Archiv für die Kategorie ‘Nicola von Senger’

Direkt wie eine Ohrfeige

Ewa Hess am Donnerstag den 3. Juli 2014

Was: Serie «Doublefaced» des deutsch-polnischen Künstlers Sebastian Bieniek
Wo: Galerie Nicola von Senger, Limmatstrasse 275 in Zürich
Wann: Bis 27. Juli

Eigentlich habe ich erwartet, Pharrell Williams an der Vernissage zu treffen. Denn dass der Musiker bei Bieniek abgekupfert hat, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Da wäre es doch nur anständig, wenn der zur Eröffnung in Zürich vorbeikäme, schnell Hallo sagen. Aber – nein. Pharrell war anderswo «happy» und wir hatten es ohne ihn auch sehr nett. Der Künstler war da. «Das Mädchen mit zwei Gesichtern» nicht. Aber fangen wir mal von vorne an.

«Doublefaced 1», Sebastian Bieniek vor seinen Werken in der Galerie von Senger

«Doublefaced 1», Sebastian Bieniek vor seinen Werken in der Galerie von Senger.

Dem Künstler kam die Idee, als sein Sohn Bela schmollte. Das Kind wendete das Gesicht so hartnäckig vom Papa ab, das ihm der Erzeuger mit Mamas Schminkzeug ein anderes, lächelndes Antlitz auf die Wange malte. Das Kind fand es lustig, dem Vater blieb aber die Spucke weg, als er sah, was er da vor sich hatte. Es sah unheimlich aus. Aber auch unheimlich anrührend. Ein Symbol für die moderne Identitätsverdoppelung war geboren. Hier unser Face fürs -book. Und dort, irgendwo neben dem Ohr (oder, später auch, auf der Schulter) dieses fragile, verletzliche Gesichtchen. Merken Sie die Schönheit der Geschichte? Das falsche Gesicht sieht auf diesen Bildern echter als das echte aus. Ein kleines zartes Gespenst von einem Gesicht, kindlich, intim und keinem Hochglanzdiktat gehorchend.

Gut, vielleicht war das alles dem Künstler nicht von Anfang an kristallklar. Aber er beschäftigt sich schon lange mit den Fragen des Echten und des Unechten und hat mit der Publikation «Realfake» kürzlich einen Beitrag zur Diskussion geleistet, den er hier wunderbar launig (an einer georgischen Tafel) vorstellt. Die Fragen, die im Buch auftauchen, subsumiert ein Kritiker so: «Was ist echt und was nicht? Wie viele Wahrheiten gibt es? Ist gute Kunst Verarschung, darf sie es sein oder muss sie es? Können wir uns berühmter als Woody Allen machen – und welche Freunde von Brad Pitt kaufen Sebastian Bienieks Kunst?» Das war 2011, also lange vor Pharrells Übergriff ins bienieksche Territorium. Eine exaktere self fullfilling prophecy findet man selten.

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Die «Doublefaced»-Serie ging vom Fleck weg wie ein Virus durchs Netz (hier nachzulesen). Und die Agentur Pharrell Williams’, die das Netz nach besonders erfolgreichen Memes (neudeutsch für Ideen) durchforstet, hat sofort reagiert und dem Meister eine zweigesichtige Blonde nach dem Vorbild Bienieks vorgeschlagen, als einen besonderen Hingucker in seinem Video «Marylin Monroe» (Bild oben). (Das Video kommt, wenn Sie mich fragen, abgesehen von dem Bieniek-Zitat recht einfallslos daher. Lauter hübsche Damen in läppischen Anzügen, die eine Art Modern-Dance-Aerobic praktizieren und den Hutträger Pharrell umkreisen). Der Diebstahl, um sofort das Happy End vorwegzunehmen, hat dem Künstler keineswegs geschadet. Die heutige Gefolgschaft Bienieks ist 120 K (für die terminologisch konservativeren Leser: K steht für Tausend). «Wenn ich etwas poste, sieht es sofort eine mittelgrosse Stadt», erklärt er mir an der Vernissage. Das ist seine Antwort auf meine Frage, wie es kommt, dass er noch keine feste Galerieverbindung hat. Hey, er braucht vielleicht keine?

Es wundert mich kein bisschen, dass Nicola von Senger als einer der ersten auf den Künstler aufmerksam wird. Intuitiv, direkt wie eine Ohrfeige, expressiv und unverschämt kreativ – alle diese Bezeichnungen könnten fast jeden seiner Künstlerinnen und Künstler schmücken. Wir dürfen nicht vergessen, wen alles uns Nicola hier in Zürich als Erster oder einer der Ersten vorgestellt hat: Maurizio Cattelan, Terry Rodgers, Martin Parr, Olaf Breuning, Erwin Wurm, Elke Krystufek, Daniele Buetti, Gelitin, Arcangelo Sassolino etc. etc. Und das geht so weiter. Zu den aktuellen Künstlern der Galerie gehören der hier bereits mehrmals besprochene Mario Sala oder der noch bestimmt bald zu besprechende Beni Bischof. Bereits mit seiner Galerie Ars Futura (damals im Enge-Quartier) hat von Senger Aussergewöhnliches für Zürich geleistet. Dabei liebt der Galerist seine Freiheit über alles, hat sich gerade bis auf einen Raum verkleinert und macht Vernissagen nach, nicht vor der Art. Auch das braucht eine gewisse Missachtung des Herdentriebs.

«Das Mädchen mit den Vogelbberen» und natürlich mit zwei Gesichtern

«Das Mädchen mit den Vogelbeeren» und, natürlich, mit zwei Gesichtern.

Die Vernissage ist denn auch nicht über-, eher ausgesucht unterbevölkert. Ich treffe zwei junge russische Bankerinnen an und eine Sammlerin, die bei einem der Photos zugreift. Sie hat recht: Bienieks Fotos sind für 1600 Franken (10er-Edition) zu haben. Das könnte sich in Zukunft als ein guter Preis erweisen (doch die Schreibende übernimmt keine Haftung!). Die Rechte am doppelgesichtigen Mädchen mit den Vogelbeeren will übrigens gerade der Bayrische Rundfunk gern erwerben. Ist sie nicht wunderbar? Modell stand wie für alle diese Fotos Bienieks Freundin Paula, die nicht da ist, sondern auf einer Recherche-Reise (als angehende Künstlerin).

Die Freundin des Galeristen, die strahlende Diana Lira, erweist uns aber die Ehre. Am 4. und 5. Juli veranstaltet sie in der Kulturschiene Herrliberg einen Designers Bazaar – mit lauter jungen Designern! Don’t miss.

Diana Lira, Galerist Nicola von Senger, Mariya Verpakhovskaya und Anna Belov

Diana Lira, Galerist Nicola von Senger, Mariya Verpakhovskaya und Anna Belov.

Mit diesen schönen Bildern verabschiedet sich «Private View» übrigens von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, für eine zweimonatige Sommerpause. Am 2. September sind wir wieder da – mit der Besprechung der Saisoneröffnung. Bis im September also – wenn die Vogelbeeren rot geworden sind, sehen wir uns wieder.

Der Teufel in seinem Kopf

Ewa Hess am Dienstag den 13. Mai 2014
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«Pioneer 48» von Mario Sala in der Galerie Nicola von Senger.

«Mind fuck» ist ein Begriff, der zu Unrecht abschätzig klingt. Erstens muss jeder mit dem F-Wort zu bezeichnende Akt auch unbedingt einen «Mind»-Anteil haben, soll er so richtig gelingen. Und zweitens ist eine erst mal im Hirn anschwellende Leidenschaft auch eine wilde Sache. Diese intellektuelle Wildheit gehört zu Nicola von Sengers Galerieprogramm, und der ist auch Mario Sala, dessen «Anthony Cells» am Freitag eröffnete, komplett verfallen. Im besten Sinn! Im Kopf des 49-jährigen Winterthurer Künstlers ist der Teufel los. Nein, Entschuldigung, natürlich nicht der Teufel, sondern der heilige Antonius, genannt «Anthony Cells». Diese erfundene Figur steht im Zentrum eines schwindelerregenden Universums, das sich in Salas Werken bruchstückhaft manifestiert.

Mario Sala und die «apokalyptische Raumecke»

Mario Sala und die «apokalyptische Raumecke».

Der Künstler erklärt mir die Auslegeordnung der kleinen Schau mit vor innerer Aufregung glühenden Wangen. Da haben wir also einerseits den «Trigger». Das ist die grosse Skulptur in der Mitte des Galerieraums. Ihr Rückgrat ist eine Angelrute. Diese steht auf einem Fundament aus Sägespänen und ist ganz und gar mit Schwämmchen ummantelt. Oben, weit über den Köpfen der Besucher, wird sie von einem nassen Schwammkopf gekrönt, weshalb sie sich auch weniger oder stärker neigt – je nach Trocknungszustand des saugfähigen Kopfes.

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Alles klar? Nein? Macht nichts, es sieht fantastisch schön aus. Links: «Piece 03», 2014, Autolack auf Aluminium. Rechts: «Trigger 03», 2014, Schwamm, Metall, Angelrute, Teppich, Sägemehl, Wasser.

Rund um dieses Objekt, das entweder aus dem Weltall oder aus der Fernsehserie «Stark Trek» stammen könnte (und zwar aus den ersten Staffeln mit Cpt. Kirk, zum Beispiel aus der legendären Episode mit den schwammartigen «Tribbles» – remember?), gibt es verschiedene Arten von Werken, etwa die «Pioneers», pastose Leinwandbilder, oder «Pieces», Autolack auf Aluminium, oder «Forms», die wie Collagen daherkommen.

Jede Sorte gehört einer imaginierten Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart an, jedenfalls einer Parallelwelt, die sich in dieser Zelle des heiligen Antonius («Anthony Cells» = Anthony’s Cell?) materialisiert. Alles klar? Nein? Macht nichts: Es sieht fantastisch schön aus. Und zwar jede Sorte! Die abstrakten Ölbilder sind auf pastellfarbene Art expressiv. Die Pieces leuchten elegant mit ihren kühlen Oberflächen. Die Collagen faszinieren mit einer Vielzahl von Details. Und die in einer Ecke der Galerie installierte apokalyptische Zersetzung scheint die Anwesenheit des Trigger-Aliens zu rechtfertigen.

Galerist spricht mit einem alten Schulfreund (l.), Helmhaus-Chef Simon Maurer (r.)

Galerist spricht mit einem alten Schulfreund (l.), Helmhaus-Chef Simon Maurer (r.).

Dass man hier auch Ian Anüll trifft, den seit den 70er-Jahren stetig klugen Konzept- und Installationskünstler, erstaunt nicht. Auch er rekonstruiert gerne die Realität auf eine sprechende Art. Der 66-jährige Ungezähmte trägt immer noch ein Copyright-Zeichen auf dem Schneidezahn, eine Konsumkritik am eigenen Leibe. Er besitzt mehrere Werke Salas, verrät er, und verfolge dessen Entwicklung mit Spannung. Simon Maurer, Helmhaus-Chef, kommt natürlich vorbei – er zeigte schon sowohl Sala als auch Anüll. Das grosse beige «Piece 3» zieht seinen Blick immer wieder wie magisch an (zum Verkauf stünde es ja, allerdings für stolze 34’000 Franken).

Künstler Ian Annül, Salas Objekt «Smithereen»

Künstler Ian Anüll, Salas Objekt «Smithereen».

Ein Sala-Sammler führt seine Verhandlungen mit dem Galeristen unten vor der Haustüre. Es gehe um eine Skulptur, die gar nicht in der Ausstellung drin ist, verraten die beiden Gutgelaunten. Oliver Onkel (Kitesurfer und ein Neffe der Psychologin Julia) trägt eine farbige Halskette und einen schwarzen Knopf im Ohr, was ihm ein verwegenes Aussehen eines (etwas athletischeren) Jack Sparrow verleiht.

Galerist Nic von Senger, Sammler Oliver Onken (l.). Architektin Katharina Werner mit Hund Boss

Galerist Nic von Senger, Sammler Oliver Onken (l.). Architektin Katharina Werner mit Hund Boss.

Die Vernissage ist gut besucht, Galerist Peter Kilchmann kommt mit seinem Verlobten Alessandro Pascarella (sie heiraten im Juli). Die Fotografin Claudia Luperto spricht mit Ludmilla Sala, der Frau des Künstlers, und dem Architekten Peter Kunz (Erbauer von u.a. den schönen Garagenateliers in Herdern). Luperto hat mit einer Fotoserie über Kunz’ Bauten eine Teilnahme an der EWZ-selection gewonnen.

Fotografin Claudia Luperto, die Frau des Künstlers, Ludmilla Sala-Etter, Architekt Peter Kunz (l.). Galerist Kilchmann mit Mario Sala (r.)

Fotografin Claudia Luperto, die Frau des Künstlers, Ludmilla Sala-Etter, Architekt Peter Kunz (l.). Galerist Kilchmann mit Mario Sala (r.).

Auffallend ist die Hundedichte. Die Architektin Katharina Werner wird begleitet vom Boxer Boss – der sympathische Lefzenträger trägt das gleiche Halstuch wie der Künstler (Zufall!). Der kleine weiss-schwarze Vierbeiner, der mit von Sengers Schulfreund kam, gerät kurzfristig in den Verdacht, die zentrale Skulptur «begossen» zu haben. Aber nein, die ist ja nass, die Pfütze produziert sie selber.

Vor der Galerie gehen die Gespräche weiter, bei Bier und Weisswein. Man bewundert die schöne Marmortreppe im ehemaligen Bürohaus vis-à-vis des Löwenbräus und irgendwie ist es auch nett, dass hier nicht alles auf piekfein renoviert ist wie auf der anderen Seite der Strasse. Kurz und gut, ein Abend, der selbst den heiligen Antonius in Versuchung brächte, ein schönes Objekt für seine Zelle zu kaufen («Anthony Cells»= Anthony sells?).

Die schöne Treppe! (Bild: Simon Maurer, alle anderen Bilder Ewa Hess oder zvg)

Die schöne Treppe! (Bild: Simon Maurer, alle anderen Bilder Ewa Hess oder zvg).