Bombenstimmung in Basel

Claudia Schmid am Dienstag den 28. April 2015

Ein Bombenalarm in Basels Innenstadt sorgt während der Ausstellungseröffnung der dänischen Künstlergruppe Superflex in der Galerie von Bartha für wilde Vermutungen. Die Stimmung ist wie immer familiär – und euphorisch.

Was: «Superflex – Euphoria Now»
Wo: Galerie von Bartha, Kannenfeldplatz 6, Basel
Wann: Vernissage am Freitag, 24. April, Ausstellung bis 11. Juli

joinedbjorn

Links der Künstler, den wir der Einfachheit halber Björn nennen, Studentin Camille Merré, und – wirklich? – non alcoholic Wodka.

Feuerwehrautos rasen mit Sirenenalarm an der Galerie von Bartha vorbei. Gut, liegt diese nicht im Stadtzentrum, sondern beim idyllischen Kannenfeldpark. Denn ins Zentrum fährt zurzeit kein Tram; der Verkehr ist zusammengebrochen. Medien berichten von einem Bombenalarm beim Theaterplatz. Allerdings wird während des Abends nicht klar, ob der verdächtige Koffer, der beim Tinguelybrunnen gefunden wurde, eine Attrappe oder ein potenzieller Sprengkörper war. «Vielleicht ist es auch eine Kunstaktion», sagt Bjornstjerne Christiansen von der Künstlergruppe Superflex, den wir der Einfachheit halber Björn nennen, und der eine Sonnenbrille trägt.

Die Dänen kommen: Superflex, ein Werk des Trios, Blick in die Galerie

Die Dänen kommen: Superflex (rechts), Blick in die Galerie (Mitte), ein Werk des dänischen Trios (links).

Er kommt direkt von der Insel Mayotte und leidet unter einem Jetlag. Björns Vermutung, dass es sich um einen Kunstscherz handelt, kommt nicht von ungefähr: Schliesslich befindet sich der Theaterplatz bei der Kunsthalle. Dort richtete Superflex vor zehn Jahren die «Supershow» aus. Nach diversen Präsenzen während der Art Basel zieht es die Künstlergruppe wieder in die Rheinstadt: Sie stellen erstmals in der Galerie von Bartha aus. Und zeigen dort, ausgehend von der hypnotisierenden «Dream Machine» (1958/59) von Brion Gysin, die aus einem Pappzylinder besteht, der sich um eine Lichtquelle dreht, ihre euphorisierenden Werke. Die «Dream Machine», die 1979 erstmals bei von Bartha gezeigt wurde, steht ebenfalls im Raum.

joinedsupercopy

Eine Kopie von Hans Haackes «Supercopy» mit einem falschen Hermès-Tüchli (links), ein Plakat für die Superflex-Schau in der Kunsthalle Basel vor zehn Jahren (Mitte), Designerin Lela Scherrer.

Sanft hypnotisierend ist aber auch das Kunstwerk, das beim Eingang hängt und, vom Sonnenlicht bestrahlt, viele Bewunderer findet: Die «Supercopy», eine Kopie des Kunstwerks von Hans Haacke (1964), bei der ein Ventilator Luft unter ein aufgespanntes Segel bläst. Bei der Version von Superflex handelt es sich um Foulard-Kopien von Hermès und Gucci, gefunden auf dem Markt von Bangkok.

Die Auseinandersetzung mit dem Copyright ist nur eines der Themen von Superflex. In ihren «Tools», wie sie ihre Kunstwerke nennen, beschäftigen sie sich mit ökonomischen Fragen, Besitzverhältnissen oder der Macht von Unternehmen. Oft haben ihre Arbeiten einen starken Bezug zu sozialem Engagement, alternativen Ökonomien und Selbstorganisation. So organisierte Superflex das Projekt «Supergas» (1998) zur Nutzung einfacher Biogasfabriken in Asien und Afrika.

Euphoria... Ist die gut? euphorische Besucherinnen Anina Michel von der Basler Galerie Idea Fixa mit Kollegin Kisshy

Euphoria … gut, aber gefährlich. Die Farben stammen von den Schweizer Banknoten. Euphorische Besucherinnen: Anina Michel von der jungen Basler Galerie Idea Fixa mit Kollegin Kisshy.

In Basel kommen die Banken dran: Eine lange Bildtafel listet sämtliche Investmentbanken auf, die seit 2008 bankrottgingen. Die stärkste Arbeit besteht aus 3-D-Blumenvasen, die den ikonischen Gebäuden grosser Investmentbanken nachempfunden und mit psychoaktiven Pflanzen wie Mohn oder Cannabis gefüllt sind. Die Pflanzen spielen auf die Euphorie an, die in diesen Bankgebäuden mit dem Handel riesiger Geldmengen generiert wird. «Um eine 3-D-Vase zu drucken, dauert es etwa eine Woche. Bis zur Art Basel im Juni werden wir noch mehr Vasen beisammen haben», sagt Björn.
Mit der Zeit wird das Publikum, offenbar vom Titel der Schau inspiriert, etwas euphorisch. So stülpt sich ein Besucher kurzerhand ein Euphoria-Now-Poster, das zum Mitnehmen aufliegt, über den Kopf und rennt damit durch die Galerie. Was die coolen Basler aber nicht wirklich kümmert.

Galerist Stefan von Bartha - schwer zu erwischen

Galerist Stefan von Bartha – schwer zu erwischen, weil hungrig.

Wie immer taucht bei von Bartha ein guter Besuchermix auf: Babys, Kleinkinder und junge Familien (Galerienbesuche gehören in der Mäzenenstadt zur Erziehung, und keins der Kleinen macht etwas kaputt), Sammler und Bekannte der Familie von Bartha (zum Beispiel Anwalt Peter Zahn) sowie eine Reihe von Kreativen, darunter Künstler Boris Rebetez, Regisseur Boris Nikitin, Designerin Lela Scherrer oder Corinne Grüter, die eine der wenigen guten Modeboutiquen in Basel führt. Die Galerie existiert seit fünfundvierzig Jahren und wird in zweiter Generation geführt: Margareta von Bartha, Mutter von Stefan, die erste Generation in der Galerie am Kannenfeldplatz, ist ebenfalls da – an Stöcken. «Ich habe mich beim Tempelsteigen in Kambodscha verletzt», verrät sie und lacht über sich selber. Nicht in den Engadiner Bergen also, wo die Galerie (in S-chanf) eine Dependance unterhält.

Margarethe von Bartha, Vasen in Form von Banken (die Pflanze, die darin wächst... kennt man), alle die bekifften Bankenbankrotts

Die erste Von-Bartha-Generation: Mutter Margareta von Bartha, Vasen in Form von Bankenbauten (die Pflanze, die darin wächst … kennt man doch?), und die Auflistung all der bekifften Banken-Bankrotts seit 2008.

Die Wand, an der die regenbogenfarbigen Euphoria-Now-Poster hängen (die Farben sind jenen von sämtlichen Schweizer Banknoten entnommen!), entpuppt sich im Verlaufe des Abends als heimliche Fotowand. Alle machen davor Selfies. Camille Merré, eine Studentin aus gutem Hause, passt mit ihrem gelben Kleid perfekt zur Regenbogenwand und posiert willig.

Das kann man von Stefan von Bartha nicht behaupten. Der geborene Gastgeber kann partout nicht stillstehen – und lässt sich kaum scharf fotografieren. Er hat auch gerade andere Prioritäten. «Ich will endlich essen gehen – ich habe schon seit Stunden Hunger.»
Punkt 20 Uhr wirft er die Gäste aus der Galerie. Und schon eine Viertelstunde später sitzt er im Restaurant Rhyschänzli beim Voltaplatz und gönnt sich mit den Künstlern zum Apéro ein wohlverdientes Moretti-Bier.

cs* Gastautorin und gebürtige Baslerin Claudia Schmid ist Redaktorin bei der «SonntagsZeitung» und dem «Tages-Anzeiger» – sie berichtet für Private View aus ihrer Heimatstadt.

Bevor die Abrissbirne kommt

Ewa Hess am Dienstag den 21. April 2015

Was ist ein Haus? Eine Strasse? Eine Stadt? Was ist uns schon die ganze Welt? In dieser Ausstellung, die ganz beiläufig solche grossen Fragen stellt und sie ganz schön fies am Ende offen lässt, hat auch der listige Schweizer Weltvermesser Christoph Rütimann einen Beitrag inszeniert. Und siehe da: Es ist ein Loch.

Was: Projekt «Sollbruchstelle» 03
Wo: In den ehemaligen Hallen der Carrosserie Boffa und dem Autospritzwerk Max Zimmermann auf dem Areal an der Werdstrasse 126 im Zürcher Kreis 3
Wann: 15. bis 19. April (weitere Tage: 22. bis 26. April)

Ausstellung

Der Initiant Jenja Roman Doerig gräbt die Grube für sein eigenes Kunstwerk mit dem Namen «Wrong Way To Hell oder über die Vorherrschaft religiöser Moralvorstellungen» (links), Doerigs Werk vor der farbigen Wand, die bald verschwinden wird (Mitte), Eingang zur Fabrikhalle (rechts).

«Sollbruchstelle» ist ein zwar exakt passender, und dennoch nicht ganz korrekter Name für das Projekt. Denn das geplante Abbrechen, namentlich von Häusern, ist bei den Projekten der Initianten Nikkol Rot und Jenja Doerig nur ein Aspekt. Ihre ganze Energie richtet sich eigentlich auf die Zeit dazwischen. Zwischen dem Abbruch und dem Neubau. An einem Ort, wo etwas Altes wegbrechen soll und etwas Neues noch nicht da ist, befinden wir uns in einem definitorischen Niemandsland. Und das ist im Zeitalter von Profilsucht und Wikipedia ein tolles Ding.

Eine Brackwasser-Ecke nannte die Zürcher Modemacherin Sissi Zöbeli mal einen solchen Ort. Sie sagte damals, dass die Künstler Berlin deshalb so lieben, weil es dort noch so Ecken hat. Mir hat das sehr eingeleuchtet, seither nenne ich das auch so. Brackwasser – weder Salzwasser noch Süsswasser. Eine Umgebung, wo vielerlei gedeihen kann.

Die Sollbruchstelle-Leute suchen Orte, wo etwas wegbricht. Und bespielen das Dazwischen. Mit Kunst und Projekten, die mit dem abzubrechenden Haus zusammen verschwinden werden. Die Werkhallen an der Werdstrasse sind ihr dritter Austragungsort. An der Löwenstrasse gab es schon so etwas und in Zollikon. Und jetzt diese wahnsinnig schöne Werkhalle. In der lauen Frühlingsluft erstrahlt der Ort zum letzten Mal – ganz hell.

Die Auswahl der Künstler, die hier zusammengerufen worden sind, ist ein Kunstwerk eigener Prägung. Manche sind Künstler, manche nicht, und allen gemeinsam ist, dass sich ihnen die Welt als ein poetisches Mysterium erschliesst. Manche sind schon länger als ganz besondere Tüftler bekannt (wobei die Bezeichnung Tüftler nicht despektierlich, sondern gänzlich bewundernd gemeint ist!). Also eben Christoph Rütimann, der Mann, der lange vor der Performance-Queen Abramovic die Präsenz des Künstlers zum Inhalt seiner Aktionen machte – etwa indem er auf dem Dach der Kunsthalle Bern sass. Oder Hans Knuchel, der Mann mit dem «Unterwasserteleskop», der Meister der Camera obscura und hoch geachteter Lehrer an der ZHdK. Oder Jürg Egli, der Video-Pionier, der zwischen den bewegten 80er-Jahren und seiner heutigen Praxis als «Zeitmaler» eine Karriere als viel bewunderter Bildermagier für Werbung und Fernsehen untergebracht hat (ich sage nur: Rundschau-Signet!).

«Was bleibt» - das Loch von Christoph Rütiman, Graffiti an der Wand gab es schon vorher

«Was bleibt» – das Loch von Christoph Rütimann, Graffiti an der Wand gab es schon vorher.

Von Rütimanns Loch war schon die Rede. Schlicht und genial – denn ohne die Wand gäbe es das Loch nicht und mit ihr wird das ephemere Werk, das hier und jetzt ein so solides Statement punkto Form und Ausdehnung macht, auch verschwunden sein. Oder doch nicht? «Was bleibt» titelt Rütimann seine Intervention. Unsere Erinnerung an das nicht dingfest zu machende Ding auf jeden Fall.

Eglis Werk im Mondschein (rechts) und im Regen (links), dazwischen die Mooslandschaft

Eglis Werk «Plötzliche Stille» im Regen (links) und im Mondschein (rechts), dazwischen die Mooslandschaft im Close-up.

Jürg Egli schafft in Moos. Buchstäblich. Auf dem Dach der Garage wuchs die archaische Pflanze zu einer Landschaft heran. Jürg holt sie runter, ins Rampenlicht der kurzen Schau. «Moos ist weich, Moos ist feucht, Moos ist alt», sagt er. Sein Werk nennt er «Plötzliche Stille», ein 3-D-Teppich mit heraufragenden Sporenkapseln, zum Werk gehört auch die Dachöffnung. Durch diese fällt Sonnenschein, Regen und auch Mondschein herein. Magisch.

Egli beobachtet sein Mooswesen im Halbdunkel der Halle. Der mit allen Raffinessen des elektronischen Bildes vertraute Crack zeigt den Zuschauern (auch mir), wie man mit einem iPhone ein Hightech-Panorama seines Werkes hinkriegen kann. Auch das ist Magie. Er säte sich übrigens selbst ins Werk hinein – als einen Mann aus Kresse.

Joinedkresse

Der Journalist und Gents-Tonic-Unternehmer HG Hildebrand hätte auch nichts gegen ein Schläfchen auf dem Moos (links), Jürg Egli (mit weissem Hemd) gibt ein Ad-hoc-iPhone-Kürsli, der Kressemann wächst jeden Tag höher.

Man ehrt hier, in der Halle, wo früher Autokarosserien auf Hochglanz gebracht wurden, umfassend die Natur. Schon im Hof begegnet man einem selig lächelnden Afrikaner – riesengross an eine Wand gepinselt. Darf man vorstellen: Edie Mukiibi, ein 28-jähriger Agronom aus Uganda, der Pionier einer neuen afrikanischen Schulgärten-Bewegung. Gemalt haben ihn Fassino & Lobeck, ein Duo, bestehend aus Architekt und Fotograf. Und in einem anrührenden Dokumentarfilm präsentiert Lidija Burcak ein ebenso altes wie ungewöhnliches Bauernpaar: Edith und Werner Freidig. Er hat 25 Jahre auf den Weiden von Lenk im Simmental nach alter Väter Art Gras gemäht und die Sense gedengelt. Sie aber, das kluge Mädchen, das von Japan geträumt und ethnografisch interessiert war, hat das Leben der beiden mit ihrer Super-8 in einen unendlichen Lebensfilm gebannt. In der Video-Koje, in der der Film zu sehen ist, sitzen die Zuschauer auf echten Strohballen.

Edie Mukiibi schaut von der Wand auf den Vorhof der Garage, Werner Freidig mäht seine Weide in Lenk nach der Väter Art (Filmstill)

Edie Mukiibi schaut von der Wand hinunter auf das Vernissagenvolk, Werner Freidig mäht seine Weide in Lenk nach der Väter Art (Filmstill).

Auf dem Weg zur Sollbruchstelle war mein Velo übrigens frühlingshaft beschwingt. Ich fuhr Umwege und sah das Quartier, in dem ich arbeite, mit anderen Augen an. Ein Graffiti mit roter Rübe rief alle auf, die Begierden zu wecken. Neue Beizen, alte Sehnsüchte … Kreis drei, dachte ich, ist eigentlich ein besonderer Ort. Auch so eine Brackwasserecke – nicht schick, nicht arm, und vielen Arten vom Leben zuträglich. Es lebe die Sollbruchstelle! Es wäre besser, sie bräche uns nicht gänzlich ab. Die Siedlung, die an Stelle der Werkhalle hinkommt – man kann sie hier schon als Rendering sehen–, ist übrigens vorbildlich verdichtet und architektonisch interessant. Doch alles andere als ein Brackwasserbecken voller seltsamer Lebewesen.

Die Filmemacherin Lidija Burcak (links), Sollbruchstelle-Initiantin Nikkol Rot (Mitte), und der Beweis, dass Glamour keine Frage der Adresse ist

Die Filmemacherin Lidija Burcak (links), Sollbruchstelle-Initiantin Nikkol Rot (Mitte), und der Beweis, dass Glamour keine Frage der Adresse ist (rechts).