Das Spiel mit dem Feuer

Ewa Hess am Dienstag den 26. Mai 2015

Also doch. Am Freitag haben die venetianischen Stadtbehörden die als «Isländischer Pavillon» deklarierte Installation «The Mosque» des Schweizer Künstlers Christoph Büchel geschlossen. Nach zwei Wochen der Diskussionen und staatlichen Kontrollen nach Anzeigen, teilte die Stadtverwaltung von Venedig am Donnerstag den Verantwortlichen des Icelandic Art Center und der Biennale mit, dass die Genehmigungen für den isländischen Pavillon zurückgenommen wurden. Am Freitag verweigerte man den Gebetswilligen den Zugang. Spielte Büchel mit seiner Installation willentlich mit dem Feuer?  Natürlich – darin liegt das Wesen seiner Kunst.

Nachdem ich im Beitrag «Inside Venedig» schon kurz über die Eröffnung des Kunstprojekts berichtet habe – ich war dort und die Feier hat mich echt bewegt – , will ich, liebe  Leserinnen und Leser von Private View, nochmals auf «The Mosque» zu sprechen kommen. Der Fall ist interessant. Es geht um Sachen, die uns alle angehen: Unseren Umgang mit der Religion, dem interkulturellen Dialog, und auch um unsere Bereitschaft, die liberalen Tendenzen des Islams zu stärken. Eine politische Kunst hat der Biennale-Leiter Okwui Enwezor gefordert. Etwas ist sicher: Christoph Büchels «The Mosque» löst diese Forderung besser als die beiden Haupt-Ausstellungen der Biennale ein.

Hier eine kleine Zusammenfassung der Ereignisse:

Der Auftrag Anfang 2014 erhält der Schweizer Künstler Christoph Büchel, der seit sieben Jahren in Island lebt und mit einer Isländerin verheiratet ist, den Auftrag, den isländischen Pavillon solo zu bespielen. Die Ernennung des Schweizers sei eine «Geringschätzung» isländischer Künstler, giftelt der Künstler Steingrimur Eyfjord.

Chrstoph büchel und «seine» Kirche Sta Maria della Misericordia am Campo de L'Abazia

Christoph Büchel und «seine» Kirche Sta Maria della Misericordia am Campo de L’Abazia.

Die Idee Man kennt Büchel. Seine Projekte zielen immer in die Mitte einer schwelenden sozialen Unruhe. In Venedig, der traditionallen Pforte zum Orient, sind die islamischen Kultureinflüsse auf Schritt und Tritt anzutreffen. Büchel erfährt bei seiner Recherche, dass es im historischen Zentrum der Stadt trotzdem nie eine funktionierende Moschee gab. Voilà – das ist eine Aufgabe nach seinem Gusto. Nur – und das ist der provokative Teil seines Beitrags – diese Kunst-Moschee soll in einer katholischen Kirche eingerichtet werden.

Die Suche Büchel und die Mitarbeiter des Isländischen Art Center, welches den Pavillon kuratiert, laufen sich die Füsse wund, um eine Kirche, die im Geiste einer allumfassenden Ökumene mitmachen würde, zu finden – vergeblich. Die Biennale-Leitung sieht keine Chance, das Projekt zu verwirklichen und rät ab. Büchel gibt nicht auf.

Eine Rede im perfekten Italienisch:

Eine Rede in perfektem Italienisch: Mohamed Amin Al Ahdab, Architekt und Präsident der Islamischen Gemeinde von Venedig, spricht zu seinen Schäfchen sowie den Kunst-Aficionados an der Eröffnung am 8. Mai.

Der Fund Ganz spät findet sich die Kirche: die Santa Maria della Misericordia de L’Abazia, Anfang der 70er-Jahre privatisiert und  desakralisiert (die Gegener behaupten zwar, der Akt der Desakralisierung habe nicht stattgefunden, doch die Isländer haben Belege). Die ehemalige Kirche wurde bisher als Lagerraum gebraucht und kann gemietet werden.

Die Implementierung Schnell macht Büchel Nägel mit Köpfen: Er richtet die Kirche als eine Moschee ein, mit Teppich samt aufgemalten Gebetsnischen, orientalischem Lüster, Koransprüchen über den Türen, einer Mihrab-Nische, welche die Gebetsrichtung anzeigt und einem LED-Display mit aktuellen Gebetsstunden.

Die islamische Gemeinde Venedigs strömt in «ihre» neue Moschee, im «Lädeli» verkauft man ein Arabisch-Lehrbuch, die «fratelli maroccani» intonieren Allah Akhbar an der Eröffnung

Die islamische Gemeinde Venedigs strömt in «ihre» neue Moschee, im «Lädeli» verkauft man ein Arabisch-Lehrbuch, die «Fratelli Maroccani» intonieren Allah Akhbar an der Eröffnung.

Die Eröffnung Diese gerät am Freitag, dem 8. Mai, zu einer herzerwärmenden Feier der Verbrüderung.  Mohamed Amin Al Ahdab, ein Architekt und Präsident der Islamischen Gemeinde von Venedig, dankt in einer bewegenden Rede in perfektem Italiensich für die «Magie der Kunst», welche die «Herzen der Muslime» erleuchte. Er drückt die Hoffnung aus, dass die temporäre Nutzung der Moschee während der Biennale in einer Erlaubnis für einen permanenten Betrieb enden wird. Al Ahdab sagt auch Folgendes: «Island, das Land des Eises und der Steine, hat Venedig gewärmt. Es hat dieses architektonische Juwel vom Staub befreit und es in einen Ort des Lebens verwandelt. Es war einst eine Kirche, ist jetzt eine Moschee, doch es bleibt ein Ort, wo wir alle zum gleichen Gott beten, er möge uns Frieden schenken». Dann sprechen der Reihe nach: ein Imam von Venedig, der Oberhaupt der isländischen Islam-Gemeinde (ein ehemaliger Hippie), ein italienischer Funktionär, ein katholischer Priester, die Botschafterin Pakistans und weitere lange Reihen von Menschen, die hier aufzuzählen ich nicht mal Platz hätte. Manche Männer beten vom ersten Moment an. Frauen fühlen sich auf ihrer Empore wohl, Kinder kreischen. Das Kunstvolk zieht folgsam die Schuhe aus.

"The Mosque": Innenansichten mit Lüster, Koransprüchen und Frauenempore

«The Mosque»: Innenansichten mit Lüster, Koransprüchen und Frauenempore

Die Proteste beginnen sofort nach der Eröffnung und kulminieren in einer Anzeige, die der streitbare venetianische Kunsthistoriker Alessandro Tamborini  erstattet. Er weigert sich, beim Besuch der «Mosque» seine Schuhe auszuziehen mit folgender Argumentation: Da es sich um einen Pavillon der Biennale handelt, könne es sich nicht um einen Kultort handeln. Wenn es aber ein Kultort ist, wäre es kein islamischer, für den man die Schuhe ausziehen müsste, sondern ein katholischer. Die offiziell lutherische Republik Island könne eine katholische Kirche nur widerrechtlich usurpieren und daraus eine Moschee machen. Tamborini erstattet auch Anzeige gegen den isländischen Aussenminister, der die «Schändung» einer katholischen Kirche durchführen liess.

Schuhtrageverbot in «The Mosque», die erste islamische Predigt, die Gläubiger

Schuhtrageverbot in «The Mosque», die erste islamische Predigt, die Gemeinde

Die Schliessung Die Stadtverwaltung schliesst um der Ruhe willen zwei Wochen nach der Eröffnung, am Freitag, dem 22. Mai, Büchels «Mosque». Unter dem formalistischen Vorwand, dass die Maximalzahl von Besuchern überschritten wurde. Das befriedigt weder die Gegner, die ein Exempel statuieren wollten, noch die Organisatoren, die auf eine offene Diskussion über den Umgang mit den Grundrechten der islamischen Minderheit in Italien hofften.

Eine kleine Provokation vielleicht doch: Die Inschrift über der Eingangstüre der Kirche sagt: «Sacrosanctae Vaticanae Basilicae Perpetuo Aggregata», also für ewig dem Vatikan zugeordent. Immerhin aber ist die Kirche privat, sie funktionierte schon vor der Moschee nicht als Kirche. Rechts: Die neue Inschrift

Die Inschrift über der Eingangstüre der Kirche sagt: «Sacrosanctae Vaticanae Basilicae Perpetuo Aggregata», also für ewig dem Vatikan zugeordent. Rechts: ein Koranspruch im Inneren der Kirche

Die Polemik: Es regt sich allmählich auch in den Kunstkreisen Kritik. Büchel spiele mit dem Feuer, heisst es, er provoziere eine mediale Schlammschlacht, die auch islamische Fanatiker alarmieren könnte (wohin das führen kann, hat uns Paris jüngst aufs Traurigste vorgeführt). Indem er darauf bestehe, seine Aktion in einer Kirche zu inszenieren, riskiere er verletzende Bemerkungen und befeuere eine Hetze gegen just die Menschen, bei deren Integration er helfen wollte.

Das Gegenargument: Ganz abgesehen von allen kunstimmanenten Betrachtungen (z.B., dass das Nachdenken über die kontroverse Anlage des Kunstwerks den eigentlichen gesellschaftliche Mehrwert darstellt):  Es ist immerhin erstaunlich, dass die islamische Gemeinde Venedigs sich derart dem ganzen Kunst-«Betrieb» so geöffnet hat und die internationale Kunstgemeinde in ihrer Mitte mit offenen Armen empfangen hat. Jede Bestrebung, die den offenen, modernen Islam unterstützt und in den internationalen Kontext integriert, ist Gold wert. Und wem die Vermischung von Kunst und Religion nicht geheuer ist, wird höflich gebeten, in jede andere Kirche Venedigs einen Abstecher zu machen, wo die grössten Kunstwerke der abendländischen Kunst von Touristenmassen bestaunt werden, während alte venezianische Omas inbrünstig beten.

Casa Daros am Ende

Ewa Hess am Dienstag den 19. Mai 2015

Die Pressemitteilung war so unklar, dass man leicht verpassen konnte, um was es ging. In Rio, sogar in ganz Südamerika, schlug aber die Nachricht wie eine Bombe ein: Casa Daros macht zu. Das immense Kulturzentrum der Schweizer Mäzenin Ruth Schmidheiny in Rio de Janeiro, vor nur zwei Jahren glorreich eröffnet, ist am Ende. Das Haus soll, wie es der Euphemismus der Mitteilung ausdrückt, «einem neuen Zweck zugeführt werden». Was ist da bloss passiert?

Imperialer Eingang: Casa Daros in einem ehemaligen Waisenhaus in Rio (Quartier Botafogo)

Imperialer Eingang: Casa Daros in einem ehemaligen Waisenhaus in Rio (Quartier Botafogo).

Der aktuelle Direktor der Casa Daros in Rio, Dominik Casanova, gibt die hohen Kosten des Betriebs als Grund für die Schliessung an. Die Stiftung wolle diese Ressourcen lieber für die Organisation von Ausstellungen mit den Werken aus der Daros-Latinamerica-Sammlung in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern und weltweit nutzen. «Als private Einrichtung ohne Sponsoring» (hm, braucht man jetzt Sponsoren für Mäzene? Anmerkung von mir) sei die Casa Daros den finanziellen Aufwendungen nicht mehr gewachsen. Immer höhere Versicherungskosten und «bürokratische Schwierigkeiten» in Brasilien tragen zur Entscheidung bei.

Ein Kulturhaus wie ein ganzes Kulturquartier: Casa Daros von oben

Ein Kulturhaus wie ein ganzes Kulturquartier: Casa Daros von oben.

Der künstlerische Direktor und Spiritus Rector der ganzen Sammlung, Hans-Michael Herzog, befindet sich auf einer «mehrwöchigen Südamerikareise», wie er mir freundlicherweise per SMS mitteilt. Als ich ihn gestern ausfragen wollte, stieg er gerade ins Flugzeug nach Kuba und signalisierte höflich «no comment». Der Stiftungsratspräsident Christian Verling ist auch auf Reisen, sagt aber der brasilianischen Zeitung «30 Minuten», dass man es gerne sähe, wenn das Kulturzentrum weiterbestehen würde. Nur fortan mit brasilianischem (oder sonst irgendwelchem) Geld. «Wir würden es begrüssen, wenn Casa Daros als künstlerische und kulturelle Plattform weitermachen würde. Wir sind offen für Vorschläge von Regierungen und Institutionen», sagt er. Mit dem Schliessungstermin im Dezember habe man extra den Zeitraum für einen eventuellen Neuanfang so gelegt, dass die neuen Betreiber von den Synergien mit der kommenden Olympiade von 2016 profitieren könnten. Aus Rio hört man, es habe bereits ein Treffen mit dem alarmierten Bürgermeister von Rio, Eduardo Paes, stattgefunden – ohne Ergebnis bisher.

Die Euphorie des Anfangs: Ruth Schmidheiny eröffnet die Casa Daros im März 2013

Die Euphorie des Anfangs: Ruth Schmidheiny eröffnet die Casa Daros im März 2013.

Ach, ging das schnell! Im Januar 2013 reiste ich kurz vor der offiziellen Eröffnung des riesigen Kulturzentrums nach Rio, um mit Künstlern und Kuratoren zu sprechen (den Bericht, der damals in der «SonntagsZeitung» erschien, kann man hier lesen. Die Kolumne, die ich für die Zeitschrift «Du» schrieb, hier). Alle Zeichen standen damals auf Aufbruch und Neuanfang! Wir erinnern uns: Ruth Schmidheiny ist die Ex-Frau des Industriellen Stephan Schmidheiny. Beim Namen Schmidheiny denkt man an Zement. Aber da ist noch viel mehr, unter anderem auch die Fundación Avina, ein von Schmidheiny gegründetes grosses Hilfswerk mit Aktivitäten in 15 Ländern Südamerikas. Die Kunstsammlung Daros Latinamerica wurde allerdings komplett unabhängig von Avina ins Leben gerufen. Sie geht auf die Initiative Ruth Schmidheinys zurück, nachdem die Eheleute beschlossen, getrennt zu leben. Die Sammlung Daros, mit Daros Latinamerica nicht zu verwechseln, ein hochkarätiges Konvolut von Blue Chips europäischer und amerikanischer Kunst, das Stephan Schmidheiny von seinem früh verstorbenen Bruder Alexander geerbt hat, blieb bei ihm (es ist jetzt in der Fondation Beyeler deponiert). Ruth Schmidheiny hat seit 2000 mit dem deutschen Kurator Hans-Michael Herzog die Daros Latinamerica von null auf aufgebaut. 1200 Werke beinhaltet sie jetzt, darunter beste lateinamerikanische Künstler (etwa Cildo Meireles, Lygia Clark, Guillermo Kuitca, Doris Salcedo, Miguel Angel Rojas, Ana Mendieta).

Ausstellungsansichten aus der Casa Daros: Fabio Marcacci (links), kubanische Kunst

Ausstellungsansichten aus der Casa Daros: Werke von Fabio Marcaccio (links), kubanische Kunst.

Das Projekt Casa Daros war lange das Ziel, worauf man hingearbeitet hat. 2006 kaufte Frau Schmidheiny das alte neoklassizistische Waisenhaus im Quartier Botafogo (für 16 Millionen brasilianische Real, erzählte man mir, das wären jetzt ca. fünf Millionen Schweizer Franken, damals war es wohl mehr). Das Haus ist so riesig, dass man es, Schweizer Dimensionen gewohnt, zuerst gar nicht glauben kann: Es hat 500 Fenster! Sechs Jahre lang dauerte der Umbau – und kostete 25 Millionen Dollar. Alles vom Feinsten. Als man es damals besichtigte, mag ich mich erinnern, hatte man den Eindruck, dass weniger Perfektion es vielleicht auch getan täte. Aber na ja, Schweizer Standard. In Rio waren alle beeindruckt. Damals gab es noch einen Flügel, der nicht umgebaut war – mir hat die rohe Schönheit der alten Säle gut gefallen.

Die Struktur der Casa Daros, mit Bibliothek, Raum für Pädagogik, Café... Rot umrahmt: der noch nicht umgebaute Flügel.

Die Struktur der Casa Daros, mit Bibliothek, Raum für Pädagogik, Café… Rot umrahmt: Der noch nicht umgebaute Flügel.

Trotz der Perfektion haben sich Schmidheiny und Herzog nicht getraut, die wertvolle Sammlung nach Rio zu zügeln. Auf Anfrage bezweifelte Herzog damals, dass die Sicherheitsstandards in Rio gewährleistet würden. Rund 20 Ausstellungen fanden aber in den zwei Jahren in Rio mit den Werken der Zürcher Sammlung und anderer Sammlungen statt, auch Performances, Vorlesungen, Künstlergespräche, Workshops… Es ist der Casa Daros gelungen, die Schwerpunkte der Sammlung in Brasilien zu präsentieren und – vor allem – einen Dialog über lateinamerikanische Kunst über Grenzen hinweg anzustossen. Und jetzt das. Aus. Man wolle weiterhin von Zürich aus die Ausstellungstätigkeit ausbauen, heisst es.

Casa Daros: Endlose Saalfluchten (links), Installation der Künstlerin Lole da Freitas

Casa Daros: Endlose Saalfluchten (links), Installation der Künstlerin Iole de Freitas

In den 15 Jahren, seit es die Sammlung Daros Latinamerica gibt, ist die Kunst aus Südamerika enorm im Wert gestiegen. Die Preise für die Werke gingen durch die Decke – das heisst, dass auch der Versicherungswert stieg und stieg. Möglicherweise ist das der Casa Daros zum Verhängnis geworden. Der Hinweis auf die «Bürokratie» könnte auch bedeuten, dass die Brasilianer bei der Ein- und Ausfuhr der Werke Stress machten. Wollte man Frau Schmidheiny zwingen, ihre Sammlung in Brasilien zu stationieren? Ist die Drohung mit der Schliessung ein Schachzug im Poker um Betriebsmodalitäten?

«Perfekter Ort für ein Casino», schreibt zynisch ein enttäuschter Leser der «Rio Times» im Kommentar zur Meldung. Hoffentlich nicht, denkt man.

Gute Nacht, Casa Daros!

Gute Nacht, Casa Daros!

Inside Venedig

Ewa Hess am Dienstag den 12. Mai 2015

Insider-Talk ist an den Eröffnungstagen der Biennale in Venedig die schönste Nebensache. Die US-Sammler, hiess es im Vorfeld, würden alle erst zur Art Basel im Juni (Art Basel: 18. bis 21. Juni) nach Europa kommen und dann die Biennale besuchen. Entweder sind sie alle trotz der Ankündigung in der letzten Minute doch noch in den Flieger gehopst, oder aber sie machen in der Menge nur einen kleinen Prozentsatz aus. Jedenfalls – es gab auch ohne sie genug Menschen an der dreitägigen Preview (Galeristen, Kuratoren, Künstler, Kulturmanager und Journalisten), um Pavillons und auch die Vaporettos in dicht gedrängte Sardinenbüchsen zu verwandeln. Hier einige Gesprächsthemen, die uns (Giovanni Pontano und mir) in Venedig die Ohren streiften.

Was: Eröffnung der 56. Biennale d’Arte di Venezia  – «All the World’s Futures»
Wann: 5. bis 8. Mai 2015 (die Biennale dauert bis 22. November)

1. Wem nützt die frühere Eröffnung? Als offizielle Begründung des vorgezogenen Eröffnungstermins der Biennale (Anfang Mai statt Anfang Juni) wird die Anbindung an die Weltausstellung in Mailand angegeben. Leicht düpiert suchte die Art Basel im Vorfeld das Gespräch mit Paolo Baratta, dem väterlichen Präsidenten der Biennale (so kam es Private View zu Ohren). Wie käme es den Baslern in den Sinn, war die entrüstete Antwort, dass eine Anbindung der Biennale an eine kommerzielle Veranstaltung wie eine Kunstmesse überhaupt erwägenswert wäre? Hm. Ist das nicht ein bisschen scheinheilig? Schliesslich funktionierte das Prinzip «See it in Venice, buy it in Basel» seit Jahren reibungslos, ohne dass sich jemand daran störte. Der wahrscheinlichste Profiteur der Verschiebung wird wohl die Kunstmesse Frieze in New York sein, wohin viele unmittelbar nach der Biennale-Eröffnung abgereist sind.

Kritisches Werk der Gruppe Gulf Labor, Liste der Sponsoren, der Kurator Okwui Enwezor und Präsident Paolo Baratta

Kritisches Werk der Gruppe Gulf Labor: «Who is Building the Guggenheim Abu Dhabi», Lange Liste der Sponsoren, Kurator Okwui Enwezor (immer so elegant wie seine Schau) und der Präsident Paolo Baratta.

2. Wer bezahlt das alles? Selten hat man die Biennale so elegant gesehen – die Wände im Arsenale gestrichen und repariert, der Garten dahinter maniküriert, Installationen, etwa die von Chris Ofili, gepflegt in die Umgebung eingeblendet. Hat die alte Biennale, sonst chronisch unterfinanziert, etwa einen neuen Sugar Daddy? Von den Insidern hört man, dass der diesjährige Kurator Okwui Enwezor sich nicht nur als ein unerschrockener Kapitalismuskritiker, sondern auch als ein brillanter Fundraiser bewiesen hat. Es ist offensichtlich ein Vorteil, wenn man einen Schrank voll elegant geschnittener Anzüge sein eigen nennt wie der smarte Nigerianer. Oder vielleicht gilt einfach in der kapitalistisch geeinten Welt nach dem Gesetz der Angebotsverknappung: «Marx sells!». Die am Eingang präsentierte Liste der Geldgeber ist jedenfalls lang (darunter die Schweizerinnen Maja Hoffmann mit ihrer Luma-Foundation sowie ihre Schwester Vera Michalski mit der nach ihrem verstorbenen Mann benannten Literatur-Stiftung Jan Michalski). Die Sponsorenliste zeigt dennoch nur einen Teil der Wahrheit. Die mächtigen Galeristen berappen mittlerweile sehr viel aus eigener Tasche – die Produktion, die Installation, die Transportkosten, die Empfänge… Es ist wohl kein Zufall, dass in der Hauptschau viele der ausgestellten Künstler von sechs führenden Galerien repräsentiert werden: den Galerien Gagosian, David Zwirner, Pace, Marian Goodman, White Cube und Hauser & Wirth.

Camille Norment spielt Glasharfe, eines der virtuosen Gemälde von Adrian Gheni, Pamela Rosenkranzs rosa Installation im Schweizer Pavillon

Camille Norment spielt Glasharfe in nordischen Pavillon, eines der virtuosen Gemälde von Adrian Ghenie, Pamela Rosenkranz’ rosa Installation im Schweizer Pavillon.

3. What’s new? Zu den viel besprochenen Entdeckungen der Biennale gehört, da sind sich viele Kritiker einig, «unsere» Pamela Rosenkranz. Ihre eindrückliche Installation im Schweizer Pavillon ist zudem auch beim weniger profilierten Publikum das Gesprächsthema der Eröffnungstage: Wie hat man den Pavillon in eine Zisterne voller rosa Flüssigkeit verwandeln können? Sind der Flüssigkeit psychoaktive Substanzen beigemischt? Manche Besucher fühlen sich nach einem Blick in die blubbernden rosa Fluten euphorisiert, andere benommen. (Die Meinung Ihrer treuen Berichterstatterin: «Our product» ist eines der besten Exponate der Länderpavillons, denn eine pointierte Aussage paart sich darin mit einem formal starken Auftritt.) Weitere starke Auftritte: die Glasharfenmusik-Installation im nordischen Pavillon. Die Künstlerin heisst Camille Norment, und sie wurde von der Schweizer Chefin der norwegischen Kunstbehörde ausgewählt, Katya Garcia-Anton. Im rumänischen Pavillon staunt man über die malerische Virtuosität von Adrian Ghenie. Ein Blick in seinen «Darwin’s Room» voller pastosen, aber seltsam verzerrten Porträts, und man hat das Gefühl, in Francis Bacon’s interessantem Alptraum die Hauptrolle zu spielen.

Das Fotografieren verbindet die Welten: In der von Christoph Büchel als "Erste Moschee in der historischen Stadt Venedig» installiertem isländischen Pavillon

In Christoph Büchels «Erster Moschee in der historischen Stadt Venedig».

4. Provokation oder nicht? Der Beitrag des Schweizer Künstlers Christoph Büchel gibt nicht nur den Besuchern der Biennale viel zu reden, sondern beschäftigt auch die italienischen Behörden, die eine baldige Schliessung der als isländischer Beitrag zur Biennale deklarierten Kirche ankünden (Kirchenschliessung? Pipilotti Rists nackte Wilde in der Kirche San Stae 2005 lassen grüssen). Büchels «Erste Moschee in der historischen Stadt Venedig» ist indes bestimmt keine leere Provokation. An der Eröffnung erleben die Besucher eine gefühlsgeladene Feier der islamischen Gemeinde Venedigs, die Reden kommen direkt aus den Herzen der hier versammelten Moslems. Eigentlich kaum vorstellbar, dass es in Venedig, dieser Stadt, die als Tor zum Orient der islamischen Kultur so viel zu verdanken hat, bisher keine Gebetsstätte für die hier lebenden Moslems gab. Büchel trifft mit seiner Intervention ins Schwarze. Er legt den Finger in die Wunde, mietet eine ausrangierte katholische Kirche (die Santa Maria della Misericordia) und richtet sie als eine Moschee ein.  Voller Dialogbereitschaft sind die Reden des Imams, des Präsidenten der islamischen Gemeinschaft und der Botschafterin von Pakistan an der Eröffnung. Die Moschee soll eigentlich bis November offen bleiben (aber eben), in dieser Zeit hofft die Glaubensgemeinschaft zeigen zu können, dass sie nur Friedliches im Sinn hat. Eine grosse Gemeinsamkeit zwischen dem Kunstvolk und den Damen im Kopftuch: Sie fotografierten alles wie besessen mit ihren Handys.

Eine kleine Provokation vielleicht doch: Die Inschrift über der Eingangstüre der Kirche sagt: «Sacrosanctae Vaticanae Basilicae Perpetuo Aggregata», also für ewig dem Vatikan zugeordent. Immerhin aber ist die Kirche privat, sie funktionierte schon vor der Moschee nicht als Kirche. Rechts: Die neue Inschrift

Eine kleine Provokation vielleicht doch: Die Inschrift über der Eingangstüre der Kirche sagt: «Sacrosanctae Vaticanae Basilicae Perpetuo Aggregata», also für ewig dem Vatikan zugeordnet. Die Kirche ist aber jetzt im Privatbesitz, sie funktionierte schon vor dem Funktionswechsel nicht als Kirche. Links: Die neue Inschrift im Inneren der Kirche/Moschee.

5. François Pinault schafft es. Was? Nichts weniger als die beste und die schlechteste Schau der Biennale beizusteuern. Der französische Luxusmagnat unterhält in Venedig bekanntlich zwei Museen: die Punta della dogana und den Palazzo Grassi.  Der vietnamesische Künstler und Kurator Danh Vo (gemeinsam mit Caroline Bourgeois) zeigt im ehemaligen Zollamt Venedigs eine Schau, die zu den durchaus schwierigen Räumlichkeiten wie ein italienischer – pardon französischer – Massanzug passt. Eine Abfolge quer durch die Kunstgeschichte, nicht ganz unbescheiden machen Danh Vos Werke einen beträchtlichen Anteil davon aus – doch sie bilden einen passenden roten Faden. Wie eine Faust aufs Auge daneben die Martial  Raysse gewidmete Schau im Palazzo Grassi. Musste Pinault hier eine alte freundschaftliche Verpflichtung seinem alten Spezi Raysse gegenüber einlösen? Während man dessen ältere Arbeiten aus den Swinging Sixties noch mit einem Augenzwinkern als chic wahrnehmen konnte – so überkommt einen zunehmend ein ungutes Gefühl: je älter der Künstler, desto jünger die Modelle. Die nicht enden wollende Schau entlarvt zudem das malerische Talent des Künstlers als ein eher bescheidenes. Quel dommage.

Je älter der Künstler, desto jünger die Models: Martial Raxsses spätes Werk. Links: Ein Blick in Danh Vos Schau «Slip of the Tongue» mit einem Werk von Martin Wong

Je älter der Künstler, desto jünger die Models: Martial Raysses spätes Werk. Rechts: Ein Blick in Danh Vos Schau «Slip of the Tongue» mit einem Werk von Martin Wong.

6. Und zu guter Letzt doch noch eine kleine Vorschau auf die ART BASEL: Wie wir erfahren, wird Hauser & Wirth die berüchtigte Roth-Bar im edlen Hotel Trois Rois in Basel einbauen! Und in der Elisabethenkirche wird ein Werk von Isaac Julien vorgeführt, ein der Brasilianischen Architektin Lina Bo Bardi gewidmeter Film «Stones Against Diamonds», den der englische Fast-Turnerpreis-Gewinner (2001) mit Hilfe von Rolls Royce realisiert hat (was etwas kurios anmutet, weil es der gleiche Isaac Julien ist, der die Marx-Lesung der Biennale orchestriert hat). Doch der Film ist sehr schön – in Venedig lief er im schon, im Palazzo Malipiero-Barnabò.

Ein Still aus Isaac Juliens Film: die romanitsche Architektin in den Eishöhlen Islands

Ein Still aus Isaac Juliens Film: die romanitsche Architektin Lina Bo Bardi (gespielt von Vanessa Myrie) in den Eishöhlen Islands.

Frau Pradas Anti-Expo

Ewa Hess am Dienstag den 5. Mai 2015

Ein Haus aus Gold, das ist nicht gerade Understatement. Doch das neue Museum der Gegenwartskunst in Mailand, gestiftet von der Modegigantin Miuccia Prada und ihrem Mann Patrizio Bertelli, hat Stil. Sehr viel Stil. Zu viel? Ach was, das ist doch Mailand! Zu viel Stil ist gar nicht möglich.

Was: Erste Präsentation der Fondazione Prada, des privaten Kunstzentrums von Miuccia Prada und Patrizio Bertelli
Wo: Im Industriequartier Mailands, Largo Isarco 2, 20139 Milano, visit.milano@fondazioneprada.org
Wann: Ab 9. Mai fürs Publikum offen, jeden Tag von 10 bis 21 Uhr

Signora Miuccia Prada schreitet energisch ihr neues Reich ab

Signora Miuccia Prada schreitet energisch ihr neues Reich ab.

Man könnte meinen, dass die von Firmen und privaten Mäzenen gesponserten Museen populärer zu sein versuchen als die öffentlichen Museen, die im öffentlichen Auftrag handeln. Oft ist aber das Gegenteil wahr. Während die öffentlichen Museen sich vor Gremien und Steuerzahlern durch Eintrittszahlen legitimieren müssen, machen die Mäzene mit ihrem Geld vor allem das, was sie selbst (und ihre meist den gesellschaftlichen Eliten angehörenden Freunde) für richtig halten. Und das ist oft: Intellektualität. Oder wie es Professor Salvatore Settis an der allerersten Pressekonferenz der Fondazione Prada sagt: «Far pensare!» Die Anregung zum Denken soll im neuen Kulturzentrum Mailands also ein Gebot sein.

Ein «güldenes» Haus, wie im Märchen. Die Fassade ist mit 24-Karat-Blattgold ausgelegt. Das sei das Billigste Verkleidungsmaterial gewesen, sagt Koolhaas, und es reflektiert das Licht so schön!

Ein «güldenes» Haus: Die Fassade ist mit 24-Karat-Blattgold ausgelegt. Das sei das billigste (weil dünnste) Verkleidungsmaterial gewesen, sagt Koolhaas, und es reflektiere das Licht so schön!

Das Zitat zeigts schon. Obwohl die Modemarke Prada vor allem in New York und Hongkong zu dem wurde, was sie heute ist, also zum internationalen Luxusgiganten, herrscht in ihrer Kulturstiftung edle Italianità. Die Vorstellung wird auf Italienisch abgehalten, bis auf das Votum des Architekten Rem Koolhaas, welches er in seinem holländisch gefärbten Englisch hält. «Zu viel Individualität tut uns nicht gut», sagt Koolhaas. Patrizio Bertelli, der mit seinen weissen Locken und der dunkel gerahmten Brille wie ein distinguierter norditalienischer Avvocato aussieht, hält sich, während Koolhaas spricht, den Übersetzungsstöpsel ans Ohr. Kann das sein? Der Patron von Prada versteht kein Englisch?

Herr Prada - Patrizio Bertelli (ganz links) lauscht der englischen Übersetzung der Worte  seines Architekten Rem Koolhaas, Signora Prada parliert mit dem Kulturminister Franceschini

Patrizio Bertelli (ganz links), lauscht der italienischen Übersetzung der Worte seines Architekten Rem Koolhaas, Miuccia Prada parliert mit dem Kulturminister Dario Franceschini, Professore Settis fordert: «Far pensare!»

«Kulhas» sagen sie hier, und natürlich ist der grosse Architekt mit seinem Thinktank/Architekturbüro OMA durchaus ein cooler Hase, gefragt überall, wo die Architektur mehr sein soll als nur gebaute Materie (aber dennoch gut aussehen soll). Koolhaas rühmt sich also an der Pressekonferenz, dem individualistischen Denken eine Absage erteilt zu haben . Weil er für Pradas nichts Neues erbaut, sondern die alte Schnapsfabrik am Rande Mailands transformiert habe. Geschmeichelt sei er, sagt er zudem, dass ihm, einem Mann des Nordens, die Südländer ihr Vertrauen schenkten. Damit spielt er auf das jahrhundertealte Kunstparadigma an: als die italienische Malerei die Schönheit suchte (in der Hochrenaissance), der Norden aber lieber die Wahrheit auf seine Leinwände bannte, auch wenn sie hässlich war.

Imperiale Ausmasse: Der riesige Innenhof der Fondazione

Imperiale Ausmasse: Der riesige Innenhof der Fondazione Prada Milano.

Um den nahtlosen Übergang von Altem zu Neuem gehe es hier, das betonen alle auf dem Podium, auch der extra herbeigeeilte Kulturminister Dario Franceschini. Tatsächlich hat Italien, verliebt in seine Tradition, es bisher weitgehend versäumt, diese in einem modernen Kontext erstrahlen zu lassen. Ob das mit dem Umbau einer alten Destillerie zu einem Kulturzentrum schon getan ist? Damit allein wohl kaum. Denn Hand aufs Herz: Eine Industriebrache in ein Kulturzentrum umwandeln? Damit erfindet man 2015 nicht das Pulver.

Das Kino verbirgt sich hinter den Spiegeln

Das Kino verbirgt sich hinter den Spiegeln, dahinter der noch im Bau befindliche Turm.

Darum wohl hat Miuccia Prada, die in der Art italienischer Matriarchinnen den Gatten aufs Podium schickt und die Pressekonferenz aus der ersten Reihe dirigiert, die erste Wechselausstellung dem alten Professor Settis anvertraut, dem hochverehrten Archäologen und langjährigen Rektor der Scuola Normale von Pisa, einer italienischen Elite-Uni. Er habe sie beim ersten Treffen gefragt, warum gerade antike Kunst, erzählt Setti. Und Miuccia Prada habe ihm geantwortet: Das sei eine politische Geste. Die Tradition eben. In einer eindrücklichen Explosion der italienischen Suada macht der Professore klar und deutlich, dass die antike Kunst der Römer schon moderner als modern war, weil – dem Prinzip des Multiplen gehorchend – nicht nur eine berühmte Skulptur, sondern immer Serien davon, Kopien und Kopien von Kopien, erzeugt worden sind. Die Archäologie habe zudem das zutage gefördert, was er die «macelleria di arte antica» nennt, also die Metzgerauslage der antiken Kunst: unzusammenhängende Füsse, Hände, Torsi und Köpfe. Und kennen wir diese Zerstückelung des menschlichen Körpers nicht zur Genüge aus der zeitgenössischen Kunst? Ha!

Antike Skulpturen wirken ungewohnt modern, wenn ihre Bemalung rekonstruiert ist (links). Die «macelleria di arte antica» (Mitte). Kopie von Kopie war üblich.

Antike Skulpturen wirken modern, wenn ihre Bemalung rekonstruiert ist (links). Die «macelleria di arte antica» (Mitte). Kopie von Kopie war üblich – darum geht es in der ersten Schau der Fondazione Prada Milano.

Aber kommen wir zur Sache. Der Komplex der Fondazione, bestehend aus mehreren Gebäuden auf 19000 Quadratmetern, ist sehr, sehr edel geworden. Riesengross, mit viel Luft, mit wahrhaft imperialen Innenhöfen, einem grossen Kino, einer schönen Bar, vielen Galerienfluchten und einer extra eingerichteten – wir sind im Kinderland Italien! – Accademia dei Bambini (und es kommen noch die Bibliothek, der grosse Turm, weitere Lagerräume…). Alles aus den allerbesten Materialien. Den verschiedenen Gebäuden, die es schon gab, wurden neue hinzugefügt. Am sichtbarsten das goldene Haus, das (in plötzlicher Abkehr vom Italienischen) im modernen Englisch-Esperanto «The Haunted House», das verwunschene Haus, genannt wird. In diesem wurden Werke von Robert Gober und Louise Bourgeois als ständige Installation eingerichtet. Ja, da ist sie, die «macelleria» der Moderne. Gobers Füsse, Beine, Lavabos und in den Ausgusslöchern leuchtende Karfunkel-Herzen sprechen vom Schmerz des fremd gewordenen Körpers, von der Ausgrenzung der Sexualität, vom Verlust des Sakralen, von all den Themen, die uns der Amerikaner seit den 80er-Jahren mit seinen Inszenierungen nahegebracht hat. Im Basler Schaulager der Mäzenin Maja Oeri gibt es Gobers Räume, wir kennen diese Stimmung auch. Und Louise Bourgeois’ textile Skulpturen und Installationen, die etwas von Boudoir und viel von Gefängnis haben, sind doch auch denkwürdige Offenbarungen einer schmerzlich aufschreienden (weiblichen) Körperlichkeit.

Im «Spukhaus»: Blick aus dem goldenen Fenster, Robert Gobers «Untitled», Louise Bourgeois' Figur am Boden.

Im «Spukhaus»: Blick aus dem goldenen Fenster, Robert Gobers «Untitled», Louise Bourgeois’ Figur am Boden.

Aus der legendären und geheimnisumwitterten Sammlung der Prada-Bertellis wurden Teile für wechselnde Präsentationen herausgegriffen. Aha! Das also sammeln die Modefürsten! In der «Introduction» genannten Ausstellung erkennt man in einer langen Reihe von an die florentinische Pinakothek erinnernden Kabinetträumen den Leitgedanken sofort. Die tollen Italiener, vor allem der wunderbaren Arte-Povera-Zeit, also der 60er-Jahre, (nicht umsonst ist der umtriebige Arte-Povera-Impressario Germano Celant der Generalkunstdirektor der Pradas), wurden nahtlos unter die schönsten Stücke der internationalen zeitgenössischen Prominenz gereiht. Die Schau fängt zwar mit dem Amerikaner Walter de Maria an. Doch war er nicht ein Kind von italienischen Einwanderern, hat sein Vater nicht den Kaliforniern Pasta serviert? Dann Piero Manzoni, Lucio Fontana, Emilio Vedova, Alighiero Boetti, dazu Gerhard Richter, Frank Stella und – nicht unbedingt erwartbar – Jeff Koons. Eine Serie von in Seide und Silber gewirkten italienischen Teppichbildern von 1560 («Trionfo di Bacco») umrahmt Werke von Kurt Schwitters und Joseph Cornell – den frühen Meistern der Collage.

Teile der legendären Prada-Sammlung: Natalie Djurbergs «Potato», dicht gehängte Auswahl, Yves Kleins «Vague» von 1957 und Piero Manzonis «Achrome» von 1962

Teile der legendären Prada-Sammlung: Natalie Djurbergs «Potato»,  Yves Kleins «Vague» von 1957 und Piero Manzonis «Achrome» von 1962, in einem weiteren Saal Meisterwerke dicht an dicht.

Alles vom Feinsten. So soll das hier sein. Es geht aber auch um die stimmungsvolle Inszenierung. So hat die Bar, die sich sinnig «Luce» nennt, obwohl sie im Schatten einer typischen schwarzen Koolhaas-Wand ihre Aussentischchen aufstellt, der amerikanische Filmregisseur Wes Anderson («The Grand Budapest Hotel», «The Magnificent Andersons») installiert. Sie ist eine Mischung aus der Galleria Vittorio Emmanuelle, Mailands gefeierter Shopping-Arkade, und einem italienischen Strandrestaurant aus den Fifties. Anderson konnte es sich nicht verklemmen, in einem der altmodischen Flipperkästen seinen eigenen Film «The Life Acquatic» mit der Figur des Meeresforschers Zissou zu verewigen. Im Kino: Ein anderer Meister der Stimmung. Roman Polanski erzählt in einem eigens hergestellten Dok-Film, woher er seine filmischen Inspirationen hat. Die dazugehörigen Filme, lauter Klassiker wie «Citizen Kane» etc., werden in einem extensiven Cinémathèque-Programm in dem in Altgold eingerichteten Kinosaal auch gezeigt. Das Zentrum ist ja schliesslich etwas für die Mailänder Bevölkerung und nicht nur für Touristen.

Das von Wes Anderson eingerichtete Café «Luce», Flipperkasten mit Zissou, Frau Prada empfängt beim Kaffee und Tramezzino

Das von Wes Anderson eingerichtete Café «Luce», Flipperkasten mit Zissou, Frau Prada empfängt beim Kaffee und Tramezzino.

Und über allem thront die magnificent Signora Prada, die so forsch dem gängigen Schönheitsgebot trotzt und sich wie eine in Würde alternde Mailänder Grossbürgerin präsentiert. An der «Anteprima», also Vorpremiere am Samstag, trägt sie eine stahlblaue Bluse mit einem gestreiften Wollschal, dazu einen dunklen Plisseerock (pikantes Detail: der Gürtel scheint verrutscht zu sein, doch es gehört sich so), unter den strammen Wädchen weinrote Sandalen mit Keilabsatz, die aus den 40er-Jahren zu stammen scheinen. Dazu gehört auch die schlichte Frisur, die ihr von keinem Schönheitschirurgen berührtes Gesicht sanft umrahmt. Sie geht herum, spricht mit allen, trinkt ab und zu ein Tässchen Kaffee in ihrer schönen neuen Bar, schmaust dazu ein liebevoll vom Personal gereichtes Tramezzino. Und als ihr Mann Patrizio auf dem Podium etwas sagt, das ihr nicht passt, ruft sie in bewährter Manier der italienischen Mammas laut die Berichtigung hinauf. Ich glaube, es ging ihr darum, dass sie ihre Modestylisten in ein ebenso inspiriertes Licht wie die Künstler stellen wollte. Anstand und Höflichkeit müssen sein.

Der Feigenbaum als Skulptur im Innenhof, der Plan des Museums im edlen Metall am Boden.

Der Feigenbaum als Skulptur im Innenhof, der Plan des Museums im edlen Metall am Boden.