Das muss wieder mal gesagt sein: Im Helmhaus geht in Zürich die Sonne am schönsten unter. Kaum ein Ausstellungsraum kann bei diesem von der Limmat reflektierten Licht, das abends die Räume in einen Goldfilm taucht, mithalten. Auch die Aussicht auf fotografierende Touristen und die Altstadt ist bei schönem Wetter superb. Für eine Ausstellung mit dem Wort «Liebe» im Titel also mehr als perfekt. Kein Wunder, kamen am Donnerstag alle zur Vernissage – inklusive der Stadtpräsidentin in High Heels.
Was: Vernissage der Ausstellung «Das Dreieck der Liebe»
Wo: Helmhaus Zürich
Wann: Donnerstag, 24. September 2015 (Ausstellungsdauer bis 22.11.)
Auch am diesem Abend war das Helmhaus wieder mal in dieses goldene Licht getaucht, und man hätte sich stundenlang auch Schrott angeschaut, so schön war alles erleuchtet. Bei der Vernissage «Das Dreieck der Liebe» gab es aber natürlich keinen Schrott zu sehen, sondern viel Sex, Körper und strenge Linien aus der Zürcher Kunstszene von jetzt und damals. Der Kurator der Ausstellung, der Kulturanthropologe Michael Hiltbrunner, hat dafür Werke ausgewählt, die Zürichs Extrempositionen zwischen Abstraktion und Körperlichkeit zeigen. Im besten Fall vereinen sich diese Gegensätze in der «dritten, vereinenden Kraft von Liebe und Mystik» – was eben das Dreieck ergibt.

Guckiguck: Kleinteiliges und Explizites von André Gelpke (links), Ton auf Pink kommt gut: Sabian Baumann (Mitte), Vernissagen-Ekstase im Treppenhaus.
Für alle, die das mit dem Dreieck immer noch nicht gerafft haben, hier ein (kommentierter) Ausschnitt aus dem Ausstellungstext:
«Dem Aufspannen von Körperlichkeit und Abstraktion vor dem Hintergrund der Liebe liegt die Idee zugrunde»
(so weit, so gut)
«dass Körperlichkeit und Abstraktion nicht zu trennen sind»
(wirklich nicht? wir dachten immer, es seien Gegensätze?)
«so wie die Pythagoreer für alle Erscheinungen auch eine Zahl zu bestimmen suchten»
(aha, ja so, wenns die Pythagoreer taten, dann wollen wir das gelten lassen).
«Die Zahl 3 ist Symbol für Ende, Mitte und Anfang, und somit für das All. Dieses All, das Unendliche in der Mathematik, steht oft für das Göttliche und ist zentraler Gegenstand der Mystik.»
(Gemeint ist wohl hier die Kuratoren-Mystik?)
«Dies liegt der Konzeption der Ausstellung zugrunde: das Dreieck nicht als Form, sondern als Spannungsverhältnis zwischen Körperlichkeit, Abstraktion und dem dritten, kaum fassbaren kosmisch-unendlichen Element.»
(Okay, und wir dachten in unserer Naivität, dass wenn man Liebe sagt, man auch Liebe meint – und nicht «ein kaum fassbares kosmisch-unendliches Element». Aber natürlich, wo bliebe sonst die Mystik?)

Helmhaus-Hausherr Simon Maurer und Kurator Michael Hiltbrunner vor einem Werk von Cristina Fessler (l.), Stadtpräsidentin auf dem Sprung ans Filmfestival.
In seiner Rede wird Kurator Hiltbrunner schon etwas deutlicher, wenn nicht zu sagen derber: «Viele Dreiecke sind in der Ausstellung nicht zu sehen. Dafür entschuldige ich mich», sagt er. Laut Helmhaus-Leiter Simon Maurer habe sich Hiltbrunner dafür an die «Königsdisziplin» gewagt – «nämlich nicht nur eine Ausstellung auszurichten, sondern damit auch gleich eine eigene These aufzustellen». Welche These? Ist immer noch nicht so klar, aber nicht zuletzt will die Ausstellung auch zeigen, dass Zürich schon immer zwischen kühler Kalkulation und heisser Ekstase pendelte. Dafür hatte es eigentlich Dreiecke und Kugeln genug unter den schönen Exponaten.

Dreiecke und Kugeln: «Essai de simulation de la manie aiguë», 1972, eine Radierung von Johannes Gachnang (links), Eva Kurz, o.T. (Wir in Irenes Höschen), Fotografie, 2015, C-Print (Mitte) und Walter Pfeiffers Ohne Titel, 1979, Courtesy Galerie Sultana, Paris.
Für Corine Mauch, die die Ausstellung mit eröffnet, ist heute eher ein Abend der heissen Ekstase: Sie muss im Anschluss auch noch an die Eröffnungsnacht des Zurich Film Festival «abzischen» und ist denn auch mit Abstand am festlichsten gekleidet: Sie trägt ein rotes Kleid und ultrahohe Absatzsandalen aus Lackleder. Wirklich Zeit, die Ausstellung in Ruhe anzuschauen, hat sie nicht.
Dabei macht es richtig Spass, sich im gleichen Raum von den bunten Geometrien einer Verena Loewensberg und den kleinen, expliziten Siebzigerjahre-Aktfotografien eines André Gelpke verführen zu lassen. Dank Arbeiten von 1937 bis heute ist die Bandbreite gross, und alle sind angesprochen: Die Besucher Mitte 30 finden ihre Kollegen bei den kleinformatigen Nackt- und Unterhosenbildern von Eva Kurz (*1979) wieder; die Älteren entdecken Arbeiten der frühen F+F-Schule, von Manon oder Max Bill, wieder; die Jüngeren von Tobias Madison oder Rico & Michael.
Das gleichnamige Künstlerduo, das sich von Beginn weg mit Körperlichkeit und Selbstdarstellung beschäftigt hat, bringt eine begehbare Bodeninstallation mit dekonstruierten Selbstporträts im Pseudo-Versace-Stil ins Helmhaus. «Ist recht praktisch; Meterware und einfach zu pflegen», sagen die beiden. Hinter ihnen steht Walter Pfeiffer. Der Fotograf, dank knallblauem Outfit immer von weitem sichtbar, will aber nicht auf ihrem PVC-Boden posieren, sondern führt uns zu seiner eigenen Arbeit – natürlich Akte. Mit seinen reizenden, blutjungen Assistenten Samuel Haitz und Jeannie Coco Schneider bildet er ein Dreieck, das sinnbildlich für diese generationenübergreifende Ausstellung steht.