Glücksspiel Kunst

Ewa Hess am Mittwoch den 6. Juli 2016

Liebe Leserin, lieber Leser, darf ich kurz vor der Sommerpause mal grundsätzlich werden? Selten wurde so viel über die Kunst nachgedacht und geschrieben wie in unserer Zeit. Das hat seine Gründe: Erstens bewegt sich die zeitgenössische Kunst auf einem so hohen Abstraktionsniveau, dass ein grosser Erklärungsnotstand herrscht. Zweitens aber: wegen der Preise.

Aufschrei der Körper: Francis Bacon und Lucian Freud in den jeweiligen Selbstporträts.

Aufschrei der Körper: Francis Bacon und Lucian Freud in den jeweiligen Selbstporträts.

Der Kunstmarkt ist inmitten der ökonomischen Wirren solid. (Oder auch ausser Rand und Band, wie es manche sehen, weil generell zu hoch). Jedenfalls kostet bestimmte Kunst heute eine dicke Stange Geld, und Menschen, die sonst nicht so viel von Kunst halten, nehmen sie plötzlich ernst. Dennoch bleibt das Urteil über ein Kunstwerk arbiträr, auch wenn man scheinbar objektive Kriterien anführt: Am Ende liegt es «im Auge des Betrachters».

Francis Bacon, "Three Studies for Figures at the Base of a Crucifixion", courtesy Tate Collection

Grossartig, ob das aber schön ist? Francis Bacons «Three Studies for Figures at the Base of a Crucifixion», courtesy Tate Collection.

Ich habe gerade einen Text von J. Tomilson Hill in «The Art Newspaper» gelesen. Der Mann sammelt barocke Bronzeskulpturen und Zeitgenössische Kunst (auch eine aparte Kombination). Und er ist der Chef von Blackstones Hedgefonds-Abteilung, also einer der mächtigsten Geldakrobaten der Welt.

Wir müssen, schreibt er, drei Wertaspekte der Kunst sehen: Geldwert, sozialen Wert und den Grundwert. Geld versteht sich von selbst, aber sozialer Wert liegt für Hill vor allem im Wettbewerb um die Frage «was hängt bei mir über dem Cheminée?» – also im kleinlichen Konkurrenzdenken.

Den Grundwert nennt er «Schönheit». Dass er es nicht oberflächlich meint, beweist seine Sammlung, die wurde in Teilen in der Frick Collection ausgestellt. Hill sammelt nicht nur klassisch Schönes. Die Achtung, die er in der Sammlerwelt geniesst, gründet unter anderem darauf, dass er früh auf Francis Bacon gesetzt hat. Und Bilder von Francis Bacon sind erschreckend, grossartig, grausam, wie man sie immer bezeichnen will – schön kann man sie eigentlich nicht nennen. (Teuer sind sie auf jeden Fall, Hill soll die «Study for Portrait II (Pope)» von 1956 besitzen, deren Wert heute vorsichtig auf 60 Millionen Dollar geschätzt wird).

Der Hedgefund-Manager und Sammler J. Tomilnson Hill IIIJ (rechts), Michael Douglas als Geldakrobat Gordon Gekko im Film "Wall Street"

Der Hedgefonds-Manager und Sammler J. Tomilson Hill III (rechts), Michael Douglas als Geldakrobat Gordon Gekko im Film «Wall Street» (links).

Hill tritt immer mit sauber gegelten Haar und in Massanzügen auf, und es gibt Leute, die sagen, sein Äusseres sei in der Figur von Gordon Gekko (Michael Douglas) im Film «Wall Street» abgebildet worden. In seiner Rede bricht er natürlich die Lanze für den Grundwert der Kunst. Er sagt, die Marktorientierung der Kunstwelt komme ihm manchmal so vor, als ob man Händler und Geldwechsler einladen würde, in den Tempel hereinzukommen (womit er auf der metaphorischen Ebene biblisch wird).

Aber gut, als Hedgefonds-Manager, also ein Börsianer, der auf den Misserfolg anderer wettet, kann man sich nicht wirklich zum Tempelwächter ausrufen. Hills Geldwechsler-Seele geht auch in dem Text mit ihm durch, wenn er ein Werk von Jeff Koons — es ist ein Wassertank mit einem Basketball drin —, das kürzlich für 15 Millionen Dollar bei Christie’s  verkauft wurde, am liebsten «shorten» würde, also in Hedgefonds-Manier dagegen wetten.

Händler raus: Eine etwas rabiate Szene der "Tempelreinigung" aus der Basler Merian-Bibel von 1625

Händler raus: Eine etwas rabiate Szene der «Tempelreinigung» aus der Basler Merian-Bibel von 1629.

Das Wetten hat allerdings schon etwas mit der Kunst zu tun. Es ist ein bestimmtes Risikoverhalten, und keiner wusste besser, dass das ganz viel mit der Kunst zu tun hat, als eben Francis Bacon, Nr.-1-Liebling des heutigen Kunstmarkts. Der seelisch gequälte Brite war, wie gerade in einer Ausstellung in Monte Carlo sehr schön ausgeführt wird, besessen vom Glücksspiel.

Was so interessant ist an der Sache: Bacon selber sah eine enge Verbindung zwischen seinem obsessiven Glücksspielverhalten und dem Malen. So nannte er etwa die Verluste am Roulette-Tisch «expenses related to painting». Er erwartete sogar von seinen Galeristen, dass sie ihm Vorschuss geben, um zu gamblen, im Sinne eines Werkbeitrags an die Malerei.

Frunde, Konkurrenten, Gambler: Francis Bacon und Lucian Freud in London (Foto and copyright Harry Diamond)

Freunde, Konkurrenten, Gambler: Francis Bacon und Lucian Freud in London. (Foto: Harry Diamond)

Auch Bacons guter Freund Lucian Freud war ein obsessiver Glücksspieler, doch er suchte sein Glück eher bei den Pferdewetten denn beim Roulette. Das Wetten, sagte der Enkel von Sigmund, habe ihm durch die Zeit geholfen, als sich noch niemand für seine Kunst interessiert hat. Nicht, weil er so viel gewonnen hätte, sondern weil es ihn daran erinnerte, wie unwichtig Geld war.

The ‘Three Studies of Lucian Freud’. The Francis Bacon painting of Lucian Freud has become the most valuable work of art ever sold at auction – fetching almost £90 million.

Das Porträt des Freundes: «Three Studies of Lucian Freud» von Francis Bacon, 1969, verkauft 2013 bei Christie’s für 142 Millionen Dollar.

Der heutige Kunstmarkt hat natürlich auch etwas von einem Spieltisch. Man gibt Millionen für Werke aus, die triviale Werbung nachäffen (z.B. Warhol). Oder für Konzepte, die gar nicht besitzbar sind (z.B. Lawrence Weiner). Sind darum Bacon und Freud die Lieblinge des Markts? Nein.

Der soziale Wert der Kunst, um Tomilson Hill zu interpretieren, liegt eben nicht darin, dass man mit dem Bild über dem Kamin prahlen kann. Sondern darin, dass die Werke einen tiefen Wert abbilden, der der Gesellschaft heilig ist. Die Mittelalter-Maler gossen ihre Seele aus, um die Heiligen und die Maria mit den himmlischen Attributen Güte und Barmherzigkeit erstrahlen zu lassen. Die Holländer legten eine religiöse Inbrunst in die Darstellung von üppig gedeckten Tafeln. Die Minimalisten leisteten heroischen Verzicht auf jede Zierde, den Weg der Gesellschaft in eine immaterielle Zukunft bereitend. Bacon und Freud zeigen den modern gequälten Körper, so etwas wie einen Aufschrei der nicht artgerecht gehaltenen Kreatur.

Und das ist das eigentliche Glücksspiel des Künstlers: alles auf eine Karte setzen, sein Innerstes in die Kunst zu werfen, ohne zu wissen, ob es überhaupt gelingt, ob es gelingen kann. Nicht wissend, ob die Passion das Werk besser oder schlechter macht (beides ist möglich). Ob das je jemand begreifen wird. Das ist der Gamble der Kunst – auf allen Ebenen. Geld, Wert, Schönheit: Alles hängt davon ab. Und das ist das Grossartige daran.