Verzweifelt gesuchte Pferde

Ewa Hess am Mittwoch den 22. März 2017

Es gibt Ausstellungen, die der Fernsehsendung «Aktenzeichen: XY … ungelöst» ähneln. Man bittet darin das geschätzte Publikum um zweckdienliche Hinweise, die vielleicht zur Aufklärung eines kriminellen Rätsels führen!

Ein Phantom von einem Bild: Kopien des verschollenen Franz-Marc-Gemäldes «Der Turm der blauen Pferde». Fotos: Wikipedia, Haus am Waldsee

Es geht um den «Turm der blauen Pferde» von Franz Marc. Marc ist ein begehrter Name, und in der Schweiz war er in der letzten Zeit besonders präsent. Erstens gab es die fantastische Wiederentdeckung in der Fondation Beyeler. Auch im Kunstmuseum Bern lockt aktuell die Neuhängung der Sammlung mit einem schönen, blauen Pferdehintern.

Der Katalog der Ausstellung bei Beyeler, das Berner Pferd. Fotos: Kunstmuseum Bern, Verlag Hatje Cantz

Dennoch: Dieses eine Bild von Marc haben wir weder dort noch sonst irgendwo gesehen. Das legendäre, geheimnisumwitterte, einzige, das wunderschöne kristalline Ornament von übereinandergelagerten Pferdeschnauzen und -körpern, der «Turm der blauen Pferde», ist nämlich inmitten der Kriegswirren verschwunden und immer noch nicht aufgetaucht. Gerade machen zwei Ausstellungen in Deutschland (in Berlin und München) das nur vom Hörensagen und dank einer früh angefertigten Kopie bekannte Meisterwerk zum Thema. Und sie gehen noch weiter: Sie senden einen Appell an alle: Helft uns, das Bild zu finden!

Franz Marc, einzelnes, blaues Pferd. Foto: Pinterest

«Missing. Der Turm der blauen Pferde by Franz Marc» nennt sich (wohl der grösseren weltweiten Sichtbarkeit wegen auf Englisch) die Schau im Haus am Waldsee in Berlin. Hier sind Werke von zeitgenössischen Künstlern als eine Hommage an das verschwundene Bild zu sehen. Der zweite, historische Teil der Inszenierung findet in der Pinakothek der Moderne in München statt.

Zwei Ausstellungen für ein nicht vorhandenes Bild, das könnte man für zu viel des Guten halten. Doch die Aura, die das geheimnisvolle Werk umgibt, rechtfertigt das Vorgehen. Das Beste daran: dass man nach zweckdienlichen Hinweisen fragt. Denn irgendwo muss das Bild ja stecken! Neuerdings sagt man: in Russland. Noch vor kurzem vermutete man es in einem Bankschliessfach an der Zürcher Bahnhofstrasse.

Beliebte «Entartete Kunst»: Schlange vor dem Eingang, Hitler und Göring bewundern die konfiszierten Bilder. Fotos: Redwitchart, Pinterest

Besonders sinnvoll, dass die Schau im Haus am Waldsee in Berlin stattfindet. Hier hat es nämlich 1948 der Autor Joachim Nawrocki gesehen. Die Echtheit des Bildes bestätigte später der Kunstprofessor Edwin Redslob, der es sogar mit Erlaubnis der sowjetischen Besatzungsmacht begutachtete. Und genau hier, in der in den 20er-Jahren im englischen Stil erbauten Villa in Berlin-Zehlendorf, hatte während des Kriegs die Reichsfilmkammer ihren Sitz. Es gibt Zeugen, die sahen, wie Göring sich dort amerikanische Filme hat vorführen lassen. Als ein Journalist kurz nach dem Bericht Redslobs das Haus wieder besichtigte, war das Bild allerdings nicht mehr auffindbar. Haben es die russischen Besatzer etwa nach Moskau oder St. Petersburg abtransportiert?

Das Haus am Waldsee, eine in den 20er-Jahren von einer jüdischen Industriellenfamilie erbaute Villa in Berlin, in der schon früh moderne Kunst gezeigt wurde. Foto: BMW

Marc hat das Bild kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges gemalt, in dem er bald darauf umkam. 21 Jahre später wurden er und sein Werk von den Nationalsozialisten verfemt. Die brutalen Kunstverächter hängten das inzwischen von der Berliner Nationalgalerie angekaufte monumentale Bild in die Münchner Ausstellung «Entartete Kunst», um es lächerlich zu machen. Doch kurz nach der Eröffnung musste das Gemälde wieder entfernt werden. Der Deutsche Offiziersbund hatte protestiert – das Andenken an den deutschen Kriegshelden des Ersten Weltkriegs durfte nicht besudelt werden.

Franz und Maria Marc während eines Fronturlaubs im Juni 1915. Foto: Herbert Boswank, Dresden, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg

Bald tauchte aber die «Pferdekathedrale» wieder auf – in den privaten Räumlichkeiten von Reichsmarschall Hermann Göring. Sowohl Göring wie Hitler bemächtigten sich gerne der besten Stücke der von ihnen angeblich verachteten Kunst, um sie ihren Kunstsammlungen einzuverleiben. Und Marcs Bilder gehörten schon bald nach seinem Tod zu begehrten Trophäen des Kunstmarkts.

Keine Pferde, sondern Esel: Franz Marcs «Eselfries». Foto: Guggenheim

Vor 16 Jahren, im Jahr 2001, meldete plötzlich das deutsche Magazin «Art», die verschollene Ikone des Expressionismus sei in einem Zürcher Safe aufgetaucht. Der Beweis dafür, dass sich das Bild im Schweizer Privatbesitz befinden könnte, fehlt allerdings bis heute.

Auch der Schatten des blauen Pferdes, den die Münchner Staatsanwaltschaft anlässlich der Pressekonferenz zum Gurlitt-Fund im November 2013 an die Wand projizierte, erregte sofort hochfliegende Erwartungen. Als ich sofort nach der Aufdeckung dieses Kunstfunds den Zürcher Kunsthändler Walter Feilchenfeldt um seine Einschätzung der Sammlung bat, lachte er mich für meine Aufregung freundlich aus. «Ich dachte schon, der ‹Turm der blauen Pferde› sei gefunden worden», scherzte der Kunstkenner. Dem war aber nicht so. Das bei Cornelius Gurlitt gefundene Werk erwies sich lediglich als eine kleinformatige Papierarbeit von Marc (aus dem Museum in Halle an der Saale).

Ein Schatten des gesuchten Meisterwerks: Die Projektion des Marc-Bildes, welches in der Gurlitt-Sammlung gefunden wurde.

Wer weiss, vielleicht nützt die «Aktenzeichen: XY»-Aktion der Museen? Es wäre ein wunderbares Wiedersehen mit einem zum Geist gewordenen Gemälde. Denken auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, fest nach: Haben Sie dieses Bild vielleicht doch irgendwo gesehen?

Gekaufter Feminismus?

Ewa Hess am Dienstag den 14. März 2017

Grosser Bahnhof für eine kleine Skulptur: Kristen Visbals Bronzeskulptur «Fearless Girl» hat letzte Woche nicht nur das Internet in Ekstase versetzt.

Man ist begeistert, verblüfft, irritiert: Ein unerschrockenes Mädchen bietet dem «Charging Bull» der Wallstreet die Stirn! Übers Wochenende haben sich Besuchermassen um das kleine Bronzemädchen versammelt, und der daraus resultierende Selfie- und Schnappschusswettbewerb kann auf Instagram unter dem Hashtag #fearlessgirl bewundert werden. «Know the power of female leadership», steht auf der Plakette zu Füssen des Mädchens. Sie soll jungen Frauen symbolische Kraft spenden, um die Karriereleiter zu erklimmen und die berüchtigte Glasdecke zu durchbrechen.

Bild via Instagram (istandforwomen)

Symbolisch hat die Konstellation total eingeschlagen: Ein Mädchen trotzt dem Finanzbullen. Die einen denken, es sei eine Herausforderung an den rasenden Neoliberalismus, die anderen interpretieren, der Bulle könnte der altmodisch denkende Präsident Trump sein und die Kleine eine neue aufgeklärte Generation symbolisieren, die ihm die Stirn bietet. Noch andere setzen dem Mädchen einen Pussy-Hat auf und verfluchen das Patriarchat. Ein stupider Passant, mental irgendwo in den übergriffigen 90s steckengeblieben, versuchte sogar, die Skulptur zu bespringen.

Wer ist der Bulle? Kapitalismus? Trump? Männliche Karriere-Konkurrenten? An der Wallstreet herrscht Verwirrung. (Bild: Guardian)

Inzwischen ist eine ganz andere Debatte entbrannt. Sie heizt sich an der Tatsache auf, dass die Skulptur des Mädchens, die in ihrer eigenen Pressemitteilung «den Guerilla-Aspekt ihres Standorts» anpreist, in Wirklichkeit eine PR-Aktion ist. Sie ist auf dem Reissbrett der mächtigen Werbeagentur McCann New York entstanden – die Werber gaben der Künstlerin Visbal den Auftrag, das «furchtlose» Mädchen in Bronze zu giessen. In Wirklichkeit war der Bulle einst eine Guerilla-Aktion, als ihn sein Schöpfer Arturo di Modica 1989 über Nacht auf die Strasse stellte. Er sollte eigentlich den Pioniergeist Amerikas verkörpern. Erst später wurde er zum Symbol der Finanzgier.

Trotz aufmüpfiger Aussage: Hier war die feministische Künstlerinnengruppe Gorilla Grrrls nicht am Werk. (Bild: Instagram)

Die bisherige Tätigkeit der Auftragskünstlerin Kristen Visbal ist bei weitem nicht so heroisch wie di Modicas Aktion. Die Dame aus Lewes, Delaware, giesst in Bronze US-Legenden wie den Gründervater Alexander Hamilton (mit einem Superman-Cape) oder die American-Football-Legende Bob Hayes (mit einer olympischen Fackel) sowie allerlei eigene Jööö-Sujets wie Delfine mit Meernixe oder Labradorhunde. Von Guerilla-Aktion kann auch keine Rede sein, denn die einflussreiche Agentur und ihr noch einflussreicherer Auftraggeber (davon später) hatten eine offizielle Erlaubnis der Stadt für die Platzierung an der Wallstreet. Vorerst für zehn Tage, mit einer Option auf Verlängerung.

Andere Skulpturen von Kristen Visbal: Footballlegende Bob Hayes, Gründervater Alexander Hamilton, Künstlerin mit dem Gipsguss ihrer Delfinkomposition (Bilder courtesy K.Visbal)

Nun gehört der Werberiese McCann nicht eigentlich zu jenen Firmen, die durch besonders fleissige Frauenförderung glänzen. Und schon gar nicht in den oberen Etagen. Wie inzwischen einige Kommentatoren hämisch nachgerechnet haben, besteht die Geschäftsleitung des Werbers aus 11 Personen, wovon 3 Frauen sind (was immerhin 27% Prozent ausmacht, eine Frauenquote, die mancher Schweizer Firma ganz gut anstehen würde). Was allerdings den eigentlichen Geldgeber der Aktion anbelangt, so ist die kleine Frauenquote in der Geschäftsleitung das kleinste seiner Probleme. State Street Global Advisors, wie der Geldgeber heisst, könnte zwar locker mit einer auf Street-Art spezialisierten Antiglobalisierungs-Kampfgruppe verwechselt werden. Falscher könnte man allerdings nicht liegen, denn SSGA ist der drittgrösste Geldverwalter dieses Planeten, mit 2,4 Billionen Dollar unter seinen Fittichen (und ich meine wirklich Billionen, engl. Trillions!)

Der Hauptsitz der State Street Global Advisors in Boston und ihr CEO Ronald P. O’Hanley. (Bilder SSGA)

Wie gesagt, SSGA ist eine Firma, die einiges auf dem Kerbholz hat. Auch wenn sie sich jetzt als Vorkämpferin der Frauenrechte inszeniert, schert sie sich um jene normalsterblichen Frauen, die von ihrem mageren Salär Familien durchbringen müssen, für gewöhnlich wenig. 2007 stand SSGA mitten im US-Hypotheken-Skandal, indem sie jene berüchtigten toxischen Portfolios an Pensionskassen verkaufte, ohne ihnen die wahre Struktur der darin enthaltenen Papiere zu verraten. Eine halbe Milliarde Verlust resultierte daraus – und viele verloren ihre Altersvorsorge. Erst vor einem Monat stand die SSGA schon wieder in den Schlagzeilen, weil sie ihre eigenen Kunden beschiss, indem sie ihnen zu hohe Gebühren verrechnete.

Nun will die SSGA all die vielen, vielen von ihr mit Finanzspritzen versehenen Firmen (und auch sich selbst) dazu bringen, dass sie mehr Frauen auf die oberste Etage lassen. Warum? Eine Pressesprecherin der Firma erklärt das meinem Kollegen Nick Pinto von «Village Voice» so: «Weil, wie McKinsey errechnet hat, die Frauen nachweislich bessere Profite erwirtschaften.»

Geldbringerin? Die Kleine bietet Raum für Interpretation. (Bild: New York Daily News)

Auf dieser zynischen Note könnte man den Beitrag zum firmengenerierten «Fake-Feminismus» von Mad Men’s Gnaden beenden. Doch irgendwie ist da doch mehr, finden Sie nicht?

Die starken symbolischen Bilder, das ist doch gerade das Gute an ihnen, können auch auf dem Miststock zu Kunst mutieren. Was die Multis wollten: Mehr Frauen finden, die mit ihren Finanzmanipulationen andere Frauen übers Ohr hauen. Passiert ist aber etwas anderes. Die Menschen haben Besitz vom Bild genommen, es sich angeeignet. Für jeden steht das #fearlessgirl für etwas anderes. Meistens für einen Inhalt des persönlichen und gesellschaftlichen Widerstands.

Und für Sie? Schreiben Sie mir! Ich freue mich, Ihre Interpretation des ambivalenten Kunstwerks kennen zu lernen.

(Bilder: New York Daily News)

 

Museum auf dem Mond

Ewa Hess am Mittwoch den 1. März 2017

Die Absurditäten auf der Erde häufen sich, Eskapismus feiert Urständ. Eben erst las ich in der «Zeit» (im Artikel «Fuck you, Silicon Valley»), wie kindisch es von den Silicon-Valley-Gurus Elon Musk & Co. sei, in Kosmos-Besiedelungsfantasien zu schwelgen. Und nun erreicht mich aus der Kunstwelt die Nachricht, dass eine engagierte Gruppe von US-Künstlern die Vereinigung «Mocam» gegründet hat. Das Akronym steht für Museum of Contemporary Art on the Moon. Ja, auf dem Mond. Noch haben sich also die jungen Künstler nicht so richtig in ihre Rolle als politisch engagierte Bürger reingefunden, schon denken sie ans … Abhauen. Hm.

Der Mond, der bekannte unbekannte Wegbegleiter der Erde. Fotos: Julio Orta, Mocam

Also gut, Leute. Seien wir mal klarsichtig. Mit dieser Sache ist nicht zu spassen. Das Szenario mit der Besiedelung des Alls, glaubt mir, hat in allen SF-Romanen, die ich einst verschlungen habe, eine einschneidende Begebenheit beinhaltet, die sich kurz vorher ereignet hat: Die Erde wurde zerstört. Oder ihre Atmosphäre vergiftet. Oder die Oberfläche verstrahlt. Man konnte hier nicht bleiben, darum musste man ins All ausweichen und warten, bis auf dem Heimatplaneten wieder die Sonne schien, die Pflanzen wuchsen oder einem wenigstens die Lungen beim Atmen nicht mehr verätzt wurden. Das wollen wir doch sicher nicht.

Etwas spröde: Der Eingangsbereich des Museum of Contemporary Art on the Moon.

Aber gut, in jenem Film, der von den futuristischen Philosophen sehr oft zitiert wird, wenn es um realistische Zukunftsszenarios geht, also im Pixar-Zeichentrickfilm «Wall-E», sitzt die Menschheit verblödet und körperlich aufgeschwemmt in aufblasbaren Fauteuilles irgendwo auf einem Dépendance-Planeten, zieht sich Süssgetränke durch einen Strohhalm ein und schaut auf grossen Bildschirmen Info-Mertials. Während ein kleiner tapferer Putzroboter die Erde aufräumt! Und sie rettet!

Der tapfere kleine Roboter Wall-E putzt die Erde, während sich die verweichlichte Menschheit im All die Zeit mit dümmlicher Unterhaltung vertreibt. Screenshots: Pixar

Gut, man kann sagen, dass die grösste Leistung der Menschheit dereinst die sein wird, Maschinen erfunden zu haben, die klüger sein werden als sie selbst. Aber Kunst, meine Damen und Herren, ist eine Disziplin, die bei den Entwicklern der Artificial Intelligence nicht unbedingt zuvorderst auf der Prioritätenliste steht. Darum könnte es durchaus Sinn machen, den künftigen Generationen ein Zeichen zu geben, dass es uns gab und dass wir Kunst machten.

Mocam – Ansicht von aussen. Die Ausstellungssäle sind unterirdisch angebracht.

Ich weiss allerdings nicht, ob dieses wichtige Zeichen an die künftigen Generationen und andere Mondbewohner der kleinen Gruppe junger Künstler um Julio Orta (ein wenig bekannter Künstler aus Mexiko, der in Los Angeles lebt) überlassen werden kann. Zu sehen sind ihre Entwürfe und Überlegungen zurzeit im Indianapolis Museum of Contemporary Art, kurz IndyMoca. Die Ausstellung, in deren Rahmen das Projekt gezeigt wird, heisst «The Museum of Real and Odd».

«The Museum of Real and Odd»: Cassandra Klos, «The Arrival», 2013. Foto: IndyMoca

Obwohl, warum eigentlich nicht? Die Jungs und Mädels haben schon eine Parzelle auf dem Mond gekauft (zu vernünftigen Preisen, wie sie sagen) und machen auch sonst einen wild entschlossenen Eindruck. Man weiss, was passiert, wenn man alle fragt, andere Künstler, wichtige Kuratoren und Behörden. Am Schluss kann sich niemand für etwas entscheiden, und die Sache versandet.

Die Kaufurkunde für eine Mondparzelle und ein Plan, wie das Museum unter der Mondoberfläche verankert werden soll.

Aber! Vergessen wir nicht! Es gibt schon Kunst auf dem Mond! Seit bald schon 50 Jahren. Als nämlich Apollo 12 sich 1969 anschickte, die Astronauten Charles Conrad und Alan Bean auf den Mond zu befördern (es war die zweite bemannte Mondlandung), hatte der Bildhauer Forrest Myer schon mal die gloriose Idee, Kunst von sich und einigen seiner Kollegen mitzuschicken.

Auf einer winzig kleinen Keramikplatte, wie sie für Schaltkreise benutzt werden, brachten dann Myers, Andy Warhol, Robert Rauschenberg, David Novros, Claes Oldenburg und John Chamberlain ihre Zeichnungen an. Bis zuletzt war es nicht klar, ob das Plättchen mitfliegen darf. Man kam überein, es in einem Bein der Mondfähre zu verstecken, die auf dem Mond bleiben würde.

Keramikplättchen «Museum on the Moon», 1969: Unten links die Zeichnung von Myers, darüber das stilisierte AW von Warhol, das auch an eine Rakete oder einen Penis erinnert; die Linie in der Mitte stammt natürlich vom Minimalisten Rauschenberg, das schwarze Quadrat ist von Novros, das Diagramm von Chamberlain. Und die Mickey-Mouse-Figur? So hat sich der Popkünstler Claes Oldenburg verewigt. Foto: Moma

Der Mann, der das Plättchen an der Fähre anbringen sollte, versprach Myer, beim Gelingen des Vorhabens ein Telegramm zu schicken. Dieses kam dann auch, am 12. November 1969, zwei Tage vor dem Start. Der Text hiess: «You’re on. A.O.K. All systems are GO. John F.» Alles klar? Von wegen! Nicht nur Myers und Warhol damals, bis heute zerbrechen sich die Menschen den Kopf darüber, was das hätte heissen sollen. Und wer war John F.? (Für mögliche Verschwörungstheoretiker: Sicher nicht JFK, der war nämlich seit 1963 nicht mehr auf dieser Erde.)

Das geheimnisvolle Telegramm «You’re on» von Cape Canaveral: Der Bote sollte es unter der Tür reinschieben, falls Adressat abwesend.

Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber mir kommt die ganze politische Landschaft in den USA in der letzten Zeit wie ein gespenstisches Revival der 60er-Jahre vor: Aufrüstung, Rassismus und Antirassismus, Frauendiskriminierung und die Empörung dagegen … Es ist wie ein Déjà-vu. Darum halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass wir bald wieder bemannte Mondlandungen haben werden. Dann kann ja jemand endlich irgendwo in der grossen Ebene des Oceanus Procellarum, wo die alte Mondfähre von sich hindämmert, einmal nachsehen, ob es mit dem hochkarätigen Kunst-plättchen wirklich geklappt hat.