5 Thesen nach der Art

Ewa Hess am Dienstag den 24. Juni 2014

Die Art ist ein Fest. Man zieht ein hübsches Röckchen an und trinkt Unmengen von jenem Champagner, der zu den ART-Sponsoren gehört, den Kunstruin aber im Namen trägt (Ruinart, wirklich superb). Jene Galerien, welchen das Auswahlkommittee erlaubt hat, zig Tausend Franken in einen Stand zu investieren, machen anderthalb Jahresumsätze an zwei Tagen. Die anderen Galerien schmeissen Partys am Rande und haben es auch lustig, wenn nicht gar lustiger. Und wir? Wir, das nomadische Volk der Kunstliebhaber, -kitiker und -betrachter, versuchen nach der Überdosis der Eindrücke, das Karussell im Kopf anzuhalten – und Übersicht zu gewinnen.

Grossgalerist Larry Gagosian (links in der Mitte der Gruppe), Art Conultant Michaela Neumeister und Sammler «Mick» Flick am Rande der Messe

Grossgalerist Larry Gagosian (links in der Mitte der Gruppe),  Michaela Neumeister-de Pury (mit Telefon) und Sammler «Mick» Flick

In diesem Sinne: Hier mein Fazit. In fünf übersichtlichen Punkten.

1. This is speculation

Die Arbeit des deutschen Künstlers Tino Sehgal (von 2004) zeigte allen, die es sehen wollten, die absurde Seite des Wettbewerbs. In seiner Installation im Rahmen von «14 Rooms» priesen Mitarbeiter zweier Galerien  die Werke des Künstlers an. Fast gleichzeitig. Es war wie abstrakte Poesie. Komplett unverständlich. Der Titel der Arbeit hiess: «This Is competition». Was ist also Wettbewerb? Sinnverlust.

Eine dazu passende Geschichte dazu fand ich bei Katja Kazakhina auf Bloomberg: Sie erzählt von einem gewissen Herrn Philip Hoffman, CEO eines Art Funds soundso, der am ersten Tag der Messe ein Werk zu Spekulationszwecken gekauft, und am Nachmittag bereits wieder Gewinn bringend verkauft hatte. Er habe für das Werk gar nicht bezahlen müssen, prahlt Herr Hoffman,  nur den Gewinn eingestrichen. Das Werk, den Künstler und die Galerie nennt er nicht. Mit gutem Grund, weil den Galeristen, der bei solchem Blödsinn mitmacht, hätte ich sofort von der Art ausgeschlossen. Aber gut, ich bin nicht im Auswahlkommittee.

Martin Kippenbergers «Ertragsberg» und Berlinde de Bruyckyeres Knochenhaufen

Martin Kippenbergers «Ertragsberg» und Berlinde de Bruyckyeres Haut-und-Knochenhaufen

2. Old skills need new forms

Messehalle 3 mit «14 Rooms» war  der Ort, an dem man aus dem alljährlichen Art-Ritual ausbrach – indem man alte Rituale neu belebte. Viele der gezeigten Performances waren altbekannte Stücke. Etwa das Touch-Piece von Yoko Ono, das ganz simpel funktioniert: Ein komplett dunkler Raum, in dem sich die Besucherinnen und Besucher durch ein Labyrinth tasten müssen. Dabei berühren sie die samtig ausgekleideten Wände und die anderen Menschen. Ganz einfach und überaus wirkungsvoll. Perfektes Antidotum zur digitalen Antiseptik. Und siehe da: Die alten Performances zeigten sich gross in Form. Auch dank der intelligenten Architektur. Der endlose Gang von H & deM liess die Vorstellungskraft rattern, noch bevor man die kleine raue Holzklinke zu einem der 14 Räume in die Hand nahm. Die beabsichtigte Distanznahme vom Markt gelang indes nicht so gut: Eine Kontroverse um die Eintrittspreise für eine subventionierte Veranstaltung entbrannte in Basel.

Ein Werk von Jan Fabre, «14 Rooms»

Ein Werk von Jan Fabre, «14 Rooms»

3.  There are ways to keep your artist

Larry Gagosian zeigte sich an der Art unbeeindruckt von den vielen Streitigkeiten, die in der letzten Zeit aus seinem Galeriestall zu hören sind (Damien Hirst, Jeff Koons, Yayoi Kusama rebellieren, weil sie nicht genug an den immensen Gewinnen beteiligt werden). Es gibt aber Galeristen, vor allem Galeristinnen (ich muss es sagen, auch auf die Gefahr hin, dass ich dem eigenen Geschlecht gegenüber als parteiisch erscheine), zu welchen Künstler einfach treu bleiben. Etwa Marian Goodman (NY) eröffnet mit 83 Jahren demnächst eine neue Galerie in London, hat Senkrechtstarter wie Oscar Murillo im Programm und konnte  Steve McQueen oder Gerhard Richter behalten, als sie gross wurden. Oder Galerie Eva Presenhuber (Zürich), sie hat mit Sam Falls und Oscar Tuazon zwei sehr aktuelle Positionen im Programm, behält aber ihre ursprünglichen Künstler wie Peter Fischli oder Karen Kilimnik scheinbar mühelos bei der Galerie. Offensichtlich geht es doch. Geht es ums «bemuttern»? Die gering geschätzte Haltung bedeutet auch eine  Verbindlichkeit im Umgang mit den Künstlern. Kritiklos braucht man dabei keineswegs zu sein.  Gute Mütter (auch männlichen Geschlechts) können durchaus ab und zu schelten.

4. New collectors = new artists

Aber klar. Wäre ja schlimm, wenn es anders wäre. Die asiatischen Sammler mögen nun mal besinnlichere Werke. Meine kühne Behauptung: Dass der Arte-Povera-Visionär Giuseppe Penone endlich sichtbar wird, haben wir den chinesischen Sammlern zu verdanken. Obwohl der Schweizer Sammler Hubert Looser auch schon sehr früh Penones Wert erkannte und wunderbare Werke von ihm dem Kunsthaus Zürich geschenkt hat. Wünschenswert wäre überdies: Das Interesse der westlichen Sammler an den chinesischen Meistern. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Beschäftigung mit den Details der chinesischen Tuschmalerei beruhigend aufs System wirken könnte. Obwohl… in China hat es ja auch nicht geholfen.

ein Werk von Giuseppe Penone, Chinesischer Sammler vor einem Gemälde Lee Ufans

Ein Werk von Giuseppe Penone, chinesischer Sammler vor einem Gemälde Lee Ufans

5. Empower the center!

Die Verteilung wird immer starrer: Die grossen Galerien sind an der Art, die aufstrebenden an der Liste. Die Liste war dieses Jahr übrigens wunderbar, doch davon ein anderes Mal (vielleicht). Volta und Scope schaffe ich persönlich gar nicht anzusehen – wer kann so viel Kunst in einer Woche überhaupt verarbeiten? Ich wäre also dafür, dass es an der Art nicht nur «Statements», also eine Plattform für junge Galerien gibt (die dieses Jahr seltsam kraftlos daherkamen, vielleicht mit Ausnahme von Kraupa-Tuskanys Katja Novitskova), sondern auch eine stärkere Mitte. Es sind die mittleren, soliden Galerien die vom gegenwärtigen Hype um die zeitgenössische Kunst überrollt werden. Sie haben die Mittel nicht, um 15 Messen pro Jahr mitzumachen. Dabei  sind sie es, welche die grosse Arbeit leisten, den inhaltlichen Diskurs fast eigenhändig vorwärts stossen. Sie geben den Künstlern ihre erste Plattform, verschaffen ihnen Raum, oft eben auch nur, um später von den Erfolgreichsten verlassen zu werden. Ich würde sie gerne an der Art sehen. Mittlere Galerien sind Stütze und Pfeiler unseres Kunstsystems. Ein Hoch auf die Unermüdlichen.

 

Die Paarungen in Albisrieden

Ewa Hess am Sonntag den 22. Juni 2014

Gastbeitrag von Martin Jaeggi*

In einem der beschaulichsten Teile von Albisrieden, in einem durchschnittlich schweizerischen Wohnhaus, versteckt sich der Projektraum Taylor Macklin, betrieben von den jungen Künstlern Adam Cruces, Gina Folly und Thomas Julier, der sich mit seinen sorgfältig kuratierten Ausstellungen schnell einen Namen macht. Eröffnet wurde der Projektraum mit einer Ausstellung, die historische Mail-Art mit Kunstwerken kombinierte, die junge Künstler per Post oder Mail übermittelten, dann folgte eine Ausstellungen des in Zürich lebenden Künstlers und Offspace-Betreibers Mitchell Anderson. Während des Zürcher Weekends eröffnete die dritte Ausstellung, Couplings (Paarungen, bis 11.7.2014), kuratiert von Piper Marshall, die lange Jahre am Swiss Institute in New York arbeitete und heute als freie Kuratorin tätig ist.

Links: Nicolas Guagnini Hard of Hearing, 2014 Glazed ceramic, rechts: Dmitri Hertz Sweetwater cup series, 2014 Cast lead

Links: Nicolas Guagnini, «Hard of Hearing», 2014, glazed ceramic, rechts: Dmitri Hertz, «Sweetwater Cup Series», 2014, cast lead

 

Wie der Titel andeutet, umkreist die Ausstellung Fragen nach Körperlichkeit und Materialität, Form und Geschlechtszuschreibung, Objekthaftigkeit und Bewegung. Die Ausstellung umfasst elf kleinformatige Werke, in denen sich Form und Material wechselseitig aufladen. Ergänzt werden sie durch ein Video von Kerry Downey und Joanna Seitz, das eindringlich und fast schon unangenehm berührend einen Körper inszeniert: Während zwanzig Minuten sehen wir, wie eine fettleibige Frau in wohlkomponierten Aufnahmen Posen und Bewegungsabfolgen zwischen Choreographie und Improvisation vorführt und so provokativ ihren gegen die gesellschaftliche Norm verstossenden Körper als künstlerisches Material inszeniert.

Das Thema körperlich-materieller Üppigkeit kehrt, wenn auch weit weniger aggressiv, in anderen Werken wieder. Ein dunkelblau glasiertes Keramikobjekt von Nicolas Guagnini liest sich auf den ersten Blick als amorphes Geschlinge, wird dann als Geflecht von pflanzenhaft stilisierten Phalli, Nasen und Ohren erkenntlich, gewissermassen eine Büste ohne Gesicht. Das Motiv und die weiblich konnotierte Formensprache stehen in einem offenkundigen Spannungsverhältnis, das dem Objekt beunruhigende Präsenz verleiht. Gegenstück dazu ist ein anderes blaues Keramikobjekt von Dustin Hodges, ein austernförmiges Objekt, gefüllt mit leuchtend orangem Lachsroggen, das an ein weibliches Geschlechtsorgan denken lässt. Ebenso organisch wuchernd sind drei übergrosse Pilzhauben von Carlos Reyes, nach einem Holzschnitt von Hokusai mit Laser in Kunststoff geschnitten. Die scharfen Kanten und Schnitte des Hightech-Verfahrens verweisen das Organische der Form in den Bereich der Illusion.

Einen Kontrapunkt zu diesen Arbeiten, die auf das Organische verweisen, setzen Werke, die den Pop-Appeal von Kunststoff zelebrieren. Julietta Aranda zeigt einen schwarzen Würfel aus Schaumstoff, über den eine weisse Lache aus glänzendem Kunststoff ausgegossen wurde, angehalten im Moment des Zerfliessens, eine paradoxe Suggestion von Bewegung und Zeitlichkeit, die die Starrheit des Objektes unterstreicht. Nüchtern konzeptionell wirkt dagegen eine Textarbeit von Karin Schneider über die polnisch-russische Konstruktivistin Katarzyna Kobro, ein elegant schwebendes Mobile, das einen Text über Bilder zu einem Objekt werden lässt.

Alle Werke in der Ausstellung zeichnet eine Paradoxie und Rätselhaftigkeit aus, die den Betrachter zum Denken verführt und die Ausstellung lange nachhallen lässt.

Taylor Macklin, Mühlezelgstrasse 24, 8047 Zürich, www.taylormacklin.com

* Martin Jaeggi ist Kunsttheoretiker, Publizist und Dozent an der HdKZ in Zürich

Zurich Contemporary Weekend: Wer, wo, warum

Ewa Hess am Donnerstag den 19. Juni 2014

Das Weekend vor der Art (dieses Jahr also der 14. & 15. Juni) wird traditionellerweise in Zürich gefeiert. Folgen Sie «Private View» auf dem Trek durch Anlässe und Galerien.

Galerie Eva Presenhuber: Blicke in die Ausstellung von Valentin Carron

Galerie Eva Presenhuber: Blicke in die Ausstellung von Valentin Carron (das schwingende Röckchen gehört Michelle Nicol)

Galerie Karma International: (im Uhrzeigersinn) die Ausstellende Künstlerin Pamela Rosenkranz (sie wird den Schweizer Pavillon an der kommenden Venedig-Biennale bespielen) mit Piper Marshall, ehemals Kuratorin des Swiss Institute in New York, gegenwärtig bei der Galerie Mary Boone in NY, Galeristin Karolina Dankow (das Kar von Karma), Giovanni Carmine (Kunsthalle St. Gallen) mit Designer Scipio Schneider, Marina Olsen (das Ma von Karma) mit

In der Ausstellung von Pamela Rosenkranz in der Galerie Karma International: (im Uhrzeigersinn) die ausstellende Künstlerin Pamela Rosenkranz (in Blau, sie wird den Schweizer Pavillon an der kommenden Venedig-Biennale bespielen) mit Piper Marshall (mit Kepi), ehemals Kuratorin des Swiss Institute in New York, gegenwärtig bei der Galerie Mary Boone in NY, Galeristin Karolina Dankow (mit Dose, das Kar von Karma), Designer Scipio Schneider (mit Bier) und Giovanni Carmine (mit Bart, Kunsthalle St. Gallen), Marina Olsen (in zu Rosenkranzs Bildern passendem Rosa, das Ma von Karma) mit der Kuratorin Julia Moritz (zuständig für Theorie und Vermittlung an der Kunsthalle Zürich)

Galerien Zürich West: (Uhrzeigersinn) Etienne Lullin vor einem Werk Dieter Roths in seiner Galerie Lullin + Ferrari, Kunsthistorikerin Laurence Frey mit Sohn Niki, Peter Kilchmann mit seiner Künstlerin Erika Verzutti (in der Mitte) und der Präsidentin der Eidgenössischen Kunstkommission Nadia Schneider Willen, Patrick Frey und Chefin des Kunsthauses Aarau Madeleine Schuppli

Galerien Zürich West: (Uhrzeigersinn) Etienne Lullin vor einem Werk Dieter Roths in seiner Galerie Lullin + Ferrari, Kunsthistorikerin Laurence Frey mit Sohn Niki in der Ausstellung von Carron bei Eva Presenhuber, Peter Kilchmann mit seiner Künstlerin Erika Verzutti (in der Mitte) vor einem Werk Verzuttis und mit der Präsidentin der Eidgenössischen Kunstkommission Nadia Schneider Willen, Chefin des Kunsthauses Aarau Madeleine Schuppli (in malerischer Bluse)  und Verleger Patrick Frey vor den Töfflis Carrons

Vernissagenparty bei Karma International in Wipkingen: Galerist Oskar Weiss, Künstler Stefan Burger und Lola Kremer, Documenta-Chef Adam szymczyk, Parkett-Herausgeberin Jacqueline Burckhardt

Vernissagenparty bei Karma International in Wipkingen: Galerist Oskar Weiss (mit eingehängter Brille), Künstler Stefan Burger und Lola Kremer, Documenta-Chef Adam Szymczyk (im weissem Hemd), Parkett-Herausgeberin Jacqueline Burckhardt (rosa Bluse)

Zurich Art Dinner im Restaurant LaSalle: Festredner und Stadtrat Filippo Leutenegger, Galerist Jean-Claude Freymont-Gut, Migrosmuseum-Direktorin Heike Munder, Galeristin Eva Presenhuber

Zurich Art Dinner im Restaurant LaSalle: Festredner und Stadtrat Filippo Leutenegger, Galerist Jean-Claude Freymont-Gut, Migrosmuseum-Direktorin Heike Munder und Kurator Raphael Gygax, Galeristin Eva Presenhuber (mit erhobener Hand) spricht mit der Künstlerin Monica Bonvicini (Palmenbluse)

Zurich Art Dinner: Art-Basel-Chef Marc Spiegler, Swiss-Institute-NY-Präsidentin Fabienne Abrecht, Sammlerin Gitti Hug, Künstler Ugo Rondinone (mit Bart) und Sammler

Zurich Art Dinner: Art-Basel-Chef Marc Spiegler, Swiss-Institute-NY-Präsidentin Fabienne Abrecht, Sammlerin Gitti Hug, Künstler Ugo Rondinone (mit Bart) und Sammler

Zurich Art Dinner: Kunstmuseum-Winterthur-Chef Dieter Schwarz und Gattin Beatrice, Swiss-Institute-NY-Chef Simon Castet mit Kurator Daniel Baumann und der New Yorker Journalistin Linda Yablonsky, Dorothea Strauss (ehemals Haus Konstruktiv, jetzt Mobliiar) mit Mobiliar-CEO Markus Hongler

Zurich Art Dinner: Kunstmuseum-Winterthur-Chef Dieter Schwarz und Gattin Beatrice, Galeristenpaar Melanie und Damian Grieder am Tisch mit Kurator Kenny Schachter, Swiss-Institute-NY-Chef Simon Castet (blauer Veston) mit Kurator Daniel Baumann (mit Brille) und der New Yorker Journalistin Linda Yablonsky, Dorothea Strauss (ehemals Haus Konstruktiv, jetzt Mobiliar) mit Mobiliar-CEO Markus Hongler, hinter ihr stehend Kurator Christoph Doswald

Art-in-the-Park-Lunch im Baur Au Lac: Art-in-the Park-Gründerin und Baur-Au-Lac-Hausherrin Gigi Kracht mit Yves-Klein-Witwe Rotraut, Werber Dominique von Matt, «Sculpture aérostatique» kurz bevor sie in die Luft fliegt

Art-in-the-Park-Lunch im Baur Au Lac: Art-in-the Park-Gründerin und Baur-Au-Lac-Hausherrin Gigi Kracht mit Yves-Klein-Witwe Rotraut, Werber Dominique von Matt, «Sculpture aérostatique», kurz bevor sie in die Luft fliegt

Alarmstufe rot: Tanz, Puppe, tanz!

Ewa Hess am Dienstag den 17. Juni 2014

Liebe Leserin und Leser, remember? Wir sind immer noch im Kunst-Ausnahmezustand. Unter dem Namen Contemporary Art Weekend präsentieren Zürich und Basel den aus Übersee angereisten Gästen das Beste und Schönste, was es in Sachen Zeitgenössische Kunst zu bieten hat. Folgen Sie «Private View» auf dem Parcours der Superlative.

Am Donnerstag, 12. Juni, entschied sich unser Autor Giovanni Pontano nicht für die Eröffnung der «Gasträume» im Helmhaus, sondern für eine bisher wenig bekannte Adresse im Seefeld. Er hat es nicht bereut! Hier sein Bericht:

Wo: HACIENDA, Reinhardstrasse 18, 8008 Zürich
Wer: Keith Boadwee
Bis: 12.7.

Ein kurzer Bericht, bevor die Doppelbelastung mit der Fussball-WM Einzug hält: Oskar Weiss, Sohn des viel zu früh verstorbenen Künstlers David Weiss, ist auf bestem Weg, sich als Galerist zu etablieren. Zusammen mit zwei konspirativen Mitstreitern, dem Kurator Arthur Fink und dem Künstler Fabian Marti hat er in einem abgewrackten Raumensemble im Zürcher Seefeld in letzter Zeit eine Kadenz von Ausstellungen angeschlagen, die zu verfolgen allein anstrengend ist. Nur: Die Anstrengung lohnt. Und während gleichen Abends zahlreiche etabliertere Zürcher Galerien im Zuge des anrollenden ArtBasel-Schnellzuges ihre Schauen eröffnen, während auch die Stadt Zürich im Helmhaus sich selbst und ihre verordnete Kunstbeflissenheit feiert und ihre Gasträume vorstellt, scharen Fink/Marti/Weiss einen guten Teil der Szene um sich. Und dies low budget und mit Qualität und Originalität. Sogar ein kleiner Katalog liegt auf und enthält Essays von Nicole Eisenmann und Justin Liebermann.

«Hommage» an Cindy Sherman, Künstler Boadwee, Werk

«Hommage» an Cindy Sherman, Künstler Boadwee, Werk.

Gezeigt wird der kalifornische Künstler Keith Boadwee, Jahrgang 1961, Professor für Kunst in San Francisco, mit einem track record also und hier dennoch – zumindest mir – völlig unbekannt. Fabian Marti hat den Künstlerkollegen, der präsent ist, in Los Angeles kennengelernt und eingeladen. So schnell geht’s, wenn’s passt, und so wird ganz nonchalant eine Art Retrospektive seiner Fotografien von 1989 bis 2013 präsentiert. Mit viel Humor wird Schauerliches bis fürchterlich Obszönes in Szene gesetzt, immer sind es Selbstporträts, oft auch nur von gewissen – sie wissen schon – Körperteilen. Dass Boadwee Assistent von Paul McCarthy in Los Angeles war, das lässt sich nicht verleugnen. Und eine Fotografie als Hommage an seine gute Künstlerfreundin Cindy Sherman schlägt frech den Bogen zur laufenden Ausstellung im Kunsthaus. Trotz vieler Zitate strahlen die Werke eine frische Eigenständigkeit aus. Der Kunstraum ist mit dieser Ausstellung prima positioniert, wenn ambitionierte Sammler vor der Messe in Basel die Zürcher Untergrund-Szene auf der Suche nach Entdeckungen durchforsten.

Am Freitag, dem 13. besuchte Ewa Hess in Basel die Preview von «14 Rooms». Starker Tobak! Hat man nicht unbedingt erwartet, denn einige der dort gezeigten Performances haben wir ja auch schon früher gesehen – das «Touch»-piece von Yoko Ono oder «Luminosity», die nackte Frau im Sattel von Marina Abramovic. Aber. Wow!

Wo: Basel, Messehalle 3
Was: «14 Rooms», also 14 lebende Skulpturen
Bis: 22.6.

«14 Rooms» hat viele Väter:  Hans Ulrich Obrist, den sogenannten Überkurator, und Klaus Biesenbach, den deutschen MoMA-Kurator, dessen Blondkopf überall dort auftaucht, wo etwas noch nie Dagewesenes geschieht. Dann Sam Keller von der Fondation Beyeler, den Garanten für Qualität und Stil, und Marc Spiegler natürlich, weil die ganze Sache zur Art Basel gehört, und nicht zuletzt auch George Delnon, den Direktor des Basler Theaters, weil in den vierzehn Räumen ja performt wird. Als architektonischer Zeremonienmeister fungiert Jacques Herzog. Performance, heisst die zentrale These,  ist das Gegenstück zu den Social Media. Weil eben – Menschenkontakt. Hautnah.

Photocall mit Sam Keller (kurze Hose) und Joan Jonas (läuft ins Bild), der Gang, Podium mit Biesenbach, Obrist, Herzog

Photocall mit Sam Keller (kurze Hose) und Joan Jonas, der 14-Räume-Gang, Podium mit Biesenbach, Obrist, Herzog.

Die Performancekunst hat auch viele Mütter. Die Performerinnen der frühen Jahre waren oft Frauen – da gab es nicht nur die Queen Marina Abramovic, sondern auch Valie Export, Joan Jonas, Yoko Ono. Daran erinnert «14 Rooms» und bringt die alten berühmten Performances zurück. Die stärkste bleibt «Mirror Check» von Joan Jonas aus dem Jahr 1970: Eine junge nackte Frau untersucht jeden Zentimeter ihres Körpers mit einem Taschenspiegel. Die Nackte von Marina Abramovic, die stundenlang auf einem Velosattel im Scheinwerferlicht schwebt («Luminosity», Raum 12), ist bekannter und plakativer. In der Performance sind aber die kleinen Gesten oft effektiver.

Wie geht das aber? Performances wiederaufführen, und erst noch von anderen? In Basel geht das so: Links und rechts von dem langen Gang, der nach oben offen ist und nach hinten unendlich scheint (weil von einem Spiegel abgeschlossen) sind 14 Türen angebracht. Man dreht eine archaische Türklinke, geht in ein Räumchen hinein und ist mit einer Präsenz konfrontiert. Es sind echte Menschen, Performer, die sich abwechseln, die in jedem der 14 Räume ein kleines Drama vorführen. Als erstes bin in in den Raum von Santiago Sierra geraten. Dort steht ein Mann in der Ecke und starrt in die Wand. Man erfährt vor dem Eingang: es handelt sich um einen echten Kriegsveteranen.

Abramovics «Luminosity», Nkangas Pflanzensängerinnen, Jonas' Spiegelcheck

Abramovics «Luminosity», Nkangas Pflanzensängerinnen, Jonas’ Spiegelcheck

Ich war allein mit dem Mann im Raum. Es passierte nichts. Die Spannung war dennoch kaum auszuhalten. Als ich rauskam, muss ich verstört ausgesehen haben. Der nette Sam Keller stand im Gang und sah das sofort. Er bot mir an, mich beim nächsten Raumbesuch zu begleiten. Doch im Raum von Otobong Nkanga erwies sich ein Beistand Gottseidank als unnötig, denn dort singen Frauen den Pflanzen auf ihrem Kopf wunderschöne Lieder vor. Dort möchte man bleiben, sich verstecken, auf den Boden legen, von den wunderbaren afrikanischen Gesängen einlullen lassen. Ein gemeinsames Performance-Schauen ist zudem nicht immer eine einfache Sache. In Joan Jonas’ Raum etwa (eine der ältesten, aber auch der stärksten Performances unter den 14) fühlte ich mich allein bereits unerträglich voyeuristisch, der nackten Blondine beim Bodycheck zuzuschauen. Dann kam Jacques Herzog herein. Ich hätte dem Architekten gerne viele Fragen gestellt, im Zusammenhang mit seinen vergangenen und künftigen Projekten, doch vor der Nackten… Wir nahmen beide Reissaus.

Die stärkste Erfahrung behält «14 Rooms» für den Schluss. Es ist das Werk eines mir bisher unbekannten jungen Künstlers Jordan Wolfson und nennt sich «Female Figure». Doch weiblich scheint einem das unheimliche Wesen, welches man im 15. Raum antrifft (Wolfsons Performance läuft als «Epilog»), nur auf den allerersten Blick. Der Hauptperformer ist in Tat und Wahrheit ein ganz und gar unheimlicher Roboter. Ich habe ein leicht wackliges, aber sonst ziemlich wahrheitsgetreues Video gedreht – also schauen Sie selbst! Video übrigens mit (zufälligem) Spezialauftritt von Lionel Bovier, dem Verleger @JRP Ringier. Eine von ihm kuratierte Schau läuft zur Zeit in der Kunsthalle Bern)

Am Freitagabend (wir sprechen immer noch vom 13. Juni) ging es in Zürich weiter: Nicolas Party bei Gregor Staiger, Vito Acconci bei Grieder Contemporary, Louise Bourgeois bei Hauser & Wirth, Pamela Rosenkranz bei Karma International

Der  in Glasgow lebende Westschweizer Nicolas Party hat in Gregor Staigers (und Marie Lusas) Galerie eine Ausstellung namens «Pastel» eingerichtet. Mit grosser Virtuosität mischt Party Wandmalerei, klassisches Stilleben und Landschaftsmalerei zu einem sehr eigenen Universum. Die Farben – von wegen Pastell! – und auch die Formen haben eine Kraft und Entschiedenheit, als ob es die postmoderne Verwirrung gar nie gegeben hätte.  Vielleicht ist Party darum auch so beliebt, dass seine Werke eine Sicherheit ausstrahlen, die man eigentlich für immer verloren glaubte.  Zur Ausstellung gibt es eine wunderbare Publikation und… Migrossäcke! Party hat eine Edition der Tragtaschen kuratiert. Alle möchten ein Büchlein oder wenigstens einen Migrossack signiert bekommen. «C’est comme chez Payot», scherzt der Künstler.

Party-Raum bei Gregor Staiger (im Vorderplan Raphael Gygax, Marie Lusa präsentiert die Publikation, Werke

Party-Raum bei Gregor Staiger (im Vorderplan Raphael Gygax), Marie Lusa präsentiert die Publikation, Werke.

Grieder Contemporary lockt mit einer Rarität. Der in London lebende Kurator Kenny Schachter hat dank seiner Freundschaft mit der 74-jährigen Kunstlegende Vito Acconci eine Schau aus dem privaten Archiv des US-Konzeptkünstlers zusammengestellt. Fotos und Notizen zu den ersten Aktionen des Künstlers, den man ohne zu übertreiben als einen der wichtigsten Impulsgeber der heutigen Zeit bezeichnen kann. Da übrigens wieder: frühe Performance! In einer beisst sich Acconci überall am Körper und fotografiert die Spuren seiner Zähne. Ich denke an Joan Jonas mit ihrem Spiegel – Der Mann beisst sich, die Frau spiegelt sich. Wäre das heute anders?

Werber James Wolfensberger vor dem Modell zu Acconcis «Clam Shelter», die Beissperformance, Kenny Schachter mit Kathrin Genovese

Werber James Wolfensberger vor dem Modell zu Acconcis «Clam Shelter», die Beissperformance, Kenny Schachter mit Kathrin Genovese.

Und hier geht es weiter zu den weiteren Photos des Zurich Contemporary Weekends: Valentin Carron, Eva Presenhuber, Peter Kirchenmann, Etienne Lullin, Pamela Rosenkranz, Karola Dankow, Adam Szymczyk, Giovanni Carmen, Filippo Leutenegger, Gigi Kracht und viele, viele andere mehr!