Warhol, der Katholik

Ewa Hess am Mittwoch den 28. Februar 2018

Andy Warhol im Vatikan? Es klingt wie ein Witz, ist aber eine beschlossene Sache. Im kommenden Jahr kann man zu Warhol nach Rom pilgern, denn die Vatikanischen Museen zeigen eine grosse Schau seiner Werke. Nicht gerade in der Sixtinischen Kapelle, aber in einem dieser langen Säulengänge, die Peterskirche mit dem Petersplatz verbinden – im sogenannten Braccio di Carlo Magno.

Wenige Wochen vor seinem Tod: Andy Warhol und sein «Letztes Abendmahl», Mailand 1987 (Bild: Giorgio Lotti/Archivio Giorgio Lotti/Mondadori Portfolio via Getty Images)

Waaas? Den infernalischen Andy kennt man doch vor allem als den Mann, der Geld, Ruhm, Konsum und andere gänzlich diesseitige Konzepte für die Kunst erst so richtig salonfähig gemacht hat. Dessen Factory in New York als ein freizügiges künstlerisches Sodom und Gomorrha der 70er-Jahre galt. Von seinen unzüchtigen Filmen wie «Blue-Movie» oder «Blow Job» schon gar nicht zu reden!

Extase – in Warhols Film sieht man nur das Gesicht des Mannes, doch der Titel «Blow Job» deutet die Verzückung nicht etwa religiös. (Bild: Andy Warhol Museum/Carnegie Institute)

Will sich also die katholische Kirche nun in ihrer Not dem Satan selbst an die Brust werfen? Ha! Nein. Weil, liebe Schwestern und Brüder, auch wenn Ihr es nicht gewusst habt, war Andy Warhol zeitlebens ein gläubiger, bekennender und praktizierender Katholik.

Der Katholizismus, hat einer seiner Biografen mal behauptet (namentlich John Richardson), war sogar der Schlüssel zu allem, was der exzentrische Künstler schuf und tat. Und diese spirituelle Seite will der Vatikan nun ans Licht bringen.

Warhols «Letztes Abendmahl», verkauft für 6,8 Millionen Euro an einer Auktion 2014. (Bild: Per Larsson/TT News Agency/AFP)

Gezeigt werden – es liegt auf der Hand – hauptsächlich Andy Warhols «Letztes Abendmahl»-Serien von 1986, bunt seriegrafiert nach dem berühmten Fresko Leonardo da Vinci in der Mailänder Kirche Santa Maria delle Grazie.

Laut der Aussage der Museumschefin der Vatikan-Museen zählen in ihren Augen auch einige weitere Werke zum spirituellen Nachlass Warhols, solche, die in einer Memento-Mori-Manier an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnern.

Da sind die Siebdrucke von Schädeln bestimmt dabei. In meinen Augen würden auch die Werke aus der Gruppe «Death and disaster» dazu passen, die Warhol seit 1962 schuf. Sie zeigen Flugzeugabstürze, Autounfälle und Abbildungen von elektrischen Stühlen. Diese lassen einem das Blut in den Adern gefrieren, durchaus passend zur strengen Tradition der katholischen Kirche.

Aber eben, unter Papst Franziskus ist nicht nur die Strenge angesagt, es liberalisiert sich im Vatikan einiges. Vor allem findet der argentinische Pontifex, dass viel zu wenig Frauen im Vatikan wichtige Positionen bekleiden. Der Vatikan brauche Frauen, sagt der Papst – zum Wohl der Kirche.

Eine der neuen starken Frauen im Vatikan: die Kunsthistorikerin Barbara Jatta (55), Museumsdirektorin. (Bild: Domenico Stinellis/AP/Keystone)

Er macht auch ernst damit: Eine Frau leitet die Kinderabteilung des Krankenhauses Bambino Gesù, und die Universität Antonianum hat neuerdings eine Rektorin. Letztes Jahr hat Franziskus nun Barbara Jatta, eine 55-jährige italienische Kunsthistorikerin, als erste Direktorin der Vatikanischen Museen bestellt. Diese werden von sechs Millionen Menschen jährlich besucht, es ist ein wichtiger Posten.

Und die experimentierfreudige Frau Jatta holt nun Warhol ins Haus. Ein durchaus schlauer Zug, denn Warhols Einfluss auf die Kunst und seine Bedeutung im Markt sind seit seinem Tod im Februar 1987 kontinuierlich gewachsen. Wenn man jetzt sagen könnte, dass das wegen seiner bisher wenig wahrgenommenen Spiritualität so ist, wäre das für die Kirche ein Gewinn und eine Imagemodernisierung zugleich.

Ob man es glaubt oder nicht, Warhol ging tatsächlich zur Kirche. Als Immigranten-Sohn aus der Slowakei gehörte er der griechisch-katholischen slowakischen Rituskirche an und liebte es, in New York an den Messen teilzunehmen.

St. Vincent Ferrer war die Kirche, die er am meisten besuchte. Er verbrachte auch oft seine Abende als Hilfskraft im Obdachlosenasyl der Kirche der Himmlischen Ruhe. In seinen Tagebüchern ist oft von der Religion die Rede. Doch die Tagebücher wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht, zeitlebens hängte Warhol seine gläubige Seite nicht an die grosse Glocke.

Einer seiner ernsten Momente: Andy Warhol mit Schädel. (Bild: RDA/Getty Images)

Immerhin antwortete er 1975 in dem von ihm selbst gegründeten Magazin «Interview» auf die Frage, ob er heute schon in der Kirche gewesen sei, klar bejahend. Im gleichen Gespräch gab er auch zu, zur Beichte und zur Kommunion zu gehen, obwohl «ich nie das Gefühl hatte, etwas Böses getan zu haben».

Er finanzierte stolz das Priesterstudium seines Neffen und besuchte 1980 den Papst Johannes Paul II. in Rom. Auf dem von diesem Treffen erhaltenen Foto spricht sein Blick Bände – der Master of Cool scheint echt bewegt zu sein. Als Zeichen des Respekts trug er bei diesem Treffen eine Krawatte und eine äusserst manierliche Version seiner sonst so verstrubbelten Perücke.

Seine Beschäftigung mit christlicher Bildsprache intensivierte sich deutlich in den Jahren vor seinem Tod. Nicht nur «Letztes Abendmahl» – das bei seiner geliebten Mutter als Kopie an der Küchenwand hing –, sondern auch Bilder von Christus und Kreuzen; auch Interpretationen und Ausschnitte von Leonardos «Verkündigung» wurden in diesen Jahren oft zu Warhols Motiven.

Man nahm damals an, dass es eine Verhöhnung der konsumistischen Haltung zur Religion war, denn Warhol malte nicht nach Original, sondern nutzte Drucke aus dem Souvenirshop als Vorlage. Nach der Lektüre der Tagebücher war man sich da nicht mehr so sicher. Da war was, nicht nur Hohn. Echter Glaube?

Selbst das Wiederholungsprinzip, das er in die Kunst einführte, kann auf seine katholische Prägung zurückgeführt werden – so können etwa seine Marilyns, immer wieder inbrünstig wiederholt, mit einem Rosenkranzgebet verglichen werden.

Wiederholungsprinzip Marilyn: Andy Warhols Serie von 1967. (Bild: Peter Macdiarmid/Getty Images)

Nicht ausgeschlossen übrigens, dass auch diese im Vatikan gezeigt werden, schliesslich malte er die Filmdiva erst nach ihrem Suizid 1962, somit können auch diese Bilder in die Memento-Mori-Reihe eingeschlossen werden.

 

 

Der Preis der Kunst

Ewa Hess am Mittwoch den 21. Februar 2018
Private View

Hat Leonard DiCaprio die App geprüft, die er empfiehlt? Strassenkunst in Los Angeles. Foto: Paul Archuleta (Getty)

Was kostet Kunst? Es ist eine Geheimwissenschaft. Die Preise der Kunstwerke sind selten angeschrieben und die Kriterien für die Preisgestaltung lassen sich schlecht objektivieren. Das macht den Kunstmarkt intransparent und öffnet jeder Art von Unredlichkeit Tür und Tor. Daraus haben sich einige Firmen ein Geschäftssmodell gebastelt. Ich spreche von Portalen wie Artprice (Marktleader), Artnet, Artvalue etc. Damit machen gewisse Kunstvermittler dicke Gewinne (siehe den Streit zwischen dem russischen Oligarchen Dmitry Rybolovlev und dem Schweizer Freeport-Besitzer Nicolas Bouvier hier).

Eine App, die Kunstpreise kennt? Schön wärs! Foto: PD

Seit kurzem gibt es eine App, die sich rühmt, dem Missstand abhelfen zu können. Sie wurde von dem deutschen Tausendsassa Magnus Resch entwickelt und soll funktionieren wie die App Shazam für die Musik. Man hält das Smartphone auf ein Kunstwerk, und schon wird man mit Informationen beliefert: Wer ist der Künstler? Wie heisst das Kunstwerk? Und eben, die Frage aller Fragen: How much?

Auf Kunstsuche: Magnus Resch mit seinem Freund, dem Esel. Foto: PD

Vielleicht erinnern Sie sich noch an Magnus Resch? Ich berichtete hier über sein Buch über das Management von Galerien. Das war vor mehr als zwei Jahren, und ich war damals richtig sauer. Der deutsche Sunnyboy belehrte nämlich grossspurig die Galerienszene, wie sie ihr Geschäft besser machen sollte. Dabei entblösste er seine Unbedarftheit auf eine schmerzliche Weise. Das Buch soll sich aber ganz gut verkauft haben – wohl nach dem gleichen Prinzip, nachdem sich die vielen Lebensratgeber verkaufen, in welchen sieben mal nichts Neues steht. Denn der Galerienszene geht es schlecht – allein in Zürich sind im letzten Jahr an die zehn Galerien zugegangen. Und in der Krise greift man bekanntlich nach jedem Strohhalm.

Jetzt macht der fesche Magnus mit seiner neuen App wieder Schlagzeilen. Sie heisst – surprise, surprise – genau gleich wie er: Magnus. Und wieder will der Partytiger die Kunstszene belehren. «Rätselt nicht lange herum», ist die Botschaft. «Meine App sagt euch, was ihr wissen wollt.» Wirklich?

Einer scheint an das Wunder jedenfalls zu glauben: Leonardo DiCaprio ist ins Magnus-Geschäft eingestiegen. Er hat per Facebook der App erzieherische Qualitäten bestätigt. Ob er sich seine gute Meinung auch etwas kosten liess und wie viel, wird nicht mitgeteilt. Wahrscheinlich ist, dass der gut verdienende Hollywoodstar einer der Investoren ist. Man sagt ja, um so eine App zu entwickeln, brauche man schon einige Millionen Dollar.

Leonardo DiCaprios Unterstützung für Magnus. (Bild via Facebook)

Der Support von Leo ist viel Wert, schliesslich ist er ein einflussreicher Mann – und selber Sammler. Ein durchaus ernst zu nehmender, das schrieb ich hier. Hat er die Magnus-App überhaupt geprüft? Sie ist des Platzes nicht wert, den sie auf dem Smartphone einnimmt.

Wie sich der Erfinder das in etwa vorstellt, zeigt er gleich selber, in einem Filmchen auf seiner Website Magnus.net. Da steht etwa ein junger Mann an einer Galerieeröffnung mit der Dame seines Herzens vor einem Bild. Und hat keine Ahnung, was er sagen soll. Dann macht er mit der neuen App ein Foto des Werks und auf dem Display erscheint alles: Der Künstler heisst Math Wiley (Math who?), seine Galerie Cameron und das Werk kostet 12’500 Dollar. Der junge Mann flüstert darauf seiner Begleiterin ins Ohr: «Es ist kein Picasso», was diese derart begeistert, dass sie ihn sofort leidenschaftlich auf den Mund küsst. O, là, là!

Die Sache ist im Ganzen allerdings nicht so harmlos, wie sie auf den ersten Blick erscheinen könnte. Denn die Datensammlungen der Auktionspreise von Artprice und Artnet sind das Resultat eines jahrelangen Hortens. Prompt haben die Online-Datenbanken Artfacts.net und Artsy nach dem Launch der App den Erfinder verklagt, ihnen die Daten schlichtweg zu klauen. Viele Galerien haben die Beschwerde unterstützt und die App wurde vorübergehend aus dem Apple Store entfernt. Die Klage soll inzwischen zurückgezogen worden sein (schreibt Art Newspaper). Das hat wohl vor allem einen Grund: Die App funktioniert nicht.

Ich machte eine Probe aufs Exempel und erfasste einige Bilder, darunter auch eins von Georg Baselitz. Dieser Künstler ist bekanntlich ganz einfach zu erkennen, weil bei ihm meistens das Motiv auf dem Kopf steht. Doch die App hatte keinen blassen Schimmer und bot mir an, dass ich alle Daten selber eintippe, auf dass sie sie speichere.

Das hätte ich machen können, und zwar auch kreuzfalsch. Machte ich aber nicht. Und die App bot mir an, das Bild «manuell zu matchen», die Antwort sollte innerhalb von 12 Stunden kommen. Das klingt nach einem erstaunlich intensiven Manpower-Bedürfnis für eine App! Und einem noch erstaunlicheren langsamen Tempo. Ich warte.

Schweizer Auktionator Simon de Pury im Werbefilm für die Magnus-App. (magnus.net)

Was hat dieser Magnus, dass ihm die Herzen der einflussreichen Menschen zufliegen? In seinem Werbefilm tritt sogar Simon de Pury auf, der sympathische Schweizer Auktionator.

Vielleicht erinnert sie die Grossspurigkeit des Deutschen an die sorglose Bling-Bling-Ära der 1990er-Jahre. Das ist für die Kunstwelt so etwas wie eine Kindheitserinnerung. Damals ging es los mit den Fantastilliarden im Kunstmarkt. Inzwischen sind die Preise im obersten Segment weiter gewachsen, und die Kunstwelt hat gemerkt, dass eine solche Hausse auch bittere Konsequenzen hat: bei so verlockenden Gewinnen wächst die Kriminalität (Diebstahl, Fälschung, Schmuggel). Der Markt verwandelt sich, professionalisiert und konzentriert sich, die grossen Player übernehmen alles. Ja, ja, charmant geht anders.

Obamas in Öl

Ewa Hess am Dienstag den 13. Februar 2018

Augen zu und durch: Barack und Michelle Obama kurz vor der Enthüllung ihrer Porträts in Washington. Foto: Jim Bourg (Reuters)

Diese Obamas! Als sie am Montag die von ihnen bei afroamerikanischen Malern in Auftrag gegebenen Porträts in der National Portrait Gallery in Washington enthüllten, hatten viele das Gefühl, dass das Paar immer noch Amerika präsidiert. Die Herzen der US-Kulturszene gehören sowieso dem intelligenten und kunstliebenden Ex-Präsidentenpaar. Dazu trägt der erbitterte und auf beiden Seiten gehässige Krieg zwischen dem amtierenden Präsidenten und den Protagonisten der kulturellen Welt noch zusätzlich bei. 

So siehts aus: Die Obamas vor ihren Porträts (Foto via Toofab.com)

Michelle und Barack Obama hatten sich ja für eine Zeit aus dem Rampenlicht zurückgezogen. Jetzt zeigten sie sich wieder. Zuerst gab Barack der Late-Night-Talk Legende David Letterman ein langes Interview, welches dem Streamingdienst Netflix wieder ein Traumpublikum bescherte. Und jetzt diese Enthüllung der Porträts. Alles wieder vorbildlich, es könnte einen schon fast nerven. (Was es auch auf der Alt-Right-Seite auch gehörig tut, nachzulesen hier).

Er im Busch, sie auf dem Thron: Die neuen Porträts von Barack und Michelle Obama. Fotos: Andrew Harnik (AP)

Aber werfen wir mal einen Blick auf all die Fettnäpfchen, denen die Obamas tänzerisch lächelnd ausgewichen sind:

Die Wahl der Maler

Die beiden ausgewählten Künstler sind goldrichtig. Keine millionenschweren Überflieger der Kunstszene, keine Altmeister, keine aufregenden Hot Newcomer, sondern zwei Persönlichkeiten aus dem mittleren Bereich, solide Fahnenträger des Malerberufs mit nicht zu viel und nicht zu wenig Ehrgeiz.

Kehinde Wiley, der das Barack-Porträt gemalt hat, erlangte schon einige Berühmtheit, als er Michael Jackson in der Pose des König Philipps II malte. Er beherrscht die Kunst, historische Posen mit einem gewissen Augenzwinkern wiederzubeleben. Seine Bilder verkaufen sich gut, aber nicht zu exorbitanten Preisen, also im mittleren fünfstelligen Bereich.

Amy Sherald, der Michelle ihr Konterfei anvertraut hat, ist eine noch wenig bekannte Figur, die sehr ernsthaft wirkende Porträts afroamerikanischer Menschen malt, die eine ruhige Würde ausstrahlen. Für die braunen Hauttöne wählt sie meistens Abstufungen der Farbe Grau, das entschärft die Diskussion um die Hautfarbe und verleiht den Bildern eine angenehme Distanz.

Üblicherweise schlägt die National Gallery bei den Porträts der abtretenden Präsidenten die Maler vor – hier haben die kunstaffinen Obamas aber ihre eigenen Präferenzen eingebracht. Es wird ihnen bekannt gewesen sein, dass die aktuelle Renaissance der figurativen Malerei gerade von den Afroamerikanern stark getragen wird. Diese Tendenz haben sie mit ihrer Wahl sowohl honoriert wie begünstigt. Chapeau!

Barack Obama dankt dem Maler Kehinde Wiley an der Enthüllung in der National Portrait Gallery in Washington (die zur Smithsonian-Gruppe gehört).

Die Porträts

Sie sind in der Tat famos. Gut, man könnte sagen, dass die Ausgestaltung der fertigen Porträts nicht von den Modellen abhängt. Doch das Wesen der Porträtierten ist ein wichtiger Faktor dabei. Auf Kehinde Wileys Bild sitzt ein nachdenklicher Barack Obama auf einem schlichten Stuhl, ohne Machtinsignien, ohne Allüre.

Aber Wiley hat gerade mit seinem Michael-Jackson-Porträt bewiesen, dass er auch anders kann, er könnte also allfällige Grössenfantasien seines Modells durchaus karikieren. Hat er hier nicht. So hatte die bescheidene Art Obamas – ein grosser Kontrast zum Gebaren seines Nachfolgers – durchaus einen Einfluss auf dieses schöne Bild, indem er vor einer grünen Wand sitzt, inmitten einer natürlichen Umgebung, in der grüne Blätter von farbigen Blumeneinsprengseln aufgeheitert werden.

Die Malerin Amy Sherald enthüllt das Porträt von Michelle Obama. Foto: Shawn Thew (EPA)

Michelle Obamas Bild kontrastiert das Porträt ihres Mannes, weil es gar nicht auf Understatement macht. Wie eine Königin sitzt sie in wallender Robe vor einem schlichten blauen Hintergrund (dieser ist übrigens Markenzeichen der Malerein Amy Sherald). In einer gesellschaftlichen Stimmung, in der Frauen verstärkt um ihre Wahrnehmung als ein souveränes menschliches Wesen (und kein begrapschbares Objekt der Begierde) kämpfen, ist dieses ruhig überhöhende Porträt wohl genau das Richtige. Die an Rodins «Denker» erinnernde Pose unterstreicht dabei die Intelligenz der weiblichen Porträtierten.

Scherzkeks Barack Obama. Foto: Andrew Harnik (AP)

Die Enthüllungszeremonie

Auch diese war höchst angemessen. Barack machte Witzchen über seine grossen Ohren, lobte die «Hotness» seiner Frau und blieb der sympathische Kerl mit einem grossen Lächeln, als der er – zumindest auf der Auftrittsebene – den USA als einem vielleicht doch raffiniert zivilisierten Land stets eine gute Visitenkarte ausstellte. Michelle freute sich, dass ihre königliche Pose den kleinen dunkelhäutigen Mädchen ein Grund zum Ehrgeiz liefern könnte. Dem muss man zufügen, den gibt auch ihr schönes Kleid, gab doch in Sachen Mode die First Lady immer ein besseres Vorbild ab als die oft allzu knapp (und allzu milieumässig) bekleidete Beyoncé.

Michelle Obama, schön angezogen, sowohl auf dem Bild wie an der Enthüllungszeremonie. Foto: Shawn Thew (EPA)

Das Echo

Das ist gewaltig. Was die Obamas anpacken, wird doch wirklich immer zum Knüller. Wie machen die das? Alle berichten über die Porträts! Wann ist so was das letzte Mal passiert? Vielleicht 2006, als der Maler Nelson Shanks auf dem Porträt Bill Clintons für die gleiche National Gallery in Washington einen kurvigen Schatten (den alle für Monica L. hielten) versteckt hat. Nur, dass das Shanks-Porträt ein konventionelles Stück langweiliger Porträtmalerei war. Und die beiden Obama-Bilder wirklich gute Beispiele zeitgenössischer Kunst abgeben.

Wer ist hier das Monster?

Ewa Hess am Mittwoch den 7. Februar 2018

Willkommen im neuen Jahr, liebe Leserinnen und Leser der Private View. Ihre Chronistin hat ein kleines Winterschläfchen gemacht – zumindest was den Blog anbelangt. Doch die Augen sowie Ohren blieben offen, ich stelle also fest: Das Jahr 2018 hat genau dort wieder angefangen, wo das Jahr 2017 aufgehört hat – die Welt gleicht einem Comic.

Superman zum Selberbasteln. (Bild: Kringel/Panini)

Überall Hulks und vermeintliche Supermänner, dazwischen einige Wonderwomen, deren Superkräfte – verzeiht, Geschlechtsgenossinnen – auch nicht immer über allen Zweifel erhaben scheinen. (Selbst die gesellschaftlich notwendige #MeToo-Debatte wird zuweilen in einer kruden Comicsprache geführt, die aus lauter Sternen, Totenschädeln, Ausrufzeichen und Urrrgh oder Wow-Ausrufen besteht.)

Ich weiss ja nicht, ob Sie zu diesem Millionenpublikum gehören, welches die Nerd-Sitcom «The Big Bang Theory» (oder kurz: TBBT) ab und zu geschaut hat, aber ich schon. Die Serie begann ihren Siegeszug irgendwann in den Nullerjahren und wurde zum Überraschungserfolg, obwohl sie zumindest ihrer Form nach zu den Dinosauriern des Fernsehens gehört – eine Sitcom, die mit einer Lachkonserve unterlegt ist. Sie ist eine der letzten ihrer Gattung. Moderne Serien ticken ganz anders. Doch eines ist darin signifikant vertreten: die grosse Liebe der Nerds zu den klassischen Comics. 

Nerds, Comic, Big Bang Theory und wir: Eine Szene aus der CBS-Sitcom (via pinterest)

Da rieben sich die TV-Götter die Augen und verstanden nicht, warum alle Menschen rund um den Globus plötzlich nicht genug von sozial behinderten Computerfreaks bekommen konnten. Spätestens jetzt, zehn Jahre nach dem Start der ersten Folge, können wir die Wahrheit vielleicht aussprechen. Die TBBT-Nerds sind Brüder und Cousins dieser emotional verkümmerten Genies, die vom Silicon Valley aus unsere Wirklichkeit formen, unsere Algorithmen ersinnen und warme Luft in unsere Filter Bubbles blasen.

Das Lachen über sie erweist sich wieder einmal als eine wirksame Symptomlinderung bei Angst und Ohnmacht. Und die in der Serie beschriebene kindliche Vorliebe für einfach gestrickte Welt der Comics (sowie die ebenso kindlichen Allmachtsphantasien über Superpowers) gehören offensichtlich zu dieser glänzenden neuen Welt der Superhirne dazu.

Kein Gesicht und doch erkennbar: Tawan Wattuyas «Untitled (Trump Erased),» und «Famous Monster 4» (Courtesy The Lodge Gallery).

Aber eigentlich fragten wir uns, warum die Welt immer stärker einem plakativen Comic gleicht. Denn das tut sie, wenn man sich das Personal eines klassischen Comics vor Augen führt: Grössenwahnsinnige (und meist schizophrene) Good Guys stehen den noch grössenwahnsinnigeren (und meist paranoiden) Bad Guys gegenüber. Dazwischen absurd reiche Milliardäre und eine unkritische Menschenmenge, die mal den einen, mal den anderen zujohlt. Hand aufs Herz – kommt das Ihnen nicht bekannt vor?

Tawan Wattuya, «Monsters, Villains & Hellbent Politicians» (Courtesy The Lodge Gallery).

Mir schon, und darum war ich vor wenigen Tagen hocherfreut, auf das Werk des Künstlers Tawan Wattuya zu stossen. Tawan schreibt so über sich selbst: «Meine Heimat ist Thailand. In meiner Arbeit kann ich mich dem Sog von Politik und Gewalt nicht entziehen. Bei der Vorbereitung meiner ersten Einzelausstellung in den USA malte ich, wie das so meine Art ist, zur Entspannung, viele Aquarellbilder von alten Filmmonstern. Gleichzeitig entstanden mir unter der Hand seltsame Bildnisse von Politikern. Dann ging ich noch weiter – ich verschmolz einige Monster mit den Politikern. Die Monster und die Politiker – sie sind alle Monster.»

Tawan Wattuya, «Monsters, Villains & Hellbent Politicians» (Courtesy The Lodge Gallery).

Natürlich erkennt man, wer da gemeint sein könnte. Wladimir, Donald, Bashar al-Assad, Robert Mugabe, «Rody» Duterte, sogar der sauber gescheitelte Jared Kushner – ehrlich gesagt, verblassen neben diesen Fratzen die Klassiker Dracula, Frankenstein & Co. Neben den wahren Übeltätern, den machtgierigen und mörderischen Potentaten, erscheinen einem die Comicmonster geradezu niedlich.

Wattuyas ganzes, so wunderbar aufs Papier gezaubertes Universum ist spielerisch, voller Farbe, wild fantasierend, komisch und auf eine kindliche Art subversiv, kurz: höllisch gut.

Sympathisch geht anders: Holbeins Porträt des Heinrich VIII. (auf Schloss Belvoir in Leicestershire), Goyas Bildnis der Familie von Carlos IV. (im Prado, Ausschnitt).

Die Darstellung der verrückten Könige, Diktatoren und anderer machthungriger Monster ist natürlich nicht neu. Früher geschah das etwas diskreter.  Auch wenn die Porträts zu Repräsentationszwecken eingesetzt wurden, haben sich die Maler erlaubt, die monsterhaften Züge der Monarchen ihrem Pinsel anzuvertrauen. Etwa im berühmten Holbein-Bildnis des englischen Monarchen Heinrich VIII.

Der für seinen Frauenverschleiss bekannte Tyrann  war so etwas wie ein Vorläufer des Brexit-Denkens, masslos, misstrauisch, depressiv, rücksichtslos in der Zerschlagung der nicht anglikanischen Kirchenkultur. Und Holbeins Bild zeigt das alles: Aufgedunsenes Gesicht, rücksichtsloser Blick, zusammengepresste Lippen, bullige Grätschstellung der Beine – sympathisch geht anders.

Oder Francisco Goyas unerbittliches Porträt der spanischen Königsfamilie: das stumpf dümmliche Gesicht von Carlos IV., die boshaft stechenden Augen der Königin Maria Luise.  «Wie ein Bäcker und seine Gemahlin nach einem Lotteriegewinn», schrieb ein Kritiker damals.

«Despots with Photoshop»: Augustin Rebetez’ Ausstellung bei Nicola von Senger, Zürich.

Jüngstes Beispiel aus der Schweiz ist das Werk des jurassischen Künstlers Augustin Rebetez, das ich noch letztes Jahr in der Galerie Nicola von Senger gesehen habe. «Despots with Photoshop» heisst die grossartige Bildserie, die in ihrem Titel schon klarmacht, wie den Diktatoren zu Leibe gerückt wurde.

 Interessant, dass die in Kunst gepackte Verhöhnung der Mächtigen uns wieder nötig erscheint. Es kann nur einen Grund dafür geben: Wir trauen unserer demokratischen Befugnis, die Welt mitzugestalten, nicht mehr so recht. Die Machtfülle der Allermächtigsten ist grösser geworden, und wir können nicht viel mehr tun, als ihnen – dank der Kunst – den Vogel zu zeigen.