Die Art ist ein Fest. Man zieht ein hübsches Röckchen an und trinkt Unmengen von jenem Champagner, der zu den ART-Sponsoren gehört, den Kunstruin aber im Namen trägt (Ruinart, wirklich superb). Jene Galerien, welchen das Auswahlkommittee erlaubt hat, zig Tausend Franken in einen Stand zu investieren, machen anderthalb Jahresumsätze an zwei Tagen. Die anderen Galerien schmeissen Partys am Rande und haben es auch lustig, wenn nicht gar lustiger. Und wir? Wir, das nomadische Volk der Kunstliebhaber, -kitiker und -betrachter, versuchen nach der Überdosis der Eindrücke, das Karussell im Kopf anzuhalten – und Übersicht zu gewinnen.

Grossgalerist Larry Gagosian (links in der Mitte der Gruppe), Michaela Neumeister-de Pury (mit Telefon) und Sammler «Mick» Flick
In diesem Sinne: Hier mein Fazit. In fünf übersichtlichen Punkten.
1. This is speculation
Die Arbeit des deutschen Künstlers Tino Sehgal (von 2004) zeigte allen, die es sehen wollten, die absurde Seite des Wettbewerbs. In seiner Installation im Rahmen von «14 Rooms» priesen Mitarbeiter zweier Galerien die Werke des Künstlers an. Fast gleichzeitig. Es war wie abstrakte Poesie. Komplett unverständlich. Der Titel der Arbeit hiess: «This Is competition». Was ist also Wettbewerb? Sinnverlust.
Eine dazu passende Geschichte dazu fand ich bei Katja Kazakhina auf Bloomberg: Sie erzählt von einem gewissen Herrn Philip Hoffman, CEO eines Art Funds soundso, der am ersten Tag der Messe ein Werk zu Spekulationszwecken gekauft, und am Nachmittag bereits wieder Gewinn bringend verkauft hatte. Er habe für das Werk gar nicht bezahlen müssen, prahlt Herr Hoffman, nur den Gewinn eingestrichen. Das Werk, den Künstler und die Galerie nennt er nicht. Mit gutem Grund, weil den Galeristen, der bei solchem Blödsinn mitmacht, hätte ich sofort von der Art ausgeschlossen. Aber gut, ich bin nicht im Auswahlkommittee.
2. Old skills need new forms
Messehalle 3 mit «14 Rooms» war der Ort, an dem man aus dem alljährlichen Art-Ritual ausbrach – indem man alte Rituale neu belebte. Viele der gezeigten Performances waren altbekannte Stücke. Etwa das Touch-Piece von Yoko Ono, das ganz simpel funktioniert: Ein komplett dunkler Raum, in dem sich die Besucherinnen und Besucher durch ein Labyrinth tasten müssen. Dabei berühren sie die samtig ausgekleideten Wände und die anderen Menschen. Ganz einfach und überaus wirkungsvoll. Perfektes Antidotum zur digitalen Antiseptik. Und siehe da: Die alten Performances zeigten sich gross in Form. Auch dank der intelligenten Architektur. Der endlose Gang von H & deM liess die Vorstellungskraft rattern, noch bevor man die kleine raue Holzklinke zu einem der 14 Räume in die Hand nahm. Die beabsichtigte Distanznahme vom Markt gelang indes nicht so gut: Eine Kontroverse um die Eintrittspreise für eine subventionierte Veranstaltung entbrannte in Basel.
3. There are ways to keep your artist
Larry Gagosian zeigte sich an der Art unbeeindruckt von den vielen Streitigkeiten, die in der letzten Zeit aus seinem Galeriestall zu hören sind (Damien Hirst, Jeff Koons, Yayoi Kusama rebellieren, weil sie nicht genug an den immensen Gewinnen beteiligt werden). Es gibt aber Galeristen, vor allem Galeristinnen (ich muss es sagen, auch auf die Gefahr hin, dass ich dem eigenen Geschlecht gegenüber als parteiisch erscheine), zu welchen Künstler einfach treu bleiben. Etwa Marian Goodman (NY) eröffnet mit 83 Jahren demnächst eine neue Galerie in London, hat Senkrechtstarter wie Oscar Murillo im Programm und konnte Steve McQueen oder Gerhard Richter behalten, als sie gross wurden. Oder Galerie Eva Presenhuber (Zürich), sie hat mit Sam Falls und Oscar Tuazon zwei sehr aktuelle Positionen im Programm, behält aber ihre ursprünglichen Künstler wie Peter Fischli oder Karen Kilimnik scheinbar mühelos bei der Galerie. Offensichtlich geht es doch. Geht es ums «bemuttern»? Die gering geschätzte Haltung bedeutet auch eine Verbindlichkeit im Umgang mit den Künstlern. Kritiklos braucht man dabei keineswegs zu sein. Gute Mütter (auch männlichen Geschlechts) können durchaus ab und zu schelten.
4. New collectors = new artists
Aber klar. Wäre ja schlimm, wenn es anders wäre. Die asiatischen Sammler mögen nun mal besinnlichere Werke. Meine kühne Behauptung: Dass der Arte-Povera-Visionär Giuseppe Penone endlich sichtbar wird, haben wir den chinesischen Sammlern zu verdanken. Obwohl der Schweizer Sammler Hubert Looser auch schon sehr früh Penones Wert erkannte und wunderbare Werke von ihm dem Kunsthaus Zürich geschenkt hat. Wünschenswert wäre überdies: Das Interesse der westlichen Sammler an den chinesischen Meistern. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Beschäftigung mit den Details der chinesischen Tuschmalerei beruhigend aufs System wirken könnte. Obwohl… in China hat es ja auch nicht geholfen.
5. Empower the center!
Die Verteilung wird immer starrer: Die grossen Galerien sind an der Art, die aufstrebenden an der Liste. Die Liste war dieses Jahr übrigens wunderbar, doch davon ein anderes Mal (vielleicht). Volta und Scope schaffe ich persönlich gar nicht anzusehen – wer kann so viel Kunst in einer Woche überhaupt verarbeiten? Ich wäre also dafür, dass es an der Art nicht nur «Statements», also eine Plattform für junge Galerien gibt (die dieses Jahr seltsam kraftlos daherkamen, vielleicht mit Ausnahme von Kraupa-Tuskanys Katja Novitskova), sondern auch eine stärkere Mitte. Es sind die mittleren, soliden Galerien die vom gegenwärtigen Hype um die zeitgenössische Kunst überrollt werden. Sie haben die Mittel nicht, um 15 Messen pro Jahr mitzumachen. Dabei sind sie es, welche die grosse Arbeit leisten, den inhaltlichen Diskurs fast eigenhändig vorwärts stossen. Sie geben den Künstlern ihre erste Plattform, verschaffen ihnen Raum, oft eben auch nur, um später von den Erfolgreichsten verlassen zu werden. Ich würde sie gerne an der Art sehen. Mittlere Galerien sind Stütze und Pfeiler unseres Kunstsystems. Ein Hoch auf die Unermüdlichen.