Rent-A-Museum

Ewa Hess am Freitag den 30. März 2018

Kunstsammler, vor allem die grossen, stehen früher oder später vor einem Dilemma. Ihre Leidenschaft gilt dem Sammeln. Sie suchen, kaufen die schönsten Werke, stellen eine Sammlung zusammen, die in ihrer Gesamtheit bedeutungsvoll ist und ihre ganz eigene Weltanschauung widerspiegelt, und dann? Was tun damit?

Eines der spektakulärsten Privatmuseen: The Broad in Los Angeles, für 140 Millionen vom Developer Eli Broad erbaut und im September 2015 eröffnet. (Bild E. Daniels)

Ich spreche hier nicht nur von den Problemen, die sich im letzten Lebensabschnitt stellen, obwohl diese auch eine Knacknuss sind: Wem vererbt man die Sammlung? Wollen die Kinder ihr Leben fortan der gleichen Passion wie die Eltern widmen? Und wenn nicht, wem vermacht man den Schatz? Schenkungen an öffentliche Museen oder die Gründung eines eigenen Museums bergen als Lösungen ihre eigenen Tücken. Die klügsten unter den Sammlern, wie etwa der Basler Kunsthändler Ernst Beyeler, wissen ihr Lebenswerk auf eine für die Allgemeinheit nutzbringende Art auf eine eigene Umlaufbahn zu schicken (als die famose Fondation Beyeler). Auch die Dauerleihgabe an ein öffentliches Museum, wie es zurzeit mit der Stiftung Sammlung Bührle oder dem Zusammengehen der Fondation Hubert Looser und dem Kunsthaus Zürich angedacht ist, sind sinnvolle Alternativen.

Aber schon vorher gibt es eine Schwierigkeit. Denn gute Kunst will gesehen werden. Sie lebt von der Begegnung mit dem Publikum, erst diese macht ein Kunstwerk lebendig und aktuell. Und doch übersteigt der Aufwand einer hochstehenden Ausstellungsaktivität oft die Möglichkeiten eines vielbeschäftigten Individuums, auch wenn es über ein gewisses Reichtum verfügt. In der französischen Stadt Angers im Westen von Frankreich entsteht zurzeit ein Museumsmodell, das diesem modernen Problem (modern, weil das Kunstsammeln in den letzten Jahren zu einer überaus beliebten sinnstiftenden Beschäftigung geworden ist) Abhilfe schaffen soll.

Das geplante «Musée des collectionneurs» in Angers. (Rendering ©Steven Holl – Franklin Azzi Architecture – Paul Arene/ XO3D for Compagnie de Phalsbourg)

Angeregt durch einen von der Stadtverwaltung ausgeschriebenen Wettbewerb, hat der französische Immobiliengigant La Compagnie de Phalsbourg das «Musée des collectionneurs» konzipieren lassen. Die Idee ist, eine Museumsstruktur ins Leben zu rufen, die private Sammlungen auf Zeit beherbergen kann. So könnte sowohl das Publikum von den Schätzen der Millionäre profitieren, wie auch diese ein Museum temporär ihr Eigen nennen, und zwar, ohne die Mühsal des Baus und des Betriebs auf eigene Schultern zu nehmen. Kann eine solche Idee Schule machen? Vielleicht schon.

Zu den Vorteilen eines solchen Systems gesellen sich leider auch einige Nachteile – der grösste darunter könnte die mangelnde Nachhaltigkeit sein. Während aus dem Engagement Ernst Beyelers ein Pfeiler der Basler, der Schweizer Kultur gewachsen ist, riskiert eine nur temporär gezeigte Sammlung, eine solch längerfristige Wirkung auf ihre Umgebung zu verfehlen. Die Anlage, die vom Einkaufszentrum-Erbauer de Phalsbourg stammt, trägt auch konsumistische Züge: An das Museum ist ein Hotel angeschlossen, inklusive Spa und Einkaufsmeile. Kunst als Wellness … So ist grosse Kunst, wie ich sie verstehe, nicht gemeint.

Eingangsbereich in Angers. (Rendering ©Steven Holl – Franklin Azzi Architecture – Paul Arene/ XO3D for Compagnie de Phalsbourg)

Indes gehört das «Musée des collectionneurs» zu den Gewinnern des Wettbewerbs, also zu den zur Realisierung ausgewählten Projekten; hat also gute Chancen, das Licht der Welt zu erblicken. Die Architektur stammt vom US-Büro Steven Holl und mutet sehr futuristisch an. Ich könnte mir vorstellen, dass diese auf ihrer schmalen Seite stehenden Triangel die Türme des nahegelegenen Schlosses von Ludwig dem XV. umgekehrt spiegeln sollen. Andererseits sehen sie auch ein bisschen wie ausgerissene Zähne aus und erdrücken das hinter ihnen situierte Hotel auf eine eher unangenehme Art und Weise.

Beraten wird das westfranzösische Projekt, welches die Tradition der Loire-Schlösser mit einer modernen Sehenswürdigkeit fortführen will, von dem bekannten französischen Kulturfunktionär Jean-Jacques Aillagon. Er war (unter Jacques Chirac) schon französischer Kommunikationsminister und auch Generaldirektor des Privatsenders TV5. Er soll auch den Megasammler und Multimilliardär François Pinault beraten. Bis 2011 war Aillagon zudem Präsident des Château de Versailles und verantwortlich für die umstrittene Ausstellung des Japaners Takashi Murakami im Schloss der Schlösser.

Vorfabrizierte Museumskuben: Das Projekt «Reproducible Museums» von Robbie Antonio. (courtesy Revolution Precrafted Properties)

Die Entwickler aus Angers sind auf ihre Idee sehr stolz – und lassen verlauten, dass sie eine internationale Weltpremiere sei. Das stimmt allerdings nicht ganz, denn bereits im Frühling 2017 lancierte der philippinische Sammler und Immobilienentwickler Robbie Antonio eine Idee für temporäre Sammlermuseen. Er sah allerdings eine vorgefertigte Museumsstruktur vor, die für weniger als 1 Million Dollar an einem beliebigen Ort in nur 6 Monaten aufgestellt werden könnte und nach Bedarf auch wieder entfernt. Ironischerweise hat der in Manila stationierte Antonio nicht wie die Franzosen auf die US-Architekten gesetzt, sondern hat sich seine Museums-Präfabrikate von den Franzosen Jean Nouvel und Christian de Portzamparc entwerfen lassen.

Boxende Gebärmutter

Ewa Hess am Mittwoch den 14. März 2018

Seit gut zwei Wochen hat West-Hollywood eine neue Attraktion: ein Neon-Uterus mit Boxhandschuhen anstelle der Eierstöcke leuchtet über dem Sunset Strip. Es ist ein Werk der britischen Künstlerin Zoë Buckman, finanziert vom Art Production Fund. Ein Symbol des weiblichen Empowerment glüht jedem, der sich der Filmmetropole mit dem Auto nähert, auf eine kraftvolle Art entgegen.

Zoë Buckmans Werk «Champ» glüht über dem Sunset Strip. Foto: Veli-Matti Hoikka, courtesy of Art Production Fund

Buckmans Werk steht in einer langen Tradition der Werke von Künstlerinnen, die dem allgegenwärtigen Penis-Kult die Darstellung weiblicher Sexualorgane entgegensetzen. Einige von uns erinnern sich bestimmt aus eigener Anschauung an die legendäre «Dinner Party» von Judy Chicago, in dem die Künstlerin eine dreieckige Tafel mit kunstvoll aus Stoff, Porzellan und anderen Materialien gefertigten Vulvas dem Andenken grosser Frauen widmete.

Judy Chicagos «The Dinner Party», 1974–1979. Foto: Courtesy the Artist

Das war in der Mitte der 1970er-Jahre, und seither gab es vereinzelt immer wieder Werke, die sich mit Vaginas, Vulvas, Gebärmüttern auseinandersetzten. Es scheint, als ob die neue Welle des Frauenkampfs um Selbstbestimmung, die als Begleiterscheinung der #MeToo-Debatte anrollt, dieses Kunstsujet jetzt noch stärker ins Licht rückt.

Chicagos Hommages, in der Mitte und rechts für Virginia Woolf («The Dinner Party», Courtesy the Artist)

In der Zürcher Ausstellung der Schweizer Künstlerin Mai-Thu Perret etwa (Galerie Francesca Pia) hängt eine wunderbare neue Skulptur der Genferin von der Decke, in der nebst einer Lunge und einem Herz aus Bronze auch ein Uterus dargestellt wird. Wunderbar anzusehen, übrigens. Schliesslich ist dieses bescheiden im Inneren des weiblichen Bauches versteckte Organ das Zentrum des evolutionären Fortkommens der Menschheit. 

Mai-Thu Perrets «Fillette»: Lunge, Uterus, Herz (courtesy Galerie Francesca Pia). Der Titel und die bronzene Beschaffenheit der als Glocken ausgeformten Werke ist wohl eine Anspielung auf das Werk «Fillette» von Louise Bourgeois, das einen grossen Penis darstellt. Das Wort selbst ist eine französische Bezeichnung für ein kleines Mädchen UND eine liebevolle Umschreibung des männlichen Glieds.

Wir erinnern uns auch an das Selbstporträt von Pipilotti Rist (es war eine Künstleredition für die immer aktuelle, wenn auch kürzlich eingestellte Kunstzeitschrift «Parkett»), in dem der Künstlerin Menstruationsblut übers Bein lief, was sie stolz vorzeigt. Und wir entdecken neu die Cartoon-artigen Zeichnungen der in Dagestan geborenen, in den USA lebenden Künstlerin Ebecho Muslimova. Ihr erfundenes alter ego Fatebe zeigt in fast jedem Bild genüsslich ihr Geschlecht, muss sich aber meistens ziemlich verrenken dazu.

Vor einem Jahr in der Zürcher Galerie Maria Bernheim: die Künstlerin Ebecho Muslimova, und ihr Werk «Fatebe itchy butt», 2017. Zur Zeit zeigt die Kunsthalle St. Gallen ein grosses Wandbild der 33-jährigen US-Russin.

Es war ja bereits Onkel Freud, der auf die ungleiche Sichtbarkeit der Geschlechtsteile beim Mann und bei der Frau hinwies. Während das männliche Kleinkind seinen Penis schon früh selbst bestaunen kann, und die Baby-Entzückung der Familie leicht als eine Bewunderung für sein gutes Stück interpretieren kann, sind die Mädchen zunächst etwas verwirrt.

Bei ihnen ist die Auslegeordnung um einiges komplexer: die lustspendende Klitoris ist beschützt zwischen den Schamlippen eingebettet, die Vagina stülpt sich nach innen, und die lebengebende Gebärmutter versteckt sich gänzlich im Körper. Freud schlussfolgerte daraus «Penisneid» bei Frauen. Als ob sie nicht dreimal so viele hübsche Sachen hätten!

Die französische Bildhauerin Louise Bourgeois verschmolz manchmal die Geschlechter: «Janus Fleuri» von 1968 (@Adagp, Paris, 2008).

So sind die frühen mythischen Kunstwerke der Menschheit entweder dem mächtigen Phallus oder aber eher den sekundären Geschlechtsmerkmalen der Frauen gewidmet: den Brüsten (oder in einer optischen Parallele dazu den gut gepolsterten Hintern). So weit, so bekannt, und eigentlich sind wir über dieses Stadium der Erkenntnis längst hinaus.

Und doch. Es stellt sich zurzeit heraus, dass die visuelle Vorherrschaft des männlichen Organs den weiblichen Gegenstücken immer noch so etwas wie einen Minderwertigkeitsstatus bescheren kann. Einen, dessen Einfluss sich bis auf die Lohnlisten der Unternehmen, die Zusammensetzung der Teppichetagen sowie die sexuellen Überwältigungsfantasien der Machtträger erstreckt. Vielleicht darum erleben wir gerade eine regelrechte Vulva-, Vagina- und Uterus-Offensive. Let’s show it! heisst der erneut aufgeflammte Imperativ.

Work in progress: «The Vulva Gallery» von Hilde Atalanta. Quelle: Instagram

Es ist eine Respektforderung via Visualisierung. Eine ganze Lawine von Büchern kommt heraus (ein interessanter Artikel dazu aus der «Zeit» hier), und viele Künstlerinnen besinnen sich auf ihre feministischen Vorbilder. Natürlich ist die Verbreitung der Botschaft heutzutage über Social Media ein Leichtes – siehe etwa die in Amsterdam lebende Künstlerin Hilde Atalanta, die über Instagram eine «Vulva Gallery» als Work in progress fortführt und sehr viel Anklang dazu findet.

Ein Instagram-Beitrag von «The Vulva Gallery», die 15’000 Follower(innen) ausweist.

Gerne denke ich in diesem Zusammenhang an die heute 75-jährige Künstlerin Judith Bernstein, die als junge bewegte Frau obsessiv tolle Bilder malte, die fast alle irgendwie den Penis darstellten. Für Bernstein war das eine Ermächtigungsgeste für sich selbst, aber auch Anklage der Ungleichheit. Diese frühen Penisbilder sind grossartig, und doch kam die Künstlerin nicht so richtig an damit. Die Männer fanden, sie klaue ihnen was, und die Feministinnen witterten Verrat.

Seit einigen Jahren aber hat die Künstlerin, die erst spät zu Ruhm gekommen ist (sie wird u.a. von der Zürcher Galerie Karma International vertreten), auch weibliche «Cunts» zu malen begonnen, also Mösen, die in ihrer fröhlichen Behauptungssucht den vorlauten Mr. Dickheads von früher in nichts nachstehen. Na also. Wenn das kein gutes Zeichen ist! 

Junge Judith Bernstein 1975 vor ihren penisartigen Gemälden, und ihr Werk «Birth of the Universe: Gold Cunt», 2013. Fotos: NN, F. Karrer, Courtesy the Artist and Karma International