Die Absurditäten auf der Erde häufen sich, Eskapismus feiert Urständ. Eben erst las ich in der «Zeit» (im Artikel «Fuck you, Silicon Valley»), wie kindisch es von den Silicon-Valley-Gurus Elon Musk & Co. sei, in Kosmos-Besiedelungsfantasien zu schwelgen. Und nun erreicht mich aus der Kunstwelt die Nachricht, dass eine engagierte Gruppe von US-Künstlern die Vereinigung «Mocam» gegründet hat. Das Akronym steht für Museum of Contemporary Art on the Moon. Ja, auf dem Mond. Noch haben sich also die jungen Künstler nicht so richtig in ihre Rolle als politisch engagierte Bürger reingefunden, schon denken sie ans … Abhauen. Hm.
Also gut, Leute. Seien wir mal klarsichtig. Mit dieser Sache ist nicht zu spassen. Das Szenario mit der Besiedelung des Alls, glaubt mir, hat in allen SF-Romanen, die ich einst verschlungen habe, eine einschneidende Begebenheit beinhaltet, die sich kurz vorher ereignet hat: Die Erde wurde zerstört. Oder ihre Atmosphäre vergiftet. Oder die Oberfläche verstrahlt. Man konnte hier nicht bleiben, darum musste man ins All ausweichen und warten, bis auf dem Heimatplaneten wieder die Sonne schien, die Pflanzen wuchsen oder einem wenigstens die Lungen beim Atmen nicht mehr verätzt wurden. Das wollen wir doch sicher nicht.

Etwas spröde: Der Eingangsbereich des Museum of Contemporary Art on the Moon.
Aber gut, in jenem Film, der von den futuristischen Philosophen sehr oft zitiert wird, wenn es um realistische Zukunftsszenarios geht, also im Pixar-Zeichentrickfilm «Wall-E», sitzt die Menschheit verblödet und körperlich aufgeschwemmt in aufblasbaren Fauteuilles irgendwo auf einem Dépendance-Planeten, zieht sich Süssgetränke durch einen Strohhalm ein und schaut auf grossen Bildschirmen Info-Mertials. Während ein kleiner tapferer Putzroboter die Erde aufräumt! Und sie rettet!

Der tapfere kleine Roboter Wall-E putzt die Erde, während sich die verweichlichte Menschheit im All die Zeit mit dümmlicher Unterhaltung vertreibt. Screenshots: Pixar
Gut, man kann sagen, dass die grösste Leistung der Menschheit dereinst die sein wird, Maschinen erfunden zu haben, die klüger sein werden als sie selbst. Aber Kunst, meine Damen und Herren, ist eine Disziplin, die bei den Entwicklern der Artificial Intelligence nicht unbedingt zuvorderst auf der Prioritätenliste steht. Darum könnte es durchaus Sinn machen, den künftigen Generationen ein Zeichen zu geben, dass es uns gab und dass wir Kunst machten.

Mocam – Ansicht von aussen. Die Ausstellungssäle sind unterirdisch angebracht.
Ich weiss allerdings nicht, ob dieses wichtige Zeichen an die künftigen Generationen und andere Mondbewohner der kleinen Gruppe junger Künstler um Julio Orta (ein wenig bekannter Künstler aus Mexiko, der in Los Angeles lebt) überlassen werden kann. Zu sehen sind ihre Entwürfe und Überlegungen zurzeit im Indianapolis Museum of Contemporary Art, kurz IndyMoca. Die Ausstellung, in deren Rahmen das Projekt gezeigt wird, heisst «The Museum of Real and Odd».

«The Museum of Real and Odd»: Cassandra Klos, «The Arrival», 2013. Foto: IndyMoca
Obwohl, warum eigentlich nicht? Die Jungs und Mädels haben schon eine Parzelle auf dem Mond gekauft (zu vernünftigen Preisen, wie sie sagen) und machen auch sonst einen wild entschlossenen Eindruck. Man weiss, was passiert, wenn man alle fragt, andere Künstler, wichtige Kuratoren und Behörden. Am Schluss kann sich niemand für etwas entscheiden, und die Sache versandet.

Die Kaufurkunde für eine Mondparzelle und ein Plan, wie das Museum unter der Mondoberfläche verankert werden soll.
Aber! Vergessen wir nicht! Es gibt schon Kunst auf dem Mond! Seit bald schon 50 Jahren. Als nämlich Apollo 12 sich 1969 anschickte, die Astronauten Charles Conrad und Alan Bean auf den Mond zu befördern (es war die zweite bemannte Mondlandung), hatte der Bildhauer Forrest Myer schon mal die gloriose Idee, Kunst von sich und einigen seiner Kollegen mitzuschicken.
Auf einer winzig kleinen Keramikplatte, wie sie für Schaltkreise benutzt werden, brachten dann Myers, Andy Warhol, Robert Rauschenberg, David Novros, Claes Oldenburg und John Chamberlain ihre Zeichnungen an. Bis zuletzt war es nicht klar, ob das Plättchen mitfliegen darf. Man kam überein, es in einem Bein der Mondfähre zu verstecken, die auf dem Mond bleiben würde.

Keramikplättchen «Museum on the Moon», 1969: Unten links die Zeichnung von Myers, darüber das stilisierte AW von Warhol, das auch an eine Rakete oder einen Penis erinnert; die Linie in der Mitte stammt natürlich vom Minimalisten Rauschenberg, das schwarze Quadrat ist von Novros, das Diagramm von Chamberlain. Und die Mickey-Mouse-Figur? So hat sich der Popkünstler Claes Oldenburg verewigt. Foto: Moma
Der Mann, der das Plättchen an der Fähre anbringen sollte, versprach Myer, beim Gelingen des Vorhabens ein Telegramm zu schicken. Dieses kam dann auch, am 12. November 1969, zwei Tage vor dem Start. Der Text hiess: «You’re on. A.O.K. All systems are GO. John F.» Alles klar? Von wegen! Nicht nur Myers und Warhol damals, bis heute zerbrechen sich die Menschen den Kopf darüber, was das hätte heissen sollen. Und wer war John F.? (Für mögliche Verschwörungstheoretiker: Sicher nicht JFK, der war nämlich seit 1963 nicht mehr auf dieser Erde.)

Das geheimnisvolle Telegramm «You’re on» von Cape Canaveral: Der Bote sollte es unter der Tür reinschieben, falls Adressat abwesend.
Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber mir kommt die ganze politische Landschaft in den USA in der letzten Zeit wie ein gespenstisches Revival der 60er-Jahre vor: Aufrüstung, Rassismus und Antirassismus, Frauendiskriminierung und die Empörung dagegen … Es ist wie ein Déjà-vu. Darum halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass wir bald wieder bemannte Mondlandungen haben werden. Dann kann ja jemand endlich irgendwo in der grossen Ebene des Oceanus Procellarum, wo die alte Mondfähre von sich hindämmert, einmal nachsehen, ob es mit dem hochkarätigen Kunst-plättchen wirklich geklappt hat.