Was doch die laue Luft ausmachen kann! Zürich macht sich am Freitag wieder auf die Socken. Wir beschliessen, uns stadtauswärts zu bewegen, und legen am Stauffacher los. Urs Lüthi, der schöne Jüngling von anno dazumal, dessen Fotografien die Siebzigerjahre in eine nostalgische Schwärmerei versetzten, empfängt bei Katz Contemporary schon mal mit neuen Werken.
Was: Vernissagen in den Galerien Katz Contemporary (Urs Lüthi), A. C. Kupper Modern (Cyril Kuhn), Hauser & Wirth (Wilhelm Sasnal) und Karma International (Sylvie Fleury)
Wann: Alle am Freitag, 18 bis 20 Uhr (bei Alain Kupper ging es allerdings weiter bis in die Nacht hinein)
Wo: Katz Contemporary im Haus zur Katz an der Talstrasse 83, A.C. Kupper an der Militärstrasse 84, Hauser & Wirth im Löwenbräu und Karma im Quartierzentrum Wipkingen

Dreimal Urs Lüthi: Mit seiner gut gelaunten Galeristin Frédérique Hutter, auf seinem Kult-Autoporträt «Urs Lüthi weint auch für Sie» von 1970 und vor einem der neuen Werke («Selfportrait Pearls» von 2011). Fotos: Hennric Jokeit
Lüthis mittlerweile kahler Schädel ist ja seit der Biennale 2001, als er sich ohne falsche Scham in seiner etwas korpulenterer und weniger romantischen Erscheinung im Schweizer Pavillon wiederholt zum Markenzeichen seiner eigenen Werke machte, ebenso bekannt wie die langhaarigen androgynen Inszenierungen der Aufbruchjahre. «Meine Inszenierungen wurden damals so populär, dass die Menschen gar nicht glaubten, dass es ein Werk von mir ist, wenn ich selbst nicht drauf war», erzählt der 68-Jährige an der Vernissage. Der Künstler beschloss, mit dieser Erwartung ein eigenes Spiel zu treiben. Dies gelingt ihm bis heute vortrefflich, ganz im Sinne des Ausstellungstitels «Art is the better life» zeigt er sich mal als eine Glasskulptur, mal von Fliegen umschwärmt oder auch als kleiner grüner Papst in Aluminiumguss. Wenn man genau hinschaut, erkennt man: Auch der Papst trägt eine Clownnase.

Hugo und Ursula Bütler vor Lüthis Werk «Placebos & Surrogates» von 2001, Installation «Lost Direction».
In der Ausstellung treffen wir den Filmer und Polit-Lobbyisten Thomas Haemmerli (gerade von einem längeren Mexiko-Aufenthalt zurückgekommen), DJ Thomas Campolongo, auch der ehemalige NZZ-Chefredaktor Hugo Bütler und Gattin geben sich die Ehre. Lüthis Kunst steckt mit guter Laune an, man spricht auch an der Vernissage darüber. Auch die Defizite seines eigenen Körpers (z.B. Krankheiten, wie im Werk «Ex Voto», in dem er sich als eine Art vermenschlichtes Reagenzglas darstellt) münzt der Künstler in Werke um. Immer wieder stiehlt sich jemand in den Keller hinunter, um in den wunderbar nostalgischen alten Fotoarbeiten zu schwelgen. Es sind nur noch wenige Resteditionen vorhanden, flüstert mir die Galeristin zu. Ich gebe es hier also weiter: Zum Preis von 4000 Franken kann man sich noch eine ergattern.

Nur Flyer: Ankündigung von Cyril Kuhns Ausstellung bei A. C. Kupper, Alain Kupper im Gespräch mit dem Galeristen Nicola von Senger.
Nächste Station auf dem Kunsttrek ist der Offspace A. C. Kupper Modern. Sein Motto: «keine Homepage, keine Mails, nur Flyer». Das ist das Königreich von Alain C. Kupper, dem grossen bärtigen Szenenguru (man sagt, Kupper habe den Namen der Bar «Zukunft» erfunden, die Restaurants Josef, Italia, Lily’s sowie die neue Markthalle mitgestaltet. Er ist als DJ und Musiker aufgetreten, und Grafiker ist er auch.) In seinem sympathischen Low-key-Kunst- & Konzertraum an der Militärstrasse vermischen sich oft die Szenen. Heute stellt ein Gast aus Übersee aus, der Los-Angeles-Schweizer Cyril Kuhn. Kuhn (46) kennt man in Zürich. Er hat schon in Esther Eppsteins «Message Salon» ausgestellt. Seine Mutter ist die Malerin Rosina Kuhn – man liebt sie in Zürich. Seit sie in Bice Curigers legendärer Ausstellung «Frauen sehen Frauen» 1975 im Strauhof vertreten war, entwickelt sie ihr malerisches Werk immer weiter. Ihre aktuellen Bilder sind strahlend farbig und atmosphärisch beflügelt. Ihr Sohn Cyril, ein Jurist und künstlerischer Autodidakt, malt handfest gegenständlich in einer Tradition, die sich zu unrecht «bad painting» nennt. Denn die «schlechten Bilder» suchen natürlich auch das Gute, ja, sogar das Bessere, Authentischere, indem sie die Regeln des herrschenden Stils missachten. Kuhns Porträts und Interieurs bringen eine verrückte Grandezza in den Zürcher Kreis 4 – wunderbar.

Der Künstler Anders Guggisberg im Gespräch mit Cyril Kuhn, Rosina Kuhn parliert mit Christoph Vitali.
An diesem frühlingshaften Freitagabend ist es bei Kupper so voll, dass man kaum durchkommt. Auch Christoph Kuhn, der Vater des Künstlers, ist da – somit ist der Tagi, dessen Kulturchef und Korrespondent Kuhn einst war, mit von der Familie. Rosina Kuhn unterhält sich mit dem ehemaligen Kulturchef der Stadt Zürich, Christoph Vitali. An der Bar mixt Kollege H. G. Hildebrandt Hochprozentiges – natürlich mit Gents, dem von ihm erfundenen und hergestellten Edeltonic. Barbara Brandmaier, Kommunikationscrack, ehemalige Chefin von Sony Schweiz und eine gute Freundin des Künstlers, vernetzt fleissig die Anwesenden untereinander. Auch Becky Kolsrud ist da, Kuhn Juniors Frau und selber auch Künstlerin. Wir unterhalten uns über die Kunstszene in L.A. Es ziehen gerade viele Galerien dorthin, unter anderem haben auch die Zürcher Galerien Karma sowie Hauser & Wirth neue Räume eröffnet (die erstere eine kleine Filiale, die letztere natürlich eine riesengrosse Fabrik). Wir fragen uns, ob die zeitgenössische Kunst nun wirklich eine Chance an der Westküste bekommt. Man ist skeptisch. Trotz einem steigenden Interesse der Filmwelt an der Kunst (siehe Private View zur Sammlung Leonardo DiCaprios) fehlen dort immer noch interessierte Sammler.

Wilhelm Sasnals Gemälde: «Killing an Arab», 2016, «Palm Bay», 2013, «Killing an Arab 1», 2016. Fotos: Wilhelm Sasnal und Hauser & Wirth.
Man hat Lust zu bleiben, doch es geht weiter – der Kunsttrek ruft. Man will doch Wilhelm Sasnal nicht verpassen, den rätselhaften Polen bei Hauser & Wirth. Wir kommen reichlich spät an. Die Gäste sind schon zum Dinner aufgebrochen. Umso eindrücklicher präsentieren sich die Gemälde und Filmsequenzen des «polnischen Gerhard Richter» in den fast leeren Räumen. Sasnal (44) dreht gerade mit seiner Frau Anka einen Film mit Assoziationen zu Albert Camus’ Roman «Der Fremde». Wir erinnern uns, darin begeht der Held Meursault, ein französischstammiger Nigerianer, den Mord an einem Araber. Dazu gab es auch einst den beunruhigenden Song «Killing an Arab» der Postpunk-Band «The Cure» aus den späten 70er-Jahren. Eines der Gemälde erinnert an das Cover von der «Cure»-Single damals: die Augen des Bösen. Auf einem anderen Bild sitzen Flüchtlinge in einem Gummiboot mitten im grauen Meeresspiegel. Man sieht Filmausschnitte aus dem neuen Film, «Killing an Arab» läuft darin als Soundtrack. Sasnal schafft es wie immer, hoch emotionale Bilder so abzukühlen, dass sie uns noch unheimlicher vorkommen. Die Filmausschnitte sind echt schaurig. An einem idyllischen Ostseestrand bricht am helllichten Tag eine unmenschliche Aggression aus.

Die Genfer Künstlerin Sylvie Fleury, ihre Installation «L’oeil du Vampire», 2015, Niels Olsen (Kurator GTA Exhibitions) spricht mit der Künstlerin Pamela Rosenkranz.
Vom Löwenbräu ist es dann nur noch ein kleiner Sprung nach Wipkingen, und man sieht schon von weitem die hell erleuchteten Fenster von Karma International. Da Karolina Dankow sich jetzt um die Los-Angeles-Filiale kümmert, macht Marina Olsen die Honneurs. Auch Sylvie Fleury ist da. Die Genfer Künstlerin hat hier eine Gesamtinstallation eingerichtet, in deren Herz ein wunderschönes lila Motorrad steht, eine prächtige alte Triumph Bonneville. Das Werk trägt den Titel «Every Woman Has a Purple Bike Inside». Dieser geht auf die biografischen Essays der Feministin Gloria Steinem zurück. Schwarz funkelnde Bilder (Acryl und Glasglimmer) hängen wie Abschnitte der Route 66 an der Wand. Die Wand selbst ist jeansblau, das passt. Das ganze Fleury-Panoptikum entfaltete sich inmitten von diesem Blau, mit einem angeeigneten Lucio Fontana (das Werk, geschlitztes Denim, heisst nicht wie bei Fontana «Concetto spaziale», sondern «Concetto speziale», das finde ich sehr lustig). Es gibt übergrosse Haarspangen, Comicfiguren und ein buntes «Auge des Vampirs».

Restaurant Habesha: Buntes äthiopisches Essen und eriträisches TV. Links Künstlerin Caro Niederer, rechts Michelle Nicol («Neutral»).
Danach geht man gemeinsam an die Weststrasse ins Restaurant Habesha. Das äthiopische Lokal wirkt wie eine Kunstinszenierung «in it’s own right», mit bunten Vorhängen, einem klinisch hell erleuchteten Billardraum und naiven Bildern an den Wänden. Das Essen kommt in bunten Körben auf den Tisch und besteht aus Buchweizenfladen mit dick eingekochten Einlagen. Wir essen mit den Händen, im Fernsehen läuft ein eriträisches Programm, in dem vor allem chinesische Protagonisten auftreten. Wir sind zu Hause und doch mitten in der Welt.