Archiv für die Kategorie ‘Taylor Macklin’

Die grössten Schweizer Talente

Ewa Hess am Dienstag den 24. Februar 2015

Es war eine heavy-duty Vernissagenwoche in Zürich, liebe Leserinnen und Leser. Wir sind uns bestimmt einige Male über den Weg gelaufen. Am Donnerstag eröffnete das Kunsthaus seine Japonismus-Schau, am Freitag die Kunsthalle ihren ersten Ausstellungsreigen sowie das Migros-Museum für Gegenwartskunst die Xanti-Schawinsky-Retrospektive. Auch die Galerien des Löwenbräus legten ihre ersten starken Karten im neuen Jahr auf den Tisch: Thomas Pils bei Eva Presenhuber, Tobias Madison bei Francesca Pia, Shana Moulton bei Gregor Staiger, und im Parkett-Ausstellungsraum gibt es eine tolle Installation vom Basler Künstler Kilian Rüthemann. Mich hat aber am Freitag, als die Eröffnungen im Löwenbräu stattfanden, ein heimtückischer Virus befallen. Kaum wieder auf den Beinen, fuhr ich am Samstag nach Schwamendingen. Zwei Offspaces eröffneten dort ihre neuen Räume: Plymouth Rock und Taylor Macklin.

Was: Gruppenausstellung «A Form Is a Social Gatherer» mit Werken von 40 Künstlern sowie eine Einzelschau des norwegischen Künstlers Marius Engh
Wo: Offspaces Plymouth Rock und Taylor Macklin, beide an der Luegislandstrasse 105
Wann: Vernissagen Samstag, 21.2., Ausstellungen bis 21. März

Grosstädtisch: Luegislandstrasse

Grossstädtisch: Luegislandstrasse. Links geht es zu den Offspaces

Petersburgjoin

Plymouth Rock: Werke von 40 Künstlern in «Petersburger Hängung»

Mitchell W. Anderson kennt Ihr schon, liebe Leser. Es ist jener rührige Texaner und Zürcher Expat, selbst auch Künstler, der mit seinem Offspace in einer Spiralgarage (Private View berichtete vor exakt einem Jahr hier) der satten Zürcher Kunstszene vorführte, wie man sich einen Tick grossstädtischer gebärden könnte. Sein Kassenhäuschen an der Badenerstrasse ist aber seit letztem Herbst Vergangenheit. Legendär bleibt es, denn Mitchell zeigte uns dort einige sehr gute Schauen (etwa die «Guyton Price Smith Walker» genannte Ausstellung, die sehr junge Varianten der Appropriation Art vorführte).

Mitchell schrieb mir nun vor einigen Tagen Folgendes: «Hi Ewa, Plymouth Rock finally has a new space. It’s super nice and not really like anything in Zurich at all. Huge windows overlooking the highway. A 40 person group show, with half new names and half familiar ones. Half Swiss, half international. It will be crazy good and quite the grand opening.» Klar, dass ich nach Schwamendingen fuhr.

Links: Mitchell W. Anderson, Mitte: ausstellende Künstler, rechts läuft der Künstler Marius Engh ins Bild, im Hintergrund spricht Maria Florut (Galerie Eva Presenhuber) mit Thomas Julier (Taylor Macklin)

Links: Mitchell W. Anderson, Mitte: die lange Liste der ausstellenden Künstler, rechts läuft der Künstler Marius Engh ins Bild

Das Setting könnt Ihr Euch vorstellen. Industrieller Eingang im grünen Neonlicht, Autos sausen vorbei. Hätte ich nicht die netten Schifferlis (Christoph, Sammler, sowie Frau Grazia, ihres Zeichens Keramikerin) vor der Tür getroffen, dann wäre ich wohl noch lange im Gebäude herumgeirrt, bevor ich die Galerien fand. Mehrere Türen tragen wie in «Alice im Wunderland» die Aufschrift THIS DOOR, man folgt diversen Treppen und Korridoren, von welchen sich manche auch als Sackgasse entpuppen.

Treppenhaus und gute Frage

Treppenhaus und eine berechtigte Frage

Man folgt dem Gemurmel und tritt in die Räume ein. Den Ausstellungstitel «A Form Is a Social Gatherer» versteht man erst mal wörtlich, denn es herrscht eine angeregte Stimmung. Die rohen Räume sind voll junger Menschen. Die in «Petersburger Hängung» angeordnete Ausstellung – was heisst, dass die Werke die Wände in mehreren Reihen füllen – scheint ein ziemliches Sammelsurium zu sein. Die ebenfalls an die Wand gehängte Skizze mit Namen gibt rudimentär Aufklärung. Ein Prinzip der Auswahl erschliesst sich daraus nicht. Anders als die Vernissagengäste, treten die Werke untereinander kaum in ein Gespräch. Die berühmten Attitüden Harald Szeemanns, deren Form den Siegszug der Konzeptkunst in den 70-er Jahren besiegelte, klingen hier zwar nach. Es ist ein diffuses Nachklingen, wie der ferne Wirrwarr der Stimmen im Gang vorhin.

Die «Petersburger Hängung», links als Planskizze, rechts an der Wand

Eine Planskizze als Orientierungshilfe, rechts ihre Ausführung

Es sind Zeichnungen, Skizzen, Fragmente. So viele, dass man die Bruchstücke kaum in ein sinnvolles Ganzes einbetten kann. Mia Marfurt, Fabian Marti, Kaspar Mueller, Thomas Sauter, Urban Zellweger  – das sind Namen, die man kennt und schätzt. Die mit Werken gefüllten Wände sind eine Momentaufnahme des Zustands einer bestimmten Szene. Die Szene ist anwesend und findet hier ein Zuhause. Es wirkt alles sehr cosy, trotz der industriellen Roheit. Zu cosy? Eine Sehnsucht nach Dringlichkeit stellt sich unwillkürlich ein.

Es ist eine Generation, für die Kunst zu machen so selbstverständlich ist wie das Atmen. Es ist eine Zeit, in der Museen und Kunstschulen die Offspaces den jungen Künstlern/Kuratoren zur Verfügung stellen – so wird Taylor Macklin (betrieben von Thomas Julier, Gina Folly, Adam Cruces, Selina Grüter und Michèle Graf) von der Zürcher Kunstschule ZHdK finanziell unterstützt. Dagegen ist an sich nichts zu sagen. Ausser, dass nur-da-zu-sein manchmal nicht genug ist, um Applaus erwarten zu können.

Sind Offspaces unsere «Grössten Schweizer Talente» der Kunst? Gleichzeitig mit der Vernissage am Samstag läuft im  Fernsehen diese volkstümliche Sendung, in der jeder mal vorführen darf, was er so kann. Kaum gibt jemand auf der Bühne einen Ton von sich, weiten sich die  Augen der Juroren auf eine Weise, die jedem Stummfilmschauspieler zur Ehre gereichen würde. Das Publikum springt auf die Stühle und weint, egal ob die Stimme des Sängers trägt. Dort, auf dem medialen Jahrmarktplatz, ist eine solche Haltung fast angenehmer als die Pöbelei ähnlicher Formate beim nördlichen Nachbarn. Die Schweizer Kunstszene, die eine der wichtigsten des neuen Europas ist, wünscht man sich angriffiger. Unwillkürlich hält man Ausschau nach einer Form, die mehr ist als ein Social Gatherer. Die herausfordert, schreit, beleidigt, beim Vorbeigehen nach dem Betrachter schnappt.

Werke von Marius Engh, Raumansicht Taylor Macklin

Werke von Marius Engh, Raumansicht Taylor Macklin

Die Paarungen in Albisrieden

Ewa Hess am Sonntag den 22. Juni 2014

Gastbeitrag von Martin Jaeggi*

In einem der beschaulichsten Teile von Albisrieden, in einem durchschnittlich schweizerischen Wohnhaus, versteckt sich der Projektraum Taylor Macklin, betrieben von den jungen Künstlern Adam Cruces, Gina Folly und Thomas Julier, der sich mit seinen sorgfältig kuratierten Ausstellungen schnell einen Namen macht. Eröffnet wurde der Projektraum mit einer Ausstellung, die historische Mail-Art mit Kunstwerken kombinierte, die junge Künstler per Post oder Mail übermittelten, dann folgte eine Ausstellungen des in Zürich lebenden Künstlers und Offspace-Betreibers Mitchell Anderson. Während des Zürcher Weekends eröffnete die dritte Ausstellung, Couplings (Paarungen, bis 11.7.2014), kuratiert von Piper Marshall, die lange Jahre am Swiss Institute in New York arbeitete und heute als freie Kuratorin tätig ist.

Links: Nicolas Guagnini Hard of Hearing, 2014 Glazed ceramic, rechts: Dmitri Hertz Sweetwater cup series, 2014 Cast lead

Links: Nicolas Guagnini, «Hard of Hearing», 2014, glazed ceramic, rechts: Dmitri Hertz, «Sweetwater Cup Series», 2014, cast lead

 

Wie der Titel andeutet, umkreist die Ausstellung Fragen nach Körperlichkeit und Materialität, Form und Geschlechtszuschreibung, Objekthaftigkeit und Bewegung. Die Ausstellung umfasst elf kleinformatige Werke, in denen sich Form und Material wechselseitig aufladen. Ergänzt werden sie durch ein Video von Kerry Downey und Joanna Seitz, das eindringlich und fast schon unangenehm berührend einen Körper inszeniert: Während zwanzig Minuten sehen wir, wie eine fettleibige Frau in wohlkomponierten Aufnahmen Posen und Bewegungsabfolgen zwischen Choreographie und Improvisation vorführt und so provokativ ihren gegen die gesellschaftliche Norm verstossenden Körper als künstlerisches Material inszeniert.

Das Thema körperlich-materieller Üppigkeit kehrt, wenn auch weit weniger aggressiv, in anderen Werken wieder. Ein dunkelblau glasiertes Keramikobjekt von Nicolas Guagnini liest sich auf den ersten Blick als amorphes Geschlinge, wird dann als Geflecht von pflanzenhaft stilisierten Phalli, Nasen und Ohren erkenntlich, gewissermassen eine Büste ohne Gesicht. Das Motiv und die weiblich konnotierte Formensprache stehen in einem offenkundigen Spannungsverhältnis, das dem Objekt beunruhigende Präsenz verleiht. Gegenstück dazu ist ein anderes blaues Keramikobjekt von Dustin Hodges, ein austernförmiges Objekt, gefüllt mit leuchtend orangem Lachsroggen, das an ein weibliches Geschlechtsorgan denken lässt. Ebenso organisch wuchernd sind drei übergrosse Pilzhauben von Carlos Reyes, nach einem Holzschnitt von Hokusai mit Laser in Kunststoff geschnitten. Die scharfen Kanten und Schnitte des Hightech-Verfahrens verweisen das Organische der Form in den Bereich der Illusion.

Einen Kontrapunkt zu diesen Arbeiten, die auf das Organische verweisen, setzen Werke, die den Pop-Appeal von Kunststoff zelebrieren. Julietta Aranda zeigt einen schwarzen Würfel aus Schaumstoff, über den eine weisse Lache aus glänzendem Kunststoff ausgegossen wurde, angehalten im Moment des Zerfliessens, eine paradoxe Suggestion von Bewegung und Zeitlichkeit, die die Starrheit des Objektes unterstreicht. Nüchtern konzeptionell wirkt dagegen eine Textarbeit von Karin Schneider über die polnisch-russische Konstruktivistin Katarzyna Kobro, ein elegant schwebendes Mobile, das einen Text über Bilder zu einem Objekt werden lässt.

Alle Werke in der Ausstellung zeichnet eine Paradoxie und Rätselhaftigkeit aus, die den Betrachter zum Denken verführt und die Ausstellung lange nachhallen lässt.

Taylor Macklin, Mühlezelgstrasse 24, 8047 Zürich, www.taylormacklin.com

* Martin Jaeggi ist Kunsttheoretiker, Publizist und Dozent an der HdKZ in Zürich