Die grössten Schweizer Talente

Ewa Hess am Dienstag den 24. Februar 2015

Es war eine heavy-duty Vernissagenwoche in Zürich, liebe Leserinnen und Leser. Wir sind uns bestimmt einige Male über den Weg gelaufen. Am Donnerstag eröffnete das Kunsthaus seine Japonismus-Schau, am Freitag die Kunsthalle ihren ersten Ausstellungsreigen sowie das Migros-Museum für Gegenwartskunst die Xanti-Schawinsky-Retrospektive. Auch die Galerien des Löwenbräus legten ihre ersten starken Karten im neuen Jahr auf den Tisch: Thomas Pils bei Eva Presenhuber, Tobias Madison bei Francesca Pia, Shana Moulton bei Gregor Staiger, und im Parkett-Ausstellungsraum gibt es eine tolle Installation vom Basler Künstler Kilian Rüthemann. Mich hat aber am Freitag, als die Eröffnungen im Löwenbräu stattfanden, ein heimtückischer Virus befallen. Kaum wieder auf den Beinen, fuhr ich am Samstag nach Schwamendingen. Zwei Offspaces eröffneten dort ihre neuen Räume: Plymouth Rock und Taylor Macklin.

Was: Gruppenausstellung «A Form Is a Social Gatherer» mit Werken von 40 Künstlern sowie eine Einzelschau des norwegischen Künstlers Marius Engh
Wo: Offspaces Plymouth Rock und Taylor Macklin, beide an der Luegislandstrasse 105
Wann: Vernissagen Samstag, 21.2., Ausstellungen bis 21. März

Grosstädtisch: Luegislandstrasse

Grossstädtisch: Luegislandstrasse. Links geht es zu den Offspaces

Petersburgjoin

Plymouth Rock: Werke von 40 Künstlern in «Petersburger Hängung»

Mitchell W. Anderson kennt Ihr schon, liebe Leser. Es ist jener rührige Texaner und Zürcher Expat, selbst auch Künstler, der mit seinem Offspace in einer Spiralgarage (Private View berichtete vor exakt einem Jahr hier) der satten Zürcher Kunstszene vorführte, wie man sich einen Tick grossstädtischer gebärden könnte. Sein Kassenhäuschen an der Badenerstrasse ist aber seit letztem Herbst Vergangenheit. Legendär bleibt es, denn Mitchell zeigte uns dort einige sehr gute Schauen (etwa die «Guyton Price Smith Walker» genannte Ausstellung, die sehr junge Varianten der Appropriation Art vorführte).

Mitchell schrieb mir nun vor einigen Tagen Folgendes: «Hi Ewa, Plymouth Rock finally has a new space. It’s super nice and not really like anything in Zurich at all. Huge windows overlooking the highway. A 40 person group show, with half new names and half familiar ones. Half Swiss, half international. It will be crazy good and quite the grand opening.» Klar, dass ich nach Schwamendingen fuhr.

Links: Mitchell W. Anderson, Mitte: ausstellende Künstler, rechts läuft der Künstler Marius Engh ins Bild, im Hintergrund spricht Maria Florut (Galerie Eva Presenhuber) mit Thomas Julier (Taylor Macklin)

Links: Mitchell W. Anderson, Mitte: die lange Liste der ausstellenden Künstler, rechts läuft der Künstler Marius Engh ins Bild

Das Setting könnt Ihr Euch vorstellen. Industrieller Eingang im grünen Neonlicht, Autos sausen vorbei. Hätte ich nicht die netten Schifferlis (Christoph, Sammler, sowie Frau Grazia, ihres Zeichens Keramikerin) vor der Tür getroffen, dann wäre ich wohl noch lange im Gebäude herumgeirrt, bevor ich die Galerien fand. Mehrere Türen tragen wie in «Alice im Wunderland» die Aufschrift THIS DOOR, man folgt diversen Treppen und Korridoren, von welchen sich manche auch als Sackgasse entpuppen.

Treppenhaus und gute Frage

Treppenhaus und eine berechtigte Frage

Man folgt dem Gemurmel und tritt in die Räume ein. Den Ausstellungstitel «A Form Is a Social Gatherer» versteht man erst mal wörtlich, denn es herrscht eine angeregte Stimmung. Die rohen Räume sind voll junger Menschen. Die in «Petersburger Hängung» angeordnete Ausstellung – was heisst, dass die Werke die Wände in mehreren Reihen füllen – scheint ein ziemliches Sammelsurium zu sein. Die ebenfalls an die Wand gehängte Skizze mit Namen gibt rudimentär Aufklärung. Ein Prinzip der Auswahl erschliesst sich daraus nicht. Anders als die Vernissagengäste, treten die Werke untereinander kaum in ein Gespräch. Die berühmten Attitüden Harald Szeemanns, deren Form den Siegszug der Konzeptkunst in den 70-er Jahren besiegelte, klingen hier zwar nach. Es ist ein diffuses Nachklingen, wie der ferne Wirrwarr der Stimmen im Gang vorhin.

Die «Petersburger Hängung», links als Planskizze, rechts an der Wand

Eine Planskizze als Orientierungshilfe, rechts ihre Ausführung

Es sind Zeichnungen, Skizzen, Fragmente. So viele, dass man die Bruchstücke kaum in ein sinnvolles Ganzes einbetten kann. Mia Marfurt, Fabian Marti, Kaspar Mueller, Thomas Sauter, Urban Zellweger  – das sind Namen, die man kennt und schätzt. Die mit Werken gefüllten Wände sind eine Momentaufnahme des Zustands einer bestimmten Szene. Die Szene ist anwesend und findet hier ein Zuhause. Es wirkt alles sehr cosy, trotz der industriellen Roheit. Zu cosy? Eine Sehnsucht nach Dringlichkeit stellt sich unwillkürlich ein.

Es ist eine Generation, für die Kunst zu machen so selbstverständlich ist wie das Atmen. Es ist eine Zeit, in der Museen und Kunstschulen die Offspaces den jungen Künstlern/Kuratoren zur Verfügung stellen – so wird Taylor Macklin (betrieben von Thomas Julier, Gina Folly, Adam Cruces, Selina Grüter und Michèle Graf) von der Zürcher Kunstschule ZHdK finanziell unterstützt. Dagegen ist an sich nichts zu sagen. Ausser, dass nur-da-zu-sein manchmal nicht genug ist, um Applaus erwarten zu können.

Sind Offspaces unsere «Grössten Schweizer Talente» der Kunst? Gleichzeitig mit der Vernissage am Samstag läuft im  Fernsehen diese volkstümliche Sendung, in der jeder mal vorführen darf, was er so kann. Kaum gibt jemand auf der Bühne einen Ton von sich, weiten sich die  Augen der Juroren auf eine Weise, die jedem Stummfilmschauspieler zur Ehre gereichen würde. Das Publikum springt auf die Stühle und weint, egal ob die Stimme des Sängers trägt. Dort, auf dem medialen Jahrmarktplatz, ist eine solche Haltung fast angenehmer als die Pöbelei ähnlicher Formate beim nördlichen Nachbarn. Die Schweizer Kunstszene, die eine der wichtigsten des neuen Europas ist, wünscht man sich angriffiger. Unwillkürlich hält man Ausschau nach einer Form, die mehr ist als ein Social Gatherer. Die herausfordert, schreit, beleidigt, beim Vorbeigehen nach dem Betrachter schnappt.

Werke von Marius Engh, Raumansicht Taylor Macklin

Werke von Marius Engh, Raumansicht Taylor Macklin

Kunst im Gleichgewicht

Ewa Hess am Dienstag den 17. Februar 2015

Auf der Einladungskarte der Ausstellung, von der ich heute berichte, wird einem ein Witz mit auf den Weg gegeben. Der geht so: Ein Telefonbieter ersteigert an einer Auktion viel zu hoch einen Papagei. Tags darauf im Auktionshaus schimpft der Käufer: «So viel Geld wollte ich nicht ausgeben, kann er wenigstens sprechen?» Und der Auktionator darauf: «Was denken Sie denn, wer die ganze Zeit gegen Sie geboten hat?»

Was: Ausstellung «Balance» von Ruedi Bechtler
Wo: Galerie Ziegler, Rämistrasse 34 (oberhalb Schauspielhaus Pfauen) in Zürich
Wann: noch bis 6.3.

Blöder Witz? Na ja, nicht so blöd, oder? Er zielt mitten auf die Diskrepanz zwischen der Kunst und dem Markt. Denn auch wenn wir zuweilen das Gefühl haben, der Markt habe das uneingeschränkte Primat in der heutigen Kunstwelt, ist die Kunst, liebe Leserinnen und Leser, ein sehr schlauer Fuchs geblieben. Oder, wenn wir in der Metapher des Witzes bleiben wollen, ein äusserst schlauer Papagei.

Private View

Froh, nicht um die Wette reden zu müssen: Künstler Ruedi Bechtler. Foto: Serge Ziegler

Es gibt viele Strategien der Künstler, dem Markt ein Schnippchen zu schlagen; sie sind viel älter als der gegenwärtige Kunstmarkt-Höhenflug. Sie tragen bereits ins Lexikon eingegangene Namen wie «Appropriation Art» oder Konzeptkunst, und wenn man an Richard Prince denkt, sind sie längst von den Begehrlichkeiten des Marktes wieder eingeholt worden. Viele halten nämlich ausgerechnet Prince, der die Appropriation Art als eine Art Protest gegen den Heldenstatus des Künstlers praktizierte, für einen Helden der neueren Prägung, für einen Cowboy des Marktes, dessen «angeeignete» Werke astronomische Summen an den Auktionen erreichen. Diese Sichtweise teile ich übrigens gar nicht, was ich hier sofort kundtun möchte. Ich zeige lediglich, wie tricky diese Sache mit der Kunst und dem Markt sein kann. Kunst als Hase, Markt als Igel. Und/oder umgekehrt. Es gibt nämlich Denker, welche die Konzeptkunst als einen Vorläufer des entfesselten neoliberalen Marketings ansehen, sozusagen als ein Übungsfeld für die ökonomisch effiziente Verwertung von Information und Kommunikation.

Ruedi Bechtlers Werke in der Galerieräumen: Ohne Titel 2013, Raumansicht, Rocket 2014

Ruedi Bechtlers Werke in den Galerieräumen: Satellite, 2014; Spark, 2014; Rocket, 2014.

All das aber, liebe Leser, hat mit Ruedi Bechtlers Werk nichts zu tun. Eigentlich ganz im Gegenteil! Bechtlers Werk protestiert gegen nichts und nimmt niemanden auf die Schippe. Bechtlers Objekte haben die scheue Grazie von Wesen, die aus dem Dickicht des Waldes auf eine Lichtung herauskommen und die wir, Luft anhaltend, neugierig anschauen, in Angst, dass sie sofort wieder verschwinden. «Balance» ist ein perfekter Titel für die Schau in der Galerie Ziegler oberhalb des Schauspielhauses, mit Blick aufs Kunsthaus, also sozusagen auf Tuchfühlung mit allem, was Zürcher Kulturtradition ausmacht. Auch die Galerie ist ein Teil von ihr, wird sie doch von Renée und Maurice Ziegler schon seit 55 Jahren betrieben, wenn auch früher an einem anderen Standort, unweit des jetzigen,  auch an der Rämistrasse. Der Sohn Serge Ziegler, einige Zeit mit einer eigenen Galerie in Zürich präsent, ist jetzt auch hier mit von der Partie.

Der Künstler Ruedi Bechtler und der Galerist Serge Ziegler sind ein erprobtes Gespann. Sie sind beide keine grossen Redner. Der Galerist vertraut auf die Kraft der Kunst, und der Künstler ist froh, nicht um die Wette mit einem Papagei reden zu müssen. Was – das will ich nicht verhehlen – die Aufgabe der Kritikerin nicht gerade erleichtert, muss sie doch notgedrungen in die Rolle des schwatzhaften Schnabeltiers verfallen. Gut, ich will es dennoch versuchen und einige Worte zu diesen Objekten sagen, die mich zunächst berühren, dann bewegen und nach einer Weile in eine beschwingt gute Laune versetzen.

Werke China Garden, 2014, Fontaine, 2008, Spiegelung, 2014

Werke Satellite, 2008; China Garden, 2014; Spiegelung, 2014.

Die naturnahe Grazie habe ich angedeutet. Naturnah, dabei bleibe ich, auch wenn diese Objekte aus Dingen bestehen, die zuerst mal als naturfremd erscheinen. Es sind Sachen, die man kennt oder auch nicht kennt, Lämpchen und Zylinder aus halbdurchsichtigen Materialien, die leuchten oder eben nicht. Sie sind anmutig anzusehen und allein darin begründet sich der Zweck ihres Daseins. Also sie erzählen mir keinen «Kontext» und verweisen nicht auf andere Zusammenhänge. Sie SIND. Sie bestehen zudem aus Anreihungen, Spiegelungen, Ballungen, alles Ordnungsprinzipien, die in der organischen und anorganischen Welt auch ganz spontan vorkommen. Mit leichter Hand für einen Moment zusammengefügt, in dieser momentanen Balance stets schwebend, sind sie so etwas wie Objekt gewordene Bewunderung der Kräfte, welche die Welt – unsere Welt – zusammenhalten. So, mehr kann ich dazu nicht sagen. Den Rest müsst Ihr selbst erstaunen. Mein Liebling in dieser Ausstellung ist «Rocket». Ein zarter Kerl, der auf einem umgekippten Tischchen sein Kunststück vorführt, indem er mit einer Neonröhre hantiert, als ob er eine geistesabwesende Majorette wäre. Mir ist es, als ob ich ihn leise vor sich hin pfeifen hörte. Ja, diese Ausstellung ist auf ihre Art Zen.

joindehallo

Rocket, 2014; Univers yz, 2013; Raumansicht Galerie Ziegler.

Nachdem ich nun also so viele Worte verloren habe über die Kunst, die ich am liebsten schweigend auf mich wirken liesse, komme ich noch auf das Paradoxon zu sprechen, das da heisst: Über Kunst reden (über Kunst schreiben ist da mitgemeint). So wie die Kunst immer den Mechanismen spotten muss, die sie hervorgebracht haben, muss das Sprechen über Kunst eigentlich immer das den Werken innewohnende Redeverbot durchbrechen. Vielleicht hat sich die Kritikergilde darum auf einen Jargon geeinigt, den nicht zu beachten immer eine Art Frevel ist. Sie wissen, was ich meine: Die formelhafte Sprache der Kunstkritik, gespickt mit Wörtern wie Wahrnehmung, Kontextualisierung, Grenzüberschreitung, Evidenz etc. Sie zu brauchen ist läppisch. Sie nicht zu brauchen schwierig.

Andererseits, gar nicht über Kunst zu reden, ist kein Ausweg. Ganz ohne Worte geht auch ihr, der grossen K., die Luft zum Atmen aus. Darum, mesdames et messieurs, verzeiht dem sprechenden Papagei, der an der Auktion mitbietet. Er verfolgt damit ein unmögliches Ziel: die Freiheit zu retten, indem er ihren Preis hochtreibt.

Am Donnerstag, 19. Februar, wird der Künstler von 17 bis 20 Uhr in der Galerie sein und Fragen beantworten. Am Samstag, 28. Februar, von 15 bis 18 Uhr findet die Finissage statt, die Ausstellung dauert aber bis am 6. März

Wer hat den Basler Gauguin gekauft?

Ewa Hess am Dienstag den 10. Februar 2015

Er hätte gerne auf den zusätzlichen Werbeeffekt für die Gauguin-Schau verzichtet, gestand mir Fondation-Beyeler-Chef Sam Keller, ihm wäre es viel lieber, wenn das bisher im Kunsthaus ausgestellte Werk «Nafea faa ipoipo» in Basel bliebe. Während sich die Vernissagengäste vor dem Bild  scharten, vielleicht zum letzten Mal in Basel, war der soeben bekannt gewordene Verkauf (der Staechelin-Familientrust veräusserte es für angeblich 300 Millionen) natürlich das Thema unter den anwesenden Insidern (Herr Staechelin mit Frau und Sohn war übrigens auch da). Hier schon mal fünf Antworten auf die drängenden Fragen.

Noch in Basel: «Nafea faa ipoipo» in der Gauguin-Ausstellung in der Fondation Beyeler

Noch in Basel: «Nafea faa ipoipo» in der Gauguin-Ausstellung in der Fondation Beyeler

Frage 1: Warum verkauft der Sammler ausgerechnet sein Spitzenwerk?
Kein Zweifel, Gauguins Mädchen sind das beste und wertvollste Werk der staechelinschen Sammlung, es könnte eigentlich nur von Van Goghs «Jardin de Daubigny» unter gewissen Umständen konkurrenziert werden (das Bild mit der Katze, über dessen Authentizität viel spekuliert wurde – eine andere Version befindet sich in der geheimnisumwitterten Hiroshima-Sammlung). Die anderen Manets, Monets, Degas, Cézannes etc. sind natürlich auch äusserst wertvoll (einige wichtige sind unten aufgelistet: *), aber doch in einer anderen Kategorie. Es spricht einiges dagegen, ausgerechnet das Spitzenwerk zu verkaufen, also das Aushängeschild, nach dem die Bedeutung des ganzen Konvoluts beurteilt wird. Die Antwort gibt indirekt Rudolf Staechelin selber im Interview, das er der «Basler Zeitung» gab. Er sagt, er wolle von der gegenwärtigen Hausse des Kunstmarkts profitieren, denn wer weiss, wie lange die noch andauern wird. Diese Hausse ist eine Tatsache. Auch eine Tatsache ist, dass ausgerechnet in einer um viele Milliardäre reicher gewordenen Welt ausserordentliche Spitzenwerke einen ganz besonderen Marktwert haben. Denn teure Kunst leisten sich heute viele. Darum sind Ausnahme-Meisterwerke, die aus dem Werk eines einzelnen Malers herausstechen und als Ausdruck einer bestimmten Epoche legendär geworden sind, die allerheissesten Trophäen in einem heissen Umfeld. Die sich obendrein nur ganz wenige weltweit leisten können – diese dafür umso lieber.

* Van Gogh: «Tête d’une vieille femme», «Les harengs saurs», «Le jardin de Daubigny». Corot: «Olevano la Serpentera». Hodler: «La malade», «La morte», «Le Mont Blanc aus nuages roses». Pissarro: «La carrière, Pontoise», «Le sentier du village», «Vue de la Seine». Cézanne: «La maison de Docteur Gachet», «Verre et pommes». Picasso: «Arlequin au loup». Degas: «Femme à sa toilette». Manet: «Tête de femme». Monet: «Temps calme, Pourville» und noch ein Gauguin: «Paysage aux toits rouges».

Private View

Kunstkennerin mit unbeschränkten Mitteln: Sheikha Al Mayassa Al Thani (hier mit Robert de Niro). Foto: AFP

Frage 2: Wer ist der geheimnisumwitterte Käufer?
Vielleicht sollte es heissen: Käuferin. Denn vieles deutet darauf hin, dass das Bild nach Katar ging. Was heissen würde, dass der Kauf eine Entscheidung der Schwester des amtierenden Emirs von Katar, Sheikha Al Mayassa Al Thani war. Wenn es um grosse Gesten und raffiniertes Kennertum geht, ist sie die amtierende Königin der Kunstwelt – zumal sie über einen Ankaufsetat von jährlich einer Milliarde Dollar verfügt. Die erst 32-Jährige ist zwar keine Kunsthistorikerin – sie hat Literatur und Politikwissenschaften an der Duke University in den USA studiert –, doch ihre Kunstgeschichte kennt sie aus dem Effeff. Sie wurde als Besucherin schon manches Mal in Basel gesichtet. Für ihr künftiges Museum, in dem die arabische Kunst vor dem Hintergrund der westlichen Spitzenwerke umso heller leuchten soll, könnte dieser wunderbare Gauguin genau richtig sein. Schliesslich spricht das Bild Bände über das Verhältnis zwischen einer alten naturnahen Kultur und der verführerischen, aber auch etwas traurig machenden westlichen Moderne. Ich halte Abu Dhabi für den weniger wahrscheinlichen Anwärter auf den Spitzen-Gauguin. Denn die dortigen Museen entstehen als Joint Ventures mit Louvre und Guggenheim, und die haben eigene Sammlungen. Natürlich kauft Abu Dhabi auch eigene millionenteure Werke, bisher aber doch nicht in dieser Preisklasse.

Rudolf Staechelin vor Van Goghs «Le Jardin de Daubigny»

Ruedi Staechelin vor Van Goghs «Le Jardin de Daubigny»

Frage 3: Wird der Rest der Staechelin-Sammlung verkauft?
Die Mächtigen des Kunstmarkts zittern bereits, dass das ganze Staechelin-Konvolut verkauft wird, was zu einer enormen Erschütterung führen würde. Die Werke würden den Markt überfluten. Die Auktionshäuser würden lange keine Werke von dieser Qualität mehr bekommen. Die Provisionsbestimmungen der Auktionshäuser (Sothebys nimmt 25 Prozent) sind hart, private Verkäufe dieser Grössenordnung könnten eine brutale Konkurrenz bedeuten. Doch: Dass gerade ein Spitzenwerk veräussert wird, könnte ein Zeichen dafür sein, dass der Rest nicht zum Verkauf steht. Was Staechelin auch so sagt (wobei, wie man weiss, der Trust sich jederzeit anders entscheiden könnte).

Frage 4: Wenn die Sammlung nicht verkauft wird, wo wird sie eine neue Bleibe finden?
In Zürich sicher nicht. Mit der fest versprochenen Bührle-Sammlung hat das Kunsthaus bessere Karten im Spiel. Es wäre schlecht beraten, mit dem mittlerweile als Trouble-Maker verschrienen Staechelin-Familientrust gemeinsame Sache zu machen. Aber bestimmt sind auch die verbleibenden Werke ein ganz besonderer Leckerbissen für ein weniger gut dotiertes Museum. Nur, im Interesse der Besitzer wäre gerade ein bedeutendes Haus besser. Je bekannter das Haus, in dem die Sammlung präsentiert wird, desto höher später ihr Marktwert. Darum kann Familie Staechelin sich beim Kunstmuseum Basel ruhig bedanken. Wer weiss, ob der hohe Verkaufspreis auch erzielt worden wäre, wäre die Sammlung nicht jahrzehntelang in einem der ersten Häuser Europas ausgestellt gewesen. Man muss wohl abwarten, wer an die Spitze des Kunstmuseums Basel kommt. Die Bewerbungsfrist ist abgelaufen, die Findungskommission müsste in nicht allzu langer Zukunft ihre Wahl bekanntgeben. Vielleicht kann sich der/die Neue mit den Staechelins doch noch einigen. Ansonsten gibt es nicht wenige US-Museen, die interessiert wären. Schliesslich war die Sammlung schon mal in Texas – als der Besitzer sie aus Protest gegen die Einführung des Unidroit-Kulturgüterschutzrechts dorthin verfrachtete. Und wenn meine Fantasie mit mir durchgeht, sehe ich die gerade angekündigte Dépendance der Fondation Beyeler als ein mögliches Domizil vor meinem geistigen Auge. Das Renommee der Fondation ist riesig. Was aber heisst, dass sie auch Bedingungen stellen kann. Und die könnten hart ausfallen, denn:

Der Monet-Giacometti-Saal der Fondation Beyeler. Ihr Renomee ist riesig

Der Monet-Giacometti-Saal der Fondation Beyeler. Ihr Renomee ist riesig

Frage 5: Muss die ganze Sache mit Dauerleihgaben auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werden?
Ganz sicher. Denn selten ist der Unterschied zwischen einer Dauerleihgabe und einem Geschenk deutlicher vorgeführt worden. Dabei machen doch die Museen die ganze Arbeit, die man nicht sieht: Konservierung, Aufarbeitung, Vermittlung. Und wenn es hart auf hart kommt, fragt niemand nach ihrer Meinung zum bevorstehenden Deal. Die Schweiz kennt Beispiele einer vorbildlichen Zusammenarbeit zwischen Besitzern und den Museen. Es gab aber auch schon Knatsch. Erinnert sei an den Fall Hermann Gerlinger in Bern oder an die Auseinandersetzung zwischen Baron Thyssen-Bornemisza und der Stadt Lugano, die mit dem Abzug der früher in der Villa Favorita untergebrachten Sammlung nach Madrid endete. Das Kunstmuseum Basel, das jetzt etwas verdutzt aus der Wäsche guckt, war auch schon der Gewinner eines Wettbewerbs um die Gunst einer Stiftung, nämlich im Fall der Sammlung Im Obersteg, die jahrelang vom Berner Kunstmuseum gehegt und gepflegt wurde und dann doch nach Basel kam. Ich könnte mir auch eine Lösung nach dem Beispiel der Nationalbank vorstellen: An den besten Standorten bekommen Stiftungen eine Art Negativzins aufgebrummt. Und müssen auch verbindlich die Laufzeit ihres Darlehens verhandeln.

Hört auf mit den Deppen!

Ewa Hess am Dienstag den 3. Februar 2015

Willkommen im Februar. Ein schwer zu rechtfertigender Monat (der einzige Pluspunkt liegt wohl in seiner Kürze). Ich ging ins Kino anstatt an eine Vernissage. Johnny Depp als schrulliger Kunsthändler – das könnte doch einen Eintrag wert sein? Doch Fehlanzeige. Dem abenteuerlichen Wesen eines Kunsthändlers wird der Streifen in etwa so gerecht wie eine stümperhafte Fälschung dem Meisterwerk von Goya (und im Film spielt eine der stümperhaftesten aller Zeiten eine Rolle).

Was: «Mortdecai» mit Johnny Depp, Gwyneth Paltrow, Ewan McGregor, Regie: David Koepp
Wann und wo: Jetzt in den Kinos

Kunsthändler sind in Filmen sowieso meist absolute Karikaturen ihrer selbst. Auch wenn sie von coolen Typen gespielt werden. Ich denke da etwa an Bruno Bischofberger – nicht einmal Dennis Hopper wurde im gerecht. Das war in «Basquiat», einem Film, bei dem der Maler Julian Schnabel hinter der Kamera stand und wenigstens dafür sorgte, dass die allergröbsten Klischees in Sachen Kunstwelt aussen vor blieben. Leider fiel er einer anderen Sentimentalität anheim, der Legende vom tragischen Künstlerschicksal (es ging um das Strassenkunst-Genie Basquiat) – zunächst unverstanden, dann ausgenutzt, dann drogensüchtig, dann früh tot. Auch wenn es so passiert ist, muss eine Fiktionalisierung mehr als eine Heiligenvita sein, finden Sie nicht auch?

Echt links: Andy Warhol, Jean-michel Basquiat, Bruno Bischofberger, Francesco Clemente. Im Film (rechts): Dennis Hopper als BB, David Bowie als Andy Warhol (aus dem Film «Basquiat»)

Echtes Leben, von links: Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat, Bruno Bischofberger, Francesco Clemente. Im Film «Basquiat» (rechts): Dennis Hopper als Bruno Bischofberger, David Bowie als Andy Warhol.

Eigentlich erstaunlich, dass die Kunsthändler oft so klischierte Figuren in den Filmen abgeben. Kunsthändler habens doch drauf! Sie sind moderne Abenteurer, aber nicht in dem Sinn, wie es die doofen Filme haben wollen. Nehmen wir etwa ebendiesen Bischofberger (74). Aus dem Appenzell direkt aufs Weltparkett! Glaubte an Warhol – und an Basquiat –, bevor es die anderen taten. Und macht bis heute nur das, was ihm passt. Unter anderem: eine neue Riesengalerie bauen. In Männedorf. Eröffnung im Juni. Den Standort in St. Moritz gab er übrigens an den Sohn von Julian Schnabel, Vito, ab. Ja, an den Vito Schnabel, einschlägig gehandelt in der Regenbogenpresse als Heidi Klums Toyboy.

Ich durfte einst mit Herrn Bischofberger zusammen seine musealen Lagerbestände besichtigen. Meine Herren! Es ist nicht nur eine Schatzkammer, es ist auch eine Neuinterpretation der zeitgenössischen Kunst. Denn Bischofberger hat einen Blick, der das Archaische, Grossartige herausschält. Ich nenne das mal: den Alpenblick. Unter den Designern ist der Architekt Ettore Sottsass sein persönlicher Held. Und über Sottsass ist noch lange nicht alles gesagt worden, da kommt noch ganz sicher eine Wiederbewertung auf uns zu. Bischofberger erzählte mir übrigens damals, wie es mit Basquiat und ihm begonnen hatte. Und wie der Mann mit den Rastalocken bei einem Sennen-Zvieri im Toggenburg Bratwurst entdeckte – essend und malend (nachzulesen hier).

Schauspieler Seymour hoffman (links), Iwan Wirth (Mitte), perfekte Filmlocation: Hauser & Wirth in einem Haus aus dem 17. Jh in Somerset, GB

Schauspieler Philip Seymour Hoffman (links), Iwan Wirth (Mitte), perfekte Filmlocation: Hauser & Wirths «Campus» in einem Haus aus dem 17. Jahrhundert in Somerset (GB), vorne Skulptur von Subodh Gupta.

Auch Iwan Wirths Vita, wenn er auch dreissig Jahre jünger als BB ist, gäbe einige Filme her. Titelvorschlag: «Iwans Reich», und eigentlich wäre Philip Seymour Hoffman gesetzt als Darsteller für Iwan den Grossen, leider ist Seymour Hoffman selber durch einen immer noch zu beklagenden verfrühten Tod zum Filmstoff geworden. Ebenso filmreif: Das Leben von Eva Presenhuber, die Zürich schon in den 80er-Jahren zeitgenössische Kunst verordnet hat. Ihre eiserne Willenskraft und ihr unerschrockenes Naturell würden den Filmtitel «All About Eve» rechtfertigen, und als Darstellerin schlage ich Geena Davis vor, eine meiner Lieblingsdarstellerinnen («Cutthroat Island», «Thelma & Louise» oder «Long Kiss Goodnight»). Die Rolle der Presenhuber würde Geenas Karriere durchaus aufmöbeln, sie stagniert in der letzten Zeit.

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Galeristin Eva Presenhuber (links), Schauspielerin Geena Davis (Mitte), filmreife Szene: Eva P. in ihrem Haus in Vnà.

Oder denken wir mal an Ernst Beyeler. Ich sehe das vor mir. Der Film beginnt in seinen letzten Jahren. Herr Beyeler – gespielt von Paul Newman – lässt sein Leben an sich vorbeiziehen. Mein Lieblingsfilm wäre auch die Vita vom ebenfalls viel zu früh verstorbenen Thomas Ammann, dank dessen unglaublichem Instinkt und Kontakten unter anderem auch die Daros-Sammlung zusammengekommen ist. Gerade haben wir erfahren, dass die Fondation Beyeler einen Erweiterungsbau plant, um das heute Stephan Schmidheiny gehörende famose Konvolut standesgemäss unterzubringen. Als Darsteller von Thomas Ammann könnte ich mir Jon Hamm vorstellen, den unfassbar gut aussehenden «Mad Men»-Protagonisten. Auf dem Gebiet der Kunst würde die diskrete Intellektualität des Darstellers besser zur Geltung kommen als in der profanen Werbung.

Schauspieler Jon Hamm (links), Kunsthändler Thomas Ammann (Mitte und rechts)

Schauspieler Jon Hamm (links), Kunsthändler Thomas Ammann (Mitte und rechts).

Also bitte, hört auf mit den Kunstdeppen in den Filmen! Dort wo Geist und Geld so schön zusammenkommen wie in der Kunst, braucht es eindeutig bessere Helden. Und wenn schon Deppen oder Deppinnen, dann wenigstens so lustig wie in dieser Jeanswerbung mit der genialen US-Komödiantin Amy Poehler: