#metoo in der Kunst

Ewa Hess am Mittwoch den 25. Oktober 2017

Die Affäre Harvey Weinstein schockt: Die sexuelle Gewalt gegen Frauen scheint in unserer Gesellschaft immer noch auf der Tagesordnung zu sein. Sie wird bagatellisiert, toleriert und, auch wenn angezeigt, kaum geahndet. Man sagt jetzt, die Wurzel des Übels liege in den freizügigen 1970er-Jahren, als Frauen zu belästigen als ein Kavaliersdelikt galt.

Schaut man sich aber in der Kunstgeschichte um, so findet man eine grosse Anzahl heroisierender Darstellungen der auf Kosten der Frauen betriebenen Machtpolitik. Die Wurzel des Übels, ahnt man, liegt nicht nur in den «roaring seventies», sie ist in die kulturellen Codes unserer Zivilisation fest eingeschrieben.

Sieht alles freundlich aus, doch was heisst hier eigentlich «Raub»?
Und warum läuft dem als ein Stier verkleideten Zeus ein Speichelfaden von der begehrlichen Zunge herab? Simon Vouet, «Der Raub von Europa», 1640.

Aber kann man die Gegenwart dadurch verbessern, dass man vergangene Sünden verschleiert? Sicher nicht. Im Gegenteil, erst die Auseinandersetzung mit den Codes, die wir nicht mehr als selbstverständlich anzusehen bereit sind, führt zur Reflexion und setzt eine Entwicklung in Gang.

Ich habe mich im visuellen Erbe der westlichen Kunstgeschichte umgesehen – erschreckend, wie zentral Vergewaltigung und andere Arten von sexueller Gewalt gegen Frauen in Gründungsmythen, Mythologien und Legenden eingeschrieben sind. Es ist verblüffend, wie explizit diese Verbrechen dargestellt werden, und erstaunlich, wie sehr wir uns an diese Bilder als einen Teil unserer Kultur gewöhnt haben.

Sieht eher nach Vergewaltigung aus: Peter Paul Rubens’ «Der Raub der Proserpina», 1636-1638, zeigt, wie der Unterweltgott Hades sich die Tochter der Demeter schnappt. Er hält sie anschliessend in seinem Reich unter der Erde gefangen: die mythologische Erklärung für den Winter.

Alle die Bilder, die sich «Raub von…» nennen und die auf Englisch «Rape of…» heissen, was stellen sie eigentlich dar? Das Wort «Raub» ist eine Übersetzung des lateinischen «Raptio» und wird im Englischen eben als «Rape» – Vergewaltigung – wiedergegeben. Neuere Übersetzungen kaprizieren sich auf «Abduction», was mehr in die Richtung des Raubs, also einer Entführung, geht. Doch bleiben alle diese Vorgänge kontrovers, und schaut man sich die Bilder mal richtig an, so bleibt wenig Zweifel, was da eigentlich dargestellt ist.

Liebeswerben sieht anders aus: Pietro da Cortona, «Ratto delle Sabine», 1627/28.

Die Sabinerinnen etwa, deren Entführung und «Domestizierung» in Rom zum Gründungsmythos der ewigen Stadt gehören: Alle die Darstellungen von nackten oder halb nackten, schreienden Frauen, die von berittenen Brutalos verschleppt werden, lassen keine friedliche Interpretation zu.

Die entführten Sabinerinnen, die in die von männlichen Kriegern, Flüchtlingen und Abenteurern bevölkerte Stadt Rom verbracht wurden, sollen sich laut Überlieferung später auf dem Schlachtfeld für ihre Entführer verwendet haben – klar, weil sie mittlerweile Kinder mit ihnen hatten (und wohl kaum mit einem begeisterten Empfang zu Hause rechnen durften). Ein klarer Fall vom frühen Stockholm-Syndrom.

Es ist eine sinistre Geschichte und bis in die Zeit Picassos ein äusserst beliebtes Motiv der Malerei. Nicolas Poussin, Pablo Picasso, selbst der Tänzerinnenmaler Edgar Degas haben sich an der «wertfreien», manchmal sogar glorifizierenden Darstellung dieser Massenvergewaltigung geübt.

Pablo Picasso, die Serie «Der Raub der Sabinerinnen» 1962/63. Der Spanier macht die brutale Wahrheit sichtbar (Pro Litteris).

Man könnte sich fragen, ob diese Darstellung des «äusseren Scheins» statt des inneren Dramas deswegen so vorherrschend war, weil da vor allem männliche Maler den Pinsel geschwungen haben.

Wenn man das Bild «Susanna und die beiden Alten» von Artemisia Gentileschi anschaut, ist die Perspektive etwas verändert. Die Spanner wirken darin nicht heroisch, sondern schmierig. Die Geschichte weist zudem freundlicherweise ein Happy End auf: Die von den Würdenträgern bedrängte Susanna kann sich erstens ihrer Avancen erwehren, und zweitens entgeht sie dank der unabhängigen Zeugenbefragung der ihr angedrohten Todesstrafe.

Schmierige Spanner am Werk: Artemisia Gentileschi, «Susanna and the Elders», 1610.

In den modernen  Werken von Frauen verschiebt sich der Fokus von der bei den Männern im besten Falle «objektiven» Darstellung des Verbrechens zum Ausdruck der inneren Verzweiflung der Opfer als dem Hauptthema.

In Frida Kahlos Bild «Einige kleine Dolchstösse» thront der Mann zwar aufrecht und beinahe heldisch über der von ihm massakrierten Frau, doch das Bild wirkt wie ein Hilfeschrei, der versehrte Körper der Frau ist entsetzlich anzusehen, und die Künstlerin hat sogar den Rahmen mit Blutflecken besudelt – es ist schwierig, Distanz zum Geschehen zu wahren.

Ein Bild wie ein Hilfeschrei: Frida Kahlo, «A Few Small Nips», 1939 (Museo Dolores Olmedo).

In den 1970er-Jahren (ja, auch damals wusste man schon, was Sache war) sah man dann Arbeiten von Künstlerinnen, welche den ganzen inneren Schrecken der sexuellen Gewalt aufzeigten und auf die psychischen Konsequenzen bei Frauen hinwiesen.

Etwa die Performance «Ablutions» von Suzanne Lacy (gemeinsam mit anderen Künstlerinnen): Frauen auf der Bühne führen darin ein langes Ritual der versuchten Waschung nach einer Vergewaltigung, während eine Stimme detaillierte Berichte über den Hergang des Verbrechens vorliest. Die Frauen baden in Eiern, in Blut, in Lehm, und trotz aller Anstrengungen können sie ihre Traumatisierung nicht ablegen. Man wickelt sie am Schluss wie Mumien in Tücher ein, ein Bild der inneren Erstarrung, das vom schrillen Schlusssatz unterstrichen wird: «Ich fühlte mich so hilflos, ich konnte nichts machen, nur dort liegen bleiben».

Kann man die Traumatisierung abwaschen? «Ablutions» (1972) von Suzanne Lacy, Judy Chicago, Sandra Orgel und Aviva Rahmani (Courtesy Suzanne Lacy).

Die Fotografin Nan Goldin hat etwas später, in den 1980er-Jahren, eine ambivalentere Darstellung der sexuell gefärbten Gewalt geschaffen mit ihrem berühmten Foto «Herzförmige Verletzung». Es strahlt eine traurige Wahrheit aus über die Natur der Leidenschaft – die Gewalt liegt nahe. Man weiss hier nicht, ob es aufgrund eines Angriffs zur Verletzung kam. Weder sind Männer in diesem Bild siegreiche Unterdrücker noch die Frau ein hilfloses Opfer. Die Serie, aus der das Bild stammt, heisst übrigens «Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit».

Ambivalent: Nan Goldin, «Heart Shaped Bruise», 1980 (© Nan Goldin, Courtesy Matthew Marks Gallery NYC).

Das Problem der neuen internen Sicht auf das Verbrechen war nämlich das: Die Frau wurde auf ihre Opferrolle fixiert. Es war die Zeit, in der sich Frauen oft als versehrte Körper darstellten (Cindy Sherman, Maria Lassnig und andere).

Mir gefällt darum das Werk «Rapture» von Kiki Smith ganz gut, die Skulptur einer triumphierenden Frau. Der Angreifer, hier als ein Wolf dargestellt, liegt ihr zu Füssen. Es ist zwar wieder eine heroische Darstellung der sexuellen Gewalt, doch die Heldin ist diesmal das vermeintliche Opfer. Sie hat sich nicht nur des Angreifers, sondern auch ihrer Opferrolle entledigt.

Als Symbol kann es nicht nur den individuellen Sieg einer Angegriffenen darstellen, sondern auch eine Gesellschaft andeuten, in der diese Art von hässlicher Gewalt überwunden sein könnte.

Heroisches Opfer: Kiki Smith, «Rapture», Bronze, 2001 (©Kiki Smith, via Wikiart).

Kunst ist der neue Schweinebauch

Ewa Hess am Mittwoch den 18. Oktober 2017

Anlässlich der Londoner Kunstmesse Frieze hat die britische Zeitung «Guardian» einige Künstler gefragt, was ihnen gerade am meisten Anlass zur Sorge gibt. (Frieze ging ja letzte Woche zu Ende. Laut den Berichten von Galeristen war 2017 eine gelungene Ausgabe. Man habe das Gefühl, der Brexit-Schock sei vorbei und der Londoner Kunstmarkt sei «its old merry self again»). Die Antworten, welche die Künstlerinnen, Künstler und eine Handvoll Kuratoren dem «Guardian» gaben, bestätigen eigentlich diese Auskunft: Dem Markt geht es gut. Ob es aber auch den Künstlern in dieser Situation gut geht? Unklar.

Worüber machen sich Künstler Sorgen? «Der Denker» von Rodin im Garten des Musée Rodin in Paris. Bild via pinterest

Seltsamerweise gelten die Sorgen vieler Künstler gerade diesem soliden Zustand des Kunstmarkts. Der permanente Kapitalzufluss bringt ihre künstlerische Identität in eine schiefe Lage: GB-Künstlerin Tacita Dean sagt, dass das an ihr nage, dass sie einerseits vom Markt abhängig sei, andererseits aber ihre Kreativität vor ihm schützen müsse. Stefan Kalmar, Direktor des Londoner ICA, sorgt sich darum, ob er die Hand beissen darf, die ihn füttert. Und Touria El Glaoui, die Gründerin einer afrikanischen Kunstmesse, fragt: «Wie können wir uns treu bleiben und gleichzeitig im kommerziellen Markt überleben?»

Kein Zweifel: Die andauernde Stärke des Kunstmarktes hat die Kunst in eine Ressource verwandelt, vergleichbar mit Rohöl oder Schweinebauch. Man kauft sie als Anlage, und jede Bank, die etwas auf sich hält, beschäftigt mittlerweile einige Kunstportfolio-Berater. Für die Künstler heisst es nichts anderes, als dass ihre Kreativität «angezapft» wird. Solange sie noch jung sind, wird die Qualität ihrer «Rohkunst» gemessen, ihre künftige Preisentwicklung extrapoliert, und dementsprechend werden die «Tanks», ob zu Hause bei den Sammlern, in der Aufbewahrungskammer einer Bank oder im Freilager, mit ihren Werken bestückt. Der Künstler bleibt ermattet in seinem Atelier zurück – und fühlt sich womöglich wie ein leerer Brunnen.

Ist Kunst das neue Schweinefleisch? Gustave Caillebotte, «Nature morte», Ölgemälde, 1882.

Lustigerweise gab es kürzlich in der «New York Times» eine Reportage, die diese Sorge der Künstler etwas zerstreuen könnte. Denn, liebe Künstler, keine Angst! Die Kunst schlägt zurück. Es ist der Kunst nämlich in die Gene geschrieben, dass sie sich nicht vereinnahmen lässt. Schliesslich war sie schon immer in Gefahr, am Hofe der Mächtigen und der Reichen nur noch den Narren zu geben – über all die Jahrhunderte widerstand sie, und es gibt keinen Grund, wieso das jetzt plötzlich anders werden sollte.

In diesem Artikel also beschreibt Kollege M.H. Miller einige Sammler, die Werke mit Aussicht auf ihre Wertvermehrung gekauft haben, sie in ihrem Zuhause aufnahmen, zunehmend eine Beziehung zu ihnen aufbauten, schlussendlich aber komplett unter ihre Fuchtel gerieten. Die Kunstwerke verlangten immer mehr von ihren Besitzern – eines von ihnen zwingt den Sammler, den smarten Manhattan-Banker Paul Leong etwa, genetisch veränderte viereckige Wassermelonen züchten zu lassen, ein anderes besetzt ein ganzes Zimmer der Wohnung, das sich allmählich in ein immer gefährlicheres Chaos verwandelt usw. usf.

Max Hooper Schneider, «Genus Watermelancholia», 2014, genetisch veränderte  quadratische Wassermelone, Bildrechte: der Künstler und Jenny’s, Los Angeles; Foto: Michael Underwood

Was zeigt, dass die Kunst sich schon noch zu wehren weiss und dass die Künstler, die am Morgen mit dem bangen Gedanken aufwachen: «Oh mein Gott, und was mache ich, wenn jemand mein Kunstwerk aus den falschen Gründen kaufen will?», sich die falschen Sorgen machen. Überhaupt, was mich am meisten bei der Umfrage des «Guardian» erstaunte, war, dass keiner der Gefragten gesagt hat: «Meine grösste Sorge gilt dem unfertigen Kunstwerk in meinem Atelier.» Gibt es das nicht mehr, das Ringen um die Kunst? Von ihrer Stärke hängt doch ab, ob sie dem Marktgedanken Paroli bieten kann.

Eine Installation von Jeremy Deller an der Biennale Venedig 2013. «A Good Day for Cyclists», Jeremy Deller, 2013. Courtesy British Council. Photograph Cristiano Corte

Die beste Antwort hat sowieso der britische Künstler Jeremy Deller gegeben, ich mag den Kerl. Seine war auch die kürzeste Antwort: «WTF?» – What the fuck? In der Tat, eine Frage, die sich jeder Künstler jeden Tag aufs Neue stellen sollte. Was zum Teufel ist los? Was zum Teufel ist mit mir und der Welt um mich herum los? Und wie kann ich daraus gute Kunst machen?

What the fuck?, ich will es mir merken. Es würde auch mir nicht, und auch keinem von uns, schaden, sich jeden Morgen dieses dringende WTF? um die Ohren zu schlagen.

Cindy Sherman im Schrank

Ewa Hess am Mittwoch den 11. Oktober 2017

Kunst und Mode sind ein Traumpaar. Sind sie es wirklich? Man kann es auch anders sehen. Ich sehe es anders. Ich beobachte, wie sie sich immer näher kommen: Mode und Kunst, Kunst und Design, bah, sogar Kunst und Innenarchitektur verschmelzen – Stichwort «installativ». Da ist nichts zu machen, das ist nun mal so, und der Prozess wird wegen mir wohl kaum einen Stopp einlegen. Im Gegenteil, die diesjährigen Fashion Runways zeigen ein direkt inflationäres Auftreten der Kunstsujets auf Rock und Bluse. Werfen wir einen kritischen Blick darauf.

Links ein Kleid aus Diors Spring/Summer-2018-Kollektion, rechts das Vorbild – ein Werk von Niki de Saint Phalle. (Bild via Nssmag)

Dior und Niki de Saint Phalle

Niki de Saint Phalle, die Schöpferin der farbenfrohen dicken Nanas, war ja eine geborene Catherine-Marie-Agnès Fal de Saint Phalle (1930–2002), darum verwundert es kaum, dass sie ihre aristokratische Seele irgendwann zu den Dior-Kleidern zog, trotz des Bohème-Lebens, welches sie als Künstlerin führte. Die Halbamerikanerin war eine aparte Erscheinung und man sieht auf Fotos, wie sich der Dior-Chefdesigner Marc Bohan in den 1980er-Jahren bei den Haute-Couture-Anproben mit der Exzentrikerin amüsiert.

Niki de Saint Phalle 1982 bei Anproben mit Dior-Chefdesigner Marc Bohan, rechts der für sie entworfene Schlangenhut. (© Dior)

Daran möchte die aktuelle Dior-Designerin Maria Grazia Chiuri anknüpfen und macht die Zeichensprache der Künstlerin Saint Phalle zum Ornament auf den Kleidern. Das Thema «Frauen als Künstlerinnen» brennt der Dior-Kreativchefin in der Seele, und man kann das gut verstehen. Bestimmt fühlt sich die erste Frau an der Spitze des legendären Couture-Hauses etwas einsam unter alle den männlichen Starschneidern der Welt. Sie lässt es bei den Saint-Phalle-Motiven nicht bewenden, nein, sie schreibt noch den Slogan der US-Feministin Linda Nochlin «Why Have There Been No Great Women Artists» von 1971 auf eines ihrer bretonischen Matrosenleibchen (kommen diese eigentlich nie aus der Mode?).

Drachen im Werk, Drachen auf Kleid: Aus der aktuellen Dior-Kollektion. (© Dior)

Das ist alles löblich, verständlich, verträgt sich gut mit dem neu entdeckten Chic-Appeal des Feminismus, aber…  ist eine Dior-Robe nicht etwas Wunderbares auch ohne Kunst darauf? Mir kommt es vor, als ob diese Marriage zwischen Couture und Kunst die beiden nur degradieren würde: Dior-Kleider werden zur «Unterlage für Muster» und Saint Phalles Motive zum «Ornament auf den Kleidern». Ich weiss, Niki de Saint Phalle hat selbst mit dem Blödsinn angefangen, indem sie sich von Bohan den Schlangenhut nach dem Vorbild ihrer Skulpturen machen liess und ein nach ihr benanntes Parfüm verkaufte. Ich finde sie allerdings erfrischender als blutjunge Debütantin in einem komplett unehrgeizigen Outfit der New Yorker Modedesignerin Ceil Chapman (Bild unten).

Links das Linda-Nochlin-Matrosenshirt aus der aktuellen Kollektion, rechts die Künstlerin Saint Phalle als amerikanische Debütantin in einem Outfit von Ceil Chapman. (Bilder © Dior, via Pinterest)

Prada und Comics/Mangas von Frauen

Miuccia Prada, wir kennen sie, würde sich (und den von ihr angekleideten Frauen) natürlich niemals «Feministin» auf die Brust schreiben (remember Beyoncé?). Nicht, weil sie etwa den Feminismus nicht gut fände. Nein, weil sie so etwas Plakatives bestimmt als grob empfinden würde. Ihre Frühlingskollektion 2018 zeigte während der Mailänder Fashion Week Kleider, die subtiler an das Thema gehen.

Runway mit weiblichen «Wham Bumm !?!!» (© Prada)

Sie hat sich junge Illustratorinnen herausgepickt, deren grafische Beschäftigung mit Comic, Sci-Fi und Manga-Stereotypen auf eine für Frauen besonders unterstützende Weise geschieht. Die Ladys heissen: Brigid Elva, Jöelle Jones, Stellar Leuna, Giuliana Maldini, Natsume Ono, Emma Rios, Trina Robbins und Fiona Staples – so viele Namen! Ihre Kreativität ziert jetzt diverse Kreationen aus dem Hause Prada und verhilft den sie tragenden Frauen zum Superwoman-Selbstbewusstsein (im besten Fall, natürlich).

Weibliche Kreativität und Empowerment auf dem Kopf und auf dem Rücken. (© Prada)

Was mir besonders gut am Prada-Approach gefällt, ist, dass das Modehaus auch eine historische Position berücksichtigt, nämlich die «Miss Fury» von Tarpé Mills. Hinter dem neutralen Namen Tarpé Mills versteckte sich nämlich eine Frau, sie hiess eigentlich June Mills und hat 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, ein erstes von einer Frau gezeichnetes rein weibliches Action-Heldinnen-Duo kreiert. Die für das Gute kämpfende Weltreisende Miss Fury und ihre Gegenspielerin Baroness Erika von Kempf

Die Comiczeichnerin Tarpé (June) Mills und ihre elegante Miss Fury (via Talking Comics, Goodreads).

Die von einem Mann gezeichneten Wonderwoman und Catwoman sind zwar ungefähr zur gleichen Zeit entstanden, doch waren am Anfang noch nicht so definiert.  So hat Catwoman ihr später dazugekommenes schickes Catsuit definitiv der eleganten Miss Fury abgeschaut. Tarpé Mills war ja ursprünglich Modezeichnerin, was man ihrem Strich ansieht. Lustigerweise erinnert mich ihre Miss Fury auch sehr an Niki de Saint Phalle, die mit Flintenschüssen auf eine Leinwand ihren Eintritt in die Kunstwelt erzwang.

Kampf fürs Gute: Miss Fury und ihre spätere Schwester im Geiste, Niki de Saint Phalle (via Pinterest).

Undercover und Cindy Sherman

Das japanische Label Undercover, das ist hauptsächlich der mysteriöse Jun Takahashi. Undercover gibt es schon 25 Jahre, und in Tokio ist Takahashi bekannt als Besitzer des Kultladens Nowhere, wo er auch T-Shirts mit geheimnisvollen Buchstaben und Zeichen feilbietet.

Der mysteriöse Kreative: Jun Takahashi und das Innere seines Concept Stores «Nowhere» in Tokio. (Bilder Dazed and Confused)

Takahashi steht in der Tradition des (von John Waters geliebten) anderen japanischen Labels, Comme des Garçons. Das heisst nichts anderes, als dass auch Undercovers Kleider grosse Seltsamkeiten an den Tag legen. In den letzten Modeschauen schickte der Japaner aufwendige Barockgebilde auf den Laufsteg. Sodass der gegenwärtige Flirt Takahashis mit dem Werk von Cindy Sherman, der in gut tragbaren Hängerkleidchen mündet, eigentlich schon ein Schritt in Richtung Normalität ist.

Prinzip Zwilling: Cindy Sherman auf Kleid. (© Undercover)

Einige Kleider tragen einfach Shermans Selbstporträts als Drucke. Und doch ist der Umgang Undercovers mit dem Kunstthema insgesamt inspirierter als derjenige von Dior. Es ist eben nicht nur die abgründige Fotografin Sherman, die hier zitiert wird. Es ist vielmehr die ganze Welt des Abgründigen, die hier in Anspielungen und Inszenierungen herangezogen wird – das gefällt mir schon besser. So ist etwa der grosse Filmmagier Stanley Kubrick nicht weit – vor allem sein Film «The Shining».

Rechts die unheimlichen Grady-Zwillinge aus «The Shining» als Vorbild für die Undercover-Modeschau (links). (Bilder via Thecut)

Die Kleidchen werden in der Modeschau von finster dreinblickenden Zwillingen vorgeführt. Damit sind die berühmten Grady-Zwillinge aus «The Shining» evoziert, aber auch eine andere wunderbare Fotografin, Diane Arbus, – denn Kubricks Vision der Schwestern war von einem Foto Arbus’ nachweislich inspiriert. Um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, präsentiert Takahashi in seinem Fashion-Finale echte Zwillinge in blauen Kleidchen, von welchen eins rote Kordeln als Verzierung trägt. Iiiiii – Blut, haben wir etwa schon Halloween?

Links Diane Arbus’ berühmte Fotografie der Zwillingsschwestern aus Roselle, New Jersey, rechts Kubrik. (Bilder via Pinterest)

So kann man die Undercover-Show eigentlich als so etwas wie eine Seminararbeit zur Welt von Cindy Sherman begreifen. Mit allen Assoziationen und Einflüssen der Künstlerin in Form von visuellen Fussnoten in die Kollektion eingewoben.

Wahlverwandtschaften: Cindy Sherman, Untitled #359 (2000); courtesy Moma, und Diane Arbus, «Woman Wearing A Mask», 1967, via Pinterest.

Comme des Garçons und Arcimboldo

Takahashi hat es gut gemacht. Aber natürlich konnte seine Mentorin und Lehrmeisterin, die grosse Rei Kawakubo von Comme des Garçons, die Sache mit den Kunstreferenzen nicht einfach so auf sich beruhen lassen. Sie ist eigentlich die kunstsinnigste der Modemacherinnen, schon immer gewesen. Jetzt durfte sie auch nicht fehlen.

In der Tat: In einer Modesaison, die derart kunstversessen ist wie der Frühling 2018, hat Kawakubo einfach die ganze Kunstgeschichte in Kleider umgesetzt: Vom 16. Jahrhundert bis zur Street Art. Und zwar nicht nur als «Druck auf Kleid», sondern in ihrer skulpturalen Art: 3-D. Sie überträgt die flachen Bilder in dreidimensional bewegte Formen der Kleider und Mäntel. Ihre Stoffe sind nicht nur mit Motiven aus Gemälden bedruckt, etwa des Spätrenaissance-Italieners Giuseppe Arcimboldo (das ist der, welcher die Porträts von Menschen aus Gemüse sampelte). In Kawakubos Interpretation wird ein solcher Gemüseberg zum mobilen Kunstspektakel. Die ganze Sache noch weiter treiben könnte man höchstens, wenn man die Kleider aus Gurken und Auberginen kochte.

Rechts Giuseppe Arcimboldos Porträt aus Gemüse, links eine Kreation von Comme des Garçons. (Bild via Artnetnews)