Das ist vielleicht eine Überraschung! Thomas Koerfer, der Sammler mit dem sinnlichen Auge, trennt sich von seinen fotografischen Blue Chips. Da ist sich Christie’s ganz sicher. Mit stolz geschwellter Diktion berichtet das Auktionshaus, am 9. November in Paris DAS Werk verkaufen zu dürfen: «Noire et Blanche» von Man Ray, entstanden 1926. Aus der Sammlung von Thomas Koerfer. Tatsächlich scheint ein grosser Teil der Fotografien Koerfers in dieser Versteigerung unter den Hammer zu kommen. Nicht weniger als 74 Lose. Die insgesamt eine schöne Summe einbringen könnten. Allein Man Rays Frau mit Maske wird auf bis anderthalb Millionen Euro geschätzt.

Ein Foto aus Nobuyoshi Arakis Serie «Bondage», ein Teil von Thomas Koerfers Sammlung. (Bild: courtesy Araki)
Die Sammlung Thomas Koerfers ist hierzulande alles andere als unbekannt. 2015 stellte sie das Kunsthaus Zürich unter dem poetischen Titel «Sinnliche Ungewissheit» aus. Da ist ein Verkaufshaus wie Christie’s weniger zimperlich, man nennt den Verkaufsabend etwas zupackender «Stripped bare», was so etwas wie «Entblösst» heisst. Den Titel hat man allerdings dem Buch entliehen, welches 2004 zu Koerfers Sammlung erschien (Hgb: Marianne Karabelnik). Denn die Sammlung Koerfers, zu der nicht nur Fotos, sondern auch ganz viele Kunstwerke gehören (die in der Christie’s Sale im November nicht veräussert werden, oder sollte man sagen: noch nicht veräussert werden?), hat es in sich. Den Sammler interessiert es, wie weit ein Kunstwerk selber zu einem Träger erotischer Spannung werden kann. Eine heisse Sache.

Andy Warhols «Blue Movie», ursprünglicher Titel «Fuck», auch in der Sammlung Koerfer, gelangt im November nicht zum Verkauf bei Christie’s. (Bild: Screenshot)
Wie heiss, zeigt folgende Anekdote: Das Kunsthaus musste damals die Ausstellung hinter verschlossenen Türen inszenieren. Darauf stand: Zutritt ab 16 Jahren. Ich selbst war damals mit einer Gruppe Teenies drin, es gab sehr viel Gekicher. Dabei: Bis die heutigen Teenies verlegen kichern, braucht es bekanntlich einiges. Ich deutete das damals positiv in meiner Kurzbesprechung – dass nur gute Kunst diese fast unerträgliche, nach Übersprungshandlung verlangende Spannung vermitteln kann. Die Pornografie schlägt diese ja tot.

Man Ray (1890–1976), Noire et Blanche, 1926, Schätzpreis: € 1’000’000–1’500’000 (via Christie’s, © Pro Litteris).
Das Man-Ray-Foto, das zu verkaufen Christie’s nun so stolz ist, ist zwar kein gutes Beispiel für diese supersinnliche Qualität. Es ist sublim, leise, dafür exquisit erotisch. Wir sehen den Kopf der berühmten Kiki, der Muse der Künstler von Montparnasse, und ihre Hand, die eine afrikanische Maske hält. 1926 entsprach das Motiv genau dem, was gerade angesagt war: das unergründlich Weibliche und das unergründlich Exotische. Wussten Sie, dass der berühmte Spruch Freuds von der Psyche der Frau als einem «dunklen Kontinent» genau aus dem gleichen Jahr wie das Bild stammt? 1926 nämlich. Nur wenige Jahre zuvor hat der Forschungsreisende Henry Morton Stanley den Begriff «dark continent» überhaupt geprägt. Er meinte damit natürlich Afrika.

Kiki de Montparnasse – links in einer zeitgenössischen Fotografie, etwas weniger glamourös den Kopf auf die Tischplatte stützend, rechts in einer weiteren berühmten Inszenierung von Man Ray: «Le violon d’Ingres». (Bilder: L’oeuil de la Photographie, © Pro Litteris)
Kiki de Montparnasse, eigentlich Alice Prin, war selber Künstlerin, Performerin, eine Figur mit Charakter. Auf «Noire et Blanche» erscheint sie vor allem als eine Chiffre – das strahlend weisse Gesicht neben der tiefschwarzen Maske. Ihre Augen sind zu, ihre Haut schimmert, die dünnen Augenbrauen zeigen wie kühne Ornamente nach oben. Ein grossartiges Bild. Dieser Vintage Print gehörte übrigens zuerst Jacques Doucet, einem raffinierten Modedesigner in Paris dieser Jahre. Zusammen mit den Desmoiselles d’Avignon von Picasso. Eine Provenienz, die den alten Fotoabzug zusätzlich adelt.

Diane Arbus’ Zwillinge aus Roselle in New Jersey – der Vintage Print wird auf eine halbe Million Euro geschätzt. (Bild: Christie’s)
Ausser der «Noire et Blanche» verkauft Christie’s noch einige Schätze aus der Fotoschatzkiste Koerfers: die identischen Zwillingsmädchen aus Roselle, New Jersey, von Diane Arbus (geschätzt auf eine halbe Million Euro) und zeitgenössische Werke von Thomas Ruff, Cindy Sherman, Nobuyoshi Araki, Robert Frank, Francesca Woodman oder Paul Outerbridge. Ach, möchte man da sagen. Lauter Meisterwerke – und man ist gerade nicht so supergut bei Kasse.
Warum verkauft Koerfer? Der geschätzte Filmregisseur und Sammler (73) stammt aus einer begüterten Familie. Sein Vermögen wird auf etwas zwischen 100 und 200 Millionen geschätzt. Bestimmt kann sich Thomas Koerfer den einen oder anderen Wunsch erfüllen, ohne die Blue Chips seiner Sammlung zu verscherbeln. Aber vielleicht ist es Familientradition? Sein Vater Jacques, Zigarettenfabrikant, BMW-Teilhaber, Financier und Liebhaber von Kunst der klassischen Moderne, hat die von ihm zusammengebrachte Sammlung von Mondrians, Manets, Van Goghs usw. auch bei Christie’s versteigern lassen. Er wollte nicht, dass sich seine acht Kinder um die Werke streiten. Allerdings hat er den Verkauf testamentarisch verfügt, damit er erst nach seinem Tod geschehe. Die Auktion fand 1990 statt und erbrachte 158 Millionen Dollar.

Thomas Koerfer mit Partnerin und Galeristin Frédérique Hutter (Galerie Katz Contemporary) vor zwei Wochen auf dem Cover einer «NZZ am Sonntag»-Beilage.