Liebe Sammlerinnen und Sammler – sind wir das nicht alle irgendwie? –, die Londoner Kunstmesse Frieze hat den in sie gesetzten hohen Ansprüchen dieses Jahr kaum entsprochen. Ja, ja, ich weiss, es gab Verkäufe und man kann immer Entdeckungen machen – doch das wichtigste verkaufte Bild, von dem ich gehört habe, war Damien Hirsts «Holbein» (seine Galerie White Cube verkaufte es für 1,2 Millionen Dollar). Das sagt es aber schon: Damien Hirst! White Cube! Nichts Neues in London! Die Galeristen klagten unter vorgehaltener Hand über laue Verkäufe und unschlaue Besucher – London war ein Ärgernis.
Die Bezeichnung «domestiziert» des Marktkenners Kenny Schachter trifft das, was in London passiert, am besten. Frieze, das war doch zunächst, ganz am Anfang, eine Ausstellung der jungen Wilden, in den kalten Thatcher-Jahren. Von diesem Spirit des Authentischen zehrten sowohl die Zeitschrift «Frieze» wie später auch die gleichnamige Messe. Doch seit London die Lieblingsstadt der Celebrities und Oligarchen geworden ist, scheint die Luft langsam zu entweichen.

Die Messe Fiac: Der Stand von Karma International (an der Wand: Pamela Rosenkranz, am Boden: Bettskulptur von Melanie Matranga). Mitte: Grand Palais. Rechts: Der Stand von Hauser & Wirth mit Ausgaben von «Charlie Hébdo» in der Mitte.
Darum war diesen Herbst nicht London, sondern das künstlerisch aufholende Paris die Messe der Stunde. Natürlich auch die schöne Fiac im spektakulären Grand Palais. (Mir fielen vor allem zwei Stände auf: derjenige von Karma International mit Werken von Pamela Rosenkranz, Melanie Matranga und Simone Fattal sowie der von Hauser & Wirth mit einer kuratierten Ausstellung der Galeriekünstler zum Thema «Charlie Hébdo». Ganz toll die Arbeit von Isa Genzken, eine Assemblage aus gefundenen Objekten, die den revolutionären Geist spiegelt.)
Für den meisten Gesprächsstoff sorgte aber vor allem die ganz neue, erfrischend andere Messe, Paris Internationale, in einem wunderschönen alten Wohnhaus in der Avenue d’Iéna – ich habe sie vor zwei Wochen schon kurz erwähnt hier.
Paris Internationale hatte alles, was man in der Kunstwelt neuerdings so schmerzhaft vermisst: echten Innovationsgeist, Kameradschaft unter den Galeristen sowie Künstlern und auch diesen spontanen Glamour des Unfertigen und Improvisierten. Am Mittwoch traf man sich zu einer Soirée Diva, es gab Performances, schräge Disco und flamboyant gekleidetes Jungvolk, später ging es in den Club Le Baron für eine lange Nacht des Vergessens. Erstaunlich, wie viele Kuratoren und Sammler an die Avenue d’Iéna pilgerten, um am Jungbrunnen der Messe zu nippen.

White Cube war gestern (v.l.): Der Stand von Gregor Staiger mit Werken von Marie-Michelle Deschamps und Florian Germann, Marc Bauers Wandzeichnung bei Freymond-Guth Fine Arts, der Raum der Galerie Shanaynay, Paris, mit Werken von Keith Farquhar.
«Paris’s other, edgier art fair», schrieb die «New York Times», und auch die Pariser Kultzeitschrift «Les Inrockuptibles» räumte der neuen Messe viel Platz ein. Die Messe ist eine gemeinsame Initiative einiger Pariser Galerien und der Zürcher Galerie Gregor Staiger. Der Galerist Jean-Claude Freymond-Guth war auch dabei, u.a. mit einer wunderbaren Wandzeichnung des Schweizer Künstlers Marc Bauer. Paris Internationale hätte man dieses Jahr mit besserem Recht Frieze nennen können, denn die Räume, denen man ihre grossartige Vergangenheit gut ansah, hatten den rohen, frösteligen Charme des kaum geflickten Zerfalls. Kleine, kuratierte Kumpelmessen sind vielleicht wirklich das Zukunftsmodell und ein Ausweg aus der viel beklagten Messenmüdigkeit genannt Fair-tigue. Die zürcherisch-jurassische Designerin Marie Lusa (sie ist ein Teil der Galerie Gregor Staiger) verpasste der Messe einen federleichten Auftritt, mit einem verzückten Seufzer Aaaaaaaah! im Titel. Um Mitternacht sang die unnachahmliche Mathilde Fernandez – vive la Diva!
Nur so als eine kleine Frage: Brauchen wir nicht so etwas in Zürich? Nebst der gut etablierten Kunst Zürich könnte die Stadt durchaus etwas zusätzlichen Pioniergeist vertragen!
Und à propos Diva und Jurassierin – bestimmt ist Ihnen Gina ein Begriff, die Bühnenkreation der Performerin Eugénie Rebetez? Eugénie tanzte am Sonntag inmitten der Skulpturen des grossen Hans Josephsohn bei Hauser & Wirth im Löwenbräu. Es war eine Erfahrung, die den schläfrigen Sonntagmittag wie ein Blitz erhellt hat, denn die Kunst von Rebetez lässt niemanden gleichgültig. Sie bringt das Unangepasste, Menschliche ohne Scheu vor der eigenen «Unfertigkeit» hervor – nicht auf die gleiche Weise wie die erschütternden Torsi und Reliefs Josephsohns, doch es hat durchaus etwas Kongeniales. Eugénie tanzt am Mittwoch um 19 Uhr nochmals, don’t miss!

Unangepasst, menschlich, berührend: Eugénie Rebetez performt inmitten der Skulpturen von Hans Josephsohn bei Hauser & Wirth in Zürich (Fotos: Nelly Rodriguez und Augustin Rebetez).
(Achtung übrigens, apropos Kunst Zürich, sie geht auch schon diese Woche los – Halle 550 in Oerlikon! Am Freitag spricht Tobia Bezzola mit Dieter Meier, und am Sonntag im Rahmen des «Tages-Anzeigers»-Podiums unterhalte ich mich mit dem Sammler Hubert Looser, jeweils 14 Uhr.)