Beamte. Vanzetti, ein aufstrebender Ermittler bei der Bundeskriminalpolizei, der sich aufgrund seines verhältnismässig jungen Alters auf höchster Ebene erst noch richtig beweisen muss. Neid und Missgunst stehen Vanzetti Spalier, erst recht, als er die These in den Raum stellt, dass der Mordanschlag, bei dem ein bundesrätlicher Leibwächter erschossen wurde, gar nicht dem Regierungsmitglied gegolten habe, sondern eben dem Sicherheitsbeamten. Derweil ist Zoe Zwygart, die sich bei den Berner Nachrichten ihre Sporen abverdient, der Sonderkommission bereits einen Schritt voraus. Die junge Journalistin erhält immer wieder mysteriöse Hinweise auf einen Serienmörder. Doch von wem und warum?
Die Anlage der Hauptfiguren ist keine Neuerung. Die beiden Figuren laufen einander immer wieder über den Weg, was eine ambivalente Beziehung nach sich zieht. Ein bekanntes Muster, das von Siebenthal selbst schon bei seiner Bollag-Serie angewendet hat: Hartnäckiger Journalist wird immer wieder in die Schranken gewiesen, ist dem Ermittler aber immer einen Schritt voraus – dennoch sind die beiden am besten, wenn sie zusammenarbeiten. Ungewöhnlich dafür die Figur von Zoe: Eine ehemalige Elitesoldatin, die nun im Journalismus Karriere machen will – ganz nach dem Vorbild ihrer Grossmutter, die früher eine grosse Nummer bei den Berner Nachrichten gewesen ist. Die Figuren sind gut zugänglich, der Anfang einer neuen Serie scheint gemacht.
Damit wären wir wieder beim fremden Terrain. So fremd ist Bern dem Autor nämlich nicht. Von Siebenthal hat in Bern studiert, als Lehrer unterrichtet und fünf Jahre beim Bundesamt für Verkehr gearbeitet. «Zudem bietet mir die Hauptstadt viele Möglichkeiten für einen Krimi», sagt der frühere Journalist. «Ich kann sowohl die Bundesverwaltung als auch das Parlament oder die internationale Politik einbeziehen.» Es gibt also Grund zur Freude, denn «Lange Schatten» unterhält sehr kurzweilig, und man hofft auf ein baldiges Wiedersehen mit Alex Vanzetti und Zoe Zwygart. 2017 soll das nächste Buch aus der Berner Serie erscheinen. Und was ist mit Bollag? Den hat von Siebenthal immer noch im Hinterkopf: «Noch habe ich die Bollag-Serie nicht ganz aufgegeben, Ideen für weitere Bücher hätte ich jedenfalls…»
Rolf von Siebenthal: Lange Schatten. Friedrich Reinhardt Verlag. Basel, 2016. 464 Seiten, Fr. 29.80.
Die Bollag-Krimis von Rolf von Siebenthal: Schachzug (2013), Höllenfeuer (2014), Schlagzeile (2015).