Einstiegsdrogen für Sammler

Ewa Hess am Dienstag den 16. Dezember 2014

Wir befinden uns in einer Zeit des Jahres… Okay, Sie wissen es. Man kann sich dem gesellschaftlichen Biorhythmus schwer entziehen. Die ersten «Jingle Bells» im November gehen uns noch auf den Wecker, und drei Wochen später ertappen wir uns selbst mitten auf der Strasse mit mehr als drei Einkaufstaschen in der Hand. Darum, liebe Freundinnen und Freunde des Private-View-Blogs: Warum nicht das Schöne mit dem noch Schöneren verbinden? Kaufen Sie doch Kunst.

Ja, ich weiss, nicht jeder verfügt über ein Portemonnaie, um sich am Wettlauf der Preise zu beteiligen, wie sie uns von den Auktionshäusern zugetragen werden. Aber auch ohne Millionen kann man Kunst kaufen. Und trotz des Titels dieses Blogbeitrags muss man dadurch nicht notgedrungen zum «Sammler» werden. Werke zu besitzen oder zu verschenken, die Sinn stiften und zum Nachdenken anregen, kann sehr befriedigend sein. Auch ohne den Drang, immer mehr und mehr davon haben zu wollen. Aber Achtung: Das Sammeln ist ein Virus. Akute Ansteckungsgefahr.

Einstiegsdroge Schweizer Senkrechtstarter: Augustin Rebetez, «arrière-tête, (mécanismes)», 2014, Inkjetprint auf Hahnemühle, Total Edition von 6 + 1 Preis je nach Grösse: 27 x 40 cm    CHF 1'500,  40 x 60 cm    CHF 1'800,  67 x 100 cm  CHF 2'500 bei Galerie nicola von Senger, wo am 9.1. eine Ausstellung des Künstlers eröffnet wird

Einstiegsdroge junge Kunst: Augustin Rebetez, «Arrière-tête, (mécanismes)», 2014, Inkjetprint auf Hahnemühle, Total Edition von 6 + 1, Preis je nach Grösse: 27 × 40 cm, 1500 Fr.; 40 × 60 cm 1800 Fr.; 67 × 100 cm 2500 Fr. Bei Galerie Nicola von Senger, wo am 9.1. eine Ausstellung des jurassischen Senkrechtstarters eröffnet wird.

Darum hier schon mal auf den Weg: Fünf Tipps für angehende Sammler. Alle mit Vorsicht zu geniessen.

Erstens. Kaufe mit den Augen, nicht mit den Ohren.
Bedeutet: Nicht auf den «buzz» hören, und nur Sachen kaufen, die einem selbst gefallen. Stimmt unbedingt.
Aber: Sich trotzdem informieren. Und das heisst: Schauen, lesen, vergleichen, Ausstellungen besuchen. Auch eigener Geschmack braucht Bildung.

Zweitens. Kaufe mit dem Herzen, nicht mit dem Geldbeutel.
Bedeutet: Wer beim Kunstkauf auf Gewinn spekuliert, hat schon verloren. Weil ihm die Dollarzeichen in den Augen den Blick auf das Wesentliche verstellen. Moma-Chef Glenn Lowry bringt es folgendermassen auf den Punkt: «Man besitzt ein Kunstwerk, weil man es beschützen will oder weil es geheimnisvoll ist. Man besitzt ein Stück Kultur, man besitzt ein Stück seines Herzens, und man besitzt ein Stück aus seiner Generation und aus seiner Gesellschaft. Man besitzt etwas, das auf undefinierbare Weise etwas für einen bedeutet. Das, was Besitztum eigentlich ausmacht, ist eigentlich unmöglich.»
Aber: Trotzdem soll man sich beim Kunstkauf nicht übers Ohr hauen lassen. Es gibt heute Websites, die einem anhand von Auktionsergebnissen den Marktwert eines Kunstwerks ungefähr zu bestimmen helfen. Etwa Artprice.com oder Artnet.com. Sie sind zahlungspflichtig, aber man kann Pässe für einen Tag oder eine Woche kaufen, das kostet nicht alle Welt. Man soll darauf nach einem vergleichbaren Werk des Künstlers suchen, von gleicher Grösse, Beschaffenheit etc. Für den Anfang kann das eine Orientierungshilfe sein.

Pipilotti Rist, Parkett-Edition «The Help», 2800 Franken

Einstiegsdroge Edition: Pipilotti Rist, Parkett-Edition «The Help», 2800 Franken bei www.parkettart.com (Cut-out, 4-color print on fabric, ca. 70 7/8 × 43 5/16” (178 × 110 cm), with 7 straight pins (plus 7 spare pins), Photo by Martin Stollenwerk, printed by Plotfactory, Weisslingen, Switzerland, Ed. 70/XX, signed and numbered).

Drittens. Kaufe Werke von Künstlern aus deiner Generation.
Bedeutet: Im Dickicht der zeitgenössischen Kunst, die heute Werke aus 70 Jahren oder mehr umfasst, versteht man die der eigenen Generation besser. Weil man in der gleichen Zeit gelebt hat und die kulturellen Referenzen besser einschätzen kann.
Aber: Natürlich ist es doch am spannendsten, Werke ganz junger Künstler zu kaufen, weil man da ein noch wenig bekanntes Terrain betritt und Entdeckungen machen kann. Auch hier gilt: Zuerst vieles anschauen, erst dann entscheiden. Die Künstlerin oder den Künstler kennen zu lernen, ist eine wunderbare Entscheidungshilfe. Und oft eine tolle Inspiration fürs eigene Leben und Denken. Ich habe noch keinen Künstler getroffen, der einem Neuling, der sich für sein Werk interessiert, an einer Vernissage aus dem Weg geht. Im Gegenteil!

Viertens. Investiere mehr Zeit als Geld.
Bedeutet: Das ist wie im Militär. Die in Aufklärungsmanöver investierte Zeit ist nie verloren. Man begreift dann besser, was einen ergreift (die alte Maxime des Zürcher Germanisten Emil Staiger). Und Ausstellungen besuchen ist wie das Sammeln auch, eine wunderbare Droge, die zwar süchtig, aber nicht abhängig macht. Im Gegenteil, man wird mündiger davon.
Aber: Will man irgendwann von der Rolle des Verehrers ins Liebhaberfach wechseln, muss man mal Farbe bekennen. The colour of money, verstehen Sie mich?

Einstiegsdroge Originalgrafik: Daniele Buetti, «Dreams result in more Dreams» 3/2013, Inkjetdruck, Auflage: 35 Bild: 41,5 x 34 cm, Blatt: 49,5 x 41 cm, Druck: Beat Etter, Zürich,  480 Franken beim Verein für Originalgrafik, Zürich

Einstiegsdroge Originalgrafik: Daniele Buetti, «Dreams Result in More Dreams» 3/2013, Inkjetdruck, Auflage: 35;
Bild: 41,5 × 34 cm, Blatt: 49,5 × 41 cm, Druck: Beat Etter, Zürich, 480 Franken beim Verein für Originalgrafik, Zürich.

Fünftens. Pfeife auf alle Ratschläge und kauf, was dir Spass macht und was dein Portemonnaie mittragen kann.
Bedeutet: Vergessen Sie aber nicht, es gibt auch Werke auf Papier, Editionen, Druckgrafik, signierte Künstlerbücher und viele weniger kostspielige, dennoch ebenso wunderbare Zeugen künstlerischer Suche nach… Wonach? Die Antwort darauf gibt Ihnen das Werk.
Aber: Siehe Tipps eins bis vier!

Auch für Fortgeschrittene: K8 HARDY, Eau d'K8, 2014, Lightbox, 40 x 50 x 12 cm, 3.800 Euro bei Karma International, Zürich

Auch für Fortgeschrittene: K8 Hardy, Eau d’K8, 2014, Lightbox, 40 × 50 × 12 cm, 3800 Euro bei Karma International, Zürich.

Beni Bischof, Anthrax, 2014, Plastilin auf LP-Cover, 31 x 31 x 3 cm CHF 3'000 (exkl. MwSt.)

Furios und unaufhaltsam: Beni Bischof, «Anthrax», 2014, Plastilin auf LP-Cover,
31 × 31 × 3 cm, 3000 Franken bei Galerie Nicola von Senger.

Und zuletzt noch dies: Die hier abgebildeten Werke sind nur Beispiele. Schauen Sie wieder herein, bis Weihnachten werden weitere Ideen aufgelistet! (Und damit niemand auf seltsame Ideen kommt, die Autorin dieses Blogs schlägt die Werke aus ureigenster Begeisterung vor und hat keinerlei finanzielles Interesse daran.) Und nun viel Spass beim Selberentdecken!

Grüsse von John Waters, er kommt!

Ewa Hess am Dienstag den 9. Dezember 2014

War das eine Aufregung! Zuerst die Gala des Swiss Institute in New York, dann Art Basel in Miami Beach. Hier schon mal Entwarnung: Alles ging gut. Was sage ich gut, es war noch nie besser! Swiss Institute still going strong, und in Miami haben sich die Sammler die Werke aus den Händen gerissen. Und weil nach den Exzessen des Marktes immer ein schaler Nachgeschmack bleibt, wird Private View heute zwei Männer feiern, die dem goldenen Kalb nie dienten, stets aber den Mainstream herausgefordert haben – als Priester des ausgefallenen Geschmacks. Meet John Waters und This Brunner.

This Brunner (rechts) und seine atmosphärische Tashlin-Installation am Benefiz des Swiss Institute am 1. Dezember in New York

This Brunner (rechts) und seine atmosphärische Tashlin-Installation am Benefiz des Swiss Institute am 1. Dezember in New York.

This Brunner kennen Sie bestimmt: Der immer mit einer lässigen Eleganz gekleidete Gentleman war 35 Jahre lang der künstlerische Leiter der Zürcher Arthouse-Kinos. Er revolutionierte die Schweizer Kinoszene, zeigte Anfang der Siebzigerjahre Warhols frühe Untergrundfilme in Zürich, auch Fassbinder, Herzog – die Leute sind Schlange gestanden! Es waren die ersten Nocturnes in der Stadt. Als wir vor fünf Jahren This Brunner interviewt haben, fragten wir ihn, ob der Film oder die Kunst seine erste Liebe seien. Wir: Was war Ihre erste Liebe? This: Kino, natürlich. «Hänsel und Gretel». Wir, erstaunt: Was, «Hänsel und Gretel», der Kinderfilm? This, lachend: Ja. Am Schluss bin ich beim Hänsel hängen geblieben. (Hier das von Matthias Lerf und mir für die «SonntagsZeitung» geführte Interview in voller Länge).

Ja, vielleicht ist Film seine erste Liebe, aber die grosse Lebensliebe von This Brunner (eigentlich Matthias) war der legendäre Zürcher Galerist Thomas Ammann, und nach dessen frühem Aidstod blieb This Kunst – seine lebenslange Passion. Wer schon mal in seiner Wohnung war, weiss, wie voll sie ist mit auserlesenen Werken, die nicht selten dem charismatischen Kinomann von den Künstlern selbst geschenkt worden sind. (Dass er den Schlüssel zu Andy Warhols Pariser Wohnung einst hatte, gibt er offen zu).

Installationen von This Brunner: Links und rechts «Elevation 1048» in Gstaad, in der Mitte Installationsobjekt «Magnificent Obsessions»

Installationen von This Brunner: Links und rechts «Elevation 1048» in Gstaad, in der Mitte das Objekt «Magnificent Obsessions».

Ich weiss aber nicht, wie stark es sich bereits herumgesprochen hat, dass This Brunner jetzt selbst Kunst macht. Seine Installationen haben mit Kino zu tun – es sind atmosphärische Inszenierungen der Szenen und der Gefühle, die Kino auslösen kann. This macht die besten, intensivsten Szenen aus seinen Lieblingsfilmen sozusagen zu Kunstobjekten, welche sie doch eh sind. Genial! Ich habe im Januar die Installation in Gstaad gesehen, anlässlich der Alpenbiennale «Elevation 1049». Da hat er Szenen aus Daniel Schmids Filmen in einem alten Bunker eingerichtet. Es war ein Highlight der von Neville Wakefield und Olympia Scarry kuratierten Schau, und das will etwas sagen, waren doch tolle Künstler wie Olivier Mosset, Christian Marclay und Fischli/Weiss dabei.

Die Galas des Swiss Institute sind immer ein Vor-Art-Basl-Miami-Beach-Highlight in New York, das Gedränge war gross, und selbst die Sexepertin Ruth Westheimer(links)  kam und twitterte begeistert vor einer Skulptur der deutschen Künstlerin Sarah Ortmeyer

Die Galas des Swiss Institute sind immer ein Vor-Art-Basl-Miami-Beach-Highlight in New York, das Gedränge war gross (rechts), und selbst die Sexepertin Ruth Westheimer (links) kam und twitterte begeistert vor einer Eis-Skulptur der deutschen Künstlerin Sarah Ortmeyer.

Für die Gala am Swiss Institute hat This Brunner Szenen aus den Komödien von Frank Tashlin, genannt Tish Tash, inszeniert. Die Stimmung war berückend, und der Auktionator Simon de Pury hat sich zum Ausruf hinreissen lassen, dass dies die beste Installation sei, die er je im Swiss Institute gesehen habe. Ja, «the best ever»! Die grosse Überraschung des Abends war die Laudatio, die ein anderer Freund von Brunner hielt: the one and only John Waters, der König des Trash-Kinos.

Die Ansprache hielt Waters per Video. Als ein besonderes Schmankerl, liebe Freundinnen und Freunde von Private View, kann ich nun diese Videobotschaft mit euch teilen. John Waters hat es mir erlaubt! Be our guests.

John Waters Video - seine mutter wollte immer, dass er This Brunner heiratet!

John Waters’ Video – seine Mutter wollte immer, dass er This Brunner heiratet!

Ohne Frage, John Waters ist ein Fan von This Brunner. (Den Text von Waters’ Videobotschaft habe ich unten für Sie transkribiert, so geht kein Wort verloren). Und da ich ganz sicher bin, dass es in Zürich auch viele Waters-Fans gibt, will ich am Ende dieses Beitrags die beste Nachricht nicht verschweigen: John Waters kommt! Im August 2015 veranstaltet das Kunsthaus eine schöne Waters-Schau unter dem sprechenden Titel: «How much can you take?». Für das Haus ein doppelter Anlass zur Freude, denn die ausgestellten Fotos und Kunstobjekte werden danach in den Besitz des Kunsthauses übergehen. This Brunner schenkt sie dem Kusnthaus! Ja, seine  gesamte John-Waters-Sammlung: Fotografien, Drehbücher, Objekte. So bleibt von dieser Freundschaft auch der Öffentlichkeit ein Schatz erhalten. Wenn das nicht wie Weihnachten klingt!

John Waters beim Autostoppen quer durch Amerika, wovon sein letztes Buch «Carsick» erzählt, in den USA ein Bestseller

John Waters beim Autostoppen quer durch Amerika, wovon sein letztes Buch «Carsick» erzählt (in den USA ein Bestseller) und This Brunner in seiner Zürcher Wohnung unter einem Werk von Waters, das er bald dem Kunsthaus Zürich schenkt (Das Porträt von This machte Basil Stücheli für die NZZ).

Video-Transkription:

«Hi I am John Waters and I would love to be with you tonight. But I am in the middle of the spoken word act for my John Waters Christmas Tour. Ho! Ho! Ho!

The Swiss Insititute special Tribute. I meant to give it to This Brunner from the day I’ve met him. When he as a projectionist was facing a jail term for showing my film «Pink Flamingoes» in a coutry known for good taste, Switzerland!

This has perfect taste, high or low, he knows what is acceptable and I was following his leading from the day I’ve met him. I came to know great people through This: Fischli and Weiss, Walter Keller, Bice and Jacqueline, Maja Hoffmann, Thomas Ammann. I’ve had many glamourous nights with This in Gstaad, too, even if I was the only one to ski down the ski lift after the fancy dinners. And the Cannes Film Festival! This always knew, which film would be hot. And he appreciated the low life, too. I’ve shown him the sex bars in New York, This have shown me the sex bars in Zurich. He was trusted everywhere. Sex Bars? Fancy Museum? All the same.

This, who suffers the indignity of sometimes being referred to as «this» in America, because of his name, has made a huge contribution to the arts. His love and knowledge of films is legendary. His brilliant eye collecting is amazing. He understands contemporary art and is educational in explaining it to others. Sturtevant – he had her before any other collector did. He is a first read journalist, too. And most recently a fine artist. Whose installations are not only smart, but beautifull, and willing. This Brunner is an ultimate gentleman. My mother, who was slow coming around to gay marriage, always said: «Why can’t you marry This Brunner»?

He never purpously hurts anybody. If takt were gold, This would be the richest man on earth. He is a great friend, too. He keeps secrets. He returns you phone calls, even if you had bad reviews by press or fines. This, I salute you. A swiss diplomat of a very highest order.»

John Waters als «Bad Santa»

John Waters als «Bad Santa».

Und hier noch – als kleines Samichlaus-Geschenk – die John-Waters Xmas Playlist, die er auf seiner Tour kommentiert. Enjoy!

Königin Beatrix ruft

Ewa Hess am Dienstag den 2. Dezember 2014

Es herrscht eine gewisse Blasiertheit in Zürich, was durchaus zur Attraktivität der Stadt beiträgt. Das dachte ich an jenem Freitag, als ich zwei Ausstellungspreviews zur gleichen Zeit anzuschauen versuchte. Beide waren 1A. Beide komplex. Beide könnten in einer weniger verwöhnten Stadt locker – jede für sich – ein Saisonhighlight stellen. Zürich aber, Zürich blieb cool, die Stadt nahm es, wenn überhaupt, sehr entspannt zur Kenntnis. Courant normal.

Was: T.F.T. Müllenbach und Avery Singer in der Kunsthalle Zürich
Wo: Kunsthalle, Löwenbräu, Limmatstrasse 270, Zürich
Wann: bis 25. Januar

Die Ausstellung, die hier oben aufgelistet ist, obwohl darin zwei Künstlerpersönlichkeiten vorgestellt werden, war dabei nur einer der Anlässe. Der zweite war eine in den Luma-Foundation-Räumen auf zwei Stockwerken eingerichtete Schau «Theater Objects. A Stage for Architecture and Art». Darin ging es um die Wechselbeziehung zwischen Kunst und Architektur. Das klingt vielleicht abstrakt, aber das Thema ist riesig, wenn man mal richtig darüber nachdenkt. Die beiden Architektur-Aussteller Fischli/Olsen beweisen Mut und springen Kopf voran in diesen Teich, was sage ich Teich, in diesen Ozean. Ich habe geschaut, gestaunt, die Stirn gerunzelt und dann wieder gelacht, mir viel notiert und wüsste einige Aperçus zu erzählen, aber, liebe Freundinnen und Freunde von Private View, ich muss euch auf später vertrösten. Inzwischen sei euch der Besuch der Schau wärmstens ans Herz gelegt. Hier in Private View soll aber zunächst mal Beatrix verabschiedet werden. Welche Beatrix? Echt, wie könnt ihr noch fragen?

Beatrix Ruf natürlich, die seit 2001 der Kunsthalle Zürich vorsteht und sie mit einer gewissen Strenge und jeder Menge Unbeirrbarkeit dorthin geführt hat, wo sie jetzt angesiedelt wird, nämlich unter den ersten Kunstinstitutionen der Welt. Nicht dass die Kunsthalle nicht schon dorthin unterwegs gewesen wäre, als die Direktorin 2001 kam, denn auch Mendes Bürgi, der sie vorher geleitet hat, war aus dem gleichen Holz geschnitzt und zeigte uns das, was zur jeweiligen Zeit gezeigt werden musste, egal ob wir es schon verstanden oder noch nicht. Die Zeit hat ihnen beiden recht gegeben und hättet ihr, liebe Leserinnen und Leser, dem Ausstellungsprogramm der Kunsthalle entlang eure Kunsteinkäufe getätigt, wärt ihr schon längst an Kunst oder Geld reich – verzeiht mir den pekuniären Referenzwert. Der Sammler Michael Ringier hatte den Vorteil, B. R. seit 1995 zur Beraterin zu haben, und jetzt beneidet ihn manches Museum um sein Depot.

Die Scheidende Direktorin Beatrix Ruf und Künstler Thomas Müllenbach führen durch die Ausstellung, der kommende Direktor Daniel Baumann und Grafikerin Trix wetter vor Müllenbachs Serie «Halboriginal»

Die scheidende Direktorin Beatrix Ruf und Künstler Thomas Müllenbach führen durch die Ausstellung, der kommende Direktor Daniel Baumann und Grafikerin Trix Wetter vor Müllenbachs Serie «Halboriginal» (2005–2013).

Nun ist Königin Beatrix – ich nenne Frau Ruf mal so, weil sie etwas Königliches in ihrem Auftritt hat –, von der anderen Königin Beatrix, der Herrscherin der Niederlande, berufen worden, ans schönste Museum Europas, das Stedelijk in Amsterdam. Stedelijk Museum heisst auf Holländisch nichts anderes als «Städtisches Museum», ist aber ein legendärer Ort, wo die Liebesaffäre des Publikums mit zeitgenössischer Kunst begann. Es war im alten Stedelijk (und ich sage alt, weil das Museum erst kürzlich umgebaut wurde), unter dem dünnen lichtsiebenden Käsetuch, mit dem dort die Decken bespannt waren, wo ich erstmals Barnett Newmans «Cathedra» sah. Die Sammlung des Stedelijk! Ihre Matisses, Malewitschs, Dumas’ … Das Amsterdamer Haus hat in Sachen moderne Kunst das Gehirn Europas formatiert. Und es bleibt visionär. Unsere Beatrix beginnt im Januar mit einer Tino-Sehgal-Schau. Und dann zeigt sie Amsterdam den Jungtürken der digitalen Poesie, Ed Atkins. Da aber können wir sagen: ätsch pätsch, wir kennen den schon. Denn es gab eine ganz tolle Atkins-Schau in der Kunsthalle – Private View war natürlich für Sie dabei (den Beitrag lesen Sie hier).

In ihrer letzten Ausstellung bringt Beatrix Ruf noch einmal das auf den Nenner, was ihre Stärke für Zürich ausgemacht hat. Erstens den Respekt für das gewachsene, von Hypes unbeirrte, vielleicht auch auf eine gute Art unmodische Schaffen. Zweitens die Neugierde darauf, was die Amis «cutting edge» nennen, also das ganz Neue, das so unerprobt und scharf ist, dass man sich daran verletzen kann. (So reime ich mir die Bedeutung dieses Ausdrucks jedenfalls zusammen).

Avery Singer: «The Studio Visit», 2013 und «Jewish Artist and Patron», 2012

Avery Singer: «The Studio Visit», 2013, und «Jewish Artist and Patron», 2012.

Das ganz Neue ist die Malerei der kaum 30-jährigen Amerikanerin Avery Singer. Sie stammt aus dem Stall der Berliner Galerie Kraupa-Tuskany Zeidler, die mit dem Begriff der Postinternet-Kunst assoziiert wird und interessante junge Positionen vertritt. Sie malt wirklich postinternetig, also über Schichten von Gestaltungsmöglichkeiten hinweg. Mithilfe von Programmen wie Photoshop und Sketchup konstruiert sie Figuren, die an altmodische Computergrafik erinnern. Diese projiziert sie auf Leinwände, auf welche sie dann in Grautönen gehaltene Tableaus airbrusht. Frappierend, witzig, virtuos.

Und last not least, lieber Leser bzw. liebe Leserin, wollte ich von Thomas Müllenbach erzählen. Sie kennen ihn, denn er ist in der Schweiz kein Unbekannter. Er unterrichtet Malerei an der Zürcher Hochschule der Künste und ist jener vorwitzige Professor dieser Schule, der mit Flugblättern gegen den Toni-Campus-Luxuswahnsinn protestiert hat. Erinnern Sie sich? Künstler brauchen Freiraum, sagte er, und kein Welcome-Desk. Schon allein für diesen Spruch gehörte ihm der Kulturpreis der Stadt Zürich, aber, traurigerweise, ist er im Gegenteil von der Hochschule böse abgestraft worden mit Pensumkürzung und irgendeiner absurden Klage, die aber vor Gericht dann Gott sei Dank abgeschmettert wurde.

Thomas Müllenbach: «Döschen», 2013; «Freud», 2011; ««Keller», 2012

Thomas Müllenbach: «Döschen», 2013; «Freud», 2011; «Keller», 2012.

Müllenbach kam vor Jahrzehnten aus Deutschland nach Zürich – er ist 1949 in Koblenz geboren – und gründete irgendwann mal die Kunsthalle Zürich. Natürlich nicht allein, sondern mit anderen wichtigen Akteuren, die Sie kennen und ich hier nicht alle erwähnen kann, der Länge des Artikels wegen. Unnötig zu sagen, dass diese erste Kunsthalle kein Welcome-Desk hatte, sondern roh und postindustriell war und auch noch ständig umzog, was für die damalige Zeit ziemlich «cutting edge» war.

Umso stimmiger, dass jetzt, kurz vor dem 30. Geburtstag der Institution, die scheidende Direktorin eine Retrospektive des Malers zeigt, der unbeugsam bei seiner Sache geblieben ist und die ganze Zeit exakt das malte, was ihm gerade passte. Nämlich manchmal die Steine vor dem Haus, manchmal die DAX-Kurve im Teletext und ein anderes Mal Kernkraftwerke. Zwischen 2005 und 2013 hat er sogar 1000 Ausstellungseinladungen anderer Künstler nachgemalt. Dieses Projekt heisst «Halboriginal», was ein augenzwinkernder Verweis ist auf die am Strassenrand verkauften falschen Louis-Vuitton-Taschen.

Thomas Müllenbach am Welcome-Desk der Kunsthalle, «4 x Wall», 2011; «Schwarzes Quadrat», 2010

Thomas Müllenbach am Welcome-Desk der Kunsthalle, «4 x Wall», 2011; «Schwarzes Quadrat», 2010.

Dieses Projekt, das zwar auch schon mal sehr schön in der Galerie Rotwand gezeigt wurde, kommt in der Kunsthalle-Ausstellung in einem noch grösseren Ausmass zur Geltung. Und das ist gut so, denn man bekommt einfach nicht genug, man steht vor der Wand und schaut Bild für Bild, ob man es erkennt (gut, gibt es zu der Serie bald ein Kunstbuch in der Edition Patrick Frey, in dem man dann nach Belieben blättern kann). Jedes dieser kleinen Aquarelle hat etwas vom Original und sehr viel vom Nachmaler – diesen leichten, nachdenklichen und doch federleicht humorvollen Touch hat es vom Letzteren.

Da sieht man ganz deutlich, im Kontext der aktuellen Diskussion um Plagiate überall, worin sich ein echter Schöpfer von einem Fälscher unterscheidet. Und wenn Sie nicht wissen, wovon ich jetzt spreche, müssen Sie mal die Ausstellung dieses Schmierfälschers und Selbstbeweihräucherers Wolfgang Beltracchi in Bern anschauen (Galerie Christine Brügger). Was man dort sieht, ist nämlich, dass Beltracchi zwar virtuos malen kann, weshalb er jahrzehntelang die Experten täuschen konnte. Aber in Bern stellt er Bilder aus, die er selbst «ersonnen» hat. Und man sieht: Wenn man ihm die Vorlage wegnimmt, bleibt nur noch pompöse Anmassung übrig.

Von dieser ist und war die Kunsthalle in all den Jahren frei. Und jetzt nimmt sie ebenso sachlich wie bescheiden von der Direktorin Abschied. Und begrüsst den ebenso unprätentiösen neuen Direktor Daniel Baumann. Ganz still nimmt dieser an der Preview-Führung teil, macht aus einer Ecke heraus Fotos der Räume und steht noch lange vor der anspielungsreichen Müllenbach-Wand, während die anderen Vernissagengäste schon weitere Räume zu erkunden eilen.