Also doch. Am Freitag haben die venetianischen Stadtbehörden die als «Isländischer Pavillon» deklarierte Installation «The Mosque» des Schweizer Künstlers Christoph Büchel geschlossen. Nach zwei Wochen der Diskussionen und staatlichen Kontrollen nach Anzeigen, teilte die Stadtverwaltung von Venedig am Donnerstag den Verantwortlichen des Icelandic Art Center und der Biennale mit, dass die Genehmigungen für den isländischen Pavillon zurückgenommen wurden. Am Freitag verweigerte man den Gebetswilligen den Zugang. Spielte Büchel mit seiner Installation willentlich mit dem Feuer? Natürlich – darin liegt das Wesen seiner Kunst.
Nachdem ich im Beitrag «Inside Venedig» schon kurz über die Eröffnung des Kunstprojekts berichtet habe – ich war dort und die Feier hat mich echt bewegt – , will ich, liebe Leserinnen und Leser von Private View, nochmals auf «The Mosque» zu sprechen kommen. Der Fall ist interessant. Es geht um Sachen, die uns alle angehen: Unseren Umgang mit der Religion, dem interkulturellen Dialog, und auch um unsere Bereitschaft, die liberalen Tendenzen des Islams zu stärken. Eine politische Kunst hat der Biennale-Leiter Okwui Enwezor gefordert. Etwas ist sicher: Christoph Büchels «The Mosque» löst diese Forderung besser als die beiden Haupt-Ausstellungen der Biennale ein.
Hier eine kleine Zusammenfassung der Ereignisse:
Der Auftrag Anfang 2014 erhält der Schweizer Künstler Christoph Büchel, der seit sieben Jahren in Island lebt und mit einer Isländerin verheiratet ist, den Auftrag, den isländischen Pavillon solo zu bespielen. Die Ernennung des Schweizers sei eine «Geringschätzung» isländischer Künstler, giftelt der Künstler Steingrimur Eyfjord.
Die Idee Man kennt Büchel. Seine Projekte zielen immer in die Mitte einer schwelenden sozialen Unruhe. In Venedig, der traditionallen Pforte zum Orient, sind die islamischen Kultureinflüsse auf Schritt und Tritt anzutreffen. Büchel erfährt bei seiner Recherche, dass es im historischen Zentrum der Stadt trotzdem nie eine funktionierende Moschee gab. Voilà – das ist eine Aufgabe nach seinem Gusto. Nur – und das ist der provokative Teil seines Beitrags – diese Kunst-Moschee soll in einer katholischen Kirche eingerichtet werden.
Die Suche Büchel und die Mitarbeiter des Isländischen Art Center, welches den Pavillon kuratiert, laufen sich die Füsse wund, um eine Kirche, die im Geiste einer allumfassenden Ökumene mitmachen würde, zu finden – vergeblich. Die Biennale-Leitung sieht keine Chance, das Projekt zu verwirklichen und rät ab. Büchel gibt nicht auf.

Eine Rede in perfektem Italienisch: Mohamed Amin Al Ahdab, Architekt und Präsident der Islamischen Gemeinde von Venedig, spricht zu seinen Schäfchen sowie den Kunst-Aficionados an der Eröffnung am 8. Mai.
Der Fund Ganz spät findet sich die Kirche: die Santa Maria della Misericordia de L’Abazia, Anfang der 70er-Jahre privatisiert und desakralisiert (die Gegener behaupten zwar, der Akt der Desakralisierung habe nicht stattgefunden, doch die Isländer haben Belege). Die ehemalige Kirche wurde bisher als Lagerraum gebraucht und kann gemietet werden.
Die Implementierung Schnell macht Büchel Nägel mit Köpfen: Er richtet die Kirche als eine Moschee ein, mit Teppich samt aufgemalten Gebetsnischen, orientalischem Lüster, Koransprüchen über den Türen, einer Mihrab-Nische, welche die Gebetsrichtung anzeigt und einem LED-Display mit aktuellen Gebetsstunden.

Die islamische Gemeinde Venedigs strömt in «ihre» neue Moschee, im «Lädeli» verkauft man ein Arabisch-Lehrbuch, die «Fratelli Maroccani» intonieren Allah Akhbar an der Eröffnung.
Die Eröffnung Diese gerät am Freitag, dem 8. Mai, zu einer herzerwärmenden Feier der Verbrüderung. Mohamed Amin Al Ahdab, ein Architekt und Präsident der Islamischen Gemeinde von Venedig, dankt in einer bewegenden Rede in perfektem Italiensich für die «Magie der Kunst», welche die «Herzen der Muslime» erleuchte. Er drückt die Hoffnung aus, dass die temporäre Nutzung der Moschee während der Biennale in einer Erlaubnis für einen permanenten Betrieb enden wird. Al Ahdab sagt auch Folgendes: «Island, das Land des Eises und der Steine, hat Venedig gewärmt. Es hat dieses architektonische Juwel vom Staub befreit und es in einen Ort des Lebens verwandelt. Es war einst eine Kirche, ist jetzt eine Moschee, doch es bleibt ein Ort, wo wir alle zum gleichen Gott beten, er möge uns Frieden schenken». Dann sprechen der Reihe nach: ein Imam von Venedig, der Oberhaupt der isländischen Islam-Gemeinde (ein ehemaliger Hippie), ein italienischer Funktionär, ein katholischer Priester, die Botschafterin Pakistans und weitere lange Reihen von Menschen, die hier aufzuzählen ich nicht mal Platz hätte. Manche Männer beten vom ersten Moment an. Frauen fühlen sich auf ihrer Empore wohl, Kinder kreischen. Das Kunstvolk zieht folgsam die Schuhe aus.
Die Proteste beginnen sofort nach der Eröffnung und kulminieren in einer Anzeige, die der streitbare venetianische Kunsthistoriker Alessandro Tamborini erstattet. Er weigert sich, beim Besuch der «Mosque» seine Schuhe auszuziehen mit folgender Argumentation: Da es sich um einen Pavillon der Biennale handelt, könne es sich nicht um einen Kultort handeln. Wenn es aber ein Kultort ist, wäre es kein islamischer, für den man die Schuhe ausziehen müsste, sondern ein katholischer. Die offiziell lutherische Republik Island könne eine katholische Kirche nur widerrechtlich usurpieren und daraus eine Moschee machen. Tamborini erstattet auch Anzeige gegen den isländischen Aussenminister, der die «Schändung» einer katholischen Kirche durchführen liess.
Die Schliessung Die Stadtverwaltung schliesst um der Ruhe willen zwei Wochen nach der Eröffnung, am Freitag, dem 22. Mai, Büchels «Mosque». Unter dem formalistischen Vorwand, dass die Maximalzahl von Besuchern überschritten wurde. Das befriedigt weder die Gegner, die ein Exempel statuieren wollten, noch die Organisatoren, die auf eine offene Diskussion über den Umgang mit den Grundrechten der islamischen Minderheit in Italien hofften.

Die Inschrift über der Eingangstüre der Kirche sagt: «Sacrosanctae Vaticanae Basilicae Perpetuo Aggregata», also für ewig dem Vatikan zugeordent. Rechts: ein Koranspruch im Inneren der Kirche
Die Polemik: Es regt sich allmählich auch in den Kunstkreisen Kritik. Büchel spiele mit dem Feuer, heisst es, er provoziere eine mediale Schlammschlacht, die auch islamische Fanatiker alarmieren könnte (wohin das führen kann, hat uns Paris jüngst aufs Traurigste vorgeführt). Indem er darauf bestehe, seine Aktion in einer Kirche zu inszenieren, riskiere er verletzende Bemerkungen und befeuere eine Hetze gegen just die Menschen, bei deren Integration er helfen wollte.
Das Gegenargument: Ganz abgesehen von allen kunstimmanenten Betrachtungen (z.B., dass das Nachdenken über die kontroverse Anlage des Kunstwerks den eigentlichen gesellschaftliche Mehrwert darstellt): Es ist immerhin erstaunlich, dass die islamische Gemeinde Venedigs sich derart dem ganzen Kunst-«Betrieb» so geöffnet hat und die internationale Kunstgemeinde in ihrer Mitte mit offenen Armen empfangen hat. Jede Bestrebung, die den offenen, modernen Islam unterstützt und in den internationalen Kontext integriert, ist Gold wert. Und wem die Vermischung von Kunst und Religion nicht geheuer ist, wird höflich gebeten, in jede andere Kirche Venedigs einen Abstecher zu machen, wo die grössten Kunstwerke der abendländischen Kunst von Touristenmassen bestaunt werden, während alte venezianische Omas inbrünstig beten.