Manetas und die Monetas

Ewa Hess am Dienstag den 27. Mai 2014

Wo: Galerie Plutschow & Felchlin an der Waldmannstrasse 6 in Zürich
Wer: Miltos Manetas
Bis: 19.7.

Die Griechen! Ein wehrhaftes Volk. Der künstlerische Parcours von Miltos Manetas gleicht einer Geschichte von Homer: eine endlose Suche im Labyrinth des Lebens. Kaum findet Mr. Manetas etwas (das Glück, den Erfolg oder auch nur eine freundlich gesinnte Galerie), gehört es alsbald weggeworfen. Denn wo die Suche den Sinn darstellt, ist ein Finden nicht vorgesehen. An der Vernissage bei Plutschow & Felchlin am Freitag sitzt der Künstler im hintersten Raum der Galerie und skypt mit seiner Familie. Freundin Catalina und Tochter Alpha sind vor einiger Zeit nach Kolumbien abgehauen. Konzentriert, ernst, entrückt hängt Manetas während der ganzen Vernissage in einer endlosen Internetkonversation, die auch Performance ist. Hinter ihm hängt ein Gemälde: Selbstporträt des 50-jährigen Künstlers – als Kabelsalat.

Skype-Performance von Miltos Manetas: Der Künstler ist «connected»

Skype-Performance von Miltos Manetas, 50: Der Künstler ist «connected».

Einst stand Manetas, ein Pionier der Internetkunst, in der Sonne des Künstlerglücks. Vanessa Beecroft, die US-italienische Performance-Künstlerin, teilte mit ihm das Leben sowie die Gunst der mächtigen Gagosian-Galerie. Beecroft, man erinnert sich, war eine Dompteurin von Massenperformances, in welchen die schönsten Frauen – mit wenig bis nichts bekleidet – die grossen Museumssäle und Fotostrecken von berühmten Modemarken bevölkerten wie schmucke Aliens eine kalte Zukunftswelt. Doch dann wollte Beecroft Kinder, Familie, ihr, der herrischen Kunstdomina mit grosser Gegenwart und prophezeiten Glanzzukunft, wars plötzlich nach spiessigem Bürgerglück. Da hat sie aber die Rechnung ohne den stolzen Griechen gemacht. Miltos sagte nein, Beecroft fand einen anderen. Anstatt einer Armee wohlgewachsener Nackedeis dirigiert sie jetzt einen Hauskosmos voller Windeln, liegen gelassener Spielzeuge und anderer Requisiten des Glücks (die letzte Performance auf ihrer Website datiert von 2010).

Performance von Vanessa Beecroft (2000), die von Dolf Schnebli umgebauten  Räume

Performance von Vanessa Beecroft (2000), die von Dolf Schnebli umgebauten Räume

Andere Galerien, andere Frauen kamen. Manetas machte unterdessen aus Videogames Kunst, gründete eine Internetseite, auf der jeder so malen konnte wie Jackson Pollock, und rief eine neue Kunstrichtung ins Leben, die sich NEEN nannte. Es ging darum, einfach voll und ganz, im Jetzt, im Moment, da zu sein. Er war bei Almine Rech, der berühmten Pariser Grande Dame der zeitgenössischen Kunst. Angewidert vom wilden Treiben des Kunstmarkts wagte Advocatus Diaboli Manetas ein Experiment: Mme Rech sollte ihm eine horrende Vorschusssumme zahlen. Sie hatte sie nicht. Er ging. Auch bei der Galerie Yvon Lambert blieb er nicht lange. Als Freundin Catalina ihm ein Töchterchen gebar, wurde er kurz schwach. Liess er sich doch vom Glück korrumpieren? Da half ihm Catalina, indem sie das Kind unter den Arm packte und in ihr Heimatland Kolumbien zurückfuhr – dort konnte sie die Kindsbetreuung besser organisieren. Miltos blieb in Rom.

Der Galerist und Vernissagengästen: Anwalt Christoph von Graffenried, Künstlerin Eugenia Burgo, Grafikdesignerin Karin Erdmann

Der Galerist und seine Gäste (von links): Roman Plutschow, Anwalt Christoph von Graffenried, Künstlerin Eugenia Burgo, Grafikdesignerin Karin Erdmann.

Die Verbindung Manetas mit Plutschow & Felchlin scheint gut zu passen. Die Ausstellung in den grossartigen Räumen, welche der Schweizer Architekturstar Dolf Schnebli 1995 für seine Frau Jamileh Weber umbaute und die Grösse und Souveränität ausstrahlen, funktioniert nach dem Prinzip des Kontrasts. Die disparate, zerstückelte, atemlose Kunst Manetas’ zeigt sich verwundbar und lebendig inmitten der Schweizer Beständigkeit und Qualität. Die Galeristen Roman Plutschow (ex Gmurzynska und ex Christie’s Deutschland) sowie Joe Felchlin (ex Art Felchlin, ein Spross der Schwyzer Schokolade-Dynastie Felchlin) sind schon die zweite Nachfolgemannschaft an der Waldmannstrasse 6, wo Jamileh Weber als Pionierin der zeitgenössischen Kunst in Zürich amtete, bis sie 2012 entnervt das Tuch warf. Ivo Kamm, der als Galerie-Newcomer überraschenderweise nach ihr die Räume bezog, blieb nicht lange, er zog im November 2013 in die Villa der Künstlerin Ursula Hodel an der Bellerivestrasse 10, wo er jetzt einen Kunstsalon betreibt. (Ich höre gerade, auch dort zieht er wieder aus. Die Räume sind auf den Sommer gekündigt). Plutschow und Felchlin wünscht man einen etwas längeren Aufenthalt an der edlen Adresse unweit von Kunsthaus und Niederdorf. Was die Miete dieser Räume kostet, traut man sich schon fast nicht zu fragen.

"Blackberry»-Painting, präsentiert von Nora, Selbstporträt des Künstlers als Kabelsalat

«Blackberry»-Painting, präsentiert von Nora, Selbstporträt des Künstlers als Kabelsalat.

Was die Manetas-Bilder kosten, steht auf der Preisliste, auch wenn man sich manchmal auf die Preise keinen Reim zu machen vermag. Sie sind, erklärt mir Joe Felchlin, nach persönlicher Bedeutung der Werke für den Künstler gestaffelt. Es gibt kleine Fotowerke für 500 Franken, grössere Leinwände für 12’000 Fr., und dann wieder ein Bild für 40’000. Das innovativste ist wohl das sogenannte Blackberry-Painting. Das ist eine Aufnahme von den schlafenden Catalina und Alpha, die der Künstler mit einem verträumten Pinsel vor der Blackberry-Kamera in der Luft «nachmalt». Dieses komplexe, wenn auch nicht besonders auffällige Werk, wird zu 25’000 Franken angeboten. Das Blackberry gibt es dazu. Nur blöd, dass die Schweiz ein iPhone-Land ist.

«Baustellen-Dinner» in der Galerie

«Baustellen-Dinner» in der Galerie

Nach der Vernissage gibt es ein «Baustellen-Essen». Das habe sich der Künstler so gewünscht, und die beiden Galeristen gehorchten auf kreative Weise. Ein kunstvoll, doch sichtbar provisorisch zusammengezimmerter langer Tisch, gekrönt von einem Baumzweig, wird in die Galerie reingestellt, und köstliche Pasta vom nahe gelegenen Comestibles Tschingg kommt in handlichen Essschachteln auf den Tisch. Die Gespräche drehen sich um die Wohltätigkeit, denn am Tisch sitzt auch der Künstler Noritoshi Hirakawa, der Gründer der «Today is the day»-Stiftung, die sich um kranke Kinder von Fukushima kümmert. Am Vortag fand in der nahe gelegenen Galerie Mai 36 eine Versteigerung der Kunstwerke für die Stiftung statt und Noritoshi muss der Schweiz in Sachen Wohltätigkeit ganz schlechte Noten ausstellen. Spendabel waren nur die Künstler – etwa Pipilotti Rist, die nicht nur ein Werk spendete (eine ihrer Unterhosen-Lämpchen), sondern auch eins erwarb. Dabei gab es lauter Schnäppchen, sagt Noritoshi, etwa einen echten Lawrence Weiner für 9000 Franken.

Künstler und Philanthrop Noritoshi Hirakawa, Galerist Joe Felchlin

Galerist Joe Felchlin, Künstler und Philanthrop Noritoshi Hirakawa.

Jamileh Webers Präsenz ist immer noch spürbar, auch wenn die Galeristin selbst nicht anwesend ist. Seit einigen Wochen ist ihr neuer Schauraum an der Wühre 3 offen. Sie zeigt dort Werke von Robert Rauschenberg und Samaras. Als die Gesellschaft um Mitternacht die Räume verlässt, hat der angekündigte Regen noch nicht eingesetzt. Manchmal braucht es zum Glück so wenig.

Auf Droge: Richter

Ewa Hess am Dienstag den 20. Mai 2014

Gerhard Richter in der Fondation Beyeler, das ist eine Verdoppelung der Superlative. Ich schaffe es erst zur 18-Uhr-Vernissage am Samstag. Die Gäste der 16-Uhr-Preview trinken noch ihren Champagner im Garten, während die Schlange vor dem Eingang, selbst für die publikumsverwöhnte Fondation auf eine imposante Dicke angeschwollen, auf den Einlass wartet. Die mit der «Betty»-Einladungskarte ausgestattete Menge (die Art-Club-Mitglieder um 16 Uhr hatten «Ella» auf dem Einladungskarton) guckt kollektiv feindselig, als ich mich an ihr vorbeischlängle.

Gruppenbild mit Bundesrat Berset (links), Schlange vor dem Haus (Mitte), Hausherr Sam Keller

Gruppenbild mit Bundesrat Berset (l.), Schlange vor dem Haus (Mitte),  Sam Keller.

Kaum drin, renne ich dem Fondation-Chef Sam Keller in die Arme. Dem beliebtesten Mann der Kunstszene ist Allüre fremd, das schmeckt bestimmt nicht nur mir wie ein Schluck sauberes Wasser. Drei Wochen lang Richter einrichten hätte alle in der Fondation glücklich gemacht, wirklich, versichert mir Keller. Sie seien alle high auf Richter-Droge und kein bisschen gestresst. «Man muss die Ausstellung sehen, wenn sie leer ist», raunt er mir noch ins Ohr, wohl in angenehmer Sicherheit, dass es nie möglich sein wird.

Am Mittag waren die Grossen da, die Leihgeber, die Sammler, und Alain Berset hielt eine Rede. «Was ist es, dass uns so fasziniert an Gerhard Richters Werk?» fragte der Landesvater und versuchte auch sofort eine Antwort darauf zu geben (bzw. ihrer viele: Vielseitigkeit, Verzicht auf eine einzige Identität, Geschichtsbewusstsein und  Bekenntnis zur Schichtenmalerei, die  auch als gesellschaftliche und politische Vielschichtigkeit zu verstehen ist. Aha, und, last but not least, Offenheit dem Neuen Gegenüber). Nice try, muss man sagen, und bestimmt trifft auch jede der Antworten mehr oder weniger zu. Allerdings ebenso auf den Maler zu, wie (in einer freundlichen Extrapolation) auf seinen Laudator.

«Ella», «Betty», «Verkündigung nach Tizian»

«Ella», «Betty», «Verkündigung nach Tizian».

Die Richter-Bekenntnis der besten Basler Gesellschaft fiel um einiges konkreter aus. Mit Hilfe der schnell in der Kaffeekasse einiger Familien gefundenen Millionen (30? 40? 50? Man spricht von einer zweistelligen Summe.) kauften sie drei grosse Gemälde für ihr Museum an. Und weil gerade vier billig zu haben waren, fragte man noch die Schaulager-Herrin Maja Oeri an, ob sie nicht den vierten noch in Alleinregie dazu kaufen würde, weil ihre Kaffeekasse doch um einiges grösser als die der anderen sei, was die Dame dann gerne tat. Die Serie stammt aus dem Umfeld der Zürcher Crex-Sammlung, hört man. Und wie Christoph Heim in der «Basler Zeitung» bestimmt korrekt vermutet, heissen die Verkäufer Robert Strebel, 83, als ehemaliger Devisenhändler einer der Gründer der Crex-Sammlung, und seine Gattin. (Und ja, es sind die gleichen Sammler, die mit den Schaffhauser Neuen Hallen jahrelang einen Rechtsstreit um ein Beuys-Werk führten. Aber das ist eine andere Geschichte).

Pressekonferenz der Superlative: Gerhard Richter, Hans Ulrich Obrist, Sam Keller

Pressekonferenz: Gerhard Richter, Hans Ulrich Obrist, Sam Keller.

Richter verachte die hohen Preise seiner Werke, heisst es immer. Die Pressekonferenz, an der er vergnügt den von nah und fern angereisten 200 Journalisten Rede und Antwort stand, differenziert die Legende. Der 82-jährige Maler präzisiert auf seine wohltuende No-nonsense-Art, dass er das viele Geld, welches Menschen bereit sind, für seine Werke zu zahlen, durchaus auch als eine Wertschätzung anerkenne. Nur dass die Summen so absurd hoch seien, findet er obszön. Da aber 50 Millionen für vier grosse Tableaus mittlerweile als ein «mäzenatischer Preis» (Formulierung des Kunstmuseums) einzustufen sind, ist ja alles i.O.

Richter stört etwas ganz anderes: Dass das fünfte Bild der Serie nicht dabei sein wird, da es dem Hirschhorn Museum in Washington gehöre. Blöderweise ist es just das Bild, welches die Serie erst verständlich macht, weil es am klarsten als Kopie von Tizians «Verkündigung» zu erkennen ist. Ohne dieses Bild müsse man meinen, die Werke seien ungegenständlich, weil ihre Verwandtschaft mit Tizian sich so weit in der Richterschen Unschärferelation verliere. (Man würde meinen, sagt der Maler, da habe einer nur so wisch-wisch gemacht. Wenn das nicht wunderbar formuliert ist?) Richters Vorschlag: eine Kopie des fünften Werks dazuzuhängen. Die grosse Aufregung im Auditorium um einen solchen «Fälschungsvorschlag» vom Meister wischt er auch schnell weg – da sei doch nichts dabei, die Technik heute erlaube eine solche Informationskopie ohne Weiteres.

Hypnotische Wirkung: eines der neusten Streifenbilder, Baaders Plattenspieler

Hypnotische Wirkung: eines der neusten Streifenbilder, Baaders Plattenspieler.

Vorläufig ist aber alles im Original und schön beieinander in den zenbuddhistisch ausgewogenen Räumen des Renzo-Piano-Baus zu sehen. Auch die Vernissagenbesucher sind mittlerweile auf Droge. Die hypnotische Wirkung von Richters Malerei entfaltet ihre Wirkung. Der kuratorische Einfall, die in verschiedenen Sälen luftig arrangierten Serien mit kleinen Knaller-Bildchen zu betonen, ist ein Geniestreich. Überwältigend der Saal mit den grauen Bildern. Das sind die selten zu sehenden Tafeln aus Mönchengladbach – einer der ersten Museumsankäufe für den Künstler. Ja, sie sind grau, diese Bilder, aber ihre Oberfläche ist bewegt. Sie nehmen mit ihrer grauen Monumentalität den Raum in Gewahrsam. Das kleine Porträt von Richters Tochter Ella als «Kontrapunkt» – so nennt es der Kurator Hans Ulrich Obrist – setzt diese Totalität schachmatt. Dabei hebt das scheue Mädchen auf dem Bild nicht einmal die Augen.

Leise: Der graue Saal mit «Ellla» und laut: «4900 Farben»

Leise: Der graue Saal mit «Ellla» und laut: «4900 Farben»

Die allerneuste Serie ist auch grau. Doppelgrau – spiegelglatte Flächen in verschiedenen Grau-Nuancen zeigen, dass auch die modernsten Bildherstellungsverfahren die Differenz nicht ausser Kraft setzen. Soviel zum Kulturpessimismus – auch diesen wischt der alte Virtuose einfach vom Tisch.

Angesichts all der betörten Menschen fange ich an, mich zu fragen, wie ein Werk überhaupt zu verstehen ist, das so perfekt ist. Irgendwie ist es doch feige, sich immer hinter der Formulierung, dass er der Bedeutendste ist, zu verstecken. Die Richter-Methode tut not, denke ich. Das Wundersame anerkennen und ihm gegenüber gleichzeitig misstrauisch bleiben. Da kommt mir Richters alter Freund und Konkurrent Sigmar Polke zu Hilfe. Polke! Die beiden deutschen Maler führten den Kunstrudel jahrelang gemeinsam an. Mal war der, mal der andere vorne. Bis nach der grossen Richter-Retrospektive im MoMA 2002 die Amis dem Neo-Klassiker verfielen. Von da an war es nur noch Richter. Und Richter. Und Richter.

Alte und neue Zeiten: Polke und Richter scherzen beim Boxen und im Bad, James Koch vor «1024 Farben»

Alte und neue Zeiten: Polke und Richter scherzen beim Boxen und im Bad, James Koch vor «1024 Farben».

Polke, seit vier Jahren tot, wird sinnigerweise gerade jetzt im MoMA mit einer Retrospektive gefeiert. Beide können mit einem einzigen Bild ganze Welten aufreissen. Polke, der mit toxischen Substanzen hantierende Alchemist, bleibt der Risikofreudigere – und der humorvollere. Polkes Bilder machen sich mit dem Zuschauer augenzwinkernd gemein. Richters Grösse lässt sich aus unserer Ameisenperspektive heraus vor allem offenmundig anschmachten.

Wie in der Kirche: Bilder aus der Serie «Bach», «Oktober 18»

Wie in der Kirche: Serie «Oktober 18» (links), «Bach»

Andächtig wie in einer Kirche schleichen wir der Serie «Oktober 18» entlang. Die grauen Bilder der RAF-Anführer verfehlen ihre Wirkung nicht. Schmale Gestalten, wie Gespenster, erzählen vom Scheitern grosser Ideen. Von den Dämonen, welche einem hemmungslosen Idealismus innewohnen. So wie Andreas Baaders Todeswaffe unbemerkt in seinem alten Plattenspieler schlummerte. Das kleine Bild dieses Plattenspielers ist das Erschütterndste der Serie.

Doch natürlich wäre eine Vernissage keine solche, wenn man nicht auch ein bisschen tratschen könnte. Maja Oeris Abfall von ihrer Doktrin, sich nicht fotografieren zu lassen, gibt zu reden. Sie hat sich an der Gartenparty des MoMA vor wenigen Tagen, an der sie Ehrengast war, in einem flammenden roten Kleid erstmals fotografieren lassen. Es waren allerdings Umstände, die ihr jede Frau gerne nachsieht. Flankiert vom James Bond / Daniel Craig und dem gutaussehnden Oscargewinner Steve McQueen (den sie im Schaulager ausstellte) konnte man doch als Dame nicht anders, als den Fotografen einfach nur freundlich zuzulächeln.

Mehr als ein Lächeln, ein ansteckendes Strahlen erhellt das Gesicht des kaufmännischen Direktors von Beyeler, James Koch. Mit einer zu Richters 1024 Farben passenden Krawatte verrät mir Koch, warum er Beyeler bald verlässt. Er geht zu Hauser & Wirth Zürich. Wenn das kein Wechsel von einem Powerhouse zum anderen ist? Da fragt man sich, was Iwan Wirth mit der Zürcher Filiale sonst noch vorhat – den tatkräftigen Koch holt man nicht einfach so. Es geht weiter!

Der Teufel in seinem Kopf

Ewa Hess am Dienstag den 13. Mai 2014
pioneer48-neu

«Pioneer 48» von Mario Sala in der Galerie Nicola von Senger.

«Mind fuck» ist ein Begriff, der zu Unrecht abschätzig klingt. Erstens muss jeder mit dem F-Wort zu bezeichnende Akt auch unbedingt einen «Mind»-Anteil haben, soll er so richtig gelingen. Und zweitens ist eine erst mal im Hirn anschwellende Leidenschaft auch eine wilde Sache. Diese intellektuelle Wildheit gehört zu Nicola von Sengers Galerieprogramm, und der ist auch Mario Sala, dessen «Anthony Cells» am Freitag eröffnete, komplett verfallen. Im besten Sinn! Im Kopf des 49-jährigen Winterthurer Künstlers ist der Teufel los. Nein, Entschuldigung, natürlich nicht der Teufel, sondern der heilige Antonius, genannt «Anthony Cells». Diese erfundene Figur steht im Zentrum eines schwindelerregenden Universums, das sich in Salas Werken bruchstückhaft manifestiert.

Mario Sala und die «apokalyptische Raumecke»

Mario Sala und die «apokalyptische Raumecke».

Der Künstler erklärt mir die Auslegeordnung der kleinen Schau mit vor innerer Aufregung glühenden Wangen. Da haben wir also einerseits den «Trigger». Das ist die grosse Skulptur in der Mitte des Galerieraums. Ihr Rückgrat ist eine Angelrute. Diese steht auf einem Fundament aus Sägespänen und ist ganz und gar mit Schwämmchen ummantelt. Oben, weit über den Köpfen der Besucher, wird sie von einem nassen Schwammkopf gekrönt, weshalb sie sich auch weniger oder stärker neigt – je nach Trocknungszustand des saugfähigen Kopfes.

Joinedtrigger-neu

Alles klar? Nein? Macht nichts, es sieht fantastisch schön aus. Links: «Piece 03», 2014, Autolack auf Aluminium. Rechts: «Trigger 03», 2014, Schwamm, Metall, Angelrute, Teppich, Sägemehl, Wasser.

Rund um dieses Objekt, das entweder aus dem Weltall oder aus der Fernsehserie «Stark Trek» stammen könnte (und zwar aus den ersten Staffeln mit Cpt. Kirk, zum Beispiel aus der legendären Episode mit den schwammartigen «Tribbles» – remember?), gibt es verschiedene Arten von Werken, etwa die «Pioneers», pastose Leinwandbilder, oder «Pieces», Autolack auf Aluminium, oder «Forms», die wie Collagen daherkommen.

Jede Sorte gehört einer imaginierten Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart an, jedenfalls einer Parallelwelt, die sich in dieser Zelle des heiligen Antonius («Anthony Cells» = Anthony’s Cell?) materialisiert. Alles klar? Nein? Macht nichts: Es sieht fantastisch schön aus. Und zwar jede Sorte! Die abstrakten Ölbilder sind auf pastellfarbene Art expressiv. Die Pieces leuchten elegant mit ihren kühlen Oberflächen. Die Collagen faszinieren mit einer Vielzahl von Details. Und die in einer Ecke der Galerie installierte apokalyptische Zersetzung scheint die Anwesenheit des Trigger-Aliens zu rechtfertigen.

Galerist spricht mit einem alten Schulfreund (l.), Helmhaus-Chef Simon Maurer (r.)

Galerist spricht mit einem alten Schulfreund (l.), Helmhaus-Chef Simon Maurer (r.).

Dass man hier auch Ian Anüll trifft, den seit den 70er-Jahren stetig klugen Konzept- und Installationskünstler, erstaunt nicht. Auch er rekonstruiert gerne die Realität auf eine sprechende Art. Der 66-jährige Ungezähmte trägt immer noch ein Copyright-Zeichen auf dem Schneidezahn, eine Konsumkritik am eigenen Leibe. Er besitzt mehrere Werke Salas, verrät er, und verfolge dessen Entwicklung mit Spannung. Simon Maurer, Helmhaus-Chef, kommt natürlich vorbei – er zeigte schon sowohl Sala als auch Anüll. Das grosse beige «Piece 3» zieht seinen Blick immer wieder wie magisch an (zum Verkauf stünde es ja, allerdings für stolze 34’000 Franken).

Künstler Ian Annül, Salas Objekt «Smithereen»

Künstler Ian Anüll, Salas Objekt «Smithereen».

Ein Sala-Sammler führt seine Verhandlungen mit dem Galeristen unten vor der Haustüre. Es gehe um eine Skulptur, die gar nicht in der Ausstellung drin ist, verraten die beiden Gutgelaunten. Oliver Onkel (Kitesurfer und ein Neffe der Psychologin Julia) trägt eine farbige Halskette und einen schwarzen Knopf im Ohr, was ihm ein verwegenes Aussehen eines (etwas athletischeren) Jack Sparrow verleiht.

Galerist Nic von Senger, Sammler Oliver Onken (l.). Architektin Katharina Werner mit Hund Boss

Galerist Nic von Senger, Sammler Oliver Onken (l.). Architektin Katharina Werner mit Hund Boss.

Die Vernissage ist gut besucht, Galerist Peter Kilchmann kommt mit seinem Verlobten Alessandro Pascarella (sie heiraten im Juli). Die Fotografin Claudia Luperto spricht mit Ludmilla Sala, der Frau des Künstlers, und dem Architekten Peter Kunz (Erbauer von u.a. den schönen Garagenateliers in Herdern). Luperto hat mit einer Fotoserie über Kunz’ Bauten eine Teilnahme an der EWZ-selection gewonnen.

Fotografin Claudia Luperto, die Frau des Künstlers, Ludmilla Sala-Etter, Architekt Peter Kunz (l.). Galerist Kilchmann mit Mario Sala (r.)

Fotografin Claudia Luperto, die Frau des Künstlers, Ludmilla Sala-Etter, Architekt Peter Kunz (l.). Galerist Kilchmann mit Mario Sala (r.).

Auffallend ist die Hundedichte. Die Architektin Katharina Werner wird begleitet vom Boxer Boss – der sympathische Lefzenträger trägt das gleiche Halstuch wie der Künstler (Zufall!). Der kleine weiss-schwarze Vierbeiner, der mit von Sengers Schulfreund kam, gerät kurzfristig in den Verdacht, die zentrale Skulptur «begossen» zu haben. Aber nein, die ist ja nass, die Pfütze produziert sie selber.

Vor der Galerie gehen die Gespräche weiter, bei Bier und Weisswein. Man bewundert die schöne Marmortreppe im ehemaligen Bürohaus vis-à-vis des Löwenbräus und irgendwie ist es auch nett, dass hier nicht alles auf piekfein renoviert ist wie auf der anderen Seite der Strasse. Kurz und gut, ein Abend, der selbst den heiligen Antonius in Versuchung brächte, ein schönes Objekt für seine Zelle zu kaufen («Anthony Cells»= Anthony sells?).

Die schöne Treppe! (Bild: Simon Maurer, alle anderen Bilder Ewa Hess oder zvg)

Die schöne Treppe! (Bild: Simon Maurer, alle anderen Bilder Ewa Hess oder zvg).

Das Reiszählprotokoll

Ewa Hess am Dienstag den 6. Mai 2014
Hallo, Reis! (Die schwarzen sind Beluga-Linsen)

Hallo, Reis! (Die schwarzen sind Beluga-Linsen.)

Sechs Stunden lang Reiskörnchen zählen? Das geht – vor allem unter der Anleitung der Mrs. Performancekunst Marina Abramovic herself. Aber Achtung – es bringt das Gehirn ganz schön ins Schleudern. Ein Bericht des modernen Aschenputtels aus Genf.

Marina Abramovic wurde gerade vom Magazin «Time» als eine der hundert einflussreichsten Menschen der Welt gekürt – ja, der Welt, nicht nur der Kunstwelt. Am 1. Mai steht sie als strenge Lehrerin vor ihrer Klasse, also vor uns, im Centre d’Art Contemporain in Genf. Ganz in schwarz, begleitet vom Direktor Andrea Bellini, sagt sie uns, warum wir Reis zählen sollen: Weil es ein wichtiges Beispiel dessen ist, was sie «immaterial and long durational work» nennt. Ein langes Ritual, welches unser Hirn aus der zerstückelten Hektik des modernen Alltags befreien wird.

Andrea Bellini, Direktor des Centre d'Art Contemporain und Marina Abramovic

Andrea Bellini, Direktor des Centre d’Art Contemporain, und Marina Abramovic.

Nach der Ansage entschwindet die Leitung. Fortan werden wir von jungen Damen in weissen Kitteln überwacht – auf ihrer Brust prangt der Schriftzug MAI, Marina Abramovic Institute. Es ist das geplante Performance-Zentrum in der Ortschaft Hudson unweit New Yorks, wo Marina ihre Kunst an jüngere Generationen weitergeben will. 600’000 Dollar hat sie dafür schon per Kickstarter gesammelt. Rem Koolhaas baut es. Man muss sich das MAI als ein Zauberberg-Sanatorium vorstellen, in dem Menschen in bequemen Rollstühlen und mit Klangschutz auf den Ohren Performances anschauen, Reis zählen, Wasser trinken oder andere Rituale effektuieren und am Ende in eine Trance verfallen, einen reinigenden Schlaf. In diesem Zustand werden sie in einen Aufwachraum gekarrt, wo sie in ihren druckfreien Sesseln in den Armen des Schalfgottes Morpheus schwelgen und sich erneuern werden.

Aufsicht im MAI-Kittel, Struktur von Daniel Libeskind.

Aufsicht im MAI-Kittel, Struktur von Daniel Libeskind.

Uns aber hier in Genf soll kein Schlaf vergönnt werden, und von druckfrei kann bei der Sitzstruktur auch keine Rede sein. Die vom Stararchitekt Daniel Libeskind entworfene, labyrinthisch verwinkelte lange Sitzbank gemahnt eher an mönchische Exerzitien. Was genau wir mit dem weiss-schwarzen Häufchen anstellen sollten, wird nicht verraten. Trennen? Verlesen? Gezähltes notieren? Man weiss es nicht, aber: Los gehts!

Los gehts! Auch eine Familie ist dabei

Los gehts! Auch eine Familie ist dabei

11.15 Uhr Beherzt treffe ich die ersten Entscheidungen. Ich werde nur weisse Körnchen zählen. Ein Strich gleich 10 Körnchen. Mein Finger kommt mir dick wie eine Wurst vor.

11.20 Uhr Oh mein Gott, geht das langsam. Soll ich die zerbrochenen Körnchen auch zählen? Ich schaue verstohlen links und rechts – alle trennen weiss von schwarz. Also gut. Apartheid.

11.36 Uhr Ich habe schon genug. Die rechts hat schon zwei sauber getrennte Berge. Warum ist die so schnell? Der Tastsinn hat sich aufs Kornfassen eingestellt.

11.40 Uhr Ich entscheide mich nachträglich fürs Aussortieren der zerbrochenen Körner. Die Arbeit wirft mich um eine Viertelstunde zurück, aber das weisse Häufchen sieht jetzt richtig sauber aus.

11.45 Uhr Hallo, es ist kein Wettrennen! Mahnt Marina Abramovic in meinem Kopf. Die echte Marina wird unterdessen im Nebenraum für einen Fernsehauftritt geschminkt. Das flüstert ein Zuschauer meiner Sitznachbarin von links zu. Wie ich später erfahre, ist sie eine Journalistin der Tribune de Genève und der Zuschauer ist ihr Fotograf. Peinlich, wie mir die mondäne Unterbrechung willkommen erscheint.

12 Uhr Schicke heimlich eine Bildmessage mit dem Reis-Smiley an einen Freund. Die Aufseherin im weissen Kittel blickt streng – Gottseidank ist die Liebeskind-Bank blickdicht.

12.15 Uhr Schaue aus dem Fenster – keine Tauben in Sicht? Es ist erst eine Stunde vergangen und ich habe schon die Nase voll.

12.30 Uhr Die Dinger fallen ständig in eine Ritze zwischen zwei Spannplatten. Ich bastle mir aus Papier einen Ritzenfüller. Perfekt.

Was bedeutet ein Strich? Das Reiszählen macht nicht nur glücklich.

Was bedeutet ein Strich? Das Reiszählen macht nicht nur glücklich.

12.45 Uhr Ich ernte böse Blicke von links und rechts. Stimmt wohl schon, ich bin die schlimmste Zapplerin in der Reihe. Ich muss unauffälliger mit dem Notizblock hantieren.

13 Uhr Ich habe Hunger. Riecht es hier nach gekochtem Reis? Die immer neuen Zuschauer nerven. Sind wir etwa ein Zoo?

13.15 Uhr Die von links drosselt ihr Tempo. Ha, alter Fehler der Marathon-Neulinge, sofort Gas geben. Ich beruhige mich und hoffe auf bald einsetzende Reiszähltrance.

13.30 Uhr Der Hunger stört. Solle ich das Strichblatt auch schöner gestalten?

13.45 Uhr Die rechts hat schon 10 mal so grosses Häufchen. Aber ich notiere meine Gedanken. Bewusstsein, Bewusstsein! Kann übrigens exakt fünf Reiskörner mit einer Fingerbewegung vom Haufen abtrennen.

14 Uhr Die rechts von der rechts zählt mit den Daumen. Das muss die neue Generation sein, die schreiben auf ihren Handys mit den Daumen. Präzisionsdaumen – bestimmt ein evolutionärer Vorteil!

14.05 Uhr Zähle Menschen statt Reis. An die 30 sind es, ca 17 Frauen, 13 Männer. Die ersten zeigen Ermüdungserscheinungen.

14.15 Uhr Die rechts geht!!!! Eine zweite folgt.

14.30 Uhr Die rechts von rechts gähnt. Hm. Ich wusste es ja. Schöpfe einen zweiten Atem. Bin bald bei 1500 Körnchen.Vierte Person geht.

15 Uhr Oh, das war wohl eine Trance. Habe eine halbe Stunde nicht auf die Uhr geschaut. Der Saal hat sich ziemlich geleert!

Daas allmähliche Verschwinden der Reiszähltruppe (11 Uhr, 14 Uhr, 15 Uhr, 16 Uhr).

Das allmähliche Verschwinden der Reiszähltruppe (11 Uhr, 14 Uhr, 15 Uhr, 16 Uhr).

15. 15 Uhr Was bedeutet ein Strich? Nicht philosophisch, sondern ganz konkret, 10 oder 100 Körner? Ich hätte es notieren sollen.

15.30 Uhr Seit die rechts weg ist, habe ich mehr Platz für meine Werkstatt. Beginne aufs Tageswerk stolz zu sein.

15.45 Uhr Ich denke, dass es der Aufsicht langweilig sein muss. Unbewusst muss ich meine Beschäftigung für Unterhaltung halten! Bin ich schon erneuert?

16 Uhr Ich entwickle eine sehr persönliche Beziehung zu den Reiskörnchen. Eigentlich eine Sauerei, dass ich die Krummen und die Unvollständigen aussortiert habe. Reintegrieren?

16.45 Uhr Huh, nochmals eine Trance! Sogar der Hunger ist vergessen.

17 Uhr Geschafft! Ich stehe auf und gehe im Saal herum. Was für Muster da sichtbar werden! Was in den Köpfen passiert ist, bleibt opak, schwarz wie die Beluga-Linsen.

Die Muster! Hirnstromzeichnungen bleiben zurück

Die Muster! Hirnstromzeichnungen?