Schön, böse, schaurig

Ewa Hess am Dienstag den 22. März 2016

Was doch die laue Luft ausmachen kann! Zürich macht sich am Freitag wieder auf die Socken. Wir beschliessen, uns stadtauswärts zu bewegen, und legen am Stauffacher los. Urs Lüthi, der schöne Jüngling von anno dazumal, dessen Fotografien die Siebzigerjahre in eine nostalgische Schwärmerei versetzten, empfängt bei Katz Contemporary schon mal mit neuen Werken.

Was: Vernissagen in den Galerien Katz Contemporary (Urs Lüthi), A. C. Kupper Modern (Cyril Kuhn), Hauser & Wirth (Wilhelm Sasnal) und Karma International (Sylvie Fleury)
Wann: Alle am Freitag, 18 bis 20 Uhr (bei Alain Kupper ging es allerdings weiter bis in die Nacht hinein)
Wo: Katz Contemporary im Haus zur Katz an der Talstrasse 83, A.C. Kupper an der Militärstrasse 84, Hauser & Wirth im Löwenbräu und Karma im Quartierzentrum Wipkingen

Dreimal Urs Lüthi: Mit der gutgelaunten Galeristin Frédérique Hutter, auf seinem Kult-Autoporträt «Urs Lüthi weint für Sie» und vor einem der neuen Werke («Selfportrait Pearls» von 2011)

Dreimal Urs Lüthi: Mit seiner gut gelaunten Galeristin Frédérique Hutter, auf seinem Kult-Autoporträt «Urs Lüthi weint auch für Sie» von 1970 und vor einem der neuen Werke («Selfportrait Pearls» von 2011). Fotos: Hennric Jokeit

Lüthis mittlerweile kahler Schädel ist ja seit der Biennale 2001, als er sich ohne falsche Scham in seiner etwas korpulenterer und weniger romantischen Erscheinung im Schweizer Pavillon wiederholt zum Markenzeichen seiner eigenen Werke machte, ebenso bekannt wie die langhaarigen androgynen Inszenierungen der Aufbruchjahre. «Meine Inszenierungen wurden damals so populär, dass die Menschen gar nicht glaubten, dass es ein Werk von mir ist, wenn ich selbst nicht drauf war», erzählt der 68-Jährige an der Vernissage. Der Künstler beschloss, mit dieser Erwartung ein eigenes Spiel zu treiben. Dies gelingt ihm bis heute vortrefflich, ganz im Sinne des Ausstellungstitels «Art is the better life» zeigt er sich mal als eine Glasskulptur, mal von Fliegen umschwärmt oder auch als kleiner grüner Papst in Aluminiumguss. Wenn man genau hinschaut, erkennt man: Auch der Papst trägt eine Clownnase.

Hugo und Ursula Bütler vor Lüthis Werk «Placebos & Surrogates» von 2001, Installation «Lost Direction»

Hugo und Ursula Bütler vor Lüthis Werk «Placebos & Surrogates» von 2001, Installation «Lost Direction».

In der Ausstellung treffen wir den Filmer und Polit-Lobbyisten Thomas Haemmerli (gerade von einem längeren Mexiko-Aufenthalt zurückgekommen), DJ Thomas Campolongo, auch der ehemalige NZZ-Chefredaktor Hugo Bütler und Gattin geben sich die Ehre. Lüthis Kunst steckt mit guter Laune an, man spricht auch an der Vernissage darüber. Auch die Defizite seines eigenen Körpers (z.B. Krankheiten, wie im Werk «Ex Voto», in dem er sich als eine Art vermenschlichtes Reagenzglas darstellt) münzt der Künstler in Werke um. Immer wieder stiehlt sich jemand in den Keller hinunter, um in den wunderbar nostalgischen alten Fotoarbeiten zu schwelgen. Es sind nur noch wenige Resteditionen vorhanden, flüstert mir die Galeristin zu. Ich gebe es hier also weiter: Zum Preis von 4000 Franken kann man sich noch eine ergattern.

Nur Flyer: Ankündigung von Cyril Kuhns Austellung bei A.C. Kupper, Alain Kupper im Gespräch mit dem Galeristen Nicola von Senger

Nur Flyer: Ankündigung von Cyril Kuhns Ausstellung bei A. C. Kupper, Alain Kupper im Gespräch mit dem Galeristen Nicola von Senger.

Nächste Station auf dem Kunsttrek ist der Offspace A. C. Kupper Modern. Sein Motto: «keine Homepage, keine Mails, nur Flyer». Das ist das Königreich von Alain C. Kupper, dem grossen bärtigen Szenenguru (man sagt, Kupper habe den Namen der Bar «Zukunft» erfunden, die Restaurants Josef, Italia, Lily’s sowie die neue Markthalle mitgestaltet. Er ist als DJ und Musiker aufgetreten, und Grafiker ist er auch.) In seinem sympathischen Low-key-Kunst- & Konzertraum an der Militärstrasse vermischen sich oft die Szenen. Heute stellt ein Gast aus Übersee aus, der Los-Angeles-Schweizer Cyril Kuhn. Kuhn (46) kennt man in Zürich. Er hat schon in Esther Eppsteins «Message Salon» ausgestellt. Seine Mutter ist die Malerin Rosina Kuhn – man liebt sie in Zürich. Seit sie in Bice Curigers legendärer Ausstellung «Frauen sehen Frauen» 1975 im Strauhof vertreten war, entwickelt sie ihr malerisches Werk immer weiter. Ihre aktuellen Bilder sind strahlend farbig und atmosphärisch beflügelt. Ihr Sohn Cyril, ein Jurist und künstlerischer Autodidakt, malt handfest gegenständlich in einer Tradition, die sich zu unrecht «bad painting» nennt. Denn die «schlechten Bilder» suchen natürlich auch das Gute, ja, sogar das Bessere, Authentischere, indem sie die Regeln des herrschenden Stils missachten. Kuhns Porträts und Interieurs bringen eine verrückte Grandezza in den Zürcher Kreis 4 – wunderbar.

Der Künstler Andres Gugginbühl im Gespräch mit Cyril Kuhn, Rosina Kuhn spircht mit Christoph Vitali

Der Künstler Anders Guggisberg im Gespräch mit Cyril Kuhn, Rosina Kuhn parliert mit Christoph Vitali.

An diesem frühlingshaften Freitagabend ist es bei Kupper so voll, dass man kaum durchkommt. Auch Christoph Kuhn, der Vater des Künstlers, ist da – somit ist der Tagi, dessen Kulturchef und Korrespondent Kuhn einst war, mit von der Familie. Rosina Kuhn unterhält sich mit dem ehemaligen Kulturchef der Stadt Zürich, Christoph Vitali. An der Bar mixt Kollege H. G. Hildebrandt Hochprozentiges – natürlich mit Gents, dem von ihm erfundenen und hergestellten Edeltonic. Barbara Brandmaier, Kommunikationscrack, ehemalige Chefin von Sony Schweiz und eine gute Freundin des Künstlers, vernetzt fleissig die Anwesenden untereinander. Auch Becky Kolsrud ist da, Kuhn Juniors Frau und selber auch Künstlerin. Wir unterhalten uns über die Kunstszene in L.A. Es ziehen gerade viele Galerien dorthin, unter anderem haben auch die Zürcher Galerien Karma sowie Hauser & Wirth neue Räume eröffnet (die erstere eine kleine Filiale, die letztere natürlich eine riesengrosse Fabrik). Wir fragen uns, ob die zeitgenössische Kunst nun wirklich eine Chance an der Westküste bekommt. Man ist skeptisch. Trotz einem steigenden Interesse der Filmwelt an der Kunst (siehe Private View zur Sammlung Leonardo DiCaprios) fehlen dort immer noch interessierte Sammler.

Sasnals Gemälde: «Killing an Arab», 2016, «Palm Bay», 2013, «Killing an Arab 1», 2016 @Wilhelm Sasnal und Hauser & Wirth

Wilhelm Sasnals Gemälde: «Killing an Arab», 2016, «Palm Bay», 2013, «Killing an Arab 1», 2016. Fotos: Wilhelm Sasnal und Hauser & Wirth.

Man hat Lust zu bleiben, doch es geht weiter – der Kunsttrek ruft. Man will doch Wilhelm Sasnal nicht verpassen, den rätselhaften Polen bei Hauser & Wirth. Wir kommen reichlich spät an. Die Gäste sind schon zum Dinner aufgebrochen. Umso eindrücklicher präsentieren sich die Gemälde und Filmsequenzen des «polnischen Gerhard Richter» in den fast leeren Räumen. Sasnal (44) dreht gerade mit seiner Frau Anka einen Film mit Assoziationen zu Albert Camus’ Roman «Der Fremde». Wir erinnern uns, darin begeht der Held Meursault, ein französischstammiger Nigerianer, den Mord an einem Araber. Dazu gab es auch einst den beunruhigenden Song «Killing an Arab» der Postpunk-Band «The Cure» aus den späten 70er-Jahren. Eines der Gemälde erinnert an das Cover von der «Cure»-Single damals: die Augen des Bösen. Auf einem anderen Bild sitzen Flüchtlinge in einem Gummiboot mitten im grauen Meeresspiegel. Man sieht Filmausschnitte aus dem neuen Film, «Killing an Arab» läuft darin als Soundtrack. Sasnal schafft es wie immer, hoch emotionale Bilder so abzukühlen, dass sie uns noch unheimlicher vorkommen. Die Filmausschnitte sind echt schaurig. An einem idyllischen Ostseestrand bricht am helllichten Tag eine unmenschliche Aggression aus.

Die Genfer Künstlerin Sylvie Fleury, ihre Installation «¬'oeuil du Vampire», 2015, Niels Olsen (gta exhibitions) spricht mit der Künsterlin Pamela Rosenkranz

Die Genfer Künstlerin Sylvie Fleury, ihre Installation «L’oeil du Vampire», 2015, Niels Olsen (Kurator GTA Exhibitions) spricht mit der Künstlerin Pamela Rosenkranz.

Vom Löwenbräu ist es dann nur noch ein kleiner Sprung nach Wipkingen, und man sieht schon von weitem die hell erleuchteten Fenster von Karma International. Da Karolina Dankow sich jetzt um die Los-Angeles-Filiale kümmert, macht Marina Olsen die Honneurs. Auch Sylvie Fleury ist da. Die Genfer Künstlerin hat hier eine Gesamtinstallation eingerichtet, in deren Herz ein wunderschönes lila Motorrad steht, eine prächtige alte Triumph Bonneville. Das Werk trägt den Titel «Every Woman Has a Purple Bike Inside». Dieser geht auf die biografischen Essays der Feministin Gloria Steinem zurück. Schwarz funkelnde Bilder (Acryl und Glasglimmer) hängen wie Abschnitte der Route 66 an der Wand. Die Wand selbst ist jeansblau, das passt. Das ganze Fleury-Panoptikum entfaltete sich inmitten von diesem Blau, mit einem angeeigneten Lucio Fontana (das Werk, geschlitztes Denim, heisst nicht wie bei Fontana «Concetto spaziale», sondern «Concetto speziale», das finde ich sehr lustig). Es gibt übergrosse Haarspangen, Comicfiguren und ein buntes «Auge des Vampirs».

 

Restaurant Habesha: Buntes äthiopisches Essen und eriträisches TV

Restaurant Habesha: Buntes äthiopisches Essen und eriträisches TV. Links Künstlerin Caro Niederer, rechts Michelle Nicol («Neutral»).

Danach geht man gemeinsam an die Weststrasse ins Restaurant Habesha. Das äthiopische Lokal wirkt wie eine Kunstinszenierung «in it’s own right», mit bunten Vorhängen, einem klinisch hell erleuchteten Billardraum und naiven Bildern an den Wänden. Das Essen kommt in bunten Körben auf den Tisch und besteht aus Buchweizenfladen mit dick eingekochten Einlagen. Wir essen mit den Händen, im Fernsehen läuft ein eriträisches Programm, in dem vor allem chinesische Protagonisten auftreten. Wir sind zu Hause und doch mitten in der Welt.

(K)eine Frage der Grösse

Ewa Hess am Dienstag den 15. März 2016

Dieser Tage liefert sich die australische Performerin und Strassenkünstlerin Illma Gore einen Kampf mit den Social-Media-Diensten. Es geht dabei um die Darstellung eines nackten Donald Trump. Illma zeichnete den amerikanischen Präsidentschaftsanwärter mit einem dicken Bauch, doch die Auseinandersetzung dreht sich nicht darum. Sondern um jenes Körperteil, das darunter liegt und das man das Gemächt nennen würde – das Frau Gore allerdings so klein darstellt, dass man eher von einem Geschwächt sprechen muss. Und – wir wissen es – frontal nudity geht auf Facebook nun mal nicht. Egal, wie gross oder klein das Ding sein mag.

The artist and her model: Künstlerin Illma Gore und ihre Zeichnung «Make America Great Again», 2016

The artist and her model: Künstlerin Illma Gore und ihre Zeichnung «Make America Great Again», 2016 (courtesy of the artist).

Das Hickhack dauert nun schon einige Wochen lang – die Zeichnerin postet ihre Karikatur, Facebook sperrt sie für eine Weile, dann kommt sie zurück und veröffentlicht das Bild wieder auf ihrem Account. Zur Zeit, als ich diese Zeilen schreibe, ist die Zeichnung mal wieder auf Facebook drauf, blonde Frisur, Hängebauch und kleiner Pimmel inklusive. Ebay, wo Gore ihre Werke ebenfalls anbietet, hat sie gerade wieder entfernt. Nun droht Illma lebenslänglich, womit natürlich nicht Gefängnis, sondern der Facebook-Ausschluss gemeint ist. Vielleicht auch nicht so schlimm.

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Illma Gore während ihrer Malperformance («DIS/CONNECT», 2015) und eine Persiflage ihres Trump-Werks, viral auf Facebook.

Aber wer ist überhaupt Illma Gore? Sie lebt in Brisbane und ist mit Al Gore nicht verwandt. Sie nennt sich «gender fluid futurist», also eine geschlechts-unspezifische Futuristin. Es wohnt ihr offensichtlich eine Kraft inne, gegen «das System» zu rebellieren, eine Qualität, die den Künstlern in den letzten Jahrzehnten abhandengekommen zu sein scheint. Das System ortet die hübsche Unversöhnte vor allem in der Stildiktatur der sozialen Netzwerke, die sie mit ihren diversen Projekten zu unterwandern versucht. Sie verkauft also den Platz auf ihrer Haut über den Crowdfunding-Dienst Kickstarter, sie lässt sich bei einer Mal-Performance durch eine Liveübertragung auf Youtube anfeuern oder – eben – sie reizt Facebook und Ebay mit Trumps «private parts». Damit betritt sie auch den politischen Raum, weil sie den Brachial-Republikaner lächerlich macht. Und zwar unter der Gürtellinie, also auf dem ihm vertrauten Gebiet.

Aktionen von illma Gore: «My shirt didn't match my rights», 2013, in der sie für Homo-Ehe demonstriert, und «Human Canvas», in dem sie Platz für Tattoo-Unterschriften auf ihrer Haut verkauft

Aktionen von Illma Gore: «My shirt didn’t match my rights», 2013, in der sie für die Homo-Ehe demonstriert, und «Human Canvas», in der sie Platz für Tattoo-Unterschriften auf ihrer Haut verkauft.

Ihre Motivation für die Trump-Zeichnung sei ursprünglich alles andere als politisch gewesen, wendet die Künstlerin zwar ein. «Ich glaube nicht, dass Genitalien das Geschlecht oder den Status einer Person definieren. Jeder kann ein ‹massive prick› sein, egal, was sich in seiner Hose versteckt», sagte Illma etwa der Kunstzeitschrift «Hyperallergic». Seit aber die Trump-Juristen auf sie losgehen und ihr einen Prozess androhen, spendet sie jedes Mal, wenn ihre Zeichnung vom Netz entfernt wird, 100 Dollar der Kampagne von Bernie Sanders. Besonders entnervt ist sie auch durch die Richtlinien von Ebay, die zwar «Bilder von Nacktheit» erlauben, aber nur, wenn «die abgebildeten Gegenstände der Gattung Kunst angehören, wie Michelangelos David, alte Pin-up-Poster oder nackte Cherubim». Dass ihr Werk nicht zu Kunst gehören soll, will ihr nicht einleuchten. «Das ist doch reine Willkür», lautet ihr Kommentar, «Ebay und Facebook üben Zensur auf eine besonders dumpfe Art und Weise.»

David von Michelangelo: auf Ebay erlaubt

David von Michelangelo: Anders als Donald von Gore auf Ebay erlaubt.   (Screenshots: Ebay)

Tatsächlich kämpfen Kunstfreunde schon seit langem gegen die kleinbürgerliche Kunstauffassung von Facebook, das Nippel und Schenkel zensuriert, als ob es kein modernes Social-Media-Service wäre, sondern eine prüde Gouvernante aus dem 19. Jahrhundert, die ihren Kinderchen den Anstand beizubringen versucht. «Werbung», sagt Gore, «darf uns mit ihren Hochglanzbildern überall, und wie sie will, zudecken. Wenn wir uns nicht wehren, werden uns die Plattformen, die eine immer grössere Rolle im Leben von jungen Menschen spielen, ästhetisch ans Gängelband nehmen.»

Damit hat sie nicht so ganz unrecht, nicht wahr? Auch wenn wir uns den wenig appetitlichen nackten Republikaner nur in Ausnahmefällen als das Gegendotum zur herrschenden Einheitsästhetik wünschen. Ganz unabhängig von seiner – vorhandenen oder fehlenden – Grösse.

Leo, der Kunstfreund

Ewa Hess am Dienstag den 8. März 2016

Jetzt hat er auch noch die goldene Statuette. Aber, meine Damen und Herren, auch wenn der Oscar bestimmt eine sehr begehrte Skulptur für den Hollywoodschauspieler Leonardo DiCaprio war – das Schmuckstück seiner Kunstsammlung wird nicht der Goldmann werden. Denn Leo hat im Laufe der Jahre einen echten Schatz an wirklich hochkarätigen Werken zusammengetragen, der sich in jeder Hinsicht sehen lässt. Um seinen Triumph auf der Oscar-Bühne zu würdigen, wollen wir mal die Stationen seiner Sammeltätigkeit hier kurz zusammentragen. Rückblickend lässt sich jedenfalls sagen: Chapeau, Mr. DiCaprio. Mutige, intelligente Entscheide, gutes Netzwerk und ein sicheres Auge!

Zweimal Leonardo: Elizabeth Peyton malte den Hollywoodbeau mehrmals

Zweimal Leonardo: Elizabeth Peyton malte den Hollywoodbeau mehrmals. Das Bild rechts gehört der Emanuel-Hoffmann-Stiftung in Basel («Swan», 1998), das links wurde an Leonardos Charity-Auktion 2013 für eine Million Dollar verkauft.

Die Sammlung: Man sieht ihn an Kunstmessen und an Auktionen, immer low-key mit Jeans und einem tief ins Gesicht gezogenen Baseball-Käppi. Man hört da und dort von seinen Käufen. Und man weiss: Zwischen Pablo Picasso, Jean-Michel Basquiat, Frank Stella, Takashi Murakami und Robert Crumb verfügt LDC über einen Kunstgeschmack, der in die Breite geht und von Qualitätsbewusstsein zeugt. Auch Werke des Shootingstars Oscar Murillo oder des schrägen Surrealisten Salvador Dalí gehören zu seiner Sammlung. Er selbst wurde mehrmals von der 52-jährigen, hoch angesehenen amerikanischen Porträtmalerin Elizabeth Peyton gemalt, eins der Porträts verkaufte sich für eine Million Dollar an der von ihm 2013 organisierten Charity-Auktion (sie hiess «The 11th Hour Sale») zugunsten seiner Umweltstiftung.

Inspirierte seine Eltern zum Namen Leonardo: der Da Vinci

Inspirierte seine Eltern zum Namen: Leonardo da Vinci.

Sein Name Leonardo fiel seinen Eltern übrigens bei einem Besuch in Florenz ein, wie er der «Wall Street Journal»-Kunstreporterin Kelly Crow mal erzählte, als sie ein Gemälde von Leonardo da Vinci sahen. Im gleichen Interview verriet der Schauspieler auch, dass sein Vater mit einer Gruppe von Avantgardezeichnern in Los Angeles befreundet war, zu der auch Robert Williams und Robert Crumb («Fritz the Cat») gehörten. Sodass der kleine Leonardo bereits in den 70er- und 80er-Jahren den Geist der künstlerischen Avantgarde bei gemeinsamen Besuchen in Ateliers und Buchhandlungen mit seinem Vater einsog.

Der jüngste Kauf: Jean-Pierre Roys «Nachlass». Niemand soll sagen, Leonardo würde auf Nummer sicher kaufen. An der gestern zu Ende gegangenen Armory-Kunstmesse in New York (bzw. an ihrer innovativeren Satellitenmesse Pulse) schlägt der frisch gekrönte Oscarpreisträger zu. Er kauft ein Werk von Jean-Pierre Roy, einem 42-jährigen Künstler aus Brooklyn, vertreten von der dänischen Galerie Poulsen. Das ist ein smarter Move – der gebürtige Kalifornier Roy, noch nicht sehr bekannt, doch bereits in namhaften Sammlungen vertreten (etwa bei Zabludowicz in London), ist auch Lehrer an der New Yorker Art Academy und somit ein Beeinflusser künftiger Generationen. Seine postapokalyptischen Gemälde sind starke figurative Tableaus an der Schnittstelle zwischen Malerei und expressiver Street-Art. Zudem ist der Kauf Leonardos ein leidenschaftliches Zeichen des Gefallens – er sah das Werk von jemandem auf Instagram gepostet, griff zum Telefon und sicherte es sich, bevor er die Messe besuchen konnte. Thematisch liegt es ebenfalls ganz auf der Linie des Sammlers, indem es im Titel («Nachlass», auf Deutsch, was in Amerika immer irgendwie existenziell klingt) und in der Bildsymbolik (ausgetrocknete Erde, gelbe, vielleicht giftige Dämpfe, ein menschlicher Riese, der unter dem Gewicht eines geometrisch-technoiden Gebildes zusammenzubrechen scheint) Elemente einer nahenden Umweltkatastrophe trägt. Ein Thema, für das sich DiCaprio öffentlich engagiert. Alles richtig gemacht bei diesem Kauf, Mr. DiC.

Auf Instagram gesichtet, per Telefon gekauft: Leonardo DiCaprios jüngste Erwerbung, Jean-Pierre Roys «Nachlass»

Auf Instagram gesichtet, per Telefon gekauft: Leonardo DiCaprios jüngste Erwerbung, Jean-Pierre Roy, «Nachlass».

Die Abstraktion. Auch wenn man von einem Hobbykunstliebhaber erwarten würde, dass er der klaren Symbolik den Vorzug gibt, weiss Leonardo die Schönheit des Abstrakten zu schätzen. Er hat etwa tolle Werke von Frank Stella, erst letztes Jahr kaufte er bei der Galerie Marianne Boesky ein schönes Werk, «Double Gray Scramble» von 1973. Zudem sind die Werke, die er kauft, nicht irgendeine Position im Werk des jeweiligen Künstlers. Boesky etwa brachte zur Messe jüngere und populäre Stahlskulpturen Stellas. DiCaprio entschied sich aber für das frühe geometrische Werk, das durch starke Farben und minimalistische Formgebung auffällt.

 

Letztes Jahr an der Art Basel Miami beach für eine Million Dollar gekauft: Frank Stella, Double Gray Scramble (1973)

Letztes Jahr an der Art Basel Miami Beach für fast eine Million Dollar gekauft: Frank Stella, «Double Gray Scramble» (1973).

Die Authentizität. Beraten von seinen Freunden, etwa den Grosshändlern Nahmad oder Mugrabi, kauft der «Great Gatsby»-Darsteller immer ganz Spezielles. Man weiss zum Beispiel, dass er an der letztjährigen Art Basel in Basel bei der Zürcher Galerie Gmurzynska die Zeichnung «Fillette» von Picasso bewundert und vielleicht auch gekauft hat, ein ungewöhnliches Werk von hoher Ausdruckskraft. Der Latino-Künstler Oscar Murillo, von einigen für eine Eintagsfliege des Kunstmarkts gehalten, muss auf DiCaprio mit seiner expressiven malerischen Geste Eindruck gemacht haben. Die Spekulation von «Vanity Fair» könnte stimmen, dass Murillos  Zeichnung «Untitled – Drawings off the Wall», die an der Phillips-Auktion «Under the Influence»  2014 den Rekordpreis von 401’000 Dollar erzielte, an DiCaprio ging. Der Kauf würde zu seiner Vorliebe für «besessene» Werke gut passen.

Pablo Picasso, «Fillette», 1939-40 (Foto: gmurzynska.com), Oscar Murillo, «Untitled - Drawings off the Wall». 2011 (Foto: phillips.com)

Pablo Picasso, «Fillette», 1939–40 (Foto: Gmurzynska.com), Oscar Murillo, «Untitled – Drawings off the Wall», 2011 (Foto: Phillips.com).

Freundschaften mit Künstlern. Wie jeder echte Sammler, pflegt DiCaprio lebenslangen Kontakt mit gewissen von ihm geschätzten Künstlern. Den amerikanischen Tiermaler Walton Ford, 56, hat er beim Besuch einer Ausstellung in Berlin entdeckt und suchte über die Galerie Paul Kasmin in New York den Kontakt zu ihm. Seither besucht der Sammler den Künstler des öfteren in seinem Atelier. Er lässt sich auch gerne vor seinen Werken fotografieren. Waltons Gemälde von Tigern verkaufte DiCaprio sehr erfolgreich an seiner Auktion der 11ten Stunde und er stellt ihn gerne seinen Millionärsfreunden vor. Erst kürzlich (Oktober 2015) hat er an einer New Yorker Auktion (sie fand zu Gunsten von gefährdeten Schildkröten statt) gemeinsam mit dem Deputy Chairman von Christie’s, Loic Gouzer, ein Werk Waltons für eine halbe Million Dollar erstanden. An der Auktion im Bowery-Hotel nahmen übrigens auch Ted Danson, Richard Branson, Patti Smith, Naomi Watts, Liev Schreiber, und Robert Kennedy Jr. teil. Indem DiCaprio vor all diesen illustren Augen das grosse Aquarell seines Freundes für einen Rekordpreis erstand, tat er ebenfalls etwas für das Ansehen des Malers in der Well-Doing-Super-Rich-Community. DiCaprio kam zum Event laut «New York Post» mit seinem üblichen Käppi, einer elektronischen Vapo-Zigarette und machte «funny faces», als der Auktionator erklärte, das Werk gehe an «den Mann mit Baseballmütze».

Im Uhrzeigersinn: Das Werk «Tigerin» von Walton Ford, sein Aquarell «Paciific Theatre», Di Caprio bei seiner Auktion der «11th Hour» und beim Besuch in Fords Atelier

Im Uhrzeigersinn: Das Werk «Tigerin» von Walton Ford, sein Aquarell «Pacific Theatre», Di Caprio bei seiner Auktion der «11th Hour» und beim Besuch in Fords Atelier (Fotos: wsj.online, Christie’s)

Wie man also sieht, ist Leo nicht nur ein unerschrockener Bär-Bekämpfer, sondern auch ein ernstzunehmender Freund der Künste mit einem guten Gespür für kommende Trends. Das Online-Magazin Artnetnews zählt ihn übrigens zu den «20 innovativsten Sammlern» weltweit. Der Schweizer Urs Fischer und der Deutsche Andreas Gursky gehören übrigens ebenfalls zu Leos erklärten Lieblingen. Das nur so, als Tipp, falls Sie im Zweifel sein sollten, wohin mit den überzähligen Millionen.

Im Bett mit Pipilotti

Claudia Schmid am Dienstag den 1. März 2016

Becker will nicht. Der Kunsthausdirektor will sich partout nicht fotografieren lassen. «Ich bin nicht der Protagonist hier, suchen Sie die Künstlerin», sagt Christoph Becker und lacht. Vielleicht ist er auch etwas fotomüde, weil im Kunsthaus gerade ein Anlass den anderen jagt: eben noch Dada-Kostümball. Und jetzt, zwei Wochen später, das Opening der grossen Pipilotti-Rist-Ausstellung. Die Menschen strömen ins Haus, die Vernissage gerät zum glorreichen Heimspiel für die in Zürich wohnhafte Künstlerin und das Museum.

Was: Pipilotti Rist, «Dein Speichel ist mein Taucheranzug im Ozean des Schmerzes»
Wo: Kunsthaus Zürich
Wann: Vernissage am Donnerstag, dem 25. Februar 2016, Ausstellung bis 8. Mai

Bilder, die man nicht vegisst: Pipilottis Kunsthaus-Zauber

Bilder, die man nicht vergisst: Pipilottis Zauberlandschaften. Fotos: C. Minjolle/Kunsthaus

Es sind mehrere Hundert Menschen, die der weltberühmten Rheintalerin am Donnerstag die Ehre erweisen. Der Vortragssaal, wo Kuratorin Mirjam Varadinis die Einführungsrede hält, ist schwarz vor lauter Vernissagegästen, es gibt kein Durchkommen, die Luft ist dick, die Stimmung familiär. Kinder toben herum, und es gibt auffallend viele (bunt gekleidete) Frauen.

Kennt sich mit X-Chromosom aus: Brida von Castelberg (links), die Architektin Tila Theus mit Neffe Nico und seiner Frau Gabriela, Rists Galerist, Executive Director von Hauser Wirth James Koch

Kennt sich mit X-Chromosomen aus: Brida von Castelberg (links), die Architektin Tila Theus mit Neffe Nico und seiner Frau Gabriela sowie Rists Galerist, Hauser & Wirths James Koch (Mitte), Künstler Costa Vece mit Angelika Bühler (Fondation Beyeler). Fotos: Claudia Schmid

Das hat wohl unter anderem auch damit zu tun, dass Pipilotti Rist viele (bunt gekleidete) Weggefährtinnen hat, die sie bei der Ausstellung unterstützt haben. Etwa Gynäkologin Brida von Castelberg, die im glossarartigen Katalog zur Ausstellung über das X-Chromosom sinniert. Rists Schwester Tamara hat die Vorhänge am Eingang genäht, und die vielen Videotechnikerinnen aus dem Team der Künstlerin stellten sicher, dass die zahllosen Videos der Künstlerin aus den letzten 30 Jahren tadellos auf Bildschirme, Textilien und Skulpturen projiziert werden konnten. Natürlich war auch der männliche Kulturbetrieb da. Die Verleger (Lars Müller, Patrick Frey und andere), Autoren wie Martin Suter, Künstler (Huber und Huber, Costa Vece) und Galeristen.

Gäste des Abends: Anne Keller Dubach, die kenntnisreiche head Citizenship & Art beim sponsor Swiss Re mit Schriftsteller Martin Suter und seiner Frau Margrith Nay Suter

Gäste des Abends: Anne Keller Dubach, Head Citizenship & Art des Kunsthaus-Sponsors Swiss Re, mit dem Schriftsteller Martin Suter und seiner Frau Margrith Nay Suter (links), die Künstlerin mit «ihrer» Kunsthaus-Kuratorin Mirjam Varadinis. Schmid/Minjolle

Weil so viele kamen – wir wüssten nicht, wann wir im Kunsthaus mehr Leute gesehen hätten –, konnte man nicht einfach durch die Ausstellung spazieren. Man musste sich den Gang in Pipilottis einzigartiges Zauberland förmlich verdienen – und eine gefühlt endlose Weile anstehen, bis man überhaupt in den Bührle-Saal reinkonnte. Ein paar Gäste gönnen sich erst mal eine Bratwurst am Vorderen Sternen beim Bellevue in der Hoffnung, es möge später leerer werden.

Familiär und ausgelassen: Kinder und Künstlerin wirbeln umher

Familiär und ausgelassen: Kinder und Künstlerin wirbeln umher. Schmid

Die Künstlerin finden wir nicht in der Ausstellung, sondern ganz entspannt am Boden sitzend mit Freunden im Vortragssaal. Oder ist sie am Tanzen? Jedenfalls wirbelt sie wie ein Vögelchen umher. Kaum hat man sie auf einer Treppe ausgemacht, steht sie eine Minute später gegenüber vor dem DJ-Pult, wo DJane Hyde Serge Gainsbourg auflegt. Oder sie tanzt allein mit ihren selbst gemachten Kissen, die sie auf der Schulter trägt – ausgestopfte Hosen und Pullover –, froh und ausgelassen wie ein Kind. «Das sind die günstigsten Kissen zum Selbermachen überhaupt. Zuerst wollten wir sie in der Ausstellung auf den Boden legen, damit man sich darauf die Videos anschauen kann. Allerdings war uns das dann doch ein wenig zu makaber, so einzelne Beine und Oberteile.»

Die Künstlerin mit einer ihrer vielen Freundinnen, der Sängerin Erika Stucky sowie Stuckys Tochter Maxine, tanzend und lachend im Kunsthaus.

Die Künstlerin mit der Sängerin Erika Stucky sowie Stuckys Tochter Maxine (links), tanzend im Vortragssaal. Schmid

Pipi hatte sich für die Ausstellungseröffnung eine Party gewünscht. «Ich möchte, dass wir alle tanzen», war denn auch ihr Wunsch des Abends. «Und ich möchte, dass ihr mir alle erzählt, was ihr in der Ausstellung gearbeitet respektive gesehen habt.»

Zwillingsbrüder und Künstler: Huber Huber (links), Unterhosen-Leuchter, Pixelwald Stimmungen, die man nicht vergisst

Zwillingsbrüder und Künstler: Huber und Huber (links), Rists Unterhosenleuchter, Pixelwald. Schmid

Oh ja, Pipi, wir sahen Bilder, die man ein Leben lang nicht mehr vergisst: einen fast vollständig abgedunkelten Bührle-Saal, dessen 1400 Quadratmeter fast vollständig ohne Stützen auskommen und so zu neuem Leben erweckt werden. Eine riesige, weiche Wohnlandschaft mit sanfter Musik, in der auf praktisch jedem Gegenstand und Möbel Videos versteckt sind. Und die neuste Arbeit der Künstlerin, einen Pixelwald aus 3000 LED-Leuchten. Man könnte Tage in diesem wohltuenden Kunst-Spa verbringen, ja gar im weichen Bett schlafen, auf dessen Bettwäsche auch eine Arbeit läuft. «Wir haben extra Bettwäsche zum Wechseln gekauft, weil sich die Leute ins Bett legen dürfen», sagte Kuratorin Mirjam Varadinis.

Nicht nur Künstlerin darf sich in ihr Bett legen - die Laken werden gewechselt . Foto L. Huber

Nicht nur die Künstlerin darf sich in ihr Bett legen – die Laken werden gewechselt. Foto L. Huber

Die letzten Monate hat sie mit Pipilotti an der Ausstellung gearbeitet. «Das war schon sehr praktisch und einmalig, mal mit einer Künstlerin zu arbeiten, die ganz in der Nähe wohnt und zu uns herunterkommen kann, wenn es ein Problem gibt.» Rist, die beim Triemli wohnt, ist nämlich erst die zweite lebende Schweizerin in der 110-jährigen Geschichte des Kunsthauses, die eine Einzelausstellung bekommt – nach Verena Loewensberg (und diese ist auch schon eine Weile her, nämlich 1981). Die dritte, Helen Dahm, musste sich 1963 den Raum mit Germaine Richier teilen.

Drei Generationen Schweizer Künstlerinnen: Werke von Verena Loewensberg (1981 im Kunsthaus), Helen Dahm (1963 im Kunsthaus), Pipilotti rist (2016 im Kunsthaus)

Zwei lebende Schweizer Künstlerinnen pro Jahrhundert: Werke von Verena Loewensberg (links, 1981 im Kunsthaus), Helen Dahm (Mitte, 1963 im Kunsthaus), Pipilotti Rist (rechts, 2016 im Kunsthaus)

Um 21 Uhr – zwei Stunden nach der offiziellen Eröffnungsrede – wurden die Gäste aus der Ausstellung hinauskomplimentiert und mit Hörnli und Ghacktem in den Vortragssaal gelockt. In Rists Wahlheimatstadt wird eben nicht lange gefackelt: Wenn das Kunsthaus schliesst, schliesst es eben. Das ist in Ordnung: Diese Ausstellung ist so schön, dass jeder nochmals (zu Randzeiten!) in Ruhe dorthin zurückkehren muss. Und in der Zwischenzeit feiert Pipilotti Rist mit uns ihre Party. Schön ists!

Zürich ist bezaubert - Party time im Kunsthaus. Minjolle

Zürich ist bezaubert – Partytime mit DJane Hyde im Kunsthaus. Minjolle